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2.4 Eigenschaften und Plastizität motorischer Einheiten

2.4.2 Klassifizierung von Muskelfasern bzw. Einheiten

<<Angesichts der Ausprägungsvielfalt von Muskelfasern scheint eine einheitliche Klassifizierung schwierig. Selbst bei der sehr einfachen und allgemein akzeptierten mechanischen Unterscheidung zwischen langsam und schnell zuckenden Fasern, sollte man sich bewußt sein, daß es kein absolutes Kriterium hinsichtlich der Zuckungs-geschwindigkeit gibt. Eine langsame Zelle eines schnellen Muskels kann schneller sein als eine schnelle Zelle eines langsamen Muskels.

Darum sollte man nur Zellen innerhalb identischer Muskeln vergleichen. Wie eindrucksvolle Beispiele aus der Tierwelt zeigen8, sind enorme Bandbreiten in bezug auf die Kontraktions-geschwindigkeiten von Muskelzellen möglich und die Faktoren die dies bewirken sind vielfältig. Darum führten in der evolutionären Entwicklung unterschiedliche Wege zum gleichen Ergebnis.

Beispielsweise können die Aktivitätsraten der Myosin–ATPase hoch sein, die Ausprägung des sarkoplasmatischem Retikulum aber schwach und umgekehrt>> (Hoyle 1983, S.296). Die unter-schiedlichen Kontraktionszeiten von motorischen Einheiten innerhalb eines Muskels sind das Produkt aus Myosin – ATPase Aktivität, der Ca2+-Ausschüttung (Kugelberg & Thornell 1983) und der Muskelarchitektur (Edgerton & Roy 1991). Im Falle des M.adductor pollicis beim Menschen, der ungewöhnlich viel langsame Fasern enthält – indirekt bestimmt über die Myosin–ATPase Färbung - ist die Kontraktionszeit des Muskels (TTP_Tmax)9 sehr kurz (Round et al.

1984).

Trotz dieser Vorbehalte sind heute verschiedene Schemata gebräuchlich, die nach unterschiedlichen Kriterien die Eigenschaften

8 Siehe dazu Kapitel 2.4

9 Siehe dazu Kapitel 3.5.1.3

Abb.19t Entladungsraten bei a. tonischen Einheiten und b. phasischen Einheiten (Gydikov & Korsarov 1974).

Abb.20t Zuckungsantwort motorischer Einheiten im Hinterlauf der Katze. Links: Zuckungsverhalten der S, FR und FF Einheiten, sowie die Kraftentwicklung von FR und FF – Einheiten während einer 2-minütigen isometrischen Kontraktion (Enoka 1994, S.154). Oben: Maximale tetanische Kraft und CT von Einzelzuckungen motorischer Einheiten des M.gastrocnemius der Katze (nach Burke und Tsairis 1974 in Enoka 1994, S.155).

von Muskelfasern beschreiben. Dabei lassen sich direkte von indirekten Metho-den unterscheiMetho-den. Die Direkten messen entweder die elektrischen Entladungs-raten der motorischen Einheiten oder die mechanische Antwort der motorischen Einheiten auf unterschiedliche Reize.

Histochemische Verfahren messen die physiologischen Eigenschaften der Ein-heiten indirekt über Quantität und Qualität enzymatischer Reaktionen, bzw. über den molekularen Aufbau der kontraktilen Eiweiße.

Gydikov & Kosarov (1974) fanden beim Menschen motorische Einheiten mit unterschiedlichem Entladungsverhalten.

Die tonischen Einheiten zeigen im Kraft – Entladungs Diagramm nach einem anfänglichen Anstieg ein Plateau. Dieses Plateau wird auch tetanische Schwelle bezeichnet. Die sogenannt phasischen Einheiten werden erst bei höheren Kraftstufen rekrutiert und ihre Ent-ladungsfrequenz steigt linear mit der isometrischen Muskelkraft an (siehe Abb.17t). Freund (1983) weist jedoch darauf hin, daß alle Einheiten grundsätzlich sowohl phasisch als auch tonisch entladen werden können. Bei schnellen Kontraktionen sind weit mehr motorische Einheiten beteiligt als bei langsamen. Dabei bleiben diejenigen Einheiten aktiv, die ihre tetanische Schwelle erreichen. Die Begriffe tonisch und phasisch bezeichnen, nach Freud, lediglich den Arbeitsbereich der motorischen Einheiten.

