• Keine Ergebnisse gefunden

Trn EMGmn

5.3 Was macht den Sprinter schnell? – Der Versuch einer Erklärung

Der hohe Anteil an Typ II Fasern im M.vastus lateralis von Gepard und Kurzstreckenläufer führt zu dem Schluß, daß die leistungsbestimmenden Faktoren für die Sprintleistung nur als Bestandteil einer kausalen Kette zu erkennen sind, innerhalb derer die physiologische Anpassungsreize sichtbar werden, die entweder zur Transformation oder zum Erhalt schneller Myosin-Isoformen beitragen können.

Betrachtet man die Beziehung der 100m-Bestzeit aller ausgewerteten Sprinter, Marathonläufer Volleyballer und Sportstudenten zu den anderen Parametern, so unterscheidet man damit nicht zwischen Sprintgeübten und nicht Sprintgeübten. Auch wenn man Marathonläufer oder Volleyballer mit Sprintern vergleicht, läuft man Gefahr, die jeweils sportartspezifische Koordination bzw. Trainingswirkungen, die sich in den verschiedensten Meßparameter niederschlagen können, gegeneinander zu vergleichen. Um jedoch der Frage näher zu kommen, welchen Einfluß der Übungsumfang, und in diesem Zusammenhang die Koordination und der spezifische Trainingsreiz, auf die Wettkampfleistung hat, bleibt als einzig sinnvolle Vergleichsgruppe die nicht speziell trainierten Sportstudenten.

Während bei den Korrelationen der T100m bei den Sprintern und auch im Vergleich aller Versuchspersonen signifikante Korrelationen mit Zeitparametern wie Aktivitätszeit, Halbrelaxationszeit und ähnlichem festzustellen sind, fehlt dieser Bezug bei den Sportstudenten gänzlich.67 Bei den Kraftwerten tauchen nur Signifikanzen bei absoluten Kraftparametern auf und die EMG-Aktivität der M.vastus medialis ist bei denen am größten, die langsamer sind als die anderen. Ein ungewöhnlicher Zusammenhang68. Eine deutliche Abhängigkeit von der 100m-Zeit zeigen allerdings die Rectusaktivitäten der Sportstudenten. Sowohl in der Gruppierung langsam-schnell, als auch in der Korrelationsstatistik zeigen sich deutliche Verbindungen zwischen dem EMG des M.rectus femoris und der Wettkampfzeit. Da es sich in ST1 und ST2 nicht um das normalisierte EMG handelt, sondern um die absoluten EMG-Potentiale, deutet in diesem Fall eine größere EMG-Aktivität auf einen kräftigeren Rectuskopf hin.69 Zumindest wird diese These auch durch die relativ hohe Korrelation zwischen der T100m und dem Oberschenkelumfang unterstützt. Auch die gruppierten Daten weisen für die größeren Sportstudenten, mit der größeren Maximalkraft und dem größeren Oberschenkelumfang, schnellere 100m-Zeiten aus. Sicherlich wäre es eine Übertreibung, wenn man schließen würde, daß bei den Sportstudenten die rohe Kraft regiert. Doch im Grunde trifft es den Kern des Sachverhaltes und dies nicht unerwartet. Daß Anfänger, in welcher Sportart auch immer, für die neu zu erlernende Technik viel mehr Energie aufwenden müssen, weiß jeder, der schon einmal Sport getrieben hat.

