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Sozialisationstaktiken und -praktiken Sozialisationstaktiken Sozialisationstaktiken

3 Erklärungsansätze organisationaler Sozialisation

3.2 Sozialisationstaktiken und -praktiken Sozialisationstaktiken Sozialisationstaktiken

Ähnlich wie die Stufenansätze entwickelten sich auch die Arbeiten zu Taktiken im Sozialisationsgeschehen Mitte der 60er Jahre (z.B. Berlew & Hall, 1966; Cogswell, 1968; Gomersall & Myers, 1966; Wheeler, 1966). Aber erst die Arbeiten von Van Maanen und Schein (1979) und Jones (1986) rückten diesen Erklärungsansatz orga-nisationaler Sozialisation in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses und „made an important contribuition by highlighting differences in socialization from one context to the next“ (Morrison, 1993, p. 173). Bauer et al. (1998) bezeichnen den Artikel von Van Maanen und Schein (1979) sogar als „the most well-accepted framework for un-derstanding the effect of organizational factors” (Bauer et al. 1998, p. 154). Sehr positiv bewerten auch Saks und Ashforth (1997a) diese Arbeit: „One of the most theoretically developed models of socialization is Van Maanen and Schein’s (1979) typology of socialization tactics” (Saks & Ashforth, 1997a, p. 49). Laut Morrison (1993a) konzentriert sich dieser zweite Ansatz auf die verschiedenen

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taktiken, welche Organisationen benutzen, um Sozialisation zu erleichtern (Klein &

Weaver, 2000). Viele weitere Autoren (z.B. Louis, Posner & Powell, 1983; Van Maanen, 1978; Zahrly & Tosi; 1989) haben entweder Taktiken beschrieben, welche am häufigsten während des Sozialisationsprozesses eingesetzt werden. Oder sie haben versucht das Konzept von Van Maanen und Schein (1979) durch empirische Forschung zu überprüfen (z.B. Ashforth & Saks, 1995, 1996; Black & Ashford, 1995;

Jones, 1986; West, Nicholson & Rees, 1987).

Van Maanen und Scheins (1979) Typologie der Sozialisationstaktiken bietet sechs bipolare Taktiken (vgl. Tabelle 1), welche von Organisationen verwendet werden können, um Sozialisationserfahrungen der Newcomer zu strukturieren und ihre Rol-lenorientierung zu beeinflussen (vgl. Saks & Ashforth, 1997a, p. 49). Diese sechs Sozialisationsstrategien können durch das Schema von Van Maanen und Schein (1979) sowie deren Modifikation von Jones (1986) nach Art (institutionalisierte vs.

individualisierte Einführung) und Schwerpunkt der Sozialisationstaktik angeordnet werden.

Tabelle 1: Klassifikation von Sozialisationstaktiken nach Drescher (1995), nach dem Schema von Jones (1986) und Van Maanen und Schein (1979)

Art der Taktik

Schwerpunkt der Taktik Institutionalisiert Individualisiert

Kollektiv Individuell

Die Taktik der kollektiven (vs. individuellen) Sozialisation bezieht sich auf die Grup-pierung von Newcomern, die gemeinsame Aktivitäten und Erfahrungen mit dem Ziel durchlaufen, standardisierte Antworten auf Situationen zu produzieren. Im Gegensatz

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dazu wird bei der individuellen Taktik jeder Newcomer einzeln behandelt (vgl. Jones, 1986; Saks & Ashforth, 1997a). Formale (vs. informale) Sozialisation hängt eng mit der ersten Taktik zusammen, da sie sich ebenfalls mit dem Kontext befasst, in wel-chem Newcomern Informationen präsentiert werden (vgl. Jones, 1986, p. 264). Sie ist die Praktik der Segregation (Isolierung) eines Newcomers von regulären Mitglie-dern der Organisation während einer Sozialisationsperiode. Im Gegensatz dazu wird bei der informalen Sozialisation zwischen Newcomern und erfahrenen Mitgliedern nicht differenziert. Die beiden nächsten Kategorien befassen sich mit dem Informati-onsinhalt, der Newcomern während der Sozialisation vermittelt wird. Die sequentielle (vs. zufällige) Taktik liefert Newcomern detaillierte Informationen über die Sequenz an Aktivitäten oder Erfahrungen, die sie in ihrer Organisation durchlaufen werden und führt nach Van Maanen und Schein (1979) zu Rollenkonformität. Zufällige Sozia-lisationstaktiken dagegen liefern keine Informationen darüber, wann Newcomer eine bestimmte Stufe im Lernprozess erreichen können und führen dadurch zu vormund-schaftlichen Antworten (vgl. Jones, 1986, p. 265). Fixierte (vs. variable) Sozialisation liefert einen exakten Fahrplan für die Vollendung einer bestimmten Stufe und die Übernahme der Rolle, ein variabler Prozess dagegen nicht. Die soziale Dimension konzentriert sich auf den Zugang des Newcomers zu Insidern und das Lernen von ihnen (seriell - disjunktiv; investitiv - divestitiv). Hierbei ist vor allem von Interesse, ob ein dienstälterer Kollege als Rollenmodell für den Newcomer vorhanden ist (seriell) oder nicht (disjunktiv). Oder ob der Newcomer soziale Unterstützung von Insidern erhält (investitiv) oder nicht (divestitiv) (vgl. Cooper-Thomas, Vianen & Anderson, 2004, p. 57).

