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II . DIE RIF - REPUBLIK

Im Dokument Der Rif-Krieg 1921 - 1926 (Seite 74-82)

1. Die Staatsgründung

Die Überwindung der traditionellen ////""-Strukturen zugunsten der Durchset¬

zung eines transtribalen Bündnisses im zentralen Rif durch die Hattäbis waren Ausdruck einer bisher unbekannten Einheit, die mit dem Sieg von

'Anwälihren Anfangnahm und durch dieProklamation Ibn 'Abd al -Karims zum Anführerdes Widerstandes bestätigtwurde.Ibn 'Abd al -Karim verstand

es , diese bis dato auf die wenigen Nachbarstämme der Ait Waryigel be¬

schränkte Einheitzu konsolidieren undin den folgenden Jahren nahezu auf den gesamtenRif auszudehnen .Wie ist ihm angesichtsder Zersplitterung der tribalen Gesellschaft eine solche Konsolidierunggelungen ? Zunächst waren die überraschenden Siege im Sommer 1921 entscheidend genug, um den Rifis ein gemeinsames Ziel vor Augen zu halten ,nämlich die Spanier aus ihrer Heimat zuvertreiben ; ein Ziel ,dessen Realisierung zudem - durch die Siege gefördert - innaher Zukunft realisierbarerschien .Schließlich spielten praktische Gründeeine nicht minder wichtigeRolle bei der Umsetzung einer politischen Einheit . Durch die enorme Kriegsbeute , die die Rifis nach den Gefechtenvon Dhar Ubarran und'Anwäl gemachthatten , warensie imstan¬

de ,ihre Armeesehr gut auszustatten .204 Die Lösegelderfürspanische Kriegs¬

gefangene - vier Millionen Pesetenfür die Gefangenen von 'Anwälbilde¬

ten nach Ansicht einiger Autorenein entscheidendes Startkapitalfür die Bil¬

dung einesStaates, während Ayachedies bezweifelt , , , [ C ]ar s 'etait bien sans ces millions quel 'Etat rifain etait ne etqu'il avait( . . .) apprisä ne compter que sur lui -meme pour se consolider et soutenir la guerre qu'une nation europeenne venaitlui imposer" .205Tatsächlich bildetedas Lösegeldnach Ibn

'Abd al -Karims eigenen Angaben nur einen geringen Teil des eigentlichen Budgetsdes Rif.206

204 Vgl .Ayache ,Guerre , a .a .O . , S . 220 ; Hart ,Aith Waryaghar, a .a .O ., S . 387 ;Roger

-Mathieu ,Memoires, a .a .O ., S . 143.

205 Ayache ,Guerre , a .a .O ., S . 227 ; vgl .ferneral - Bü 'ayyäsi , Harb ar -Rif, a .a .O . , S .151 f. ;Furneaux,AbdelKrim, a .a .O ., S . 91 ;Penneil ,Country , a .a .O ., S . 123.

206 Vgl .Roger-Mathieu ,Memoires, a .a .O ., S . 166.

Mit der allmählichen Unterwerfung der Stämme und der daraus resultie¬

renden Notwendigkeit der Selbstverwaltung des Rif waren die Rahmenbe¬

dingungen für eine Staatsgründung gegeben.Das offizielle Gründungsdatum der Republik ist unklar . Das am meisten zitierte Datum ist der 1. Februar

1923; es fällt mit der Darbietung einer bay 'a eines Treueides - mehrerer wichtiger Persönlichkeiten für Ibn 'Abd al -Karim zusammen .207Furneaux gibt eine Erklärung Ibn 'Abd al -Karims im Namen der Regierung der Rif -Republik wieder , in der er um die internationale Anerkennung der Republik wirbt.Diese Erklärung ist nicht datiert,führt aber die Staatsgründung auf Juli

