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III . DIE REFORMEN

Im Dokument Der Rif-Krieg 1921 - 1926 (Seite 100-129)

Wie dargestelltwurde , stellteder Krieg von 1921 bis 1926 zwardas Haupt¬

geschehen dar , welches das Leben der Bevölkerung bestimmte , aber die Umwälzungen , die unmittelbar aus ihm resultierten , hinterließen gleicher¬

maßen tiefe Einschnitte in der rifischen Gesellschaft . Während aber die politischenInnovationen ,namentlichdie Staatsgründungund dieRegierungs¬

bildung sowie die rudimentären diplomatischen Beziehungen offenkundig von derBevölkerung nahezu unbemerkt vonstattengingen, wurdeder Wider¬

stand zweifelsohne als gihäd von der Bevölkerung wahrgenommen und unterstützt . Die Veränderungen unter der Führung Ibn 'Abd al -Karims waren allerdings nicht nur politischer Art und auf die internationale Aner¬

kennung der Unabhängigkeitdes Rif angelegt, sondern betrafendas gesamte gesellschaftliche Lebenundzieltenauf sämtliche Gesellschaftsgruppenab .

Die Auffassung , daß Ibn 'Abd al -Karim durch seine einschneidenden Veränderungendem Rif zueinem sozialen Wandel verholfenhat ,wird in der Literatur einhellig vertreten . Zwar werden die wichtigsten Umgestaltungen wie die Verbreitung des koranischen Gesetzes bei gleichzeitiger Einschrän¬

kung des Gewohnheitsrechts ,die Manipulation der tribalen Bündnisse ,also des //^ Systems sowie die weitgehende Unterdrückung der Blutrache und andere soziale Eingriffe stets betont, allerdings fehlt bislang eine syste¬

matische Untersuchung dieser Reformen und Reformversuche .304 Deshalb soll hier der Versuch unternommen werden, eine solche Untersuchung zu erbringen . Dabei werdendie Reformen ihres Charaktes entsprechend in reli¬

giöse ,politischeund soziale Reformengegliedert . Die meistender Reformen könnenunter dem religiösen Blickwinkel betrachtetwerden,dasie, ob es um das Strafrecht ,die Blutrache ,das Steuerwesen oderdie Rolle der Frau geht, stets in irgendeinerWeise religiös bedingtwerden.Die Veränderungen sollen hier aber mehrinden gesellschaftlichen Zusammenhängen erläutertwerden,

in denen sie auftreten.

304 Lediglich Hart hat den Reformen in seinem WerkThe Aith Waryaghar of the

Moroccan Rif imRahmen einesKapitels ,dasIbn'Abdal -Karim und demRif

-Krieg( „The Reformerand the War onTwoFronts" )gewidmet ist ,angemessene

Aufmerksamkeit geschenkt.

1. Religiöse Reformen

a) Islamisches Recht (sari 'a) versus Gewohnheitsrecht ('urfj In Marokko hatte sich spätestens seit dem Auftreten der Almoraviden und Almohadendie Doktrinder malikitischen Rechtsschuledurchgesetzt . So war das religiöse Leben der Rifis wie das der übrigen Marokkaner vom sun¬

nitischen Islam malikitischer Prägung und den islamischen Hauptpflichten bestimmt. 305 Darüber hinaus hatte aber das Gewohnheitsrecht 'urf inMa¬

rokko als 'ida gebräuchlich - einen sehr hohenStellenwert .Es trifft aber keineswegs zu , wie besonders während der Protektoratszeit ausländische Beobachter behauptet haben , daß das koranische Gesetz ausschließlich von der arabischen bzw. arabisierten Bevölkerung und das Gewohnheitsrecht ausschließlich von Berbern praktiziertwurde. 306 Das Gewohnheitsrecht war vielmehrin bestimmten Bereichenvom islamischen Gesetz selbstbeeinflußt . Unterscheidungsmerkmale bieten die Bereiche, auf denen das eine oder das andere Recht angewandtwurde. Um nun die Reformierung dieser Rechts¬

bereiche durch Ibn 'Abd al -Karim zu durchleuchten , muß auf deren Situ¬

ation vorden Reformen eingegangenwerden, da es schließlichum eine Um¬

gestaltungder bisherigen Verhältnissegeht.

