• Keine Ergebnisse gefunden

Staatliche Gewalt im modernen Völkerrecht

Im Dokument Gewaltmonopol und Fremdherrschaft (Seite 52-57)

3. Formen des innerstaatlichen Gewaltkonflikts

3.1 Begriffe und Rechtsquellen

3.1.2 Staatliche Gewalt im modernen Völkerrecht

Auch im modernen Völkerrecht schreibt Art. 2 Ziff. 1 und 7 der UN-Charta das Prin-zip der Staatensouveränität nach wie vor als zentrales Rechtsgut fest. Aber das

24 Das klassische Beispiel eines Aufstandes, der durch die Erfüllung all dieser Kriterien zum ordent-lichen Kriegführenden im Bürgerkrieg wird, ist die Konföderation im amerikanischen Sezessi-onskrieg 1860-65.

25 So etwa Deutschland, Italien und Portugal im Falle der spanischen Faschisten unter Franco (Siotis 1958: 159ff; Moir 2003: 20).

dichtete UN-Regime kennt noch andere universale Rechtsgüter neben der Staaten-souveränität.

Das Gewaltverbot der UN-Charta

Der markanteste Unterschied zwischen UN-Recht und klassischem Völkerrecht ist die Aufhebung des ius ad bellum der Staaten im Gewaltverbot aus Art. 2 Ziff. 4 der UN-Charta. Doch das Gewaltverbot als Einschränkung des Prinzips der Staatensou-veränität gilt nur für eine Bedrohung des zwischenstaatlichen Friedens nach Art. 39 der Charta und verpflichtet die Staaten damit letztlich nur zur Beachtung der Souve-ränität und Integrität auch der anderen Staaten nach Art 2 Ziff. 1 der Charta.

Die Menschenrechtsordnung

Eine weitere Einschränkung erfährt die Staatensouveränität durch die Festschreibung einer universellen Menschenrechtsordnung (human rights law),26 die dem Einzelnen unabhängig von seiner Zugehörigkeit zu einem politischen Verband oder einer sozia-len Gruppe bestimmte Rechte zuspricht. Aber auch diese baut ganz auf dem souverä-nen Staat als Adressaten ihrer Standards auf, denn letztlich kann nur der Staat als Träger des nationalen Gewalt- und Entscheidungsmonopols die Verwirklichung der Menschenrechte umsetzen. Gegenüber Privaten kann nur er die Rechte des Einzelnen geltend machen und deren Verletzung kriminalisieren. Und der Staat hat bei der Transformation des Menschenrechts in Staatsbürgerrecht einen Spielraum, innerhalb dessen er die Verhältnismäßigkeit seiner Gewaltanwendung selbst bestimmen kann.

So bietet die Menschenrechtsordnung, von deren normativer Universalität auch die vorliegende Arbeit ausgeht, für sich noch keinen Anhaltspunkt, wann die Regierung eines Staates von ihrer Herrschaft zu suspendieren sei.

Eine Ausnahme dieses Prinzips stellt die Konvention über Verhütung und Bestrafung des Völkermords vom 9. Dezember 1948 dar. Die Konvention verpflichtet in Art. I alle Unterzeichnerstaaten zur Verhinderung und Bestrafung eines Völkermords „im Frieden oder im Krieg.“ Der Völkermord stellt damit den extremsten Grad einer

26 Vor allem in Form der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948, der Europä-ischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 und ih-rer 7 Zusatzprotokolle und des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966.

Menschenrechtsverletzung durch einen voll handlungsfähigen Staat in „Friedenszei-ten“ dar, der dann auch eine gewaltsame Intervention von außen rechtfertigt und notwendig macht.