1921 zurück.208 Das bedeutet,daß Ibn 'Abd al -Karim unmittelbar nach dem Erfolg von 'Anwäl eine politische Einheit beschlossen hatte . In seinen Me¬

moiren bestätigte er, daß sich zu dieser Zeit die Idee einer Republik entwi¬

ckelt hatte.20 Bekanntlich hegte er aber bereits 1915, lange vor der endgül¬

tigen Abkehr von den Spaniern ,Ambitionen ,dem Rif zur Unabhängigkeit zu verhelfen und eine Regierung zu bilden, 210so daß es sich 1921 nicht nur um eine Idee gehandelt haben kann , sondern tatsächlich um die Staatsgründung durch einen kleinen , aus den Hattäbi-Brüdern und engsten Vertrauten be¬

stehenden Kreis.Bekräftigt wird der Sommer 1921 als Auslöser für die Grün¬

dung der Rif-Republik durch die etwa zur selben Zeit vollzogene Bildung

207 Bü 'asriyya und Tahtah geben eine Edition des arabischen Originaltexts wieder ,der mit 14 .GumädäII 1341 datiertist ; Bü 'asriyya , 'Aläqa, a .a .O ., S .45ff.;Tahtah , Pragmatisme, a .a .O .,Dokument517 / 180 , S . 203 - 208 .Hart nennt neben demo .a. Datumdie Alternative 18 .Januar 1923 .Roger-Mathieu ,dem'Abdal -Karimdas Datum des Treuebekenntnisses als „ 14djemada 1541( sie !) , c 'estädire1er fevrier

1922 " mitgeteilt habensoll ,hat diesindreifacher Hinsicht falsch überliefert;erstens handelt essichum dasHigra-Jahr1341 ,zweitens verweistRoger-Mathieunicht darauf,ob essichum den5 .oder6 .Higra-Monat handelt und drittens rechneterdas

(vermeintlich richtige )Datum falschum ; vgl .Roger-Mathieu ,Memoires, a .a .O .,

S.107 .DieAutoren ,dieihn zitieren ,weisen- wenn überhaupt- auf die falsche Um¬

rechnunghin ,jedoch nichtauf die anderen beiden Mängel ; u .a .Daoud ,Abdelkrim,

a .a .O ., S . 149 , Fn . 1 ;Hart,Aith Waryaghar, a .a .O ., S . 377 , Fn.19 . Vgl .zudemal

(Rück- )Übersetzung ausdem Englischen. 209 Vgl .Roger-Mathieu ,Memoires, a .a .O ., S . 88.

210 Vgl .Ayache ,Origines, a .a .O ., S .217f. ;Tahtah ,Pragmatisme, a .a .O ., S . 70 - 72.

von Institutionen wie einer Regierung , einer transtribalen Ratsversammlung und einer Armee .

Die Veranschlagung der Unabhängigkeitserklärung auf die Zeit der ihm dargebrachten Treueide von 1923 ist damit zu erklären,daß erst mit der darin bekräftigten Unterstützung vieler Stammesautoritäten für Ibn 'Abd al -Ka -rims Politik und Reformen eine Art Bevollmächtigung für eine Staatsgrün¬

dung vorzuliegen scheint.Während er über einen Zeitraum von zwei Jahren die staatstragenden Institutionen schuf , wurde erst nach diesem Ablauf nicht etwa das Verdienst der Staatsgründung gewürdigt , sondern die aus ihr folgenden positiven Veränderungen in der Gesellschaft .211

Die Bezeichnung , die die Hattäbis nach Aussagen Muhammads ihrem Staat verliehen , ist al-Gumhüriyya ar-Rifiyya - Die Rif-Republik . Die ge¬

wählte Staatsform trägt dem Bündnis unabhängiger Stämme Rechnung . Er weist jedoch ausdrücklich daraufhin ,daß es sich bei der Regierung nicht um ein gewähltes Parlament handelt , und daß die Bezeichnung Republik erst im Laufe der Zeit ihrer eigentlichen Bedeutung gerecht werden könne.212Wäh¬

rend die Entscheidung , einen Staat zu gründen , offensichtlich schon früh getroffen wurde , waren sich die Autoritäten dieses Staates in spe hingegen noch nicht darüber einig , welchen Namen er tragen sollte . Es sind Briefe erhalten , in denen ein französischer Händler namens Daniel Bourmance ,213 der enge wirtschaftliche Kontakte zu den Rifis unterhielt ,Ibn 'Abd al -Karim bereits im September 1921 als Präsident der Rif-Republik anredete . Bour¬

mance spielte eine wichtige Rolle bei der rifischen Deklaration der Unab¬

hängigkeit im Ausland und vor dem Völkerbund . Er behauptete später , Ibn

'Abd al -Karim selbst dazu bewegt zu haben,einen Staat zu gründen und ihm den Namen Republik zu geben.214Bourmance mag ihn vermutlich bei der

211 Vgl .folgendesKap. :Die bay'a.

212 Interview mit Ibn'Abdal -Karim: Gahl az-ziiamä ' al-muslimlnwa -mafäsid ahl at-turuq wa -s -surafa' wa-kawnuhum sababan li-fasl zäim ar-Rif al-Magribi. In:

al -Manär27( 1926 / 27 ) , S . 630 -634; vgl .engl.Übersetzung beiPennell ,Country ,

a .a .O . , S . 257.