Wie bereitsimRahmender Darstellungder tribalen Organisation erwähnt

wurde , war der qädi für die Durchsetzung dersari 'a verantwortlich ; im Rif fielen aber lediglichdie Regelungen bezüglichdes Familienrechts , also Ehe¬

schließung undScheidung ,sowie das Erbrechtin seiner theoretischen Form unter das koranischeGesetz . Das Erbrecht war nämlich in der Praxis vom Gewohnheitsrechtabhängig ,wie im folgenden deutlichwird .Die übrigen an¬

fallenden Rechtsfragen fielen unter das Gewohnheitsrecht, dasin der Regel von der Ratsversammlung des Stammesbzw . des Clans vollzogen wurde. Dazu gehörte insbesondere nahezu das gesamteStrafrecht , dem die Recht¬

sprechung bei Vergehen wieMord , Unzucht und Gewalttaten untergeordnet

war.Die Konventionenin Fällenvon Mordsindbereitsunter dem Aspekt der Blutrache behandelt worden . Ihre Reformierung wird im Rahmen der

305 Vgl . Hart ,Aith Waryaghar, a .a .O ., S . 175.

306 Vgl . z .B .Adam,Andre :Berber Migrants inCasablanca . In :Arabsand Berbers ,

a .a .O . , S . 328 ; vgl .auchdie französische ethnologische Haltung bezüglich der Unter¬

schiede zwischen arabischen und berberischen Rechtssystemen bei Burke,Edmund

III :The Imageof the Moroccan Statein French Ethnological Literature: a NewLook

at the Origin ofLyantey 'sBerberPolicy . In :Arabs andBerbers , a .a .O ., S .194et

passim; Hart ,Aith Waryaghar, a .a .O . , S .201f.

Neubewertung der Gewalttaten aufgegriffen .In diesem Zusammenhang sei betont, daßdie Konventionender Blutrache ,obgleich unter den 'urf fallend, inhohem Maßevon dersari 'a beeinflußtwaren, nach der unter Umständen ein Mord mit dem Mord gesühnt und ein Blutgeld {diyd) erhoben werden

kann .307Gleichzeitig läßt sichargumentieren , daß die koranischen Regeln, dieden Mordbetreffen ,ihrerseits eine Modifikation des vor dem Islam exi¬

stierenden arabischen Gewohnheitsrechtsdarstellen . 308 Sogar diehaqq -Stm

-fen , auf die die imgarenbei Mordauf dem Wochenmarktoder auf dem Weg dorthin Ansprucherhoben , 309 lassenihrer Bezeichnung nach auf eine Ablei¬

tung aus dem islamischen Recht schließen ,nach dem haqq das Recht oder den Anspruch Gottesbzw .eines Menschen auf Strafverfolgungen gegen sie verübter Vergehendarstellt .310 Insofern kann hier von einer wechselseitigen Beeinflussung von islamisch-othodoxem Recht und tribalem Gewohnheits¬

recht gesprochenwerden.Ähnlich verhältes sich mit dem Ehebruchbzw .der Unzucht. Das islamische Rechtbestraft zinä 'nach erbrachter Zeugenaussage mehrerer Zeugenbzw .mehrmaligem Eidschwur des betrogenen Ehemannes mit Steinigungbzw .Auspeitschen ,wobeidie MöglichkeitderAufhebung der Strafe besteht, wenndie Frau mit einem Gegeneid ihre Unschuldbeteuert .311 Nach dem '«/-/"hingegen hatteder Ehemanndas Recht, seine Frau und ihren Liebhaberzutöten ,wenn er siein flagranti erwischte. Tötete er nur einen der beiden, mußte er dessen Angehörigen mit der diya entschädigen oder , um einer finanziellen Entschädigung oder einem Sühnemord zu entkommen , in Anlehnungan die sari'a Zeugenvorbringen ,die bestätigten ,daß der Getötete sich des Ehebruchs schuldig gemachthat .312

