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3 Erklärungsansätze organisationaler Sozialisation

3.5 Fazit zu den Erklärungsansätzen

Dieses Kapitel verdeutlicht, dass mit Ausnahme des zuletzt besprochenen Erklä-rungsansatzes zu Sozialisationslernen und -inhalten alle anderen unterschiedlich stark ausgeprägte Defizite haben. Die Herausforderung besteht nach dieser theoreti-schen Abhandlung nun darin, den für die eigene Fragestellung am besten geeigne-ten Erklärungsansatz herauszuarbeigeeigne-ten, um zu gewährleisgeeigne-ten, dass Untersuchungs-hypothesen aus diesem abgeleitet und mögliche Effekte anschließend erklärt werden können.

Der Stufenmodellansatz ist aufgrund der starken Kritik (vgl. Kapitel 3.1.2) seit mehre-ren Jahmehre-ren überholt, spielt in der gegenwärtigen Literatur kaum noch eine Rolle und entspricht auch nicht dem in dieser Arbeit zugrunde liegendem Sozialisationsver-ständnis. Aus diesen Gründen wird der Stufenmodellansatz im weiteren Verlauf der Arbeit nicht weiter berücksichtigt. Auch der Erklärungsansatz zu kognitiven Prozes-sen wird, obwohl in der gegenwärtigen Forschung nach wie vor relevant (insbeson-dere der Forschungsbereich Newcomer Information Seeking and Acquisition), nicht weiter verfolgt, da er zur zentralen Fragestellung dieser Arbeit nicht passt und somit weder in der Lage wäre zum Sozialisationsverständnis beizutragen noch mögliche Effekte erklären könnte.

Anders verhält es sich mit dem Ansatz zu Sozialisationstaktiken und -praktiken, der in dieser Arbeit bei der Entschlüsselung des Sozialisationsgeschehens eine zentrale Rolle spielt. Schließlich zählen sportliche Aktivitätsprogramme zu den formellen, sozialen Praktiken, welche Unternehmen einsetzen, um den Sozialisationsprozess zu beeinflussen. Die profunde Kritik (vgl. Kapitel 3.2.1) zu diesem Erklärungsansatz ist bestimmt angemessen und berechtigt, wenn man ihn isoliert und nicht in Kombi-nation mit anderen Ansätzen betrachtet. Beispielsweise lässt die fehlende Relation zu organisationalen Outcomes eine Effektivitätsüberprüfung kaum zu, und auch die Sicht, Newcomer als passiv oder reaktiv im Sozialisationsprozess darzustellen, ist nicht mehr zeitgemäß. Allerdings ist es durchaus möglich, diesen Ansatz mit anderen zu kombinieren und dadurch den Kritikern größtenteils die Grundlage zu entziehen.

Obwohl in dieser Arbeit nicht vorgesehen, wäre es denkbar, ein passives Sozialisati-onsverständnis mit einem aktiven zu kombinieren. Denn beide Sichtweisen schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich und könnten in der Kombination sogar zu

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einem umfassenderen Verständnis beitragen. Man kann also durchaus Newcomer als Aktive im Sozialisationsprozess definieren und ihre eingesetzten Taktiken analy-sieren, aber gleichzeitig auch untersuchen, welche Praktiken Unternehmen zusätz-lich einsetzen können, um den Sozialisationsprozess effektiver zu gestalten. Beide Arten, selbstständiges Lernen bzw. aktive Informationsgewinnung als auch das von Unternehmen geförderte Lernen oder deren Informationsvermittlung können also parallel stattfinden. Der Kritik bezüglich einer fehlenden Relation zu Outcomes des Sozialisationsprozesses lässt sich nur begegnen, wenn man den vierten Erklärungs-ansatz, Sozialisationslernen und -inhalten, mit seinem zentralen Lernverständnis und seinen Inhalten hinzunimmt, um organisationale Sozialisation zu erklären. Dass die-se Vorgehensweidie-se legitim ist, zeigen nicht nur neuere Studien (z.B. Anakwe &