213 Bourmance warder Adoptivsohn des bedeutenden Händlers LouisSay ,nach demdie algerische Hafenstadt an der marokkanisch-algerischen Grenze Port Saybenannt

wurde ,die er 1900 als eine Handelsniederlassung gegründethatte.Louis Sayhatte durch dieHandelsbeziehungen zum Nordosten Marokkos Frankreich eine langsame, aber sichere Einflußnahme in dem Land ermöglichen wollen ; vgl .Ayache ,Guerre ,

a .a .O ., S . 171 - 173.

214 Je lui fisadmettre ( ä Ben Abdelkrim) la necessite des 'organiser comme un Etat.Je

luitrouvai saraison sociale :Republique Riffaine " ;Brief Bourmances an Steeg,dem

Benennung der Staatsform inspiriert haben, allerdings finden sich außer seiner eigenen Behauptung keinerlei Anhaltspunkte für einen solchen Rat¬

schlag;es stellt sich die Frage , obnicht doch Ibn 'Abd al -Karims offenkun¬

dige Kenntnisse über die internationalen politischen Verhältnisse Anlaß für seine Wahl derBezeichnungRepublik waren, zumal er selbst dieBegründung für diese Wahlliefert .Wie dem auch sei, die Tatsache bleibtbestehen , daß die Idee Ibn 'Abd al -Karims, einen unabhängigen Staat zu gründen , nicht von außenkam, sondern seit Jahren durch seine eigenen Perspektiven und Hoffnungenfür die VerbesserungderLebensbedingungenim Rif manifestiert wurde.

Ineinem bei Pennell zitiertenDokument , das vom Februar 1922 stammt, wird der neue Staatals[ ad-] Dawla al-'Islämiyyabezeichnet . 215Die Hervor¬

hebung, daß es sich um einen islamischen Staat handelt, ist grundlegend , denn in dem Treueid wird Ibn 'Abd al -Karim zum 'amir al-mugähidin -Befehlshaberder Kämpferfür den Glauben - proklamiert .216 Wiees für den Widerstand gegen die Kolonialmächte üblichwar ,wurde er von Anfang an von seinen Landsleulen als Anführer des gihäd bestätigt;217es gibt keine eindeutigen Belege für seine Proklamation zum Staatsoberhaupt . Aber in Anbetracht der Tatsache, daß im islamischen Selbstverständnis die Unter¬

scheidung zwischen politischen und religiösen Belangen nicht existiert , wurde ihm durch eine Gruppe von Autoritäten die Führung für sämtliche Interessender Bevölkerungübertragen , wiedie Untersuchung der ba 'ya ver¬

deutlichenwird .

Man kann davonausgehen ,daßdie politische Einheit wegen eines inder tribalen Gesellschaft fehlenden Zusammengehörigkeitsgefühls durchdie Be¬

völkerung nichtals solche wahrgenommenwurde.Vermutlichwar es für sie ein ungewöhnlich großerUff,der sichim Einveraehmender meisten Stämme

französischen Statthalterin Marokko ,vom 1 . 11 . 1925 ; ,, [ l] aRepublique Riffaine ,titre

soufflepar moi äAbdelkrim pour interesser touslesbadauds d 'Europe "zitiertbei

Ayache ,Guerre , a .a .O . , S . 179 ; vgl .fernerTahtah ,Pragmatisme, a .a .O . , S . 88;

Daoud ,Abdelkrim, a .a .O . , S . 97 - 99 ; S . 126 - 129 ; S .169 f.

215 Penneil ,Country , a .a .O . , S . 102.

216 Vgl .Ba'ya, in : Bü 'asriyya , 'Aläqa, a .a .O ., S .45 ff. ;Tahtah ,Pragmatisme, a .a .O .,

S . 203 - 208.