Das islamische Erbrecht wurdeinbedeutendem Maße zum Gewohnheits¬

recht abgewandelt ; nämlich durch die gravierende Mißachtung des korani¬

schen Erbrechts ,demzufolge die weiblichen Familienangehörigen fast voll¬

ständigvom Erbrecht ausgeschlossenwurden .Denn obwohl ihnenihr Anteil offensichtlich theoretisch zugesprochenwurde, war es in der Praxis üblich , daß die Töchter, Mütter oder Schwestern entweder aus freien Stücken zugunsten der Agnaten auf ihren Anteil verzichteten oder aber sie wurden

307 Vgl .Koran2 / 178 ; 4 / 92 ; 17 / 33.

308 Vgl .Schacht ,Joseph :An Introduction to IslamicLaw.Oxford 1964 , S . 185.

309 Vgl . Kap . A .1.3 :Blutrache - Das Merkmalder Anarchie ?

310 Vgl .Schacht ,IslamicLaw, a .a .O ., S . 113.

311 Vgl .Koran24 / 2 - 9 ; vgl .auchSchacht ,Islamic Law , a .a .O . , S . 125.

312 Vgl . Hart ,Aith Waryaghar, a .a .O ., S . 126 ; vgl .auch Jamous ,Honneur , a .a .O ., S .101f.

einfach von den männlichen Verwandten umgangen . Sowohl Hart als auch Jamous , die meines Erachtens anschauliche Darstellungen des Erbrechts unter den Ait Waryigel bzw .den Qal 'iya - beide Stämme können durchaus als repräsentativ für den zentralen und den östlichen Rif gesehen werden -liefern,betonen , daß der freiwillige Verzicht der Frauen sehr weit verbreitet war. Es war geradezu normal , daß das Familieneigentum , meist Landbesitz , in der männlichen Linie verblieb.31 In der tribalen Gesellschaft läßt sich der Ausschluß weiblicher Angehöriger vom Erbe allerdings kaum mit dem Wohlwollen der Frauen erklären , sondern eher mit den patriarchalischen Strukturen . Einschränkend muß angemerkt werden , daß heute immer mehr Frauen auf ihr im Koran verankertes Erbrecht bestehen .

Des weiteren wurden sämtliche Lebensfragen , die in irgendeiner Weise das öffentliche Leben betrafen,durch den 'urf geregelt.Sie schlössen die liff-Strukturen , Diebstahl jeglicher Art und Streitigkeiten zwischen Familien , Sippen und Clans und sogar die Aufsicht über die Teilnahme der Männer am Freitagsgebet 314ein , sowie alle Belange , die im Zusammenhang mit den für die rifische Gesellschaft überaus wichtigen Märkten auftraten . In der streng patriarchalischen Gesellschaft des Rif war die Segregation von Männern und Frauen in der Öffentlichkeit üblich , deren Praxis gar in der Errichtung von Frauenmärkten 315ihren Niederschlag fand .Dies ist ihrerseits eine auf Tradi¬

tion denn auf das islamische Gesetz fußende Institution .Das Eindringen von Männern in Frauenmärkte war strikt verboten und bei Zuwiderhandeln er¬

hoben die Ratsmitglieder hohe Geldstrafen .316Darüber hinaus scheint laut Hart jegliche Kommunikation zwischen Frauen und Männern in der Öffent¬

lichkeit ein Anlaß für Sanktionen seitens der Clanversammlung gewesen zu

313 Vgl .Hart,Aith Waryaghar, a .a .O ., S . 107 ;Jamous,Honneur, a .a .O ., S . 126 ;Pennell ,

C .Richard:Warnen and Resistance toColonialism inMorocco:The Rif 1916 -1926.

In :JournalofAfrican History 28( 1987 ) , S.108. 314 Vgl .Hart,Aith Waryaghar, a .a .O . , S . 286 .