Greenhaus, 1999; Kammeyer-Mueller & Wanberg, 2003; Klein & Weaver, 2000), die genau diesen Ansatz wählen, sondern auch die Forderungen zahlreichen Wissen-schaftler, bestehende Defizite im Sozialisationsverständnis durch solche Kombinati-on aufzuarbeiten. HoltKombinati-on (1996) beispielsweise identifiziert zwei Denkrichtungen, die unterschiedliche Dimensionen der Newcomer-Entwicklung untersucht haben. Auf der einen Seite Sozialisationsforscher, die sich traditionell auf den Prozess konzentrie-ren, den Newcomer durchlaufen um Normen, Werte etc. zu lernen. Auf der anderen Seite die Trainingsforscher, die in erster Linie Prozesse und Interventionen fokussie-ren, welche notwendig sind, um Fertigkeiten und Aufgabenkompetenz aufzubauen.

Diese beiden Forschungsbereiche haben nach Ansicht von Holton (1996) „largely ignored the other, each taking the other as a fixed effect that happens outside its own realm of interest” (Holton, 1996, p. 234), obwohl neueste Forschung feststellt, dass diese Fragmentierung ungeeignet ist, “because both socialization and training are critical to development of new employees” (Holton, 1996, p. 234). Saks und Ashforth (1997) wiederum fordern, dass weitere Forschung auch für Sozialisationsstrategien, -prozesse und -interventionen benötigt wird, um zu bestimmen, welche Sozialisati-onspraktiken am effektivsten für das Lernen von Newcomern im Allgemeinen und für das Lernen spezifischer Inhaltsdomänen sind. Beispielsweise wird Training am wahr-scheinlichsten im Lernen von performance proficiency resultieren, während Mento-ring vermutlich das Lernen über politics, organizational goals and values und history fördert (Ostroff & Kozlowski, 1992). Forschung, welche das Lernen von Sozialisati-onsinhalten mit Sozialisationsprozessen und Outcomes verbindet, wäre ebenfalls wünschenswert (vgl. Saks & Ashforth, 1997, p. 265). Und auch Anakwe und

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haus (1999) sind der Meinung, dass Sozialisationsinhalte bislang weniger berück-sichtigt wurden, genauso wie ihre Anwendung bei der Erfolgsevaluation des Soziali-sationsprozesses. Dadurch blieben folgende Forschungsfragen größtenteils unbe-antwortet: (1) Welche Information wird während organisationaler Sozialisation (Sozia-lisationsinhalt) übermittelt?, (2) Wie wird die Information übermittelt (Sozialisations-taktiken)?, (3) Wie evaluiert man, ob die Information erfolgreich von den Newcomern angeeignet und/oder erfolgreich von der Organisation übermittelt (Sozialisationsef-fektivität) wurde? und (4) Wie ist die Beziehung zwischen effektiver Sozialisation so-wie Verhaltens- und Einstellungs-Outcomes (vgl. Anakwe & Greenhaus, 1999, p. 315)? Zuletzt empfehlen auf der Grundlage eigener Resultate Riordan, Weatherly, Vandenberg und Self (2001), dass "future research needs to examine the socializa-tion process as a cumulative process in which both pre-entry experiences and socialization tactics are designed to influence outcomes“ (Riordan et al., 2001, p. 173).

Trotz der Legitimation und Aufforderung, die beiden Ansätze Sozialisationstaktiken und -praktiken sowie Sozialisationslernen und -inhalte miteinander zu kombinieren und dabei gleichzeitig auch frühere Erfahrungen der Newcomer zu berücksichtigen, bleiben zunächst viele Fragen offen. Diese sollen im nächsten Kapitel durch eine ausführliche Literaturrecherche zum gegenwärtigen Forschungsstand beantwortet werden.

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