Van Maanen und Schein (1979) argumentierten, dass diese Taktiken sowohl die Rol-lenorientierung, welche Newcomer sich letztlich anpassen, als auch die nachfolgen-de Angleichung an die Organisation beeinflussen. Bezug nehmend auf Van Maanen und Schein (1979) und seine eigenen Untersuchungsergebnisse, schlug Jones (1986) vor, dass die sechs Taktiken auf einem einzelnen Kontinuum angeordnet werden (vgl. Bauer et al. 1998, p. 163). So können beispielsweise die Taktiken kol-lektiv, formal, sequentiell, fixiert, seriell und investitiv eine Gestalt bilden, welche er institutionalisierte Sozialisation bezeichnet. Diese liefert Informationen, welche die bei Eintritt vorherrschende Unsicherheit und Angst reduzieren und Newcomer dazu ermutigen, vorgegebene Rollen passiv zu akzeptieren, also den Status quo zu

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duzieren. Im Gegensatz dazu ermutigen die anderen Taktiken den Newcomer, den Status quo in Frage zustellen und ein eigenes Rollenverständnis zu entwickeln. Des-halb hat Jones (1986) das Ende dieses Kontinuums individualisierte Sozialisation bezeichnet (vgl. Saks & Ashforth, 1997, p. 236). Er argumentiert weiter, dass die Taktiken drei verschiedene Schwerpunkte haben: (1) Kontext, (2) Inhalt und (3) sozi-ale Aspekte (vgl. Tabelle 1). Deshalb könnten die sechs Dimensionen, obwohl sie verschiedene Sozialisationsprozesse widerspiegeln, entweder durch den Begriff der Rollenorientierung, welche sie fördern, oder in ihren Schwerpunkt kategorisiert wer-den (vgl. Saks & Ashforth, 1997a, p. 49).

Sozialisationspraktiken

Mehrere Autoren (z.B. Reichers, 1987; Holton, 1995) zählen auch von Unternehmen eingesetzte Praktiken zu diesem zweiten Erklärungsansatz organisationaler Soziali-sation und nennen diesen dann „socialization practices and policies“ (Reichers, 1987, p. 278). Die Bedeutung der Forschung zu Sozialisationspraktiken ist darin begründet, dass „there is evidence that organizations can through various programs, assist newcomer transition” (Hsiung & Hsieh, 2003, p. 579). Allerdings ist die Be-zeichnung Praktik nicht so eindeutig wie es die Autoren suggerieren und sollte des-halb nicht nur vom Taktikterminus abgegrenzt, sondern auch differenzierter bespro-chen werden. Neben dem hier erwähnten und am häufigsten verwendeten Terminus Praktik findet man in der Literatur viele weitere: Activities (Bauer & Green, 1994;

Louis et al., 1983), Programs (Hsiung & Hsieh, 2003), (Specific) Tactics (Anakwe &

Greenhaus, 1999; Moreland & Levine, 2001), Practices (Anderson, Cunningham-Snell & Haigh, 1996; Fullagar, Gallagher, Gordon & Clark, 1995; Holton, 1995; Louis et al., 1983; Reichers, 1987) und Training (Feldman, 1989; Taormina, 1997), deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie die besondere Beziehung zu nachfolgenden Einstellungen bzw. Outcomes der Newcomer untersuchen (vgl. Louis et al., 1983, p. 857). Die zentrale Frage lautet also: Was fördert einen effektiven Unternehmens-eintritt?