217 Tahtah ,Pragmatisme, a .a .O . , S . 89.

gegen die christlichen Eindringlinge gerichtet und somit einen gihäd dargestellt hat .218

Um der Unabhängigkeit nach außen Geltung zu verschaffen , ließ Ibn

'Abd al -Karim eigens eine Flagge für den Rif entwerfen .219

Da die internationale Aner¬

kennung und auch diplomati¬

sche und wirtschaftliche Be¬

ziehungen für einen unabhän¬

gigen Staat unabdingbar sind, haben die rifischen Funktio¬

näre entsprechende Kontakte zu europäischen und anderen Ländern aufgenommen . Im Jahre 1923 gingen Mhammad , der Bruder und Stellvertreter Ibn 'Abd al -Karims , und Azerqan in seiner Funktion als Außenminister nach Paris , während Bügibar , ein weiterer Funktionär ,nach London reiste, um für die Anerkennung der Unabhängigkeit des Rif zu werben und Unterstützung zu erbitten . Trotz einiger politischer und wirtschaftlicher Kontakte wurden allerdings keine besonderen Erfolge während dieser Missionen erzielt.220Bourmance war nur einer von einigen ausländischen Vermittlern zwischen den Rifis und dem Ausland . Der Eng¬

länder Gordon Canning hat 1925 in London das Riff Committee gegründet , um den Rif im Ausland zu repräsentieren ;er warb vor allem in Frankreich für die Unabhängigkeit des Rif.Charles Gardiner ,ebenfalls ein Engländer ,führte 1923 mit Ibn 'Abd al -Karim Verhandlungen über Handelskonzessionen und die Verbesserung der Infrastruktur .221Das deutsche Unternehmen Mannes¬

mann pflegte seit jeher in Marokko wirtschaftliche Beziehungen , sowohl zum Sultan als auch zu dem verstorbenen 'Abd al -Karim;es hoffte weiterhin auf

218 Zur Notwendigkeit,den Befreiungskampf alsgihädzurechtfertigen sieheKap . B . IV: Muhammad Ibn'Abdal -Karimal -Hattäbi im Spiegel seiner Ideologien.

219 Laut Penneilsoll er bereitszuAnfang des Krieges versprochen haben ,eineRegie¬

rung und eine Flaggezu schaffen.Die Flagge hat einen roten Hintergrund undistmit grünem Halbmond und sechseckigem Sternauf einem weißen Viereck versehen; vgl.

ders.,Country, a .a .O ., S . 133.

220 Vgl.Daoud ,Abdelkrim, a .a .O ., S .134f.undS . 164 ff;Furneaux,AbdelKrim,

a .a .O ., S . 84.

221 ZuGardiner und Canning sieheDaoud ,Abdelkrim, a .a .O . , S .166u .ö . ;Pennell , Country, a .a .O ., S .210f. ;Roger -Mathieu ,Memoires, a .a .O ., S . 161 - 177 ;Woolman,

Rebeis , a .a .O ., S .126 f.

die Zusicherung von Minenkonzessionen im Norden ." Ein wichtiger Ver¬

mittler war der englische Journalist derTimes , WalterHarris,der ein enges Verhältnis zu Ibn 'Abd al -Karim hatte und ihn über die Beziehungen zwi¬

schenFrankreich , Spanien und England informierte . In seinen von Roger -Mathieu überlieferten Memoiren bezichtigt Ibn 'Abd al -Karim Harris des Verrats ,da dieser ihm in einer für die Rifis ausweglosen Lage zur Fortset¬

zung des Krieges und die Ablehnung der Friedensangebote der Franzosen und Spanier von1925 geraten habensoll.223

Alle diese Vermittlerund Unterhändlerhaben der Unabhängigkeit letztlich keinen Nutzen gebracht ; sie handelten aus persönlichen Motiven und ver¬

traten nicht diePolitikihrerjeweiligen Länder.Dies war Ibn 'Abd al -Karim stets bewußt: „II yen a beaucoup [Ausländer ]qui me parlaientde ma gloire

et del 'independanceduRif, et ,vois- tu , j 'entendais presque toujours'conces

-sions ' et'mines' " .224

Über die Gründung des Rif-Staates gibt es hinsichtlich des exakten Datums und der genauen Bezeichnung unterschiedlicheAnsichten ,aber seine Existenzwird vonstaatstragenden Institutionen bezeugtund bestätigt .

2. Die bay 'a - Treueid für Muhammad Ibn 'Abd al-Karim

al- Hattäbi

Muhammad Ibn 'Abd al -Karim war durch die militärischen Erfolge im Sommer1921 inoffiziellder Anführerdes Befreiungskrieges;offiziell wurde

er jedocherst Anfang 1923in diesemAmt bestätigt. Die Bestätigung erfolgte inForm mehrerer bay 'ät,die er zwischen Mitte Januar und Anfang Februar von bedeutenden Stammesvertretern erhielt. Einen Anspruch auf derartige Treuebekenntnissehatte bishernur der Sultan ,der darin als geistliches('am/r al-mu 'minin - Beherrscher der Gläubigen ) und weltliches Oberhaupt aner¬

kannt wurde.

