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IM SPIEGEL SEINER IDEOLOGIEN

Im Dokument Der Rif-Krieg 1921 - 1926 (Seite 129-151)

Nahezualle Autoren haben Ibn 'Abd al -Karim stets unter ideologischen Ge¬

sichtspunktenbetrachtet , sei es als Anfuhrer des Rif-Krieges, als Staatschef oder alsErneuererder Gesellschaftdes Rif. Dabei habenihn einigealsSala -fiten, andere alsModernistenoder gar als Nationalistenbezeichnet .

Die Salafiyya, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts von Muhammad 'Abduh, Gamal ad -Din al - 'Afgäniund Rasid Ridä entwickelt

wurde , berief sich auf den ursprünglichen rationalen Islam der frühesten rechtschaffenen Vorfahren( as - sa /af as -säliti). Die Doktrin bestand im we¬

sentlichen in der Synthese von Islam und modernen technischen Errungen¬

schaften, mit denen die Muslime im Zuge des europäischen Imperialismus konfrontiert wurden.433In Marokko verbreiteten sich die Lehren der Sala¬

fiyya Anfangdes 20. Jahrhunderts ,als die kolonialistische Bedrohung durch die Errichtungdes Protektoratsihren Höhepunkterreichte .Die Reformbewe¬

gung war auch dort eine Gegenreaktion auf die wirtschaftliche und militä¬

rische Überlegenheitder Europäer, dieletztlichihre Abhängigkeitbesiegelte . Die Beeinflussung Ibn 'Abd al -Karims durch die Salafiyya sehen die meisten Autorenbestätigt;der Nationalistal -Fäsi berichtet, daß Ibn'Abd al -Karim sich mit den reformistischen Lehren aus Ägypten befaßte und seine Reformennach deren Vorbild auszuführenversuchte :

The Amir did all he could to reform the attitudes and beliefs of his countrymen by encouragingthe Salafiyah reform movement( . . .) [he ] in -sisted that he[Lahya,der Justizminister]and the other religious leaders be well versed in the writings of Sheikh RashidRidä and other religious reformers in the East " 434

Ibn 'Abd al -Karim war demnach von den reformistischen Tendenzen der Salafiyyaderart lief beeindruckt ,daß man von einem entscheidenden Einfluß dieser Bewegung auf seine Reformierungsversuche im Rif sprechen kann . 433 Vglz .B .Abun-Nasr,JamilM . :MilitantIslam: a Historical Perspective. In :Islamic

Dilemmas, a .a .O . , S . 74 ; Irabi ,Abdulkader:Arabische Soziologie.Darmstadt 1989 ,

S . 67 - 74.

434 al - Fäsi , Independence Movements, a .a .O ., S .102f. ;einen wesentlichen salafitischen

Einfluß schreiben ihm fernerzu : Hart ,Aith Waryaghar, a .a .O ., S .371 f.;Penneil ,

Counrry , a .a .O ., S . 238 ;Shinar , Abd al-Qädir and'Abd al-Krim, a .a . O ., S . 169.

Aber auch die konservative Wahhäbiyya , die in Marokko von den Sultanen vertreten wurde, hat ihm nach eigenen Angaben imponiert : Et les Wahabites ont bien raison de rejeter le culte des

saints " ;435dies zeigt die Parallelen zwischen der wahhäbitischenDoktrin, die dem Volksglauben den Kampf angesagt hat , und seinem eigenen Vorgehengegen die turuq auf.

Ibn 'Abd al -Karims Rezeptiondes islamisch -reformistischen Gedankengutsgeht hauptsächlich auf seine StudienzeitinFeszurück, wo dieIntel¬

lektuellenund die Gelehrtender Qarawiyyin schnellmit neuen Bewegungen vertrautwurden. Aber auch während seiner Karrierein Melilla hatte er un¬

eingeschränkten Zugang zu Schriften jeglicher Art aus dem Orient.436Ibn

'Abd al -Karim hat sich folglich nicht nur mit den modernen islamischen Ideologienseiner Zeit identifiziert ,er hat sie in der Tat in bedeutendem Um¬

fangrealisiert . Eineweitere,allerdings säkularistischeBewegung ,die ermit Begeisterung wahrgenommenhat , war dieder Kemalisten . Ibn'Abd al -Ka¬

rim äußerte nach dem Rif-Krieg in dem Manär -Interview von 1927 seine Sympathie für die türkische Bewegung : The policy of Turkey pleased me greatly because 1knew that the Islamic countries could not be independent unless they freed themselves from religious fanaticism and emulated the peopleof Europe" .437