Mit zunehmender Übung werden die Bewegungen runder. Die Koordination wird besser, wie man so schön sagt. Offensichtlich zeigt sich das spezielle Training der Sprinter, Marathonläufer und Volleyballer selbst im Innervationsmuster der einfachen Kniestreckungen wie sie in der vorliegenden Untersuchung durchgeführt wurden. Dafür sprechen die wesentlich kongruenter verlaufenden Elektromyogramme der drei abgeleiteten Oberschenkelköpfe und außerdem fehlen die Zusammenhänge zwischen 100m-Zeit und Maximal-kraftparametern bei den drei trainierten Vergleichsgruppen. Sprinten will demnach auch gelernt sein. Ohne die entsprechende Übung kann das größte Talent im Spitzensport nicht bestehen. Das koordinierte Zusammenspiel der vielen Muskeln untereinander muß so oft wie möglich geübt werden. Und dem nicht genug, auch die motorischen Einheiten müssen lernen zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Reihenfolge zu kontrahieren. Viel üben kann aber für den Muskel auch Ermüdung bedeuten und Ermüdungsprozesse machen sich zuallererst an den Ionentransportsystemen in den Muskelzellen bemerkbar. Über eine ermüdungsbedingte Verminderung der Ca2+-ATPase steigt die intrazelluläre Ca2+-Konzentration vorübergehend an (Byrd et al. 1989), was in Verbindung mit dem Phosphorilierungspotential als möglicher Auslöser für eine Fasertransformation diskutiert wird (Pette 1999)70. Gleichzeitig spielen die Ca2+ -regulierenden Proteine, vor allem das in schnellen Fasern vorhandene Parvalbumin, eine wichtige Rolle bei der Reduktion der Ca2+-Konzentration in der Zelle.71 Eine erst vor kurzem veröffentlichte Studie konnte z. B.

zeigen, daß Mäuse, die kein Parvalbumin produzieren können, längere Kontraktionszeiten und längere Halbrelaxationszeiten zeigen. Dafür erreichen sie pro Zuckung bis zu 40% mehr Kraft (Schwaller et al. 1999).

Dies stimmt zum einen gut mit der Tatsache überein, daß schnelle Muskeln ein größeres Zuckungs-Tetanus Verhältnis aufweisen als langsame (Buller et al. 1960). Zum anderen wird dadurch noch einmal die Bedeutung des Ca2+-Systems in der Erklärung der hohen Kraftanstiegsraten der Volleyballer unterstrichen. Wenn also die zellulären Ca2+-konzentrationssenkenden Systeme sehr effektiv arbeiten, kann die einzelne Muskelzelle sehr schnell entspannen. Gleichzeitig wird jedoch schon während der Ca2+-Ausschüttung in

67 Siehe dazu Tafel 1e-3e

68 Sieh dazu auch Abb.39e und 40e.

69 Siehe dazu Kapitel 2.7.

70 Siehe dazu auch Kapitel 2.4.4.

71 Parvalbumin kommt vor allem in den schnellen Muskelfasern vor. Siehe dazu Kapitel 2.4.1.

Oberflächen-EMG Frequenzanalyse Innervationszeit usw.

Bodenreaktionskraft

2

1

3

4

5 6

7

Abb.4d Verbindungen und mögliche Anpassungsmechanismen zwischen zentraler, segmentaler und zellulärer Ebene am Beispiel des Sprint.

Ausgehend von kortikalen Zentren (1) werden Impulsmuster über die absteigenden Bahnen des Rückenmarks zur Arbeitsmuskulatur gesandt.

Bevor das Erregungsmuster das Rückenmark über die α-Motoneurone verläßt, erfolgt auf segmentaler Ebene ein Abgleich mit verschiedenen propriozeptiven Afferenzen (2). Im weiteren erreicht das Reizsignal über die motorische Endplatten die Muskelfaser-membranen. Die Entladungen der Muskelfasermembranen werden an der Hautoberfläche als Elektromyogramm gemessen (4). Aufgrund der fortgeleiteten Membranerregung öffnen die Ryanodinrezeptoren schlagartig die Ca2+-Kanäle. Dies führt zu einem steilen Anstieg der Ca2+- Konzentration im Zytosol (5) und infolge dessen zur Kontraktion (6). Schon während des Ca2+-Ausstroms beginnt der Ca2+ -Rücktransport über die Ca2+-ATPase getriebenen Pumpen des Sarkoplasmatischen Retikulums. Bei schnellen Fasern dient das Parvalbumin im Zytosol als zusätzlicher Ca2+-Zwischenspeicher. Darum benötigen die schnelleren Fasern für große Krafteinsätze hohe Erregungsfrequenzen. In (7) ist am Beispiel des M.carpi radialis der Katze der Einfluß der Reizfrequenz auf (a) schnelle und (b) langsame Fasern dargestellt (nach Botterman et al.

