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Das organisationale Lernen beeinflussende Faktoren

II. Empirische Untersuchung

5.1 Das organisationale Lernen beeinflussende Faktoren

Das Kapitel zum Forschungstand zeigte, dass verschiedene Faktoren den Prozess organisationaler Sozialisation und somit die fünf Lerndimensionen beeinflussen kön-nen. Versucht man diese zu kategorisieren, erhält man drei wichtige, größtenteils voneinander unabhängige Bereiche: biographische, persönliche und organisationale Einflussfaktoren (vgl. Abb. 12).

INDIVIDUAL WORK TASK

ORGANIZATION PEOPLE

ROLE

Persön-liche

Organi-sationale

Indivi-duelle

E I N F L U S S F A K T O R E N

Abbildung 12: Einflussfaktoren organisationaler Sozialisation

Des Weiteren deutet die gegenwärtige Forschungslage darauf hin, dass in diesen drei Bereichen nur wenige der in früheren Arbeiten berücksichtigten Faktoren rele-vant für den Sozialisationsprozess sind und die Auswahl dieser Faktoren wiederum von der spezifischen Fragestellung einer Arbeit abhängig ist.

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In der Kategorie biographischer Einflussfaktoren kristallisierten sich hauptsächlich die bisherige Arbeitserfahrung von Newcomern sowie ihre Anstellungsdauer im Unter-nehmen als besonders relevant heraus (vgl. Kapitel 4.1.4.1). Daneben könnten auch soziodemographische Variablen wie Alter, Geschlecht oder Status eine bedeutsame Rolle spielen und werden, obwohl der Forschungsstand keinen großen Einfluss sug-geriert, erfasst. Denn letztlich dienen soziodemographische Variablen auch der Überprüfung von Unterschieden in diversen Stichproben wie bspw. Kontroll- und Experimentalgruppen. Berufliche Selbstwirksamkeit und der aktive Aufbau von Freundschaften zählen in der Kategorie persönliche Einflussfaktoren zu den bedeut-samsten dieser Gruppe (vgl. Kapitel 4.1.4.2) und können maßgeblich auf die Lerndi-mensionen des Sozialisationsprozesses einwirken. In der Gruppe der organisatori-schen Einflussfaktoren sind, insbesondere die sozialen Aspekte organisationaler Sozialisation berücksichtigend, weitere Interaktionsmöglichkeiten der Newcomer im betrieblichen Umfeld sowie vom Unternehmen eingesetzte Taktiken bzw. Praktiken von besonderer Relevanz (vgl. Kapitel 4.1.4.3). Die Größe des Einflusses sowie die Wirkungsweise der eingesetzten Sozialisationspraktik auf die jeweiligen Inhalts- oder Lerndimensionen hängen, wie in Kapitel 3.2 erläutert, von der Art oder dem Schwer-punkt dieser Praktik ab. Dieser Auffassung widerspricht zwar Holton (1996), da er der Meinung ist, dass alle Arten des Lernens in allen Interventionen stattfinden können (vgl. Holton, 1996, p. 246). Da er seine Meinung aber weder theoretisch noch prak-tisch belegt, sollte man in diesem Falle eher von einer hypotheprak-tischen Annahme ausgehen (vgl. auch Kapitel 4.1.3.3).

Für die zentrale Fragestellung dieser Arbeit wurde eine spezifische Praktik - physi-sche Aktivitätsprogramme am Arbeitsplatz - als organisationaler Einflussfaktor gewählt und entwickelt. Legt man das im Jahre 1979 von Van Maanen und Schein (vgl. auch Kapitel 3.2) entwickelte Klassifikationsschema (Art bzw. Schwerpunkt) zu Sozialisationstaktiken zugrunde, kann diese Taktik angesichts ihrer Struktur und Beschaffenheit zu jenen gezählt werden, die schwerpunktmäßig die sozialen Aspekte des Sozialisationsprozesses ansprechen. Somit wird diese Praktik aber auch nur Lernen in ganz bestimmten Inhaltsdimensionen beeinflussen. Den Erkenntnissen der Literaturübersicht folgend (vgl. Kapitel 4.1.3), werden insbesondere Lernleistungen in den Inhaltsbereichen People und Role erwartet und damit, wie Saks und Ashforth (1997a) vermuten, in einer Veränderung der proximalen Outcomes (z.B.