315 Zur Stellung der tribalen MärkteinMarokkovgl .Mikeseil,MarvinW . :TheRoleof Tribal Markeis inMorocco. In :Zartman,William I . (Hrsg.) :Man,State andSociety

inthe Contemporary Maghrib.London 1973 . S . 415 -423.Zu Märktenim Rif imall¬

gemeinen und Frauenmärkten im speziellen s . Hart ,Aith Waryaghar, a .a .O ., S . 69 - 88. 316 Vgl .hierzuders. ,Aith Waryaghar, a .a .O ., S . 86 - 88.

317 Demnach mußten sich Männer von öffentlichen Brunnen ,Friedhöfen undheiligen Orten fernhalten,wenn Frauenandiesen Orten zugegenwaren ; vgl . Hart ,Aith Waryaghar,-a .-a .O ., S .286.

sein.317

Die Unvereinbarkeit bzw . Widersprüchlichkeit des Gewohnheitsrechts gegenüberdem koranischenGesetz - vom religiösen Standpunktaus gesehen - veranlaßte Ibn 'Abd al -Karim,in diese Inkonsequenz einzugreifenund die sari 'ain den von ihm kontrollierten Regionenals einzig verbindliches Gesetz durchzusetzen . Der ersteund wichtigste Schrittwar, über die Richterhinaus, die theoretischzujedem Stamm gehörten,für alle Clans je einen qädi für die Rechtsprechung gemäß dem göttlichen Gesetz nach malikitischer Rechtsschule zu ernennen . Daraus resultierte , daß nun nicht mehr nur ein geringerTeil der zivilenFragen, sondernauch das Strafrecht Gegenstand der Jurisprudenz nachder sari'awar. 18Ersorgtefür dieAusbildungder Richter, und zudem wurden jedem qädizwei juristische Beamte (W// P1. 'udül) zur Seite gestellt,die dieadministrativen Tätigkeiten ausführensollten.319

Die vielleicht durchgreifendste Veränderung im privaten Leben der Menschenwar die Ausweitungder Kontrolleüber die Teilnahmeder Männer am Freitagsgebet , die in einigen Stämmen durchdie Ratsmitglieder ausgeübt wurde. Ibn 'Abd al -Karim ersetzte sie durch eine für alle Männer und Frauen verbindlicheRegelung ,nach der sie dem täglichen fünfmaligen Gebet nachzukommen hatten.320 Besonders für Frauen, die bisher weitestgehend von den Moscheen ausgeschlossenwaren, war die Prüfungihrer Religiosität , der vermutlich bis dato niemand Aufmerksamkeit geschenkthatte , ein neues Phänomen .Nun scheint die Kontrolle über die Gebetsverrichtung praktisch schwierigzu bewerkstelligen gewesensein .Bei Männernmag dies eher mög¬

lich gewesensein, zumalsie häufigerin der Öffentlichkeit anzutreffen waren und folglich zu den Gebetszeiten ihre Pflicht erfüllen mußten . Frauen hin¬

gegen ließen sich wohl kaum bezüglich ihrer Gebetspraxis überwachen , da sie die meiste Zeitin ihren Häusernverbrachten .Nichtsdestotrotz wurden bei erwiesener Mißachtung der Gebeisverrichtung Strafen verhängt ; Männer mußten zwei bis drei Wochen an der Front kämpfen, während Frauen zu einer Abgabe in Form eines Huhnes gezwungen waren.321Die Strafart für Frauen deutet auf den Eingriff in ihre häusliche Domäne hin , zu der die Aufzuchtvon Kleinviehzum Verkaufauf dem Frauenmarktals eine Einnah¬

mequellegehörte.

318 Vgl .Furneaux ,AbdelKrim, a .a .O . , S . 88 ;Woolman,Rebeis, a .a .O . , S . 218 . 319 Vgl . Hart ,Aith Waryaghar, a .a .O ., S . 389 .

320 Vgl . ebd .;Pennell ,Women and Resistance, a .a .O ., S . 112 ;Woolman,Rebeis , a .a .O .,

S . 218 .