1986).

Dies entspricht auch der Erkenntnis, daß schnelle Muskeln ein höhere Zuckungs-Tetanus Verhältnis haben, als langsame (Buller et al. 1960) . Ermüden die Ca2+- Pumpen bei wiederholter hochfrequenter Erregung, so steigt vorübergehend die intrazelluläre Ca2+-Konzentration. Dies wird als erster Schritt bei der Faserumwandlung von schell nach langsam diskutiert. Allerdings gibt es noch weitere Stoffe, wie z.B. die hormonartigen Substanzen, die auf die Genexpression Einfluß nehmen können (3). Eine weitere Möglichkeit für das Ca2+in die Zelle zu gelangen und auf die Transkription einzuwirken, besteht durch die Dehnung der Fasermembran und des Zytoskelets. Dadurch wäre eine sehr direkte Rückkopplung zwischen Spannungsreiz und Expressionsapparat gegeben. Über <<short- und long latency >> Dehnungsreflexe erhält der Athlet propriozeptive Rückmeldung über die Qualität seines Bewegungsentwurfes. Siehe dazu auch Kapitel 2.3.1 ,2.3.2 und 2.4. (2) nach Wiesendanger (1997); (3) nach Williams

& Neufer (1996); (5) nach McComas (1996).

Zytosol die Ca2+-Konzentration durch das Parvalbumin und die Ca2+-Pumpen des <<Sarkoplasmatischen Retikulums (SR)>> gesenkt. Die Ca2+-Konzentration, als Gleichgewicht zwischen Ca2+-Influx und Ca2+-Eflux in und aus der Muskelzelle, kann also akut nur durch die Erregungsfrequenz verändert werden, die letztendlich die Ca2+-Ausschüttung am SR triggert.

Tatsächlich weisen Sprinter sowohl in Versuch FT bis 40% Tmax_MT und in Versuch ST2 die höchsten Frequenzinhalte im EMG auf. Nur in ST1 wurde für die Sportstudenten eine ähnlich hohe MPF gemessen72. Auch die Muskelfaserleitgeschwindigkeit (MFCV) ist bei den Sprintern im Vergleich zu den Marathonläufern und Sportstudenten deutlich erhöht. Signifikant ist der Unterschied allerdings nur bei 10 und 20% der MVC im Versuch FT.73 Sowohl die MPF als auch die MFCV wurden in der Literatur in Zusammenhang mit der Faserzusammensetzung diskutiert.74 Sollte sich der von Mero et al. (1991) gefundene Zusammenhang zwischen 100m-Zeit und Faserzusammensetzung bestätigen, so müßten sich auch in der vorliegenden Untersuchung signifikante Korrelationen zwischen der Wettkampfzeit und der MPF, der MFCV und der TTP_Trmaxr innerhalb der verschiedenen Testmodi ergeben. Dies ist der Fall, wie Tafel 2e deutlich macht.

Zudem ergeben die absoluten EMGs des Rectuskopfes, ähnlich wie innerhalb der Sportstudenten, auch hier, im Vergleich mit allen Versuchspersonen, signifikant negative Beziehungen zur Sprintzeit, während die Wiederholungszahl N_trials_FT positiv zur 100m-Endzeit korreliert. Der erste Zusammenhang deutet erneut auf die Wichtigkeit eines kräftigen M.rectus femoris für die Sprintbewegung hin, der nicht einmal besonders erstaunlich ist, denn schließlich ist der zweigelenkige Rectus primär für das exzentrische Vorpendeln des Schwungbeines verantwortlich.75 Auch die positive Beziehung zwischen der Kraftausdauerfähigkeit und der Sprintzeit bestätigt die allgemeine Erfahrung, daß Sprinter wenig Ausdauerqualitäten besitzen. Würden sie im Ermüdungsbereich trainieren, wäre eine Transformation ihrer Muskelfasern von schnell nach langsam unvermeidlich, so die Theorie. Da Typ IIB bzw. Typ IID/X Fasern nur eine sehr begrenzte Ausdauerfähigkeit besitzen, ist dies möglicherweise auch ein Hinweis auf die Faserstruktur der Sprinter.

