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Stand der sportwissenschaftlichen Forschung zum Einfluss physischer Aktivitätsprogramme am Arbeitsplatz Aktivitätsprogramme am Arbeitsplatz

4 Stand der Forschung

4.2 Stand der sportwissenschaftlichen Forschung zum Einfluss physischer Aktivitätsprogramme am Arbeitsplatz Aktivitätsprogramme am Arbeitsplatz

Das Kapitel zum sportwissenschaftlichen Forschungsstand ist nicht nur komplex, sondern auch sehr umfassend und wird deshalb in mehrere Abschnitte unterteilt. Die Ursache für diese Komplexität liegt zum einen in der vielfältigen und teilweise wider-sprüchlichen Namensgebung von Aktivitätsangeboten in der betrieblichen Umge-bung. Darüber hinaus gibt es auch keine einheitliche Strukturierung zu den Hand-lungsfeldern dieser Angebote. Und zuletzt weisen Studien, die sich mit dieser The-matik auseinandersetzen, oftmals methodische Mängel auf. Aus diesen Gründen ist das Ziel des ersten Abschnitts, eine einheitliche Namensgebung festzulegen sowie eine klare und präzise Unterteilung der Handlungsfelder zu erarbeiten (Kapitel 4.2.1).

Im Anschluss daran werden unter Berücksichtung methodischer Vorgehensweisen Ziele, Funktionen und potentielle Effekte dieser Handlungsfelder auf arbeitsbezogene Outcomes (Kapitel 4.2.2), insbesondere auf die soziale Integration diskutiert (Kapitel 4.2.3).

Die Literaturanalyse zu den Einflussmöglichkeiten physischer Aktivitätsprogramme am Arbeitsplatz zeigt zunächst, dass die Zahl der Publikationen in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Dennoch wird der gegenwärtige Forschungsstand als defizi-tär bezeichnet (z.B. Brand, Schlicht, Grossmann & Duhnsen, 2006; Proper, Staal, Hildebrandt, Beek & Mechelen, 2002; Shephard, 1996). Grund für diesen vermeintli-chen Widerspruch ist, dass eine Vielzahl der vorliegenden Studien nur beschreiben-den und keinen erklärenbeschreiben-den Charakter besitzt (Brand et al., 2006), Schwächen in Design und Methodik von experimenteller als auch praxisorientierter Forschung vor-weist (Falkenberg, 1997; Proper et al., 2002) oder unter kleinen, verzerrten Stichpro-ben, fehlender Randomisierung (Proper et al., 2002), schwachen Messinstrumenten zur Programmwirksamkeit oder angemessenen Kontrollbeobachtungen (Shephard, 1996) leidet. Aufgrund dieser methodischen Defizite schlussfolgern Brand et al.

(2006) schließlich, es sei wichtig zu erkennen „that a lot of research done in this area is difficult to interpret” (Brand et al., 2006, p. 14). Ein weiteres Problem, das klare Aussagen zur Wirksamkeit von Sportprogrammen im betrieblichen Umfeld erschwert, ist die oftmals willkürliche Namensgebung, die in einer Vermischung diverser Kon-strukte resultiert: physical activity programs, physical fitness programs oder exercise

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programs werden abwechselnd benutzt, was aber aufgrund der unterschiedlichen Bedeutungen der Konstrukte nicht wünschenswert ist (Proper et al., 2002). Ein ver-gleichbares Problem taucht auch in der deutschsprachigen Literatur auf. Hier werden verschiedene Handlungsfelder von Sport und Bewegungsangeboten im Betrieb wie beispielsweise Betriebssport mit Programmen während der Arbeitszeit vermischt.

Aus diesem Grund werden in Anlehnung an Proper et al. (2002) sowie Huber und Hahn (1996) die zahlreichen in der Fachliteratur verwendeten Termini zunächst in einen allumfassenden Begriff integriert: physische Aktivitätsprogramme am Arbeits-platz (physical activity programs at worksite), wobei der Terminus auch Aktivitäten nach Arbeitsende und außerhalb der Arbeitsstätte einschließt.