321 Vgl .Hart,Aith Waryaghar, a .a .O ., S . 389 ;Pennell , Women and Resistance, a .a .O .,

S . 112 ;Woolman,Rebeis , a .a .O . , S . 218 .

Außer dem Ehebruch wurde jegliche Art von Geschlechtsverkehr über den ehelichen hinaus den Regeln der sari 'a untergeordnet ; auf Homosexualität und Sodomie wurde die Todesstrafe verhängt . 322Der Vollzug der Strafen war nur der Regierung vorbehalten , Selbstjustiz durch Privatpersonen war nun¬

mehr strikt verboten .Dies veranschaulicht ein Fall ,in dem zwei Rifis an der Tötung eines Mannes und einer Frau , die der Unzucht beschuldigt wurden , auf eigene Initiative beteiligt waren . Sie wurden zu einer hohen Geldstrafe verurteilt und nachdem sie dieser Forderung nicht nachkamen , wurden sie gefangengenommen .323

Wie schon angedeutet , waren auch Frauen vom islamischen Gesetz be¬

troffen . Diesem Gesetz entsprechend konnten sie ihre Rechte wie das der Erbschaft wahrnehmen , mußten aber auch ihren Pflichten nachkommen . Es gab durchaus Fälle,in denen Frauen bei schweren Vergehen einer Haftstrafe unterzogen wurden,324eine nicht nur auf Frauen bezogen neuartige Er¬

scheinung ,denn das Gefängnis an sich war eine zuvor unbekannte Institution . Frauen wurden aber auch von den neuen Gesetzen in Schulz genommen ,wie Pennell durch Dokumente belegen kann.Eine Art ,Frauen vor Gewalt durch Männer zu schützen , war die Androhung von Strafen . Ein Mann wurde in¬

haftiert,weil er seine Frau geschlagen hatte .In einem anderen Fall büßte ein Mann mit einer Gefängnisstrafe für das gegenüber einer Frau gebrochene Eheversprechen und zwar mit der Begründung , dieser Wortbruch sei aus Sicht der sari 'a unzulässig .325Dies sind Fälle , die eindeutig auf die Pene¬

tration der Privatsphäre von Männern und Frauen seitens der neuen Regie¬

rung hinweisen .Sie spiegeln die nahezu bedingungslose Kontrolle des Privat

-322 Vgl .Hart,Aith Waryaghar, a .a .O ., S .125 f.undS . 390 ;Pennell ,Country , a .a .O .,

S . 145 ;Woolman,Rebeis , a .a .O . , S . 30 ,Hart und Woolman zitieren Angabenvon

Coon,Carlton S . :Tribesof the Rif.Cambridge 1931 ,wonach Homosexualität im Westen desRif weiter verbreitet gewesen seinsoll alsunter den Rifis.InHartsAith Waryaghar"schreiben dieRifis,und unter ihnen besondersdie Ait Waryigel,inder Regel sämtliche schlechten Eigenschaften den Gibäliszu .Hierbei handelt essichsi¬

cherlich um Vorurteile,dieBewohner verschiedener Regionen gegeneinander hegen . 323 Vgl .Pennell ,Country, a .a .O ., S.145.

324 Die dokumentierten Fälle, in denen Frauen inhaftiertwurden ,bezogen sich aufSpio¬

nagefälle undVerrat.Der Grund hierfür liegtdarin,daß Frauen unbehelligt zwischen den spanischen und rifischen Gebieten pendeln konnten und beide Seiten- Spanier wie Rifis- sich diesen Vorteil zunutzemachten .Darüber hinaus wird von einemFall berichtet, in dem eine Frau wegen Verdacht des Mordesanihrem Mannzur Haft verurteilt wurde ; vgl .hierzuPenneil , Women and Resistance, a .a .O ., S . 113. 325 Vgl .ders. ,Country, a .a .O ., S .144f.

lebens durch die Regierung wider . Ibn 'Abd al -Karim zielte wohl mit der Sittenstrengeauf einmoralisches Bewußtseinab ,das durchdie Gesetzestreue gleichzeitigder öffentlichen Ordnung dienlichsein konnte .