Als erstaunlich können jedoch zwei statistisch gesicherte Zusammenhänge bezeichnet werden. Der Zusammenhang zwischen der Größe des Reflex-EMGs und der 100m-Zeit und die Korrelation zwischen der relativen Tibialänge (TL/BH) und der T100m.76 Beide Korrelationen sind sowohl in der Grundgesamtheit aller ausgewerteten Datenpaare, als auch innerhalb der Sprintgruppe signifikant.77Die Wahrscheinlichkeit, daß es sich bei diesen Beziehungen um Zufälligkeiten handelt ist damit gering. Wahrscheinlich ist vielmehr der generelle Zusammenhang zwischen der relativen Tibialänge und Fähigkeit möglichst kurz und schnell oder möglichst lang und schnell zu laufen. Wie die Abb.5dzeigt, besteht auch eine lineare negative Korrelation zwischen der Marathonzeit und der TL/BH.78 . Wie ist dies zu interpretieren?

Da auf der einen Seite das Datenmaterial noch zu gering ist, um daraus allgemeine Schlüsse zu ziehen und auf der anderen Seite in der Literatur keine vergleichbaren Daten veröffentlicht sind, soll die Diskussion über den Zusammenhang zwischen der relativer Unterschenkellänge und der Laufzeit unter großem Vorbehalt geführt werden. Dennoch ist die Versuchung zur Spekulation zu groß, um nicht auf Sachverhalte hinzuweisen, die den Einfluß eines mehr oder weniger langen Unterschenkels auf die konditionellen Fähigkeiten begründen könnten.

Betrachtet man Tafel 9e, dann fallen sofort die Korrelationen zwischen relativer Unterschenkellänge, 100m-Zeit und Marathonzeit jeweils gegenüber dem Entspannungsparameter TTP_Trmaxrn_ST2 auf. Die beiden erstgenannten Beziehungen sind signifikant. Die letztgenannte ist fast signifikant. Der Entspannungsparameter TTP_Trmaxrn_ST2, der wie in Kapitel 5.2.1 diskutiert, in engem inhaltlichen Zusammenhang zur Faserzusammensetzung befindet, trennt Marathonläufer und Sprinter gemäß ihrer Wettkampfzeit. Wie die gruppierten Daten zeigen, sind die Versuchspersonen mit der kleineren Entspannungszeit um fast eine Sekunde schneller auf 100m, und umgekehrt, bei den Marathonläufern, ist diese Gruppe um durchschnittlich 16 min langsamer. Der gemeinsame Zusammenhang zwischen 100m-Zeit, TTP_Trmaxr_ST2, MFCV und TL/BH läßt folglich einen Bezug zur Faserzusammensetzung der Oberschenkelstrecker vermuten. Diese Beziehung ist natürlich für die Parameter MFCV und TL/BH in Bezug zur Marathonzeit unter umgekehrtem Vorzeichen zu betrachten.

72 Siehe dazu Abb.15e und Abb.36e.

73 Siehe dazu Abb.14e und Abb. 36e

74 Siehe dazu Kapitel 2.7.1 und 2.7.2.

75 Siehe dazu Kapitel 2.6 und Abb.58t

76 Die Quantität des Reflex-EMGs kann entweder übe seine maximale Amplitude (EMGmaxn_RT) oder über seinen Mittelwert (MEMGn_RT) ausgedrückt werden. Im folgenden wird stellvertretend das MEMGn_RT verwendet.

77 Bei der Korrelationsberechnung zwischen relativer Tibialänge und der 100m-Zeit bei den Sprintern, wurde die Versuchsperson VPx als Ausreißer entfernt. Mit VPx ist die Beziehung nicht signifikant.

78 Diese signifikante Beziehung wurde vor wenigen Wochen an einer leistungsheterogenen Marathongruppe bestätigt (siehe auch Abb.

5d-unten rechts).