Das humanitäre Völkerrecht

In bewaffneten Konflikten schließlich ist der Staat in seinen Gewalthandlungen an das humanitäre Völkerrecht (humanitarian law) gebunden. Dieses bezeichnet das moderne ius in bello bezüglich der Rechte der Kombattanten und Nichtkombattanten, also das humanitäre Kriegsrecht. Es enthält im 2. Zusatzprotokoll von 197727 (ZP II) Bestimmungen, die unter bestimmten Voraussetzungen auch nichtsstaatliche Grup-pen in innerstaatlichen bewaffneten Konflikten betreffen und im gemeinsamen Arti-kel 3 der Genfer Konventionen von 1949 Normen, die auch in irregulär geführten Konflikten unbedingt für alle beteiligten Kämpfer gelten (Moir 2003: 44). Auch pri-vate Gewaltakteure genießen also gewisse Rechte gegenüber ihren Gegnern, die ih-nen von der Internationalen Gemeinschaft zuerkannt werden. Der gemeinsame Arti-kel 3 schütz alle Zivilisten, aber auch vormals kämpfende Verwundete und Gefange-ne ohGefange-ne Ausnahme und fordert von allen Konfliktparteien – ob staatlich oder nicht-staatlich – in Absatz 1) die menschliche Behandlung aller Nichtkombattanten und aller kampfunfähig gewordenen Kombattanten und damit die Unterlassung von Mord, Folter und körperlichen Züchtigungen, Geiselnahmen, Verletzung ihrer per-sönlichen Würde und Verurteilungen und Exekutionen ohne vorherige zivile Ge-richtsverfahren, und fordert in Absatz 2 die Unterstützung des Roten Kreuzes bei der Behandlung der Kranken und Verwundeten (Moir 2003: 30). Nach dem Nicaragua-Urteil des Internationalen Gerichtshofs IGH28 muss dies als der absolute Mindest-standard an menschlicher Behandlung in allen bewaffneten Konflikten gelten. Das heißt aber auch, dass Repressalien gegen Gewaltakteure, die die Bestimmungen des gemeinsamen Artikel 3 ihrerseits missachten, unzulässig sind: die Anwendungen der Bestimmungen des Artikels hat keinen Einfluss auf die Rechtsstellung der

27 Protocol additional to the Geneva Convention of August 12 1949, and Relating to the Protection of Victims of Non-International Armed Conflicts (Protocol II); 1125 UNTS 609. Das Zusatzpro-tokoll II konkretisiert in Art. 4-6 die Bestimmungen zur menschlichen Behandlung weiter und er-lässt in Art. 13-18 Bestimmungen zum Umgang mit der Zivilbevölkerungen.

28 Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, Nicaragua vs.

USA, ICJ Reports 1986.

parteien. Weder verwirken nichtstaatliche Gewaltakteure diese Rechte aufgrund ihrer Missachtung, noch gewinnen sie durch ihre Einhaltung einen bevorzugten Rechtssta-tus. Für den betroffenen Staat bleiben also Gruppen, die sich in einem bewaffneten Konflikt gegen ihn wenden, ihrem Status nach bloße Kriminelle, bei deren Bekämp-fung er allerdings an die Bestimmungen des gemeinsamen Artikels 3 gebunden ist.

Das ZP II geht noch einen Schritt weiter, in dem es Aufständischen einen Anreiz bietet, die im ZP II Bestimmungen über die Rechte von Zivilisten, Verwundeten und Gefangenen auch ihrerseits zu beachten und eine gewisse stabile Ordnung in dem von ihnen beherrschten Gebiet aufrechtzuerhalten: Tun sie dies, so besitzen sie rezip-rok ebenfalls diese etwas weiter als im gemeinsamen Artikel 3 geltenden Rechte.

Außerdem hält das ZP II Staaten in Artikel 6 Abs. 5 dazu an, nach Ende der Kampf-handlungen den Aufständischen Amnestie zu gewähren, so dass diese von bloßen Verbrechern zu anerkannten Feinden werden, denen nach Ende des bewaffneten Konflikts ihre Gewalthandlungen nicht persönlich angelastet werden. Es hat sich allerdings gezeigt, dass die Anreize für Aufständische aufgrund ihrer spezifischen Guerilla-Kampfweise kaum jemals in der Lage sind, das ZP II einzuhalten, weswe-gen sein praktischer Nutzen oftmals angezweifelt wird (Daase 2001).

Jedenfalls aber werden in Art.1 Abs. 2 ZP II mit „Unruhen und Spannungen wie Tumulte[n], vereinzelt auftretende[n] Gewalttaten und andere[n] ähnliche[n] Hand-lungen“ Gewalthandlungen bezeichnet, die nach herrschender Völkerrechtslehre auch nicht mehr in den Bereich des anspruchsloseren gemeinsamen Art. 3 fallen, und somit nicht als innerstaatliche bewaffnete Konflikte im Völkerrechtssinne gelten (Schmahl 2001: 59), sondern in den Worten des Art. 3 Abs. 1 ZP II noch der „Souve-ränität eines Staates“ und der „Verantwortung der Regierung“ unterworfen sind, „mit allen rechtmäßigen Mitteln die öffentliche Ordnung im Staat aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen oder die nationale Einheit und territoriale Unversehrtheit des Staates zu verteidigen.“ Analog zum klassischen Völkerrecht sollen solche „Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnli-che Handlungen“ hier unter dem Begriff des Aufruhrs subsumiert werden. Allerdings wird dieser Gewaltakt unterhalb des Aufstandes durch Art. 1. Abs. 2 ZP II nicht hin-reichend definiert, im gemeinsamen Art. 3 schließlich fehlt er ganz. Um festzulegen,

welche „ähnlichen Handlungen“ dieser „Noch-nicht-Aufstand“ alles umfassen kann, müsste erst einmal der Aufstand näher definiert werden.

Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs

Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs IStGH rüstet das humani-täre Völkerrecht mit strafrechtlichen Sanktionsmitteln aus. Es erklärt sich für alle jene Fälle von schweren Verbrechen zuständig, „welche die internationale Gemein-schaft als Ganzes berühren“ (Art. 5 Abs. 1 des Statuts), die also nicht als rein innere Angelegenheit nur von nationalen Gerichten verhandelt werden können. Aufgrund der fehlenden Exekutivgewalt des IStGH bleibt diese Erklärung oftmals theoretisch, bietet aber für die hier gemachten Überlegungen weitere Anhaltspunkte. Die Zustän-digkeit des IStGH betrifft nach Art. 8 Abs. 2 lit. f auch Kriegsverbrechen, die sich in

„bewaffnete[n] Konflikte[n], die keinen internationalen Charakter haben“ ereignen.

Wie im ZP II meint dies allerdings keine „Fälle innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten oder ähnliche Handlungen“, die noch ganz dem jeweiligen nationalen Straf- bzw. Notstandsrecht unterliegen, sondern

„bewaffnete Konflikte, die im Hoheitsgebiet eines Staates stattfinden, wenn schen den staatlichen Behörden und organisierten bewaffneten Gruppen oder zwi-schen solchen Gruppen ein lang anhaltender bewaffneter Konflikt besteht“, da diese Konflikte dem nationalen Recht dadurch entwachsen, dass der betroffene Staat hier selbst Konfliktpartei wird. Damit erhält der bewaffnete Konflikt oberhalb des Auf-ruhrs, der Aufstand, durch die Definition des Römischen Statuts ein besonderes Merkmal: die temporale Ausdehnung.

Es ist jedoch fraglich, ob dieses Merkmal für die hier vorgenommene Betrachtung des Staatszerfalls hinreichend ist. Denn die Dauer eines Konflikts sagt wenig mehr über seine Form aus, als dass eine beständige Organisation der Aufrührer gegeben sein muss. Inwiefern diese aufrührerische Organisation aber tatsächlich das Gewalt-monopol des Staates untergräbt, und nicht wie eine rein kriminelle oder rein terroris-tische Vereinigung nur eine Herausforderung für ein ansonsten durchaus bestehendes Gewaltmonopol darstellt, wird anhand dieses Merkmals nicht ersichtlich.

Unter humanitären Gesichtspunkten und unter Gesichtspunkten des internationalen Strafvollzugs ist eine solche weite Begriffsdefinition durchaus nachvollziehbar, da so

im Zweifel die Einschlägigkeit der Normen so weit wie möglich ausgelegt werden kann. Wenn aber wie in der vorliegenden Arbeit aus diesen Normen der Begriff des Aufstandes abgeleitet werden soll, der sich durch eine Auflösung der de facto-Herrschaft des Staates auszeichnet, sind die im gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Konventionen und im Römischen Statut aufgeführten Merkmale des bewaffneten Konflikts nicht hinreichend. Für den Souveränitätsanspruch eines Staates ist die Fra-ge, wann die Gewaltkonflikte, in die er sich begibt, noch als alltägliche staatliche Gewaltanwendung gegenüber Rechtsbrechern gelten kann und wann ein bewaffneter Konflikt im Sinne eines Aufstandes vorliegt, allerdings außerordentlich brisant und verlangt nach einer konkreteren Definition dieses Begriffs. Auf der anderen Seite dürfte eine solche Definition auch nicht wie im ZP II zu hohe Ansprüche an die Selbstorganisation der Aufständischen stellen, um nicht weite Teile einer faktisch weniger straff organisierten Realität bewaffneter Konflikte auszuklammern. Deswe-gen soll in den folDeswe-genden Definitionen der Völkerrechtsbegriffe Aufruhr, Aufstand und Bürgerkrieg zunächst der Aufstand definiert werden, um dann aus diesem Beg-riff die beiden anderen abzuleiten.

3.2 Die drei Formen des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in den

Im Dokument Gewaltmonopol und Fremdherrschaft (Seite 52-57)