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3 Erklärungsansätze organisationaler Sozialisation

3.4 Sozialisationslernen und -inhalte

Wie bereits erwähnt, ergänzten Klein und Weaver (2000) die drei von Morrison (1993) aufgeführten Erklärungsansätze um diesen vierten, da sich die Sozialisations-forschung (z.B. Chao et al., 1994a, Taormina, 1997) seit Mitte der 90er Jahre ver-stärkt auf die Inhalte der Sozialisation konzentrierte. Zwar wurden erste Arbeiten (z.B. Feldman, 1981; Fisher, 1986; Louis, 1980) hierzu schon in den 80er Jahren publiziert, die Bedeutung und das Potential dieses Ansatzes erkannte man aber

18 Morrisons (1993) Kritik bezieht sich ganz allgemein auf den Ansatz der Cognitive Processes, aber nicht auf den Forschungsbereich zu Newcomer Information Seeking and Acquisition. Denn dieser etablierte sich erst später, u.a. durch ihren Beitrag.

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samerweise erst viel später, was sich in steigenden Publikationen äußerte. Dabei sind einige frühere Arbeiten für das Verständnis dieses Erklärungsansatzes sehr relevant. Insbesondere die Ausführungen von Fisher (1986) und das von ihr zugrun-de gelegte Sozialisationsverständnis, wonach Sozialisation für zugrun-den Newcomer haupt-sächlich ein Lern- und Veränderungsprozess ist, bilden eine bedeutende Grundlage.

Dieses Verständnis berücksichtigend bleiben zwei grundlegende Fragen: “Was wird gelernt, was wird verändert?“ Hierauf aufbauend konzentrierte sich Fisher (1986) in der zweiten Sektion ihres Reviews auf die Inhalte der Sozialisation, unterteilt nach

„how individuals change during socialization and the outcomes of socialization“

(Fisher, 1986, p. 101), und analysiert theoretische sowie empirische Literatur.

Vergleichbar zu Louis (1980), Feldman (1981) und Schein (1980) definiert Fisher vier grundlegende Inhaltskategorien (vgl. Fisher, 1986, p. 105):

1. Organisationale Werte, Ziele, Kultur usw.

2. Werte, Normen und Freundschaften der Arbeitsgruppe

3. Wie man den Job ausführt, benötigte Fertigkeiten und Wissen

4. Persönliche Veränderung bezogen auf Identität, Selbstbild und Motivation Betrachtet man diese vier Kategorien nun aus der Lernperspektive, können sie um eine fünfte Kategorie, das einleitende oder vorausgehende Lernen (preliminary lear-ning) ergänzt werden und folgenden Lerninhalten zugeordnet werden: (1) einleiten-des Lernen, (2) über die Organisation lernen, (3) lernen in der Arbeitsgruppe zu funk-tionieren, (4) lernen den Job auszuführen und (5) persönliches Lernen (vgl. Fisher, 1986, p. 105). Dass diese Einteilung sinnvoll ist, bestätigen auch Ostroff und Koz-lowski (1992) sowie Anakwe und Greenhaus (1999). Vor dem Hintergrund theoreti-scher Erklärungen zu Lerninhalten während der Sozialisation (z.B. Feldman, 1981;

Fisher, 1986; Katz, 1980) stellen Ostroff und Kozlowski (1992) fest, dass die Literatur vier Inhaltsdomänen vorschlägt, welche bedeutende kontextabhängige, für den Sozi-alisations-Lernprozess relevante Eigenschaften umfassen, und zählen hierzu: job related tasks, work roles, group processes, and organizational attributes (vgl. Ostroff

& Kozlowski, 1992, p. 852). Auch Anakwe und Greenhaus (1999) identifizieren die vier Inhaltsbereiche task, group, organizational, and personal und kommen zu dem Schluss, dass trotz Unterschiede in der Betonung oder dem Fokus bezüglich spezifi-scher Inhaltskategorien unter den Forspezifi-schern in der Diskussion über

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halte viele Gemeinsamkeiten existieren (vgl. Anakwe & Greenhaus, 1999, p. 317).