4.2.1 Struktur von physischen Aktivitätsprogrammen am Arbeitsplatz

In der deutschsprachigen Literatur gibt es gegenwärtig zwei46 umfassende, hinsicht-lich ihrer Struktur aber sehr unterschiedhinsicht-liche Kategorisierungen von physischen Akti-vitätsprogrammen am Arbeitsplatz. Die etwas ältere, auf industrialisierte Länder ein-geschränkte und am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland dargestellte Struktur wurde 1996 von Huber und Hahn erstellt und unterteilt die zahlreichen Angebote in (1) Betriebssport, (2) Programme am Arbeitsplatz und (3) Programme nach Arbeits-ende (vgl. Abb. 6). Diese drei Teilbereiche werden nochmals in zwei bzw. drei konkretere Angebote unterteilt.

Diese Aufteilung erscheint sinnvoll, da sie auf der ersten Kategorisierungsstufe nicht nur zwischen arbeitgeber- und arbeitnehmerorganisierten Angeboten (Betriebssport) unterscheidet, sondern auch zwischen solchen, die während der Arbeitszeit und damit auch in der Organisation stattfinden, und Angeboten nach Arbeitsende, also in der Freizeit. Leider erwähnen Huber und Hahn (1996) bei den Programmen nach Arbeitsende nicht, ob diese in der Organisation oder in anderen Institutionen durch-geführt werden. Bei der zweiten Kategorisierungsstufe sind drei Dinge kritisch anzu-merken. Erstens wäre es sinnvoller gewesen Ernährungskurse nicht isoliert, sondern höchstens ganzheitlich im Zusammenhang mit physischen Aktivitätsprogrammen aufzuführen. Zweitens haben Programme zur Verbesserung der Arbeitstechnik sehr

46 Man könnte an dieser Stelle noch die Kategorisierung von Tofahrn (1992, S. 55) aufführen. Da sich aber Luh (1998) an Tofahrn orientierte und damit große Schnittmengen zwischen beiden Strukturen vorherrschen, soll darauf verzichtet werden.

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wenig mit physischen Aktivitätsprogrammen gemeinsam und sollten aus diesem Grund eher zu den ganz allgemeinen gesundheitsfördernden Maßnahmen gezählt werden. Und drittens verpassen es die Autoren mit Ausnahme des Betriebssports zu erklären, was unter den einzelnen Kategorien zu verstehen ist.

Sport und Bewegungsangebote im Betrieb

Betriebssport Programme am Arbeitsplatz

Programme nach Arbeitsende

Freizeitsport

Leistungssport

Individuelles und tätigkeitsbezogenes

Programm

Gruppengymnastik

Verbesserung der Arbeitstechnik

Fitnesskurse

Ernährungskurse

Entspannungskurse

Abbildung 6: Struktur von Sport- und Bewegungsangeboten im Betrieb nach Huber und Hahn (1996)

Eine zweite Kategorisierungsmöglichkeit wurde von Luh (1998) in Anlehnung an Tofahrn (1992) nur zwei Jahre später in seiner Habilitationsschrift vorgestellt und unterscheidet sich gleich in mehreren Punkten von der ersten. Zunächst wählt Luh (1998) für alle mit Betriebsangehörigen durchgeführten Programme den Terminus Betriebssport. Diesen fasst er allerdings sehr weit, was die Entwicklung eines eige-nen Definitionsversuchs zeigt. Für Luh (1996) ist Betriebssport „eine besondere Erscheinungsform des Sports […] die‚ durch charakteristische Beziehungen perso-neller, materieller und organisatorischer Art zu Unternehmungen oder anderen Arbeitsstätten (Dürrwächter 1966, 11) gekennzeichnet ist“ (Luh, 1998, S. 13). Inte-resse für die Durchführung von Betriebssport liegen sowohl auf der Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberseite, dementsprechend kann Betriebssport „(stärker) arbeitge-berseitig oder arbeitnehmerseitig organisiert sein und findet während der Arbeitszeit

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oder in der Freizeit der Belegschaftsangehörigen statt“ (Luh, 1998, S. 13). Diese Ein-teilung, und darin besteht der zweite Unterschied zur Kategorisierung von Huber und Hahn (1996), verwendet Luh (1998), um die vielfältigen Erscheinungs- und Organisa-tionsformen des Betriebssports schematisch zu ordnen (vgl. Abb. 7).