Diese Aussage enthält einige interessanteAspekte , die seine Denkweise veranschaulichen .Erstensspielt er auf die Realisierungeines Nationalstaates durch die Kemalistenan , was ihm im Rif versagtblieb ,zweitens auf deren Ausschluß wesentlicher religiöser Institutionen(wiez .B . der sar/'a-Gerichte , der Medresen , des Mufti -Amtes sowie des Kalifats) und drittens auf die Orientierungan Europa.Im Grundedeckt sich lediglichder letzte Aspekt mit den orientalischen Reformbewegungen, deren Verfechter Ibn'Abd al -Karim

war . Die ersten beiden Punkte befürworten eindeutig den Säkularismus und denLaizismus , die den islamischen Lehren widersprechen .Tatsächlich hat Ibn 'Abd al -Karimschon währendseiner journalistischen Tätigkeitin Melil

-435 Roger-Mathieu ,Memoires, a .a .O ., S . 153 ; vgl .Shinar , 'Abd al-Qädir and'Abd al-Kiim, a .a .O ., S . 173.

436 Vgl .Ayache ,Origines , a .a .O ., S . 183 ;Hart,Aith Waryaghar, a .a .O . , S . 372 . 437 Manär -Interview in ;Pennell ,Country , a .a .O . , S . 258.

laseine Befürwortungder Trennungvon religiösenund politischen Belangen durchblickenlassen: „Jadis ,lesrelations entreles hommesetaient reglees par lefanatismereligieux ,cependantqu'aujourd 'hui ,lapolitique est une chose ,

lareligion en est uneautre " . 38

Ibn 'Abd al -Karim instrumentalisiertedie Religion,um die Bevölkerung zum Widerstand gegen die Christen zu mobilisieren . Dies rückt ihn in ein weiteres Licht seiner zahlreichen Ideologien undArgumentationen ,nämlich inden Blickpunktdes gihäd. Wie bereits festgestelltwurde, bestätigten ihn die Stammesautoritäten 1921 und 1923 in Form der bay 'a als Anführer der Glaubenskämpfer , und die Bevölkerung hat den Krieg entsprechend als religiösen Befreiungskampf gegen die Christen verstanden .439Ibn 'Abd al -Karim nahm den Treueidan , indem erbestätigte : There is no doubt that jihad is a duty for us , to attack the enemy which has come on us in our

land" .440 In den Anfängendes Kriegesließ er im spanisch besetzten Tetouan

Propaganda für den gihäd verbreiten441 und des weiteren hat er in einem Appell an alle Marokkaner 1925 den Krieg als Verteidigung des Islams dagestellt : Nous agissons ainsi par devoir religieux et en consideration de notre fraternite dans l 'islam ". Gegenüber Ausländern hat er indes stets betont, daß er keinen gihäd führe und begründete ,daß man schließlich weder im Mittelalter nochin der Zeitder Kreuzzügelebe.443 Hingegen warfer den Spaniernvor , einen Glaubenskriegzu führen: „Pourquoil 'Espagneest-elle si mechante,si cruelle,si barbare, si fanatique ? Pourqouin 'obeit -ellequ 'äses pretres,pourquoiveut-elle encore des guerresde religion" .444

Wie lassen sich nun die Befürwortungdes gihädund dieAttackenauf den religiösen Fanatismus plausibelvereinbaren ? Ibn 'Abd al -Karim wollte nicht mit den religiösenAutoritäten ,wie denOrdensflihrern , dieer des religiösen Fanatismusbezichtigte , verglichenwerden;das hätte seine Glaubwürdigkeit

438 Ayache ,Origines , a .a .O ., S . 185.

439 Vgl . al - Bü 'ayyäsi, Harbar -Rif, a .a .O . , Bd . II , S .360 f. ;Tahtah ,Pragmatisme,

a .a .O . , S . 118.

440 Penneil ,Country, a .a .O . , S . 124.

441 Vgl . ders . ,Country , a .a .O . ,Appendix 2 , S . 242 - 245 .

442 Tahtah ,Pragmatisme, a .a .O .,Dokument 507 / 250 -52(nur in französischer Über¬

setzungerhalten ) , S . 173.