Eine treffende Zusammenfassung der in diesem ersten Abschnitt veröffentlichten Arbeiten zu Sozialisationsinhalten bieten Anakwe und Greenhaus (1999): “Socializa-tion content refers to what is learned during socializa“Socializa-tion (Chao et al., 1994a) or what is being imparted to the newcomer in the organization (Louis, 1980)” (Anakwe &

Greenhaus, 1999, p. 317).

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass dieser Ansatz Mitte der 90er Jahre wie-derauflebte und sich aus der Notwendigkeit weiterentwickelte, einerseits organisatio-nale Sozialisation operationalisieren zu wollen, aber frühere Definitionen „did not specify content, especially job-related content“ (Taormina, 1997, p. 29) und somit dieses Vorhaben nicht zuließen. Andererseits bemängelten Chao et al. (1994a), dass annähernd keine empirische Forschung existiert, welche die hypothetischen Inhalte der Sozialisationsdomänen verifiziert oder Inhaltsbereiche in Beziehung zum Soziali-sationsprozess bzw. dessen Outcomes setzt (vgl. Chao et al., 1994, p. 730). Aus dieser neuen Perspektive betrachtet, charakterisieren Klein und Weaver (2002) Sozialisation als „learning process in which individuals need to acquire a variety of information and behaviors to become effective organizational member” (Klein &

Weaver, 2000, p. 48). Als Wissenschaftler sollte man sich also wiederum auf Soziali-sationsinhalte konzentrieren, d.h. darauf, was tatsächlich während der Sozialisation gelernt wird.

Zur Popularität dieses Ansatzes haben Chao et al. (1994a) aber erst beigetragen, indem sie vorherige Forschung, insbesondere die von Fisher (1986), zu Sozialisati-onsinhalten in sechs Dimensionen eingliederten, welche verschiedene, für eine erfolgreiche Anpassung zu erlernende Inhaltsbereiche repräsentieren (vgl. Klein &

Weaver, 2000, p. 48). Diese Inhaltsbereiche reflektieren aber nicht nur die verschie-denen Arten des Lernens, das während der Sozialisation stattfindet, sondern auch den Prozess der Einpassung und der Bewältigung des eigenen Jobs (vgl. Bauer et al., 1998, p. 159). Sie stellen sich wie folgt dar:

(1) Performance Proficiency (Ausführungskönnen): das Ausmaß, zu welchem ein Individuum die mit dem Job verbundenen Aufgaben gelernt hat;

(2) People (Leute): die Etablierung von erfolgreichen und zufrieden stellenden Beziehungen mit Organisationsmitgliedern;

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(3) Politics (Politik): der individuelle Erfolg, Informationen hinsichtlich der Macht-strukturen und den formalen und informalen Arbeitsbeziehungen innerhalb der Organisation zu erwerben;

(4) Language (Sprache): das individuelle Wissen hinsichtlich der beruflichen Fachsprache und des spezielles Fachjargons der Organisation;

(5) Organizational Goals and Values (unternehmerische Ziele und Werte): das Lernen von spezifischen unternehmerischen Zielen und Werten;

(6) History (Geschichte): das Wissen von organisationalen Traditionen, Sitten, Mythen und Ritualen (vgl. Allen, McManus & Russell, 1999, p. 457; Chao et al., 1994a, p. 731).

Die Bedeutung dieses Erklärungsansatzes und gleichzeitig die Abgrenzung zu früh-ren Ansätzen organisationaler Sozialisation liegt darin begründet, dass das Lernen von Inhalten in den Mittelpunkt rückt und als zentraler Bestandteil des Sozialisations-prozesses betrachtet wird. Deutlich wird dieser Wandel vor allem in zwei Bereichen.