Die mechanische Antwort auf einen einzelnen Reiz ist die Einzelzuckung, auf Englisch <<twitch>> genannt.

Traditionell wird diese Zuckung durch drei Parameter beschrieben: die maximale Zuckungskraft (Peak Force), die Zeit bis zum Erreichen der Peak Force (TTP_Tmax)10 und die Halbrelaxationszeit (Half Relaxation Time = HRT), die als Zeit bis zum Abfall der Kraft auf die Hälfte der Peak Force definiert ist. Schnelle Einheiten (Fast Twitch Units) haben eine kurze TTP_Tmax und HRT, langsame (Slow Twitch Units) kontrahieren und entspannen entsprechend langsamer. Gleichzeitig bestehen schnelle Einheiten meist aus mehr Fasern und entwickeln damit auch mehr Kraft als langsame Einheiten. Und schließlich sind langsame Fasern in der Regel ausdauernder als schnelle Fasern und erreichen aufgrund der längeren CT den verschmolzenen Tetanus bei niedrigeren Reizfrequenzen (siehe Abb.18t und 20t)

Klassifizierung nach mechanischen Eigenschaften

In zwei vergleichenden Studien stimulierte Burke et al. (1971) und Burke et al. (1973) spinale Motoneurone des M.gastrocnemius der Katze mit intrazellulären Elektroden und registrierte sowohl Zuckungskraft, als auch Zuckungsgeschwindigkeit der zugehörigen Muskelfasern. Nach erschöpfender Reizung ist der Glyko-genvorrat in den Muskelfasern, die einer motorischen Einheit angehören, aufgebraucht. Die mit dieser Methode identifizierten Fasern einer motorischen Einheit wurden histochemischen Analysen unterzogen, so daß ein direkter Vergleich zwischen mechanischen und enzymatischen Eigenschaften möglich war.

Burke et al. (1971) unterscheiden zwischen langsam kontrahierenden Einheiten (Slow Contracting, Typ S), schnell kontrahierenden und schnell ermüdenden Einheiten (Fast Contracting, Fast to Fatigue – FF Typ) und schnell kontrahierenden und ermüdungsresistenten Einheiten (Fast Contracting, Fatigue Resistent – FR Typ).

Ergänzt wird dieses Schema durch intermediäre Fasern (Typ Fint), die in ihren Eigenschaften zwischen dem FF und FR Typ liegen (Burke 1975). Als Typisierungsmerkmale dienen die Zeit bis zum Erreichen der maximalen Zuckungsamplitude (CT) und der Ermüdungsindex (siehe Abb.20t unten links). Der Ermüdungsindex ist definiert als Verhältnis der Kraftentfaltung zwischen Beginn und nach 2-minütiger intermittierender Stimulation.

10 Siehe dazu Kapitel 3.5.1.3

Abb.21t A: Kombination von Zuckungszeit, Zuckungskraft und Ermüdungsindex von 81 motorischen Einheiten des mittleren Gastrocnemius der Katze. B: Kraftantwort von S - und FF – Einheiten auf intermittierende tetanische Stimulation (Burke et al. 1973).