Bewegungspause am Arbeitsplatz

betriebsnahe Sportvereine

Betriebssport-gemeinschaften

Betriebssport

arbeitnehmerseitig organisiert arbeitgeberseitig

organisiert

betriebssportliche Freizeitangebote

Auszubildenden-sport

betriebliche Sportgruppen

Abbildung 7: Betriebssportliche Organisationsformen nach Luh (1998)

Dem arbeitgeber- oder unternehmensseitig organisierten Betriebssport ordnen ande-re soziologische Untersuchungen (z.B. Tofahrn, 1992) die Bewegungspause am Arbeitsplatz, den Auszubildendensport und betriebssportliche Freizeitangebote im Unternehmen zu (vgl. Tofahrn, 1992, S. 54). Zum arbeitnehmerseitig organisierten Betriebssport zählen betriebsnahe Sportvereine, organisierte Betriebssportgemein-schaften und informelle betriebliche Sportgruppen (vgl. Luh, 1998, S. 344). Im Unter-schied zu Huber und Hahn (1996) umfasst diese Einteilung alle denkbaren physi-schen Aktivitätsprogramme, die von Betriebsangehörigen durchgeführt werden kön-nen, unabhängig von Zeit (während oder nach der Arbeit), Ort (am Arbeitsplatz oder außerhalb) und Organisator (Arbeitgeber oder -nehmer). Etwas störend ist lediglich der Oberbegriff Betriebssport, da dieser, sofern man keine ausführliche Definition angibt, irreführend sein kann. Trotz dieser kleinen Schwächen wird das Kategorisie-rungsschema von Luh (1998) für diese Arbeit fast komplett übernommen, lediglich der Oberbegriff Betriebssport wird, in Anlehnung an die Begriffsfindung durch

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sche Aktivitätsprogramme am Arbeitsplatz ersetzt (vgl. Abb. 8). Im Folgenden wer-den die physischen Aktivitätsprogramme am Arbeitsplatz mit pAP abgekürzt.

Bewegungspause am Arbeitsplatz

betriebsnahe Sportvereine

Betriebssport-gemeinschaften

Physische Aktivitätsprogramme am Arbeitsplatz

arbeitnehmerseitig organisiert arbeitgeberseitig

organisiert

betriebssportliche Freizeitangebote

Auszubildenden-sport

betriebliche Sportgruppen

Abbildung 8: Struktur von physischen Aktivitätsprogrammen am Arbeitsplatz

Im Rahmen der Work-Life-Balance bzw. Work-Leasure-Balance wurde insbesondere in den letzten Jahren von zahlreichen Arbeitnehmervertretern (z.B. Becker & Schulz, 1998; WestLB, 2005) verstärkt gefordert, auch Familienangehörige an sozialen, gesundheitsfördernden Maßnahmen des Unternehmens und somit auch an pAP teil-nehmen zu lassen. Um dieser Forderung gerecht zu werden, soll die in Abbildung 8 dargestellte Struktur auch sämtliche Angebote einschließen, bei denen Familienmit-glieder von Betriebsangehörigen partizipieren können. Eine explizite Erwähnung in der Struktur erscheint aber überflüssig, da solche Angebote rar sind und Familien-mitglieder zudem nur zusammen mit dem Betriebsangehörigen teilnehmen dürfen.

Nach der Festlegung der verschiedenen Handlungsfelder von pAP geht es im Fol-genden nun darum, die einzelnen Angebote näher zu beschreiben. Hierbei werden nicht alle sechs Dimensionen besprochen, sondern nur jene, die gegenwärtig in der Forschungsliteratur überwiegen und vor allem für diese Arbeit von starkem Interesse sind. Dazu zählen Betriebssportgemeinschaften, Bewegungspausen am Arbeitsplatz und betriebssportliche Freizeitangebote.

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4.2.1.1 Betriebssportgemeinschaften

Folgt man den sehr ausführlichen Beschreibungen von Luh (1998), entstanden erste betriebssportliche Vereinigungen der Bundesrepublik Deutschland47 im Sommer 1948 und setzten sich aufgrund eines spezifisch betriebssportlichen Selbstverständnisses bewusst von dem „freien“ Sportvereinswesen ab. Belegschaftsangehörige schlossen sich zu Betriebssportgemeinschaften (BSG) zusammen. Es folgten regionale Verei-nigungen zur Gestaltung von Wettkampfligen und 1949 wurde der erste betriebs-sportliche Landesverband in Hamburg gegründet. Im Jahre 1960 fusionierten gleich mehrere Landesverbände und gründeten den Bund Deutscher Betriebssportverbän-de (BDBV) (vgl. Luh, 1998, S. 359). Nach Meinung von Dürrwächter (1980) bilBetriebssportverbän-den organisierte Betriebssportgemeinschaften (BSG) den eigentlichen Kern des instituti-onalisierten Betriebssportes (vgl. Dürrwächter, 1980, S. 30) und werden normaler-weise von den Unternehmen organisatorisch und/oder materiell unterstützt (vgl.

