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Die spezifischen Möglichkeiten der Fremdherrschaft

Im Dokument Gewaltmonopol und Fremdherrschaft (Seite 100-104)

5. Von der Prävention zur Okkupation

5.3 Die Okkupation: Entwicklungszusammenarbeit im Ausnahmezustand

5.3.1 Die spezifischen Möglichkeiten der Fremdherrschaft

Prinzipiell wird die Übernahme von Verwaltungsfunktionen in einem Gebiet in dem Ausnahmezustand notwendig, in dem der Staat aufgrund von Aufständen sein Ge-waltmonopol de facto verloren hat und es zu Tötungen und Vertreibungen in großem Ausmaß kommt. Wegen der akuten Gewaltsamkeit dieses Ausnahmezustands ist die fremdherrschaftliche Mandatsmacht in der Anfangsphase stets Militärverwaltung (ICISS 2001: 64). Das heißt allerdings nicht, dass die Mandatsmacht in erster Linie als Kombattant vor Ort ist. Die allererste Aufgabe einer Mandatsmacht ist stets die

54 Dieser Fall ist bisher insofern einzigartig, als ein souveräner Staat hier aufgrund der Verübung von Verbrechen gegen die ansässige Zivilbevölkerung dazu gedrängt wurde, formell freiwillig ei-ner UN-Interimsverwaltung über sein Gebiet zuzustimmen. Während das Kosovo offiziell noch Serbien zugerechnet wird, sein endgültiger Status im Rahmen der internationalen Verwaltung a-ber bisher bewusst offen gehalten wurde, konnten die ansässigen, ethnisch von Albanern domi-nierten Verwaltungsorgane die Selbstverwaltung der Provinz deutlich vertiefen und ausbauen.

Damit ist der Grundstein nicht nur für eine spätere Autonomie, sondern auch die mögliche Unab-hängigkeit gelegt, ohne dass die Legitimität dieser Entwicklung abschließend beurteilt wurde (Bhatia 2003: 85).

Herstellung von Sicherheit und Ordnung und die Eindämmung von Gewalthandlun-gen in dem von ihr verwalteten Gebiet.

Kontrollierte Eskalation

Aus diesem Grund kann die Intervention und Okkupation nicht wie ein klassischer Krieg geführt werden. Sowohl in der Übernahme als auch in der Verwaltung des Gebiets muss die Fremdherrschaft so gewaltreduziert und verhältnismäßig wie mög-lich vorgehen. Im Unterschied zum „traditionellen“ Peacekeeping muss eine Fremd-herrschaft allerdings eine hohe Schlagkraft haben, um Gewalthandlungen durch eine kontrollierte Eskalation unterbinden zu können (ICISS 2001: 57). Die Fähigkeit, eine hohe Schlagkraft gewaltreduziert einzusetzen, sollte es dann der Fremdherrschaft eher als der de jure souveränen Regierung möglich machen, einen Aufstand zu be-frieden und Tötungen und Vertreibungen zu unterbinden: In der Verbindung von überlegenen militärischen Mitteln, effektiver Verwaltungsmittel und der Fähigkeit zu ihrer verhältnismäßigen Anwendung muss die spezifische Qualität einer Fremdherr-schaft liegen. Diesen Anspruch zu erfüllen ist allerdings nicht unproblematisch.

Denn zum einen ist die Bereitstellung von angemessenen militärischen und bürokra-tischen Mitteln ein Kraftakt, der auch für Industrienationen nicht einfach und vor allem nicht beliebig oft zu vollbringen ist (ICISS 2001: 43). Zum anderen aber, und dies ist für die vorliegende Arbeit über Staatlichkeit und Gewalt von besonderer Be-deutung, ist die Art und Weise, in der Aufstände geführt werden zumeist die Gueril-lakriegsführung. Und diese ist darauf ausgerichtet, alle Kategorien von Verhältnis-mäßigkeit zu sprengen. Was dieses Problem für die Möglichkeit einer Aufstandsbe-friedung bedeutet, wird in Abschnitt 6 noch ausführlich dargestellt.

Konfliktnachsorge und Wiederaufbau

Das normative Ziel jedes UN-Protektorats ist die Ermöglichung eines eigenständi-gen, stabilen Staates. Denn: „There is no substitute for a clear and effective post-intervention strategy.“ (ICISS 2001: 40) Durch die Milderung der Konfliktursachen und die Ermöglichung eines nationalen Friedens soll die Besatzung und damit der Ausnahmezustands der Entwicklungszusammenarbeit überwunden und das akute

Krisenmanagement in die strukturelle Arbeit einer regulären, kooperativen und zivi-len EZ überführt werden.

Eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Bevölkerung eines Gebiets die Zwangsmittel einer Entwicklungszusammenarbeit im Ausnahmezustand als legitim akzeptiert, ist das Bewusstsein dafür, dass die innergesellschaftlichen Mechanismen zur friedlichen Bewältigung von Konflikten und zur Aufrechterhaltung einer zivilen Ordnung versagt haben. Während im Rahmen der Krisenprävention Zwangsmaß-nahmen stets eine äußerst prekäre Gratwanderung zwischen Kooperation und Kon-frontation darstellen, schafft meist erst der im Aufstand deutlich werdende Staatszer-fall die Grundlage dafür, dass eine mit Zwangsmitteln operierende Konfliktnachsor-ge von den hiervon Betroffenen als legitim anKonfliktnachsor-gesehen wird (Matthies 2000: 103).