443 Vgl .Pennell , C . R . :Ideology and PracticalPolitics : A CaseStudy ofthe Rif War in

Morocco , 1921 -1926. In :International Journalof Middle Eastern Studies 14 ( 1982 ),

S . 30 ;Tahtah ,Pragmatisme, a .a .O ., S . 119. 444 Roger-Mathieu ,Memoires, a .a .O ., S . 85.

geschmälert . Er gestand später aberein, daß er sich oft gezwungensah , die religiöse Sensibilität der Menschen zu instrumentalisieren , um sie für den Widerstand zumobilisieren ,445denn nur so hat er sie für ein gemeinsames Ziel begeistern können. Diese Argumentation hat offenkundig ihre Wirkung gehabt: „This tacticof mine doubledthe braveryof thefighters ,andincrea -sed their devotiontomyselfand mycause " .446In einem weiterenInterview , das er 1951 inKairo gegebenhat , stellter seinen Krieg zum einenalsgilmd

dar , zum anderen implizierter,daßer einen nationalen Befreiungskampf als Angehörigerdes marokkanischen Vaterlandes gefochtenhat ; er habe nur die Verbesserungder Zuständeund die Schaffungvon Friedenund Ordnung ge¬

wollt ,und zwarals Muslimund als Marokkaner .447 Diese Aussagewirft nun wiederum den Aspekt des Nationalismus auf. Während des Krieges hat Ibn

'Abd al -Karim sich oft der Idee einer Nationbedient , um vor allem gegen¬

über Ausländern die Unabhängigkeit des Rifzu rechtfertigen .Inder bereits zitierten Deklaration derUnabhängigkeit ,die er Anfang 1923 andie Natio¬

nen richtete,hob er die ethnischenund sprachlichen Unterschiededer Rifis 448 zu denMarokkanern(und allen anderen Afrikanern ) hervor:

Geographically our country forms part of Africa yet is very distinctly separated from the hinterland and therefore has formed ethnologically a race apart from all other races of Africa ( . . .) likewise our language is distinctly different from all other languages,be it Moroccan,African , or otherwise. We Rifians are no more Moroccans than the English would consider themselves Dutch " .449

Ibn 'Abd al -Karim hat also nicht nur eine Republikgegründet , er hat auch versucht , mit Hilfe von charakteristischenAspekten , die ein nationales Be¬

wußtsein begründen ,nämlich der ethnischen und sprachlichen Gemeinsam¬

keiten, eine Nation zuformieren . Daß er sich auch bemühthatte ,den Men¬

schen im Rif eine nationale Identität zu vermitteln , zeigt die Art eines Auf¬

rufs zumWiderstand , denal - 'ayyäsizitiert ;er beginntmit dem Appell an die mugähidün, die Söhnedes Rif, die Imaz/gen .450 Esist ihm allerdingsan -445 Manar -Interviewin :Penneil ,Country , a .a .O ., S . 258.

446 Ebd .

447 Vgl. Madhai 'Ilä qalb al-Hattäbi. In : al -Hayät vom3 .September 1998 , S . 8. 448 Hier bezoger die Gibälis offensichtlich mit ein ,denner beanspruchte die Unab¬

hängigkeitdes gesamten Rif. 449 Furneaux ,AbdelKrim, a .a .O . , S . 83.

450 Vgl . al - Bü 'ayyäsi ,Harbar -Rif, a .a .O ., Bd . II , S . 360 .

gesichts der nach wie vor hohen Bedeutung des tribalen Bewußtseins der Menschen nur bedingt gelungen , sie nachhaltig von einem berberischen Zusammengehörigkeitsgefühlzu überzeugen .451

Auch in Zusammenhang mit der Idee einer Nation nimmt Ibn 'Abd al -Karim eine opportunistische Haltung ein . Während seiner Dienstzeit in Melilla hatteer sich unmißverständlichfür eine nationale Einheit ausgespro¬

chen undschriebin der TelegramadelRißEtsi dans ce Maroc,les hommes sont biensür musulmans , de par l 'histoireils sont surtoutdes Marocains " .452 Später gegen Anfangdes Krieges appellierteer an das Volkals Teil Marok¬

kos: „Is not our countryof Moroccoa Single country? Whereis your care for your religion and your country? "453 Das war 1921 unmittelbar nach den triumphalen Siegen über die Spanier. Ibn 'Abd al -Karim gab sich damals offensichtlich noch von einer Einheit des Rif mit Marokko überzeugt , ob¬

gleich die Idee eines unabhängigenRif ja bereits existierte .Offenbar fehlte ihm nochdie breite Basisfür eine politischeund territorialeUnabhängigkeit ; es bestand wohl noch kein Anlaß, der marokkanischen Identität offen den Rücken zu kehren und vermutlich hoffte er immer noch auf Unterstützung von den Marokkanernaus der französischenZone .Nach dem Ende des Krie¬

ges erläuterteer seine nunmehr weiterentwickelten politschenAbsichten :