Tofahrn, 1992, S. 54). Zusammenfassend kann in Anlehnung an Huber und Hahn (1996) festgehalten werden, dass alle Aktivitäten von betrieblichen Gruppen, die sich zum gemeinsamen Sporttreiben zusammengeschlossen haben, ihren Sport selbst organisieren und dabei vom Unternehmen in irgendeiner Form unterstützt werden, als Betriebssport bezeichnet werden können. Solche Aktivitäten können auch in Form von Wettkämpfen zwischen mehreren Unternehmen oder Werken eines Unter-nehmens stattfinden und werden meistens nach Arbeitsende auf werkseigenen oder angemieteten Sportanlagen durchgeführt.

Informelle betriebliche Sportgruppen lassen sich von BSG auf einer organisatori-schen Ebene unterscheiden, da sie relativ ungebunden oder wild sind, aber dadurch auch einer hoher Fluktuation ausgesetzt sind. Trotzdem haben betriebliche Sport-gruppen große Bedeutung, da sie als organisatorische Vorstufe von BSG gelten (vgl.

Luh, 1998, S. 362). Betriebsnahe Sportvereine als dritte Dimension von arbeitneh-merseitig organisierten Sport und Bewegungsangeboten lassen sich ebenfalls relativ klar von BSG trennen. Tofahrn (1992) beschreibt diese als „reguläre Vereine, deren Mitgliederstamm – zumindest ein hoher Anteil – sich aus einem Unternehmen rekru-tiert. Oft tragen die Vereine auch den Namen des Unternehmens oder weisen in

47 Die folgenden Beschreibungen beziehen sich in Anlehnung an die historische Abhandlung und Klassifikation des Betriebssports von Luh (1998) auf die Bundesrepublik Deutschland nach 1945. Auf den Betriebssport im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und im nationalsozialistischen Deutsch-land wird hierbei nicht näher eingegangen.

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einem Zusatz darauf hin“ (Tofahrn, 1992, S. 55). Das wahrscheinlich bekannteste Beispiel in Deutschland hierfür ist Bayer Leverkusen.

4.2.1.2 Bewegungspause am Arbeitsplatz

Die Bewegungspause am Arbeitsplatz lebte in Deutschland48 erst in der zweiten Hälf-te der 60er Jahre auf, als der Deutsche Sportbund und der Bund Deutscher Be-triebssportverbände den Nutzen dieser Aktivitätsform erkannten. „Charakteristisches Merkmal der Bewegungspause ist das organisierte kurzfristige Unterbrechen des Arbeitsprozesses zum Zwecke ausgleichender Bewegungsaktivitäten“ (Mitterbauer, 1994, S. 136) und „kann sowohl in der bezahlten und der unbezahlten Pause in Pra-xis vertreten sein“ (Tofahrn, 1992, S. 54). Eine Vielzahl an Varianten hinsichtlich Organisationsform und Ausrichtungsart (Dauer, Zeitpunkt, Ort und Zielsetzung) sind möglich. Wichtiges Kriterium ist aber laut Tofahrn (1992), dass die Bewegungspause ohne Zwang, also auf freiwilliger Basis erfolgt (vgl. Tofahrn, 1992, S. 54). Vor dem Hintergrund zunehmender Belastungen und Erkrankungen des Bewegungsapparats (vor allem im Bereich der Wirbelsäule) ist das primäre Ziel die Haltungsprävention (vgl. Mitterbauer, 1994, S. 136). Aus diesem Grunde ist es relevant, die Inhalte von Bewegungspausen durch eine gezielte Planung von Art, Umfang und Zeitpunkt auf die spezifischen Arbeitsbelastungen und den typischen täglichen Ermüdungsverlauf der Berufstätigen abzustimmen (Mitterbauer, 1994; Luh, 1998). Nur so können sich die in der Literatur (z.B. Dürrwächter 1968; Eichler, 1976) beschriebenen positiven Wirkungen wie die Beseitigung von arbeitsbedingten Beschwerden einstellen (vgl.

Tofahrn,1992,S.54).