Rollenambi-Eigener Erklärungsansatz organisationaler Sozialisation 160

guität, soziale Integration) dieser beiden Dimensionen resultieren (vgl. Saks &

Ashforth, 1997). Hebt man die zwei Dimensionen People und Role auf eine operatio-nale Ebene, betrachtet also ihre proximalen Outcomes und berücksichtigt gleichzeitig die Erkenntnisse des Forschungstandes (vgl. Kapitel 4.1), erhält man bei der Dimen-sion People die beiden proximalen Outcomes soziale Integration und Freundschafts-netzwerke. Zu Role gehören in erster Linie die proximalen Outcomes Rollenambigui-tät und -konflikt. Die Selektion dieser vier Variablen soll im Folgenden begründet wer-den:

Die Dimension People

Die Dimension People enthält Variablen bzw. proximale Outcomes die primär Verän-derungen in sozialen Aspekten und zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb der Arbeitsgruppe oder Organisation erfassen, wie beispielsweise functioning in the workgroup, adjustment to group norms and values, coworker support, social integra-tion, relationships (vgl. Kapitel 4.1). Einige der aufgeführten Variablen - das Funktio-nieren in der Arbeitsgruppe oder die Anpassung an deren Werte und Normen - kön-nen aber sogleich ausgeschlossen werden, da die Intervention nicht mit Arbeitsgrup-pen durchgeführt wird und somit auch nur geringe Wirkung auf solche Outcomes haben dürfte. Wohingegen Beziehungsvariablen wie Bekannt- oder Freundschaften im betrieblichen Umfeld sowie allgemeine, also nicht nur auf die Arbeitsgruppe bezo-gene, soziale Variablen wie Integration oder Unterstützung stark beeinflusst werden können.

In der Literatur werden (z.B. Udris, 1987; Morrison, 2002) gleich mehrere Arten von Arbeitsbeziehungen oder Netzwerken unterschieden, meistens nach deren Qualität und Funktionalität. Udris (1987) beispielsweise führt vier verschiedene Typen von Arbeitsbeziehungen auf, unterteilt also nach der Qualität:

1. Soziale Freunde: Arbeitskollegen, die man sowohl am Arbeitsplatz als auch in der Freizeit als Freunde bezeichnet und zu denen man häufigen bzw.

regelmäßigen Kontakt hat

2. Freunde in der Arbeit: freundschaftliche Beziehungen zu Kollegen ohne Kon-takte außerhalb der Arbeit

3. Arbeitskollegen: tätigkeitsbedingte formale Kooperationsbeziehungen ohne besondere emotionale Anteile

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4. Konfliktbeziehungen: Kollegen, die man explizit nicht mag (vgl. Udris, 1987, S. 133).

Morrison (2002) dagegen nimmt eine Einteilung hinsichtlich der Beziehungsfunktio-nalität vor und merkt hierzu an, dass Organisationen erkennen sollten, dass zwei Arten von sozialen Netzwerken existieren, welche bedeutend für die Sozialisation von Newcomern sind. Ein Newcomer braucht ihrer Meinung nach sowohl ein Infor-mationsnetzwerk, um verschiedene Arten von Informationen zu akquirieren, als auch ein Freundschaftsnetzwerk, um sich in die Organisation integriert zu fühlen.

Da in dieser Arbeit die soziale Integration neuer Mitarbeiter im Mittelpunkt steht, und die Intervention auf deren Veränderung abzielt, wird in Anlehnung an Udris (1987) und Morrison (2002) neben sozialer Integration auch das Freundschaftsnetzwerk von Newcomern betrachtet. Schließlich ist ein solches Netzwerk eng verbunden mit der subjektiv wahrgenommenen sozialen Integration, wie die folgende Beschreibung von Schwarzer (1990) verdeutlicht: „Soziale Integration meint die Einbettung in ein sozia-les Netz und wird durch die Existenz von Freunden und Verwandten bzw. durch die Quantität von Sozialbeziehungen beschrieben“ (Schwarzer, 1990, S. 18). Schwarzer und Leppin (1991) sprechen auch von einem strukturellen Aspekt der sozialen Integ-ration, wenn sie primär danach fragen, wie viele und welche Arten von Beziehungen eine Person unterhält und wie diese Beziehungen untereinander gestaltet sind (vgl.