From the first Itried to make my people understand that they could not survive unless they were as closely joined together as are the bricks of a building, and unless they worked with sincerity and loyalty to form a national unity from tribes with different inclinations and aspirations" .454 Hier wird wiedersein Dilemmadeutlich ,die Stämme überzeugendzu verei¬

nen . Er musste ihnen unterschiedliche Neigungen und Bestrebungen zuge¬

stehen, versuchte aber , sie zu einer nationalen Einheit zu bewegen . Das Unternehmen schien bereits in seiner theoretischen Konzeption zum Schei¬

ternverurteilt .Durch das Zugeständnis an die Stämme ,ihre tribalen Unter¬

schiede zu bewahren ,wurde dasZiel ,sie von einer politischenoder garnatio¬

nalen Einheit zu überzeugen , zunichte gemacht . Daß seine Versuche , der Bevölkerung Sinnund Zweck des Widerstandes einleuchtendzu vermitteln ,

451 Erst später wurde er zur ideologischen Leit -und Identifikationsfigur der Wieder¬

besinnung auf die ethnische Zusammengehörigkeit der maghrebinischen Berber. 452 Ayache ,Origines , a .a .O ., S . 187.

453 Penneil ,Country , a .a .O .,Appendix 2 , S . 243 . 454 Manär -Interview in :Pennell ,Country , a .a .O . , S . 257 .

erfolglos geblieben sind, zeigt die Kluft zwischen ihm (und auch seinen Gefolgsleuten ) und der Mehrheitdes Volkes:

, , ( . . .) [ E ]ven my most faithful supporters, and those of the greatest know

-ledge and intelligence believed that after the victory had been won Iwould allow each tribeto return to complete freedom despite their realisation that this would return the country to the worst conditions of anarchy and barbarism" 455

Diese Aussage deutet augenfällig darauf hin , daß die für den Krieg ent¬

standene Einheit im Bewußtsein der Menschen einen temporären Charakter

hatte .Sie waren darauffixiert, den Feinddes Landeszu verweisen , und folg¬

lich hat sich eine Vereinigung aller Kräfte auch als sinnvollerwiesen . Eine solche entschlossene Vereinigung konnte in der durch mangelnde Bildung gekennzeichneten tribalen Gesellschaft nur unter der Prämisse bzw . dem Deckmanteldesgihäd begünstigtwerden.Ibn 'Abd al -Karim hatte trotz aller

455 Ebd.

widersprüchlichen Aussagen ein Ziel vorAugen, nämlich eine Gesellschaft zu formen, die eine Synthese zwischen Religionund politischerEinheit bzw . Nationherstellt : „I wantedmypeopleto knowthat they had a nation(watan ) as well as a religion(din ) " .456 Diese Ansicht brachteer lange vor dem Rif-Krieg zumAusdruck ; er hielt die Religion fürsinnlos,wenn sie der Unab¬

hängigkeit entzogenwürde: „Que Dieul 'aneantissecette religionsi nous ne savons pas lui assurer l 'independance pour base " .437Während sich der Widerstandformierte ,gab Iba 'Abd al -Karim seinen Gefolgsleutendie Prin¬

zipien einer Einheit mit auf den Weg :Erstens die Verwerfung der Vergan¬

genheit, zweitensdie Bewahrungdes Glaubensund drittensdie Organisation desLandes. Die Verteidigungdes Landesund der Religionseien untrennbar miteinanderverbunden .458 Diese Überzeugungist nahezu dieeinzige, die er konsequent vertretenhat ,vor und auch Jahrzehntenach dem Rif-Krieg .459