Um die Spekulation noch etwas weiter zu treiben, wäre zu überlegen, welchen konkreten Nutzen die Sprinter von einem kürzeren Unterschenkel haben könnten. Dabei kommt die Erinnerung an die in Kapitel 2.6 aufgestellte Grundforderung, daß nur eine möglichtst hohe Schrittfrequenz in Verbindung mit einer möglichst großen Schrittlänge eine hohe Laufgeschwindigkeit ergibt. Da sich die Schrittfrequenz aus der Bodenkontaktzeit plus der Zeit in der das Bein nach vorne pendelt zusammensetzt, kann sie auch durch beide Komponenten beeinflußt sein. Wahrscheinlich ist jedoch ein vergleichsweise viel größerer Einfluß der

Correlation: r = .426 mit VP x / r = .61* ohne VP x N = 12

Abb.5d Korrelationen zwischen der 100m-Zeit und der relativen Tibialänge bzw. der 100m-Zeit und dem mittleren EMG bei Kniesehnenreflex. Oben dargestellt sind die Datenpaare aller ausgewerteten Versuchspersonen. Unten dargestellt sind die Korrelationen innerhalb der 12 Sprinter.

VPx wurde als Ausreißer entfernt.

Rechts dargestellt ist der Zusammenhang zwischen der relativen Tibialänge und der Marathonzeit. Die Beziehung ist in der vorliegenden Studie signifikant, wenn man die Versuchspersonen X, Y und Z als Ausreißer entfernt.

An dieser Stelle muß man erneut darauf hinweisen, daß es sich dabei zunächst um Spekulation handelt. Würde man z.B. dem Marathonläufer mit der größten relativen Tibialänge herausnehmen und die Ausreißer x, y und z in der Korrelationsberechnung belassen, so würde ein Korrelationskoeffizient von annähernd Null resultieren.

Dennoch gibt es Anlaß die mögliche Verbindung zwischen der relativen Unterschenkellänge und der Marathonzeit weiter im Auge zu behalten, da sich dieser Zusammenhang in einer aktuellen Studie an einer heterogenen Läufergruppe bestätigt hat (Hering 1999, unveröffentlicht). Die Beziehung zwischen der Wettkampfzeit bei einem Halbmarathon und der relativen Tibialänge der Läufer innerhalb der genannten Studie ist in der Abbildung unten rechts dargestellt.

Correlation: r = -.24 mit VPxyz N = 12 / r = -.71* ohne N = 9

Schwungphase auf die Lauffrequenz, einfach deswegen, weil sich das Bein während ca. 80% der Schrittdauer in der Luft befindet.79Je schneller das Bein nach vorne pendelt, desto größer wird die Frequenz ausfallen. Die Geschwindigkeit, mit dem das Bein nach vorne geführt wird hängt unter anderem vom Trägheitsmoment des Pendels, sprich der Beine ab. Darum werden die Unterschenkel auch in der Schwungphase extrem gebeugt.

Daraus läßt sich folgern, daß bei gleicher Kraft die Winkelbeschleunigung einer vergleichsweise kleineren Masse größer sein kann. In der Evolution ist dieses Prinzip bei schnellen Läufern in Form der Umgestaltung der Beine verwirklicht. Bei Katzen, Pferd und Vögeln sind die großen Gelenke mit den sie umgebenden großen Muskeln im Vergleich zum Menschen wesentlich körpernaher plaziert. Über lange Sehnen wird die Muskelkraft bis zu den körperfernen Fußgelenke übertragen. In der Schwungphase können auf diese Weise die massearmen distalen Partien der Beine eingeklappt und nach vorne geführt werden.80 Dabei wird bei geringerer distaler Beinmasse erstens Energie gespart, und zweitens kann dadurch die Lauffrequenz erhöht werden. Grundsätzlich würde es demnach durchaus Sinn machen, wenn Sprinter kurze Unterschenkel hätten und möglicherweise ihre Wadenmuskulatur nach proximal verschoben wäre.81