Klassifizierung nach der Myosin-ATPase Färbemethode

Bárány (1967) zeigte den Zusammenhang zwischen der Aktin- und Ca2+- aktivierten ATPase und den mecha-nischen Eigenschaften von Muskeln. Er verglich in zwei Studien die maximalen Zuckungsgeschwindigkeiten ohne Fremdlast (V0) und die isometrische Kontraktionszeit (TTP_Tmax - Zeit bis zum Erreichen der maximalen Zuckungsspannung), mit der Aktivität der ATPasen in 14, respektive 11 verschiedenen Muskeln unterschiedlicher Spezies. Obwohl die mechanischen Daten aus der Literatur entnommen waren, ergab sich zwischen V0 und der Aktivität eine hohe positive und zwischen der TTP_Tmax und der ATPase-Aktivität eine hohe negative Korrelation. Sowohl die Kontraktionsgeschwindigkeit (V0), als auch die Kontraktionszeit (TTP_Tmax) werden demnach maßgeblich von der Aktivität der Aktin- bzw. Ca2+- aktivierten ATPase bestimmt. Den umgekehrten Zusammenhang zwischen V0 und TTP_Tmax beschrieb schon Close (1965). Aufgrund dieser Befunde sieht Bárány in der ATPase-Aktivität eine primäre Determinante hinsichtlich der Kontraktionsgeschwindigkeit eines Muskels, unabhängig vom Belastungsgrad des selben.

In Verbindung mit histochemischen Färbemetho-den (Engel 1962) war es nun möglich ver-schiedene Myosin-ATPasen im Muskelquerschnitt sichtbar zu machen. Die unterschiedliche Säure- und Basenstabilität der Myosin-ATPase in den damals sogenannt weißen und roten Muskeln, bildete die Grundlage für die spätere histoche-mische Differenzierung in die langsamen Typ I und die schnellen Typ II Fasern (Pette & Staron 1997).

Brooke & Kaiser (1970) verfeinerten die ATPase-Färbemethode und konnten dadurch vier verschie-dene Fasertypen unterscheiden. Die Typ I Fasern verlieren ihre dunkle Färbung im Mikroskop bei einer Vorbehandlung mit einem pH von 9.4 . Zwischen pH 4.6 und pH 4.3 lassen sich die Typ IIA von den Typ IIB Fasern unterscheiden. IIC-Fasern verlieren ihre Färbung bei keiner der genannten pH-Werte (siehe Abb.22t). Allerdings sind Unterschiede in der Faseridentifizierung aufgrund der ATPase-Färbung zwischen verschiedenen Spezies festzustellen (Brooke & Kaiser 1970;

Muntener 1979).

Mit den verbesserten immunohistochemischen und elektrophoretischen Verfahren war es möglich einen weiteren Untertyp der Typ II Fasern zu charakterisieren, nämlich den Typ II D/X (Schiaffino et al. 1989;

Termin et al. 1989). Weiterhin besitzt der ATPase-klassifizierte IIB Typ beim Menschen eine Myosin-Heavy-Chain (MHC) Isoform, die mehr dem II D/X Typ kleinerer Säugetiere ähnelt, als dem MHCIIB Typ (Ennion et al. 1995; Smerdu et al. 1994)11. Pette & Staron (1990) und Pette & Staron (1997) schlagen deshalb die speziesübergreifenden Bezeichnungen MHCI, MHCIIA, MHCIID/X und MHCIIB vor. Grundsätzlich enthalten Muskeln kleinerer Säugetiere größere Anteile an schnellen MHC-Isoformen als die entsprechenden Muskeln größerer Säugetiere. Wie beim Menschen, findet sich beim Hund, Schaf und Pferd keine MHCIIB homologe Isoform (Pette 1999).

Obwohl diese reinen Fasertypen jeweils nur einen MHC-Typ enthalten, können sie in der Zusammensetzung der leichten Myosinketten und in bezug auf die Aktivitätsraten von Stoffwechselenzymen variieren (Staron &

Pette 1987a; Staron & Pette 1987b). Darüber hinaus zeigen neuere Untersuchungen, daß Hybridfasern in größerer Anzahl in Muskeln vorkommen als vermutet (Staron et al. 1991). Billeter et al. (1980) beschrieben als eine der ersten Fasern, die zwei verschiedene MHC-Formen enthielten. Die möglichen Kombinationen sind dabei MHCIIB + MHCIID/X, MHCIID/X + MHCIIA und MHCIIA + MHCI.