„Trotz konzentrierter Bemühungen findet die betriebssportliche Organisationsform der Bewegungspause am Arbeitsplatz in den bundesdeutschen Unternehmen bis heute eine bemerkenswert geringe Verbreitung“ (Luh 1998, S. 369), konnte sich also in der Praxis nicht durchsetzen (Tofahrn, 1992, S. 54). Die Entscheidung diese Dimension dennoch aufzuführen liegt darin begründet, dass es einige Studien zur Wirksamkeit von Bewegungspausen gibt, deren Erkenntnisse für diese Arbeit rele-vant sind.

48 Auch diese Ausführungen beschränken sich auf den Sport der Bundesrepublik Deutschland nach 1945. Frühere Epochen (z.B. Weimarer Republik) werden an dieser Stelle nicht berücksichtigt. Für detaillierte Ausführungen siehe Luh (1998).

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4.2.1.3 Betriebssportliche Freizeitangebote

Zu den betriebssportlichen Freizeitangeboten49 zählen sämtliche Sport- und Bewe-gungsangebote, die nach Arbeitsende von Betriebsangehörigen und vereinzelt auch von deren Familienmitgliedern besucht werden können. Diese Angebote können sowohl in eigenen Sportstätten des Unternehmens stattfinden, als auch in angemie-teten externen Sportstätten, sind verbandsungebunden und werden in der Regel direkt vom Unternehmen als Sozialleistung finanziell unterstützt (Tofahrn, 1992, S.

54). In den fünfziger Jahren Deutschlands noch eine Ausnahmeerscheinung finden

„betriebssportliche Freizeitangebote der Unternehmen seit den siebziger Jahren zunehmend Verbreitung“ (Luh, 1998, S. 380), was sich auch an der Vielzahl an Erscheinungsformen wie beispielsweise Fitness, Gesundheitsvorsorge, Entspan-nung, Körpererfahrung, Spaß an der Bewegung, Erlebnisgewinn und Geselligkeit zeigt. Zu den weiteren Merkmalen solcher Angebote zählt, dass sie meistens infor-mell, offen und nicht wettkampforientiert sind oder nach vereinfachten und selbstbe-stimmten Regeln mit oder ohne Anleitung stattfinden (vgl. Luh, 1998, S. 426). Größe-re Unternehmen, teilweise auch mit eigenen Sportstätten, stellen für die Organisation und Durchführung von betriebssportlichen Freizeitangeboten hauptamtliche Sportre-ferenten, Sportlehrer und Übungsleiter ein, deren Aufgabe es ist, Mitarbeiter zu einem sportlich aktiven Lebensstil zu animieren. Mittlere und kleine Unternehmen dagegen versuchen solche Angebote mit Kooperationspartner wie Volkshochschu-len, Stadtsportämter, Sportvereinen, Universitäten oder über eventuell bestehende Betriebssportgemeinschaften durchzuführen. Diese stellen dann meistens Sportstät-te und Betreuer, ÜbungsleiSportstät-ter etc. zur Verfügung oder helfen bei der Organisation (vgl. Luh, 1998, S. 381).

In der Zwischenzeit dürften betriebssportliche Freizeitangebote als eigenständige Dimension von pAP hinsichtlich Angebotsbreite und Teilnahmezahlen in den meisten Unternehmen überwiegen. Verdeutlicht wird die zunehmende Popularität vor allem durch eine Vielzahl an Studien, die sich genau mit solchen Programmen befassen.

Dabei liegt das Interesse nicht nur auf Seiten der Theoretiker oder Wissenschaftler, sondern auch auf Seiten der Praktiker, insbesondere der Human Resources Mana-ger.

49 In Anlehnung an die historischen Abhandlungen von Luh (1998) beziehen sich folgende Beschrei-bungen auf den Sport in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945.

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Das Kapitel zur Struktur von pAP sowie die Beschreibung von drei der sechs50 Dimensionen hatte das Ziel, die verschiedenen Dimensionen bzw. Handlungsfelder zu erklären und klar voneinander abzugrenzen. Des Weiteren sollte dafür sensibili-siert werden, welche Dimensionen in der heutigen Zeit besonders relevant sind, was gleichzeitig eine Legitimation für das weitere Vorgehen darstellt. Denn im Folgenden werden nur Studien zur Wirkungsweise von pAP aufgeführt, die den drei besproche-nen Dimensiobesproche-nen zuzuordbesproche-nen sind.