Ein weiterer Faktor der theoretisch zur Erhöhung der Lauffrequenz beitragen kann, wäre die Fähigkeit schnell zu entspannen. Je schneller die beiden Vasti entspannen, desto früher kann der Unterschenkel in der Schwungphase eingeklappt werden. Die schnelle Beugung des Unterschenkels kann auf diese Weise den M.Rectus femoris sehr effektiv spannen, der dann seinerseits das Bein nach vorne katapultiert. Die Geschwindigkeit, mit der das Schwungbein nach vorne pendelt, ist demnach auch von der Geschwindigkeit abhängig, mit der die Beugung der Unterschenkels erfolgt, und diese wiederum ist von der Geschwindigkeit abhängig, mit der die Vasti entspannen können. Da die Massenverhältnisse der unteren Extremitäten nicht beliebig veränderbar sind, verwundert es auch eigentlich auch gar nicht so sehr, warum es äußerst schwierig ist, die Lauffrequenz bei Sprintern zu erhöhen. Selbst wenn man den Rectuskopf durch entsprechendes Krafttraining hypertrophiert, bedeutet das letztendlich wiederum eine größere Massenträgheit der Beine.

Neben der Schrittfrequenz ist natürlich der Vortrieb beim Sprint von entscheidender Bedeutung. Der M.gluteus maximus und der M.adductor longus zieht dabei in Verbindung mit der sogenannten ischiokruralen Muskulatur das Bein schon vor dem Bodenkontakt kräftig nach hinten (Wiemann & Tidow 1994).82 Im Zurückziehen streckt sich das Kniegelenk. Der Rectuskopf ist an dieser Kniestreckung nicht beteiligt. Für die Mm.vasti laterales und mediales kommt es in der Stützphase darauf an, der Bodenreaktionskraft effektiv entgegenzuwirken, um möglichst viel Energie in den elastischen Strukturen zwischenzuspeichern und möglichst wenig Energie durch Gewebeverformungen zu verlieren. Die notwendig Steifheit des inneren Muskel-Band-Apparates hängt von der Geschwindigkeit ab, mit dem sich die äußere Kraft entwickelt. Im Idealfall entspricht die muskuläre Kraftentwicklung der Kraftanstiegsrate der Bodenreaktionskraft. Je schneller das Bein zurückgezogen wird, desto größer und früher müssen hohe innere Kräfte entwickelt werden, um die Steifheit des Gelenksystems aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus muß der Kontraktionsvorgang vorausgeplant werden, da die Zeit für eine unmittelbare propriozeptive Rückkopplung zu gering ist.83 Das sogenannte

<<Stützfassen>> und <<Durchziehen>> wie es in der Sprache der Sprinter genannt wird (Wiemann & Tidow 1994), muß muskulär so umgesetzt werden, daß den kurz nach dem ersten Bodenkontakt auftretenden hohen äußeren Kraftanstiegsraten effektiv entgegengewirkt werden kann. Erstaunlicherweise könne bei Dehnungskontraktionen wenige Millisekunden nach Beginn des Kontraktionsvorgangs die größeten relativen Kaftanstiege erzielt werden.84 Das bedeutet aber gleichzeitig, daß wenn die Vasti außer der Fixierung der Kniegelenks in der Stützphase keine weiteren Aufgaben erfüllen müssen, auch relativ kleine Krafteinsätze genügen würden, um dennoch über 100% der willkürlich zu entwickelnden isometrischen Maximalkraft zu erreichen. Allerdings fällt der innere muskuläre Kraftanstieg um so schneller aus, je mehr schnellzuckende Fasern an der Dehnungskontraktion beteiligt sind. Wenn es möglich ist, die großen schnellen Einheit gleichzeitig oder sogar noch früher als die langsameren Einheiten einzusetzen, dann wird das Gleichgewicht zwischen äußerem und innerem Kraftanstieg maßgeblich durch die Zuckungseigenschaften der schnelleren Einheiten bestimmt, da im Unterschied zur konzentrischen Kontraktion die parallel- und sereinelastischen Elemente nicht durch den Muskel sebst, sondern vielmehr durch die von außen wirkenden Bodenreaktionskräfte gespannt werden. Der zusätzlich entstehende Vorteil eines submaximalen Krafteinsatz

79Bei einer durchschnittlichen Schrittzahl von 22 und einer Schrittkontaktzeit von 100ms errechnen sich 2.2s Gesamtbodenkontaktzeit.