11 Siehe dazu auch Pette (1999)

pH 9.4

pH 4.6

pH 4.3

Abb.22t Kalziumfärbemethode für Myosin-ATPase nach Vorbehandlung eines Muskelpräparates vom M. biceps brachii mit unterschiedlichen pH-Werten. I = Fasertyp I;

A=Fasertyp IIA; B=Fasertyp IIB (nach Brooke & Kaiser 1970 verändert).

Klassifizierung nach der Myosin-ATPase Färbemethode kombiniert mit Stoffwechselenzymeigenschaften

Peter et al. (1972) untersuchten an verschiedenen Muskeln von Meerschweinchen und Kaninchen neben der Myosin-ATPase-Aktivität weitere Enzyme des aeroben und anaeroben Stoffwechsels. Aufgrund dreier Kriterien, der relativen intraindividuellen Kontraktionszeit (indirekt bestimmt über die ATPase-Aktivität), der glykolytischen und der oxidativen Kapazität, unterscheiden sie zwischen drei Fasertypen. Die <<Slow–Twitch Oxidativ Fibers>> (SO) sind langsam zuckende Fasern mit geringem Glykogengehalt und geringen anaeroben Enzymaktivitäten, wobei die Cytochrom- und Succinatdehydrogenasekonzentration erhöht ist.

FOG–Fasern (Fast-Oxidativ-Glycolytic Fibers) besitzen zusätzlich zu ihrer relativ hohe ATPase-Aktivität sowohl eine hohe aerobe, sowie eine mittlere bis hohe anaerobe Stoffwechselkapazität. Dementsprechend sind die <<Fast-Twitch-Glycolytic Fibers>> (FG) Fasern mit großer Zuckungsgeschwindigkeit und hoher anaerober Kapazität (Peter et al. 1972).

Obwohl es eine hohe Korrelation zwischen den Typ I Fasern und den SO-Fasern gibt, zeigen Stoffwechselenzymaktivitäten von ATPase – typisierten Fasern ein breites Spektrum, so daß IIB-Fasern nicht unbedingt mit FG Fasern und IIA Fasern nicht mit FOG Fasern übereinstimmen müssen (Pette & Staron 1997).

Klassifizierung nach den schweren Myosinketten (MHC – Myosin Heavy Chain)

Das Myosinmolekül besteht aus 2 schweren und 4 leichten Myosin-ketten. Die schweren Ketten (MHCs) bestimmen die Kreuz-brückenkinetik und damit die Kon-traktionsgeschwindigkeit (Reiser et al. 1985). Außerdem sind sie für die unterschiedliche pH-Empfind-lichkeit der ATP-Hydrolysereaktion und damit für die histochemische Färbung nach Brooke und Kaiser verantwortlich (McComas 1996.

S.1993). Traditionell sind vier MHC-Isoformen und sieben MLCs (Myosin Light Chains) – Isoformen bekannt (Pette & Staron 1990). Die histochemisch bestimmten IIC Fasern enthalten eine Mischung aus Myosin-Isoformen (Billeter et al. 1980) und konsequenterweise gibt es darum keine eigene MHC-Isoform (Zhang et al. 1998). Die Funktion der MLCs ist noch nicht vollständig geklärt. Möglicherweise können die MLCs die Kontraktionsgeschwindigkeit und die isometrische Kraftentwicklung beeinflussen (Green et al.

1992; Botinelli et al. 1994a).

Letztendlich ist jedoch die Anzahl der MHCs und MLCs Isoformen nicht festgelegt. Durch die verfeinerte Analysetechniken steigt die Zahl der identifizierten Unterformen ständig. So enthalten die Kaumuskeln von einigen Karnivoren und Primaten (MHCm), ebenso wie die Extraocularmuskeln superschnelle MHC-Isoformen (MHCeom). Darüber hinaus sind weiter MHC-MHC-Isoformen bekannt (Pette & Staron 1997; Zhang et al. 1998).