Ibn'Abd al -Karim sah sich infolge seiner politischen Manifestationen und ihrer teilweisen Realisierung mit dem Vorwurf der Sezessionsabsichten ge¬

genüber dem Sultanatkonfrontiert .Seine Reaktionenauf diese Vorwürfe er¬

scheinen zwar widersprüchlich , sind jedoch im wesentlichen pragmatisch bedingt . Während des Krieges appellierte er mehrfach vergeblich an den Sultan und erbat seine Unterstützung . Er bekundete ihmdie Treue und for¬

derte ihn auf,gemeinsam gegen Spanienund Frankreichvorzugehen .460 Der Nationalistal -Fäsiversichert ,daß Ibn'Abd al -Karimsich niemalsvon dem Sultan abgekehrthat: „ ( . . .) [ H ]is only aim was the liberation of his country

and ( . . .) he had never contemplated disloyalty to the Magrib dynasty" .461

Gegenüber einem marokkanischen Journalisten hat Ibn 'Abd al -Karim das¬

selbe bekräftigt und betont, er hätte stetsversucht, dem Sultan seine Ambi¬

tionen zu erklären, nämlich,daß er fürMarokkodengihädanführe.462 Währenddessen äußerte er gegenüber Ausländern seine Weigerung , den Sultan als Oberhaupt über denRif anzuerkennen .Er verlangtedie Anerken¬

nungder Rif-Republik ,deren Grenzen eindeutig zwischendem Rifund dem Rest Marokkos festgelegt werden sollten und die unabhängig von Spanien,

456 Ebd .

457 Ayachc ,Origines , a .a .O ., S . 186. 458 Vgl .Tahtah ,Pragmatisme, a .a .O ., S . 118.

459 Vgl .Madhai 'ilä qalb al-ffattäbi, a .a .O . ; vgl .auchaz -Zaman42 ,November 1995 . 460 Vgl .Pennell .Country , a .a .O ., S . 243 ;Tahtah ,Pragmatisme, a .a .O ., S . 174. 461 al - Fäsi, Independence Movements, a .a .O ., S . 103.

462 Vgl .Madhai 'ilä qalb al-Hattäbi, a .a .O.

Frankreichund dem Sultan bestehen sollte .Der Sultanwar inseinen Augen nichtsals eine Marionetteder Franzosen . 63Es liegt nahe, daß er sich gegen¬

überMarokkanern , die vermutlich das Sultanat gefährdetsahen , als Freund der Monarchiepräsentierte , hingegen in Gegenwart von Ausländern für die internationale Anerkennung seiner Republik warbund diese von seiner Ent¬

schlossenheilund Souveränitätzuüberzeugensuchte.Der Vorwurfdes Sepa¬

ratismus scheint demnach gerechtfertigtzusein ;allerdingsstellt es sich umso schwierigerdar , die Behauptung zu begründen , er sei ein Usurpator gewe¬

sen .464 EinigeAusländer ,die mit ihm in Kontakttraten ,hattenden Eindruck , er wolle den Sultan absetzen und sich selbst zum Sultan Marokkos ma¬

chen.465 Penneil deutet den Appell Ibn 'Abd al -Karims an die Gelehrten vonFes , sich ihm anzuschließen und den Widerstand gegen die Feinde zu organisieren ,alsVersuch ,die alawitsche Dynastie abzulösen . Ibn 'Abd al -Karim äußerte sich in der Tat feindselig über die seiner Meinung nach ge¬

scheiterten Sultane. In dem Aufruf soll er ihnen jegliche Legitimation ab¬

gesprochen und sich als einzig geeignete , in Übereinstimmung mit dem göttlichen Gesetz handelnde Führungsperson dargestellt haben .466Die Tat¬

sache , daß das Dokument nurinfranzösischer Übersetzung vorliegtund von den französischen AutoritätenalsPropaganda gegen Ibn 'Abd al -Karim ein¬

gesetzt wurde,467macht seinen Gehalt allerdings zumindest verdächtig .Ibn

'Abd al -Karim war sich wohl seiner Grenzen bewußt, dass er nicht auch noch das Sultanat beanspruchenund insbesonderedas militärisch überlegene Frankreich als dessen Protektor herausfordern sollte . Er hat während des Krieges und auch nach dem Kriegbetont, daßihm der Angriffauf die fran¬

zösische Zone im Süden angesichts der Aussichtslosigkeit schwer gefallen

sei.Es muß ihm folglich vielmehr darum gegangensein ,einzig den Rif als unabhängigen Staatzu erhalten, auch unbhängig vomSultan .Darauf deuten viele seiner Äußerungen und nicht zuletzt der Aufwand hin , neben der Kriegsführung den Rif zureformieren . Er wollte einen stabilen Staat schaf¬

fen .Nochin den letzten Verhandlungenmit den beiden Kolonialmächten hat er versucht, das Staatsgebildezu retten, indemer die spirituelle Autorität des