Bezüglich des politischen Systems beinhaltet die Konfliktnachsorge die Begleitung von Friedensabkommen, die Bildung einer Interimsregierung und/oder die Reform der Verfassung sowie die Schaffung und Stärkung demokratischer und zivilgesell-schaftlicher Strukturen. Eine Reform der Justiz muss angegangen und der Rechtsstaat institutionalisiert werden. Im Sicherheitssektor müssen die Aufständischen entwaff-net und die Konfliktparteien demobilisiert, sowie der Militär- und Polizeiapparat getrennt werden, um sich dann als nationale Streit- und Polizeikräfte zu institutiona-lisieren und zu konsolidieren. Langfristig muss die Politik demilitarisiert und eine friedliche Streitkultur geschaffen werden. Im Rahmen des wirtschaftlichen Wieder-aufbaus muss eine angemessene Infrastruktur geschaffen und Zivilisten wie ehemali-ge Kombattanten in die Friedenswirtschaft integriert werden. Durch Versöhnungsar-beit, etwa in Form von Wahrheitskommissionen, muss die Vergeltungslogik der Ge-walt durchbrochen werden. Am Ende dieses Prozesses steht dann die Integration eines souveränen Staates in internationale und regionale Organisationen (Miall 1999:

203; ICISS 2001: 40ff).

Einbindung staatlicher und nichtstaatlicher Eliten

Die Partner des Wiederaufbaus auf Seiten der inneren Akteure sind dabei zunächst natürlich die staatlichen Eliten. Während allerdings die Mandatsmächte bei traditio-nellen Peacekeeping-Missionen eine weitgehend neutrale Position einnehmen kön-nen, ist dies bei einer Fremdherrschaft nicht der Fall. Diese muss überparteiisch sein,

d.h. hier müssen Rechtsstandards gelten, die von der Mandatsmacht gegenüber allen Bevölkerungsgruppen, Regierung, Zivilisten, Kombattanten angewendet werden.

Das heißt aber, dass die Regierung nur dort belassen werden kann, wo sie diesen Standards noch zu folgen mag, also dann, wenn sie zwar von sich aus nicht die Ka-pazitäten zur Befriedung des Aufstands besitzt, aber doch den Willen, dies nachhaltig und gemäß internationaler Standards zu versuchen. Aber auch bei der Schaffung ei-ner neuen bzw. Interimsregierung, bei der Vorbereitung eines Nationalen Rats, von verfassungsgebenden Versammlungen, und dem Wiederaufbau von staatlichen Insti-tutionen muss auf die gegebenen Eliten und Autoritäten zurückgegriffen werden, etwa auf religiöse und politische Führer.

Weitere Kooperationspartner müssen vor allem auf der lokalen Ebene gefunden wer-den, um die Bevölkerung vor Ort in den Entwicklungs- und Transformationsprozess mit einzubeziehen. Dies wurde etwa in Ost-Timor versäumt, wo die UNTAET-Mission das Verwaltungsvakuum durch die radikale Implementierung eines moder-nen Verwaltungsapparates zu füllen suchte, hierdurch aber die in der Bevölkerung noch vitalen, traditionellen Sozialstrukturen ausklammerte und in Konkurrenz zu den neuen Autoritäten setzte (Martin 2001). In Haiti wiederum versuchte die UN-Mission in Haiti UNMH eine solche Einbindung zwar, scheiterte jedoch am Widerstand der Zentrale in Port-au-Prince (Hippel 2000: 112), was umso mehr deutlich macht, wie sehr eine robuste Überparteilichkeit von Nöten ist.

Als überparteiliche Herrschaft muss die Fremdherrschaft auch die kooperationswilli-gen Gekooperationswilli-geneliten unbedingt in den Wiederaufbau mit einbeziehen. Dabei muss aller-dings die Konfliktträchtigkeit einer Delegation von Herrschaftsaufgaben an die ein-zelnen, untereinander rivalisierenden Vergemeinschaftungen stets bewusst bleiben.

Stets können sich Spannungen zwischen diesen Gruppen in Form von Blutrache, Vergeltungsschlägen und auch in Form „umgekehrter ethnischer Säuberungen“ (I-CISS 2001: 40) von ehemaligen Opfern an Tätern entladen. „Regionale und lokale Akteure sind nicht naiv als ‚Träger’ von Entwicklung oder Staatlichkeit anzusehen.“

(Debiel 2005: 7) Insofern muss ihre Eignung zur Einbindung in den Staat stets im Einzelfall geprüft werden. Zur Aufhebung der Gegensätze zwischen den primären Autoritäten und Machteliten ethnischer, konfessioneller oder sozioökonomischer Gruppen sollte auch das besondere Konfliktlösungspotential von Autoritäten der

se-kundären Ebene – etwa Frauen oder sonstigen Träger gemeinsamer Traditionen der Konfliktparteien – genutzt werden (Bhatia 2003: 95; Fahrenhorst/Musto 2002: 173).

Aber wie im Folgenden gezeigt wird: auch wenn dies gelingt, bleibt dennoch eine grundlegende Schwierigkeit der Fremdherrschaft bestehen.

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