222 Die Brüder Mannesmann hatten seit1906 Minenkonzessionen vom Sultanimganzen

Landerhalten ;siesollendie Eisenerzvorräte unddie riesigen Phosphatlagerstätten in

Marokko entdeckt habenund hofftenauf deren Ausbeutung; vgl . Kunz /Müller ,Gift¬

gas , a .a .O . , S . 39 -43 und S . 50 ;siehe fernerDaoud ,Abdelkrim, a .a .O ., S .38und

S . 56.

223 Vgl .Roger-Mathieu ,Memoires, a .a .O . , S . 184. 224 Ders.,Memoires, a .a .O ., S .185 f.

Die umfangreichste und wichtigste bay 'a, die Ibn 'Abd al -Karim darge¬

bracht wurde , ist die oben erwähnte vom 1.Februar 1923.225Nach Pennells Ansicht hat sie mit den bay 'ät für die marokkanischen Sultane - ausge¬

nommen jene für Mawläy 'Abd al -Hafiz - nichts gemeinsam , da diese le¬

diglich eine Bestätigung des Fait accompli darstellten . Wie bei dem Treueid für Mawläy 'Abd al -Hafiz im Jahre 1908 handelte es sich um ein politisches Dokument .226Hingegen findet Tahtah genügend Beispiele in der bay 'a für Ibn 'Abd al -Karim , um zumindest förmliche Entlehnungen aus den Treu¬

eiden für verschiedene Sultane aus dem 18. und 19. Jahrhundert aufzu¬

zeigen.227 Inhaltlich handelt es sich bei dem Treueid in der Tat um eine neue Erscheinung ; das Dokument ist eine religiöse wie politische Manifestation gleichermaßen .Es beginnt mit Ausführungen über das Kalifat,in denen seine Notwendigkeit und seine religiöse und politische Rechtfertigung hervorge¬

hoben werden . Es wird als Garant für die Einheit der Religion , den Schutz des Eigentums und der Würde , als Hindernis für Tyrannei , als Ordnungs¬

spender , als Zeichen der Rechtleitung und als Beschützer der Starken und Schwachen , der einfachen Menschen und Adligen gerühmt 228Schließlich werden Aussagen aus dem Koran und der sunnct zum Kalifat, zur 'umma und zum Gehorsam gegenüber dem auserwählten Herrscher zitiert . Es wird ein hadit angeführt , in dem der Prophet Muhammad geäußert hat, Gott habe einen Quraysi mit der Angelegenheit des Kalifats betraut und ein unmittelbar folgender Koranvers bestätigt , daß Gott die Herrschaft gibt, wem er will.229 Der Koranvers relativiert den hadit,der nahezulegen scheint,daß das Kalifat nur in der Linie der Quraysiten legitimiert ist; auf Ibn 'Abd al -Karim ange

-225 Auf eine vollständige deutsche Übersetzung wird hier verzichtet,dabereits eine englische und eine französische Übersetzung vorliegen; vgl .Pennell ,Country, a .a .O .,

S . 246 - 250 ;Tahtah ,Pragmatisme, a .a .O ., S . 147 - 153. 226 Vgl .Pennell ,Country , a .a .O . , S . 123.

227 Vgl .Tahtah ,Pragmatisme, a .a .O ., S . 106.

228 „ ( .. .) al -hamduli -llähi lladi nazzamabi - l-hiläfati samla1-bariyyatiwa - d -dunyä

( . . .) wa - ga 'alahä sawnanli - d -dimä'iwa - l- 'amwäliwa - l- ' a 'rädiwa -gallabi -

'aydi1-gabäbiratifa -lam tasil'ilä mafäsidil- 'agrädiwa -qämabi - 'amru

l-halqiwa -staqämawa - 'uqimatis -sarä' i ' u wa - I-hudüduwa - l - 'ahkämuwa -nasaba manärahä'alaman hädiyanwa -aqämahu'ilä 1-haqqidä 'iyan fa - 'äwäli -zillihä

1-warifi1-qawiyawa - d - da 'ifawa - l -masrüfawa - s -sarifa( . . .) " ;Edition derBay 'a in:

Bü 'asriyya , 'Aläqa , a .a .O ., S .45 ff;Tahtah ,Pragmatisme, a .a .O .,Dokument

517 / 180 , S . 203 - 208 .