4.2.2. Wirkungsfelder von physischen Aktivitätsprogrammen am Arbeitsplatz Versucht man einen Überblick über die gegenwärtige Forschungslage zur Wirksam-keit von pAP darzulegen, stellt man fest, dass bis Anfang der 90er Jahre überra-schend wenig publizierte Literatur existierte. Die Sportsoziologie in Deutschland ent-wickelte nach Meinung von Bachleitner (1988) „zwar zahlreiche Einzelhypothesen […], die empirischen Befunde dazu sind jedoch weit gestreut und zeigen keinerlei Geschlossenheit in ihren Aussagen. Zudem handelt es sich nur um eine geringe Zahl empirischer Studien“ (Bachleitner, 1988, S. 157). Und Tofahrn bezeichnete sogar noch 1992 den Betriebssport in der Bundesrepublik Deutschland als ein weitgehend unerforschtes Phänomen (vgl. Tofahrn, 1992, S. 63). In der Folgezeit versuchten gleich mehrere Wissenschaftler potentielle Wirkungen und Effekte des Betriebssports auf Belegschaft und Unternehmung in empirischen Studien zu untersuchen. Die Mehrzahl dieser Publikation kommt allerdings über den Status einer rein hypotheti-schen Abhandlung nicht hinaus oder ist von unzureichender methodischer Qualität (vgl. Kapitel 4.2). Ein ganz ähnlicher Verlauf des Forschungsstands lässt sich auch im US-amerikanischen Raum feststellen: Verhältnismäßig wenig Literatur und nur eine geringe Anzahl an empirischen Studien von hoher Qualität bis Anfang der 90er Jahre, dann ein steiler Anstieg der Publikationszahlen. Wobei die Studienqualität dem Quantitätssprung nicht folgen konnte und somit die beschriebenen Wirkungen der meisten Studien leider nicht überzeugen (vgl. Kapitel 4.2).

50 Der Auszubildendensport spricht, wie der Name schon sagt lediglich Auszubildende an und wird aufgrund seiner Irrelevanz für diese Arbeit nicht explizit beschrieben. Zudem muss er auch nicht we-gen Verständnisschwierigkeiten von den anderen Dimensionen des arbeitgeberseitig organisierten Sports abgegrenzt werden.

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Die Erwartungshaltungen, die an pAP gestellt werden, lassen sich nach Bachleitner (1988) im Wesentlichen auf die beiden Wirkungsfelder51 Gesundheitsförderung und soziale Integration / Kommunikation eingrenzen. Gesundheitsfördernde Wirkungen sieht Bachleitner (1988) eher auf der psychosozialen als physiologisch-orthopädischen Ebene, da bei letzterer Angaben über Frequenz und Intensität des Sport oder Bewegungsangebots benötigt werden (vgl. Bachleitner, 1988, S. 159).

Den sozial-integrativen / kommunikativen Wirkungen wird eine „wesentlich höhere Effektivität in Hinblick auf das psychosoziale Wohlbefinden der Arbeitnehmer“

(Bachleitner, 1988, S. 159) zugesprochen. Hierzu zählen vor allem Aussagen zur Verbesserung des Betriebsklimas. Eine genauere Beschreibung der beiden Wir-kungsfelder wird von Bachleitner (1988) leider nicht aufgeführt, was dazu führt, dass sich eine potentielle Wirkung wie beispielsweise die Erhöhung von organisationalem Commitment keinem der beiden Felder eindeutig zuordnen lässt. Aus diesem Grund ist Bachleitners Vorschlag nicht zufrieden stellend und sollte lediglich als Orientie-rungshilfe bei einem eigenen Kategorisierungsversuch zu den Wirkungsfeldern von pAP dienen.

Ein anderes Einteilungskriterium findet man bei Proper et al. (2002) und ansatzweise auch bei Tofahrn (1992). Sie unterteilen potentielle Wirkungen aus Sicht der Arbeit-nehmer und sprechen in diesem Zusammenhang auch vom personenbezogenen Nutzen (vgl. Proper et al., 2002, p. 75) und aus Sicht der Arbeitgeber. Bei letzterem geht es nach Proper et al. (2002) darum, Wirkungen von pAP auf so genannte arbeitsbezogene (work-related) Outcomes zu untersuchen. Aber auch hier taucht das Problem einer unmissverständlichen Zuordnung einzelner Effekte auf die Wirkungs-felder auf, wie sich anhand des Beispiels Arbeitszufriedenheit zeigen lässt. Denn von einer höheren Arbeitzufriedenheit profitieren sowohl die Newcomer als auch der Arbeitsgeber. Die Autorengruppe geht leider auf diese Problematik nicht ein, sondern zählt, ohne das explizit zu begründen, Arbeitszufriedenheit, Absentismus oder Stress zu den arbeitsbezogenen Outcomes.