Zum einen haben spätere Sozialisationsforscher die Inhalt-Komponente ebenfalls in ihre Definitionen aufgenommen. So fordert Taormina (1997), dass „a more fruitful definition should include a socio-psychological perspective while focusing also on content“ (Taormina, 1997, p. 29). Zum anderen wurde Lernen in den Mittelpunkt di-verser Modelle gestellt. Saks und Ashforth (1997) beispielsweise legitmieren ihr Sozialisationsmodell wie folgt: „The focus of the model is information and learning which is consistent with recent research showing that organizational socialization is primarily a learning process” (Saks & Ashforth, 1997, p. 238). Einen Schritt weiter gehen Cooper-Thomas und Anderson (2005) mit der Forderung, dass es sinnvoll ist.

Lernen “at the heart of any organisational socialization model” (Cooper-Thomas &

Anderson, 2005, p. 117) zu setzen. Eine letzte, aber vor allem für Praktiker sehr rele-vante Bedeutung dieses Ansatzes erkennen Taormina und Bauer (2000) darin, dass in jüngster Zeit Autoren anfingen herausufinden, „what it is that makes up the content of socialization and to examine how such content relates to the types of characteris-tics that management desires in its employees” (Taormina & Bauer, 2000, p. 263).

Die Autoren verweisen auf Chao et al. (1994a), die in ihren Untersuchungen heraus-fanden, dass mehrere Dimensionen von Sozialisationsinhalten positiv und signifikant mit der Arbeitszufriedenheit in Beziehung standen. Human Resources Managern hel-fen diese Erkenntnisse nicht nur ein besseres Verständnis über die

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komponenten zu erhalten, sondern befähigt sie auch, Inhalte mit erfolgreichen Programmen zu kombinieren, welche Arbeitnehmer sozialisieren (vgl. Taormina &

Bauer, 2000, p. 263).

Anmerkungen & Kritik

Im Unterschied zu vorherigen Erklärungsansätzen ist es verhältnismäßig schwierig, Literatur zu finden, in welcher dieser Ansatz kritisch besprochen wird. Das könnte natürlich damit begründet werden, dass Sozialisationsforscher noch nicht genügend Zeit hatten, diesen relativ neuen Ansatz ausreichend zu elaborieren. Folgt man aller-dings der Meinung und Bewertung zahlreicher Wissenschaftler, wird man feststellen, dass sich mit Hilfe dieses Erklärungsansatzes der Prozess organisationaler Soziali-sation sehr gut beschreiben und analysieren lässt.

Saks und Ashforth (1997a) haben dennoch einige interessante Kritikpunkt aufgeführt, die dazu benutzt werden sollten, diesen Ansatz weiterzuentwickeln und Wissenslü-cken zu schließen. Die beiden Autoren bemängeln, dass obwohl die Forschung in den Jahren 1992 bis 1997 einige wertvolle Einblicke in die Inhalte des Lernens wäh-rend der Sozialisation lieferte, wesentlich mehr Forschungsarbeiten jedoch gebraucht werden, um eine vollständigere und mehr akzeptierte Taxonomie dieser Lerninhalte herauszuarbeiten. Die von Chao et al. (1994a) vorgeschlagenen sechs Dimensionen verkörpern zwar einen guten Anfang, aber andere Einteilungen organisationaler Sozialisation seien ebenfalls denkbar. Diese Feststellung entspricht der von Chao et al. (1994a) selbst formulierten Forderung, dass „additional content areas of socializa-tion should be explored to better define the socializasocializa-tion domain” (Chao et al., 1994a, p. 741). Arbeitsgruppensozialisation ist beispielsweise ein wichtiger Teil organisatio-naler Sozialisation (Anderson & Thomas, 1996), welcher nicht in der Taxonomie von Chao et al. (1994a) vertreten ist, aber insbesondere in letzter Zeit enorm an Bedeu-tung gewann (z.B. Anderson & Thomas, 1996; Moreland & Levine, 2001). Deshalb sind Saks und Ashforth (1997) der Meinung, dass eine Validierung und Erweiterung der Arbeit von Chao et al. (1994a) notwendig ist.

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