Um Begriffskomplikationen zu vermeiden - und da Wissenschaftler trotz unterschied-licher Bezeichnungen und Einteilungen letzten Endes die gleiche Thematik behan-deln - werden in dieser Arbeit Activities, Programs, Specific Tactics, Practices und Training unter dem Oberbegriff Sozialisationspraktiken zusammengefasst. Betrachtet

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man dagegen die diversen Auflistungen bezüglich der von Unternehmen eingesetz-ten Praktiken, stößt man auf größere Unterschiede. Moreland und Levine (2001) bei-spielsweise sind der Meinung, dass "much of this work involves four tactics: orienta-tion sessions, training programs, mentoring, and informaorienta-tion disseminaorienta-tion”

(Moreland & Levine, 2001, p. 71), wohingegen Hsiung und Hsieh (2003) training programs, mentoring programs und socialization tactics zu den von Unternehmen eingesetzten Praktiken zählen (vgl. Hsiung & Hsieh, 2003, p. 579). Abbildung drei zeigt einen Überblick der von Unternehmen am häufigsten eingesetzten und in der Literatur aufgeführten Praktiken. Ein einheitliches Ordnungsschema oder eine Struk-tur findet man in der LiteraStruk-tur leider nicht, da die meisten Wissenschaftler nur dieje-nigen Praktiken aufführen, die für ihre eigene Untersuchung relevant sind. Einzig Louis et al. (1983) haben im Vorfeld ihrer Untersuchung mehrere Experten (Perso-nalreferenten, Offizielle der College-Einstufung und kürzlich Eingestellte) befragt,

„in order to generate a listing of socialization practices that were common to many organizations and represened a range of activities“ (Louis et al., 1983, p. 859). Eine Liste der zehn wichtigsten Praktiken ist das Resultat dieser Befragung, welche gleichzeitig die Untersuchungsgrundlage für die Autoren bildete.

Continuum

Abbildung 3: Einteilung von Sozialisationspraktiken nach Art der Taktik

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Insbesondere die Auflistung (training programs, mentoring programs und socializati-on tactics) von Hsiung und Hsieh (2003) verdeutlicht die Notwendigkeit, die beiden Begriffe Taktiken und Praktiken einerseits voneinander abzugrenzen und anderer-seits in Bezug zueinander zusetzen. Wie von Jones (1986) vorgeschlagen und im letzten Abschnitt beschrieben (vgl. Tabelle 1) können Sozialisationstaktiken auf zwei Arten unterteilt werden. Durch dieses Klassifikationsschema sind sie den Praktiken, die eher auf der operationalisierbaren Ebene anzusiedeln sind, übergeordnet und bieten gleichzeitig die Möglichkeit, sämtliche in der Literatur aufgeführten Praktiken zu kategorisieren. So kann sich beispielsweise die Praktik Mentoring, je nachdem, ob sie eher formal oder informal stattfindet, mehr dem institutionalisierten oder individua-lisierten Pol annähern (vgl. Abbildung 3). Ein weiteres von Moreland und Levine (2001) erwähntes Unterscheidungskriterium der beiden Termini ist, dass „a more di-rect way to study the tactics that organizations use during socialization is to focus on specific tactics15 and examine their effects” (Moreland & Levine, 2001, p. 71). Die Forschung zu Praktiken bietet also in Abgrenzung zu Sozialisationstaktiken zudem die Möglichkeit, durch ihre Nähe zu den Outcomes auch deren Effektivität zu über-prüfen.

Zuletzt bleibt noch die Herausforderung, die von Unternehmen eingesetzten Prakti-ken nach Art (institutionalisiert vs. individualisiert) und/oder Schwerpunkt (Kontext, Inhalt und soziale Aspekte) zu klassifizieren. Dass dieses Vorhaben nicht ganz ein-fach ist, soll folgendes Beispiel verdeutlichen: Anakwe und Greenhaus (1999) zählen ohne jeglichen Zweifel experienced collegues zu den institutionalisierten Taktiken, wohingegen Moreland und Levine (2001) Mentoring mit älteren Arbeitnehmern16 je nachdem, ob es formal oder informal stattfindet, zu den institutionalisierten bzw. indi-vidualisierten Taktiken zählt. Letztendlich hängt es also von der Praktik selbst, von deren Durchführung sowie vom Verständnis des Forschers oder des Unternehmens ab, ob eine Sozialisationspraktik eher institutionalisiert bzw. individualisiert ist (wenn man nach Art der Taktik unterscheidet). Deshalb ist die in Abbildung drei vorgeschla-gene Klassifikation nach Art der Taktik rein subjektiv und erhebt weder den Anspruch der Vollständigkeit noch der Endgültigkeit. Bei der Einteilung wurden aber auch Lite-raturhinweise berücksichtigt wie bspw. der von Louis et al. (1983), wonach „The most