Dies entspricht bei einer Laufzeit von 9.84s ca. 22%. Das heißt 78% der Zeit befindet sich das Bein in der Luft. Den Daten wurde der Weltrekordlauf von Donovan Bailey 1996 zugrundegelegt. Siehe auch Abb.59t.

80Siehe dazu Abb.4a

81 Es sei an dieser Stelle auch daran erinnert, daß Mikrogravitation und Suspension von Gliedmaßen zu Fasertransformationen von langsamen hin zu schnellen Myosinisoformen führt.

82Die ischiokrurale Muskulatur – im Angelsächsischen als Hamstrings bezeichnet - besteht aus dem M.semitendinosus, M.semimembranosus und dem M.biceps femoris (Wiemann & Tidow 1994).

83Siehe dazu Kapitel 2.5.3.

84Wie in Abb.40t zu sehen ist, kann die Kraft durch einen Dehnungsreiz von ca. 10% auf 115% MVC innerhalb weniger Millisekunden anwachsen.

besteht wie in der vorliegenden Untersuchung in Modus ST2 gezeigt, in einer früheren und effektiveren Entspannung des Muskels. Das theoretische Ziel des Bewegungsprogramms für die Vasti sollte also darin bestehen, möglichst viele schnelle Einheiten schon zu Beginn der Kontraktion zu rekrutieren.

Neben dem Einsatz von möglichst vielen nach der MHC- oder ATPase-Typisierung sogenannten schnellen Einheiten im Innervationsprogramm, ist natürlich die Frequenz ebenfalls von großer Bedeutung. Da gerade die Typ II Fasern durch ihr effektives intrazelluläres <<Ca2+-Reduktionssystem>> sehr hohe Reizfrequenzen benötigen, um die vollen Kontraktionsmöglichkeiten der schnellen Myosinketten auszuschöpfen, trägt eine hohe Erregungsfrequenz sowohl zu einer hohen Kraftanstiegsrate, als auch zu einer größeren Kraftentwicklung bei. Genau dies ist in Tafel 1e zu beobachten. Die Gruppe der Sprinter, die im Vergleich zur anderen Hälfte um durchschnittlich 0.4 Sekunden schneller sind, unterscheiden sich maßgeblich durch eine signifikant höhere Innervationsfrequenz in durchweg allen Testmodi von den anderen. Wie schon aus der Theorie heraus vermutet, erreichen sie auch 11% mehr Drehmoment (Tmaxn_ST1). Die signifikanten Korrelationen zwischen der 100m_Zeit und der MPF, der 100m-Zeit und den Kraftanstiegszeiten TTP_Trmax

Neben dem Einsatz von möglichst vielen nach der MHC- oder ATPase-Typisierung sogenannten schnellen Einheiten im Innervationsprogramm, ist natürlich die Frequenz ebenfalls von großer Bedeutung. Da gerade die Typ II Fasern durch ihr effektives intrazelluläres <<Ca2+-Reduktionssystem>> sehr hohe Reizfrequenzen benötigen, um die vollen Kontraktionsmöglichkeiten der schnellen Myosinketten auszuschöpfen, trägt eine hohe Erregungsfrequenz sowohl zu einer hohen Kraftanstiegsrate, als auch zu einer größeren Kraftentwicklung bei. Genau dies ist in Tafel 1e zu beobachten. Die Gruppe der Sprinter, die im Vergleich zur anderen Hälfte um durchschnittlich 0.4 Sekunden schneller sind, unterscheiden sich maßgeblich durch eine signifikant höhere Innervationsfrequenz in durchweg allen Testmodi von den anderen. Wie schon aus der Theorie heraus vermutet, erreichen sie auch 11% mehr Drehmoment (Tmaxn_ST1). Die signifikanten Korrelationen zwischen der 100m_Zeit und der MPF, der 100m-Zeit und den Kraftanstiegszeiten TTP_Trmax