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Die „Grammatik des Krieges“

Im Dokument Gewaltmonopol und Fremdherrschaft (Seite 47-50)

2. Der Hamburger Ansatz: Gewaltkonflikte im Kontext der globalen

2.2 Die „Grammatik des Krieges“

Prekäre Staatlichkeit reproduziert fortwährend gesellschaftliche Krisen und Konflik-te, die den Staat in seiner Existenz bedrohen. Um hierauf von außen adäquate Reak-tionen zum richtigen Zeitpunkt folgen zu lassen, muss die Entwicklung dieser Krisen nachvollzogen werden können. Solches leistet im Hamburger Ansatz die „Gramma-tik des Krieges.“

Diese bildet idealtypisch die Eskalationslogik – nicht die reale Chronologie – der Krisen und bewaffneten Konflikte ab. Damit werden neben den strukturellen

Hinter-gründen potentiell gewaltsamer Krisen die subjektiven Motivlagen und Organisati-onsvoraussetzungen der potentiellen Gewaltakteure in die Analyse von Konflikten miteinbezogen. Eine solche Analyse schärft den Blick dafür, welche Manifestationen von Ungleichzeitigkeit in bestimmten Situationen in den jeweiligen Akteuren wirk-mächtig sind. Dies gilt übrigens sowohl für den Zustand prekärer Staatlichkeit, als auch für die Fremdherrschaft einer Mandatsmacht: Aus der Kenntnis der Widersprü-che in den Einzelfällen lässt sich eine Sensibilisierung für die Adressaten von Staat-lichkeit oder Fremdherrschaft gewinnen, mit deren Hilfe Maßnahmen ergriffen wer-den können, die wer-den verschiewer-denen Konfliktstadien angemessen sind (siehe Ab-schnitt 5). Der Hamburger Ansatz unterscheidet zu diesem Zweck vier Untersu-chungsebenen: Widerspruch, Krise, Konflikt, Krieg (Siegelberg 2003: 22ff).

2.2.1 Widerspruch

Bevor die demokratische Herrschaft einer von gleichberechtigten Staatsbürgern legi-timierten Regierung eine konsolidierte Nation schafft, können innerhalb eines politi-schen Verbandes Ungleichheit und Ungleichbehandlung immer wieder Krisen her-vorbringen. Prinzipiell können dabei viele gesellschaftliche Teilbereiche als Matrix eines als essentiell wahrgenommenen Widerspruches herhalten. Religiöse, ethnische oder andere kulturelle Widersprüche können also genauso als essentiell und real wahrgenommen werden wie ökonomische Ungleichheiten, Fragen der Gleichbehand-lung vor dem Gesetz oder der MachtverteiGleichbehand-lung im Staatsapparat. All diese Wider-sprüche können zur Krise führen.

2.2.2 Verdichtung zur Krise

Erst auf dieser Analyseebene lässt sich feststellen, welche der Widersprüche von den entscheidenden Akteuren als nicht mehr hinnehmbar interpretiert werden und so zur Krise zwischen den verschiedenen Gesellschaftsgruppen führen. Die subjektive Wahrnehmung des Geschehens durch die Akteure muss nun zur Einschätzung der Krise herangezogen werden, da eine solche Einschätzung unter Beachtung nur der objektivierbaren, „handfesten“ Tatbestände nicht möglich ist. „Der Einzelne mag erstmals entdecken, daß Ordnung als Ordnung nicht selbstverständlich die seine ist:

in die er sich fügt, auch wo sie ihn beengt und wo Autorität den Gehorsam verlangt, ohne den keine Gemeinschaft besteht. Er lernt, daß Ordnung feindlich sein kann, daß sie Ungemäßes fordert, daß sie Rechte schmälert, die er unbefangen genoß.“

(Schroers 1961: 148) Die handelnden Akteure werden nun Strategien entwickeln, um gegen die als unerträglich empfundenen Missstände anzugehen, was eine politische Konfliktsituation schafft.

2.2.3 Zuspitzung zum Konflikt

Das Konfliktverhalten der Akteure muss keineswegs gewalttätig sein, sondern kann aktiv oder passiv, kooperativ oder konfrontativ, konstruktiv oder destruktiv, friedlich oder eben gewaltsam sein. Für das letztgenannte Konfliktverhalten müssen bestimm-te mabestimm-terielle, organisatorische und mentale Voraussetzungen zum bewaffnebestimm-ten Kampf vorliegen, die auf dieser Analyseebene besonders untersucht werden müssen.

Sind die Voraussetzungen erfüllt, findet der Umschlag von latenter in manifeste Ge-walt statt (Siegelberg 2003: 24f).

2.2.4 Bewaffneter Konflikt und Krieg

Im laufenden bewaffneten Konflikt können sich die materiellen, organisatorischen und mentalen Voraussetzungen der Gewaltakteure drastisch ändern. Nicht nur, dass nach militärischen Erfolgen neue politische Forderungen erhoben werden können, in jedem bewaffneten Konflikt existieren Tendenzen zur Verselbständigung der Gewalt.

Funktionierende Kriegsökonomien können den Gewaltakteuren eine friedliche Lö-sung weniger rentabel erscheinen lassen. Organisatorisch können sich die Machtposi-tionen der führenden Akteure empfindlich verschieben, verstärken oder auch auflö-sen. Und die „Vergeltungs- und Reziprozitätslogik der Gewalt“ (Hartmann 1999) wird das spätere friedliche Zusammenleben der Akteure stark erschweren (Siegel-berg 2003: 25).

Der bewaffnete Konflikt markiert allgemein das Ende der bürgerlichen Übereinkunft, sich privater Feinderklärungen zu enthalten und somit stellt er direkt das Gewaltmo-nopol des Staates in Frage. Und zunächst scheint die Antwort hierauf eine gewaltsa-me Antwort sein zu müssen, die eben gegebenenfalls mit Hilfe von außen

vorge-bracht werden muss. Wenn das Gewaltmonopol aber völlig erodiert ist und der Staat mithin zu dessen Wiederherstellung auch nicht mehr fähig, muss er durch eine Fremdherrschaft wiederhergestellt werden.

Allerdings muss aus einem bewaffneten Konflikt noch nicht zwingend folgen, dass damit schon der Staatszerfall eingeleitet ist. Denn die sozialwissenschaftliche Defini-tion des bewaffneten Konflikts kann in letzter RedukDefini-tion der Merkmale schlicht die organisierte bewaffnete Auseinandersetzung zweier oder mehrerer Gruppen (AKUF 2003: 10) meinen, womit so ziemlich alle denkbaren Formen von wiederholter, po-tentiell letaler physischer Gewaltsamkeit zwischen bestimmten Gruppen abgedeckt sind. Diesen kann der Staat aber bisweilen ja durchaus mit Mitteln entgegentreten, die seine Hoheitsgewalt beweisen und auch wiederherstellen, üblicherweise ist solch ein Mittel die Polizeigewalt. Daher müsste geklärt werden, wie die obige Minimalde-finition des bewaffneten Konflikts zu qualifizieren ist, um aus dieser Unterscheidung der verschiedenen Formen des bewaffneten Konflikts Aussagen über den Grad von Staatszerfall machen zu können, den die jeweiligen Formen bedeuten. Hierzu wird im Folgenden die sozialwissenschaftliche Definition von Begriffen versucht, die uns das klassische und das moderne Völkerrecht zur Diskussion des innerstaatlichen be-waffneten Konflikts liefern.

3. Formen des innerstaatlichen Gewaltkonflikts

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