Die weitgehende Einschränkungdes Gewohnheitsrechtsund die verstärkte Anwendung des islamischen Rechts durch die nunmehr überall präsenten Richter und die Errichtung von Gerichten (mahkamäVl .mahäkim ) führ¬

te zu einer Vereinheitlichung der Rechtsprechung. Und wie schon anhand der Ibn 'Abd al -Karim dargebrachten bay'a verdeutlichtwurde ,scheint sich diese radikale Linievor allemin der Eindämmungvon Gewaltund Anarchie bewährt zu haben, insbesondere auch weil der Selbstjustiz ein Riegel vor¬

geschobenwurde.

b) Aufhebung des Kollektiveides

Eine andersartige Aufhebung des Gewohnheitsrechts zugunsten der sari 'a-Regelung bietet das Konzept des Eidschwures . Die rifische 'ida verfügte bis in die Zeit Ibn 'Abd al -Krimsüber eine Form derrechtlichen Unschulds¬

beteuerung ,die eindeutig dem islamischen Recht entlehntist . Dabei handelt es sichum denKollektiveid , 7den der Angeklagte zusammenmit einer be¬

stimmten Anzahl von Männern leisten muß , um den gegen ihn erhobenen Vorwurfabzuwehren .Das islamische Recht kennt ebenfallsfür verschiedene Tatbestände den Eidschwur einer variierenden Anzahl von Personen . Ohne auf die sa/ v'a-rechtlichen Regelungen im Detail einzugehen , sollen nur die wesentlichen Unterschiede des Eides zwischen dem rifischen Gewohnheits¬

rechtund dem islamischenRecht hervorgehobenwerden.Der grundlegendste Unterschied liegtin der Naturderer ,die den Schwurleisten. Das islamische Recht akzeptiert einzig Zeugen im juristischen Sinne , die zudem strengen Anforderungen genügen müssen;328 hingegen waren die Personen , welche nach dem 'urf einenEid ablegten ,keinesfallsZeugen, sondern lediglich eine Art Kojuroren , die die Unschulddes Angeklagtenbeschworen .Zudem stan¬

den letztere in einer verwandtschaftlichen oder anderen engen Beziehung zum Angeklagten .Nach islamischer Rechtsprechung kanneine derartigeBe -326 Die mahäkim waren mehrals nur Orteder Rechtsprechung,siewaren vor allemauch

Verwaltungs-und Kommandostellen, in denenqudät, quwwäd \m &andereBeamte

und Funktionäre ihre Postenhatten; vgl .Penneil ,Country , a .a .O ., S . 140 ;Tahtah ,

Pragmatisme, a .a .O ., S . 97.

327 Die einzig ausführliche Darstellung hierüber gibtHart ,Aith Waryaghar, a .a .O .,

S . 309 - 312 .

328 Vgl . z .B .Schacht ,IslamicLaw, a .a .O ., S .193f.

ziehung ein Hindernisdarstellen ,als Zeuge aufzutreten ,bzw .zur Ungültig¬

keit der Zeugenaussageführen.329Die Prozedur des Kollektiveides begann mit dem Vorwurfeines Vergehens einerseitsund dessen Verleugnung ander¬

erseits. Gabes keineZeugen, konnteder Kläger den Angeklagten zum Kol¬

lektiveid zwingenund entsprechend der Schwere der Straftatdie Anzahl der Kojuroren festlegen ; in der Regel lag die Zahl bei sechsbzw .zwölf Män¬

nern . 330DieTatsache, daß bei dem Vorwurf des Mordesin der Regel zwölf

Männer erforderlichwaren , bestätigt die Parallelen zur sari'a. Die Anzahl konnte allerdings bis auf fünfzig festgesetztwerden;dies kaminden Fällen

vor , in die Personen aus mehr als einem Stamm involviert waren. Sechs Kojuroren wurdenbei Verdachteines minder schweren Vergehenswie Dieb¬

stahl oder Sachbeschädigunggeladen.331 Den Eid, in dem die Unschuld des Angeklagten beteuertwurde,nahm der faqih gewöhnlichin der Moschee von jedem Einzelnen der Partei des Angeklagten ab . Anschließend stellte der faqih dem Angeklagten ein Dokument aus , aus dem hervorging , daß der

Vorwurfgegen ihn unbegründetwar.