229 „ ( . . .) qäla: 'inna lläha htassabi -hädäl - 'amriquraysan.wa - 'anzala llähu

'alayhi:wa -llähuyu 'ti mulkahu manyasä' u " ; vgl . ebd .

wandt bedeutet das, daß er diese Voraussetzung zwar nicht erfüllt , aber der Koranvers impliziert , daß er durch die bei Gott liegende Entscheidung über die weltliche Herrschaft begünstigt werden könnte.Darüber hinaus stellt eine weitere Überlieferung über die potentielle Herrschaft eines abessinischen Sklaven die Legitimität seiner Autorität in Aussicht .230Ist die 'umma ein¬

trächtig und hat sie sich auf einen Herrscher geeinigt,dann darf sie nicht zu¬

lassen , daß jemand diese Einheit und diese Herrschaft bedroht.231Die bay 'a fordert zum bedingungslosen Gehorsam gegenüber dem 'amir auf , indem außer auf die erwähnte Überlieferung des Kalifen 'Umar Ibn al -Hattäb auf den hadit verwiesen wird , in dem der Prophet gesagt hat , wer ihm gehorcht , der gehorcht auch Gott und wer sich ihm widersetzt ,der widersetzt sich Gott ; wer seinem 'amir (also seinem Stellvertreter )gehorcht,der gehorcht ihm und wer sich hingegen seinem 'amir widersetzt ,der widersetzt sich ihm.Überdies sollen sich die Untertanen in Geduld üben , wenn ihnen das Verhalten des

'amir mißfällt , denn wer sich auch nur eine Handbreit von seinem Sultan entferne , der sterbe als Unwissender .232Die Darlegungen zum Kalifat und dessen Legitimität stimmen mit denen überein , die sich in den bay 'ät der marokkanischen Sultane finden und stellen insofern nur scheinbar nichts Außergewöhnliches dar.233Ibn 'Abd al -Karim wird aber nicht zum 'amir al-mu 'minin bzw . Sultan ernannt , sondern zum 'amir al-mugähidin , so daß in diesem Zusammenhang die Überlieferungen zum Kalifat widersprüchlich scheinen . In der Tat handelt es sich hier um mehr als nur um Formeln . Ibn

'Abd al -Karim wird zwar nicht als Kalif anerkannt ,aber die aus der sunna

230 ,,( ...) wa -qäla 'amiru 1- mu 'minina 'Umaru bnu 1-Hattäbi radiya llähu'anhu li -bni

'Uqbata:la 'allaka talqäniba 'da1-yawmifa - 'alayka bi -taqwä llähita 'älä wa - s

-sam 'iwa - t- tä 'atili- l- 'amiri wa - 'in'abdanhabasiyan" ; vgl . ebd.

231 ,,( . . .) wa -fl Sahihi Muslimin'anhu sallä llähu'alayhiwa -sallamaqäla:man

'aräda'an yufarriqa'amra hädihil- 'ummatiwa -huwagami'unfa -dribü 'unuqahu

bi - s -sayfikä 'inan mankäna. Wa -fi Sahihi Muslimin'anhu sallä llähu'alayhi

wa -sallamaqäla: man'atäkumwa - 'amrukumgami'un'alä ragulin wähidin

wa - 'aräda'an yufarriqagamä'atakumfa -qtulühu " ; vgl . ebd .

232 „ ( . . .) wa -fi Sahihial -Buhäri'ani bni 'Abbäsi radiya llähu'anhuqäla: qäla rasülu llähi salla llähu'alayhiwa -sallama : man kariha min'amirihisay 'an

fa - l -yasbir fa - 'inna man haraga'ani s -sultäni sibranmälamayyitatan gähiliyyatan.

wa -fihi'aydan'an 'Abi Hurayrata radiya llähu'anhuqäla: qäla rasülu llähi salla llähu'alayhiwa -sallama: man' atä 'ani fa -qad ' atä 'a llähawa -man 'asäni

fa -qad 'asä llähawa -man ' atä 'a 'amiri fa -qad ' atä 'aniwa -man'asä'amiri

fa -qad'asäni" ; vgl . ebd .

233 Vgl .Tahtah ,Pragmatisme, a .a .O ., S.108.

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Im Dokument Der Rif-Krieg 1921 - 1926 (Seite 74-82)