463 Vgl .Furneaux,AbdelKrim, a .a .O . , S . 106 ;Woolman,Rebeis , a .a .O ., S . 158. 464 Vgl .Furneaux,AbdelKrim, a .a .O ., S . 160 ;Pennell ,Country , a .a .O . , S .189 f.und

S . 235 .

465 Vgl .Furneaux,AbdelKrim, a .a .O ., S . 160. 466 Penneil ,Country , a .a .O ., S .189f.undS . 235 . 467 Ebd .

Sultans anzuerkennen bereit war und für das Staatsoberhaupt der Republik den Titel 'amir beibehaltenwollte.468

Ibn 'Abd al -Karimwar sicherlichin jeder Hinsichtvon der Praktikabilität seiner Ziele geprägt. Man kann ihn folglich nicht ausschließlich auf diverse Ideologien festlegen, nur weil die Strukturen ,die er geschaffenhat ,mit der einenoder anderen Ideologieübereinstimmten .Vielmehrnoch war sein Han¬

deln von den verschiedenen Situationen und Herausforderungen bestimmt , weshalb sein immer wieder durchdringender Opportunismus logisch er¬

scheint.Konsequenterweise bildetendie ideologischen Anschauungendie In¬

strumente , mit denen er den Krieg und die strukturelle Reformierung der GesellschaftaufintellektuellerEbene rechtfertigenkonnte.

Da der Rif-Kriegder nationalistischen UnabhängigkeitsbewegunginMa¬

rokkovorausging , stellt sich die Frage,ob und inwiefernein Zusammenhang zwischen beiden Erscheinungenbesteht.Es hat keine unmittelbare Koopera¬

tion auf politischer odergar militärischer Ebene zwischenden Marokkanern in den beiden Protektoratengegeben, dapolitische Kontakte zwischen ihnen von den Spaniern und den Franzosen möglichst vereitelt wurden . Nichts¬

destotrotzistPropagandafür den Rif-Kriegin diefranzösischeZone gedrun

-gen .469

'Abdullah al - 'Arwi sieht im Rif-Krieg lediglich eine ländliche Erschei¬

nung der Rebellion gegen die Spanier, die im Rif seit 1860 (Besetzung Tetouans ) eine Traditionhabe .Hingegensei die Urbanepolitische Bewegung nach 1926 Teil des gesamten maghrebinischen und orientalischen Wider¬

standesgegen den Imperialismus .470 Zunächstkann keine Redevon einer tra¬

ditionellen Rebellion gegen die Spaniersein , denn die hatten den Rif nicht seit 1860 besetztgehalten . Schließlich wähltal - 'Arwi meines Erachtens ein unzutreffendes Unterscheidungskriterium, indem er nach ruralem undurba -nem Widerstanddifferenziert .Ausschlaggebendist doch , daß es sich bei bei¬

den Erscheinungen um Widerstandsbewegungen gegen den Kolonialismus gehandelthat.Vielmehr könnte zwischen dem Rif-Krieg und der Unabhän¬

gigkeitsbewegung (lstiqläl) lediglich nach dem Kriterium der nationalisti¬

schen Intention unterschiedenwerden.Die/sft'gM-Bewegunghat den Wider¬

stand bewußt als nationalistischen artikuliert , während Ibn 'Abd al -Karim

468 Vgl. al - Bü 'ayyäsi, Harbar -Rif, a .a .O ., S . 443 ;Furneaux ,Abdel Krim, a .a .O ., S . 216. 469 Vgl . al - Fäsi ,Independence Movements, a .a .O ., S . 106.

470 Vgl . al - 'Arwi, 'Abdullah: 'Abd al-Karim wa -l-haraka1-wataniyya l-magribiyya

470 Vgl . al - 'Arwi, 'Abdullah: 'Abd al-Karim wa -l-haraka1-wataniyya l-magribiyya

Im Dokument Der Rif-Krieg 1921 - 1926 (Seite 129-151)