Der Wert , der dem Eid nach dem Gewohnheitsrecht zukommt, scheint ebenso hoch zu sein wie der , den er im islamischen Recht hat ; in beiden Rechtssystemen wird er in dem Glauben geleistet, daß ein Meineid zur mittelbarenoder unmittelbaren göttlichenStrafe führen kann .332

Ibn 'Abd al -Karim hat im Zuge seiner Umgestaltungderrifischen Gesell¬

schaft und im Rahmen der einheitlichen Anwendung der sari 'a die Unver¬

einbarkeitdes Kollektiveidesmit dem göttlichen Gesetzbemängelt , dadiese Methodeder Unschuldsbeteuerung keinerlei islamische Rechtfertigunghabe . Tatsächlich widersprichtsie in vielerlei Hinsichtden islamrechtlichen Anfor¬

derungeneiner Zeugenaussage .Die ExistenzdesKollektiveides schließt aber die übliche Zeugenaussagenicht aus ;der Kollektiveidtritt nur an ihre Stelle , wenn es anZeugenfür ein Vergehenmangelt. Die Zeugenaussage nach den Regeln der sari 'a war unter den Rifis durchausverbreitet .333 Ibn 'Abd al -Karim setzte sich für die AufhebungdesKollektiveidesein und verfügte,daß ein Eid nur von der angeklagten Person geleistet werden darf. Allen anderen 329 Vgl . ders .,IslamicLaw , a .a .O ., S . 194.

330 Frauen warenzur Leistung eines Eidesnicht zugelassen; Hart ,Aith Waryaghar,

a .a .O . , S . 311 .

331 Vgl . ders .,Aith Waryaghar, a .a .O ., S . 310.

332 Vgl .ders.,Aith Waryaghar, a .a .O ., S .311 und Koran 24/ 7und 24/ 9in Kontrastzu

5 / 89.

333 Vgl . Hart ,Aith Waryaghar, a .a .O . , S . 310 .

Personen außer dem Angeklagten und dem Kläger verbot er, an dem Eidschwur teilzunehmen .334

c) Entmachtung der religiösen Orden

Historisch betrachtet haben religiöse Orden und Bruderschaften (tariqä ? \. turuq ) in Marokko wie in Nordafrika allgemein einen sehr hohen Stellenwert genossen und obgleich sie heute nicht mehr dieselbe Bedeutung haben , wie noch vor ein paar Jahrzehnten , so spielen sie in ländlichen Gebieten gewiß noch eine Rolle. 335 Hervorzuheben ist, daß die Orden im Maghreb entschei¬

dend zur Verbreitung des Islam vor allem unter der ländlichen Bevölkerung beigetragen haben . Sie hatten schließlich über den religiösen Einfluß hinaus auch politische Funktionen ; in ihren Niederlassungen {zäwiyafPl . zawäya ) boten sie Verfolgten jeglicher Art Asyl ,waren stets Vermittler zwischen der Landbevölkerung und den zentralen Autoritäten ,organisierten aber auch Pro¬

dend zur Verbreitung des Islam vor allem unter der ländlichen Bevölkerung beigetragen haben . Sie hatten schließlich über den religiösen Einfluß hinaus auch politische Funktionen ; in ihren Niederlassungen {zäwiyafPl . zawäya ) boten sie Verfolgten jeglicher Art Asyl ,waren stets Vermittler zwischen der Landbevölkerung und den zentralen Autoritäten ,organisierten aber auch Pro¬

Im Dokument Der Rif-Krieg 1921 - 1926 (Seite 100-129)