15 Unter specific tactics sind wiederum Praktiken zu verstehen.

16 Entspricht der von Anakwe & Greenhaus (1999) erwähnten Taktik experienced collegues.

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formal and planned socialization aids generally used by organizations are various onsite orientation sessions and offsite residential training sessions” (Louis et al., 1983, p. 865).

Anmerkungen & Kritik

Wanous und Colella (1989) kritisieren, dass „in the 10 years since their paper, Jones (1986) was the only published study to directly test Van Maanen and Schein’s propo-sitions” (Wanous & Colella, 1989, p. 103). Sie fordern deshalb, dass mehr empirische Arbeiten in verschiedenen Berufen und Organisationen durchgeführt werden. Dieser Forderung sind in den 90er Jahren einige Autoren (z.B. Ashforth & Saks, 1995, 1996;

Black & Ashford, 1995) nachgekommen, indem sie das Modell von Van Maanen und Schein (1979) empirisch untersuchten. Ihre Resultate unterstützen im Allgemeinen die grundlegenden Thesen von Van Maanen und Schein (1979). Trotzdem hat auch dieser Erklärungsansatz einige Schwächen, welche von einigen Autoren aufgedeckt und diskutiert wurden. Morrison (1993a) beispielsweise zählt Sozialisationstaktiken zu den drei traditionellen Ansätzen, welche durchaus einen Beitrag zum Sozialisati-onsverständnis beitragen, aber ihrer Meinung nach aus drei Gesichtspunkten be-schränkt sind:

1. Sie neigen dazu, Newcomer als Passive, oder bestenfalls als Reaktive im Sozialisationsprozess zu bezeichnen.

2. Die Sozialisationsforschung hat größtenteils nicht ausdrücklich die Rolle der Information erkannt.

3. Und nur wenige Studien haben sich Sozialisation angeschaut, wie sie sich über die Zeit entfaltet (vgl. Morrison, 1993a, S. 557).

Etwas präziser wird Morrisons (1993) Kritik in einer weiteren Arbeit, in der sie die Beschränktheit dieses Ansatzes folgendermaßen begründet: “It portrays newcomers as merely reactive participants in socialization and implies that there is little variance within a given context. This is seen in Van Maanen and Schein’s (1979) usage of the term ’people processing’ (p. 216)” (Morrison, 1993, p. 173). Diese Kritik wird ver-ständlich, wenn man berücksichtigt, dass Morrison (1993, 1993a) organisationale Sozialisation erst viel später und ganz anders definiert als beispielsweise Van Maanen und Schein (1979) oder Jones (1986). Zwei Autoren, die sich mit

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tionstaktiken detailliert auseinandergesetzt haben, sind Saks und Ashforth (1997, 1997a). Ihre Kritik bezieht sich auf die Feststellung, dass “one of the limitations of research on socialization tactics is the failure to investigate the processes that might explain the relationship between socialization tactics and outcomes” (Saks &

Ashforth, 1997a, p. 49). Diese Beziehung ist aber enorm wichtig, da Outcomes Erfolg oder Misserfolg der Sozialisation aufzeigen. Auf den gleichen Sachverhalt zielt auch die von Chao et al. (1994a) formulierte Kritik: „Research that has examined different strategies for socialization (Jones, 1986) has lacked direct criteria for measuring the extent to which an individual is socialized“ (Chao et al., 1994a, p. 730).

Und auch Drescher (1993), der dieses Ordnungsschema für Sozialisationstaktiken zunächst als sehr umfassend bewertet, denn „es sind kaum irgendwelche Taktiken denkbar, die nicht in ihm untergebracht werden können“ (Drescher, 1993, S. 44), führt anschließend eine ausführliche Beurteilung an. Hauptkritikpunkt ist die fehlende theoretische Fundierung der Klassifikation, ohne die sinnvolle Erklärungen über organisations- und personenbezogene Variablen nicht erzielt werden können. Zudem hat das Klassifikationssystem keinerlei praktische Relevanz, bietet also keine Hand-lungsanleitung (vgl. Drescher, 1993, S. 50).