In dieser Arbeit wird ein eigenes Einteilungskriterium zu den Wirkungsfeldern von pAP vorgeschlagen, welches das von Proper et al. (2002) erweitert. Auf der ersten

51 Bachleitner (1988) und auch Tofahrn (1992) benutzen den Ausdruck Funktionsbereiche und instru-mentalisieren dadurch alle Sport und Bewegungsaktivitäten. Deshalb wird in dieser Arbeit der Termi-nus Wirkungsfelder bevorzugt.

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Stufe wird zwischen einem gesundheitsfördernden und arbeitbezogenem Wirkungs-feld unterschieden. Ersteres lässt sich nochmals unterscheiden in physische (Rück-gang von Beschwerden und Erkrankungen, Steigerung von Fitness etc.) und psy-chosoziale (Steigerung des Wohlbefindens, Stressreduktion etc.) Wirkungen. Das arbeitsbezogene Wirkungsfeld wird unterteilt in ökonomische (Verringerung von Fluk-tuation, Absentismus etc.) und verhaltens- bzw. einstellungsbezogene (Steigerung von organisationalem Commitment, Arbeitszufriedenheit etc.) Wirkungen (vgl. Abb.

9). Zu den ökonomischen Wirkungen zählen im Gegensatz zu den verhaltens- und einstellungsbezogenen insbesondere solche, die direkt und objektiv messbar sind.

Commitment oder Arbeitszufriedenheit dagegen kann man lediglich durch Selbstaus-sagen messen, sie bilden somit das subjektive arbeitsbezogene Wirkungsfeld.

Analog dazu wurde auch das gesundheitsfördernde Wirkungsfeld unterteilt. Während man physische Gesundheit relativ objektiv beispielsweise durch Fitnesstests oder Arztuntersuchungen einschätzen kann, ist die psychosoziale Gesundheit wiederum nur subjektiv über Selbstaussagen zu erfassen.

Wirkungsfelder von physischen

Abbildung 9: Wirkungsfelder von physischen Aktivitätsprogrammen am Arbeitsplatz Den theoretischen Ausführungen folgend, interessieren in dieser Arbeit arbeitsbezo-gene, insbesondere verhaltens- und einstellungsbezogene Wirkungen von pAP und

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werden im Folgenden ausführlich vorgestellt. Empirische und Theoretische Ergeb-nisse der anderen Wirkungsfelder dagegen sollen nur zusammenfassend wiederge-geben werden, um ein komplettes Bild potentieller Wirkungen zu erhalten.

4.2.2.1 Gesundheitsfördernde Wirkung - Physisch

Ganz allgemein ausgedrückt, versprechen bzw. erhoffen sich Theoretiker wie Prakti-ker von einer regelmäßig sporttreibenden Belegschaft einen verbesserten physi-schen Gesundheitszustand. Diese physiphysi-schen Wirkungen lassen sich unterteilen in eine Steigerung der verschiedenen Fitnessdimensionen, einer Reduktion von Risiko-faktoren sowie einem Rückgang von Erkrankungen und Beschwerden. Physische Aktivitätsprogramme scheinen also einerseits Ressourcen der Gesundheit zu stär-ken, gleichzeitig aber auch auf sie einwirkende Anforderungen zu reduzieren.

Steigerung der Fitness: Sportbezogene Gesundheitsförderungsmaßnahmen kön-nen physische Parameter wie Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit, Koordination oder die Sauerstoffaufnahme der Arbeitnehmer verbessern und optimieren (Bös, Opper &

Polenz, 1993; Bös & Pluto, 1992; Brand et al., 2006; Hahl & Sehling, 1998; Proper, Hildebrandt, van der Beek, Twisk & van Mechelen, 2003a; Proper, de Bruyne, Hildebrandt, van der Beek, Meerding & van Mechelen, 2004; Shephard, 1996; Titze, Martin, Seiler, Stronegger & Marti, 2001).

Reduktion von Risikofaktoren: Sport in Unternehmen kann zur Reduzierung von

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