Schwarzer & Leppin, 1991, S. 175). Man kann soziale Integration also mit den „drei wohl am häufigsten verwendeten Indikatoren für Soziale Integration und Netzwerk-struktur“ (Schwarzer & Leppin, 1991, S. 177) - (1) Größe des Netzwerks, (2) Dichte des Netzwerk und (3) der Frequenz sozialer Interaktionen erfassen, und „die Zahl der aktiven Bindungen, die jemand aufrechterhält, dient als ein Indikator für den Grad der sozialen Integration bzw. der sozialen Isolation“ (Schwarzer & Leppin, 1991, S. 177).

Eine weitere, aber für diese Arbeit nicht relevante Möglichkeit, die soziale Integration einer Person zu erfassen, besteht darin, die Anzahl ihrer sozialen Rollen als Indikator zu verwenden. Der Dimension People gehören also zwei voneinander abhängige Variablen an. Lernerfolge müssten sich demnach mit einer Veränderung des Freund-schaftsnetzwerks und somit auch der sozialen Integration erfassen lassen.

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Die Dimension Role

Der Dimension Role werden in der Literatur vorwiegend Variablen oder primary Out-comes zugesprochen, die sich auf die eigene Rolle in der neuen Arbeitsgruppe oder der gesamten Organisation beziehen. Das sind in erster Linie Rollenambiguität, -klarheit und -konflikt. Nach der Rollentheorie von Kahn, Wolfe, Quinn, Snoek und Rodenthal (1964) stellt sich Rollenambiguität durch das Fehlen von „necessary information available to a given organizational position“ (Rizzo et al., 1970) ein und kann die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass eine Person mit ihrer Rolle unzufrieden ist, Angst erfährt oder die Realität verzerrt (Rizzo et al., 1970). Rollenkonflikte dage-gen entstehen, wenn „behaviors expected of an individual are inconsistent“ (Rizzo et al., 1907, p. 151), und können ebenfalls in Stress oder Unzufriedenheit resultieren. In der Literatur werden die beiden Outcomes Rollenkonflikt und -klarheit meistens als Gegenspieler betrachtet, d.h. entweder ist die Rollenklarheit von Newcomern im Mit-telpunkt des Forschungsinteresses, und die oft mit dieser neuen Rolle verbundenen Konflikte interessieren nicht (positive Betrachtungsweise), oder die Wissenschaftler bevorzugen eine negative Betrachtungsweise, fokussieren also die bei Eintritt auf-tauchenden Rollenkonflikte von Newcomern und lassen die Klarheit außer Acht. In dieser Arbeit liegt das Interesse wie bei einem Großteil der durchgesehenen Literatur auch auf Rollenkonflikten, da es mehr dem eigenen Verständnis entspricht, wonach der Eintritt eher mit Konflikten als mit Klarheit behaftet ist und zudem eine bessere Vergleichbarkeit mit anderen Forschungsergebnissen bringt. Von Rollenkonflikten ganz klar abgrenzen muss man das Konstrukt der Rollenambiguität, wie Jackson und Schuler (1985) anmerken: „We suggest that the role conflict and role ambiguity constructs be regarded as separate constructs. Separate hypothesis should be stated for role ambiguity and separate hypothesis should be stated for role conflict”

(Jackson & Schuler, 1985, p. 45). Lernen in der Dimension Role kann also durch

eine Veränderung der beiden eigenständigen Konstrukte Rollenkonflikte und -ambiguität erfasst werden.

In Abbildung 13 sind sowohl alle Einflussfaktoren als auch proximalen Outcomes der beiden Lerndimensionen People und Role dargestellt, welche in dieser Arbeit unter der spezifischen Fragestellung eine wichtige Rolle spielen. Die Frage ist nun, wie sich das Lernen in diesen beiden Dimensionen, also die Veränderung der proximalen

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Outcomes, auf weitere verhaltens- und einstellungsbezogene Variablen organisatio-naler Sozialisation auswirkt.

Abbildung 13: Einfluss biographischer, persönlicher und organisationaler Faktoren auf die proximalen Outcomes der beiden Lerndimensionen People und Role