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Teil II Institutionalisierung der Erwachsenenbildung

4. Entstehung der Volkshochschulen

4.1 Gründung und Ursprung der Volkshochschulen

Die 1844 in Rodding gegründete Volkshochschule gilt als die älteste der Welt.

Gegründet wurde sie von Christian Flor, der auch der erste Leiter war. Sein Mitstreiter war Christen Kold, der 1854 in Ryslinge auf der Insel Fünen eine Volkshochschule begründete. Nicolaj Frederik Severin Grundtvig gilt als bedeutende Persönlichkeit in der Erwachsenenbildung, ist aber laut Wilhelm Filla nicht der Begründer der ersten Volkshochschule in Rodding. Er hat auch nie eine Volkshochschule operativ geleitet, sie aber durch seine Ideen entscheidend mitgeprägt (vgl. Filla 2014: 30) und gilt als der geistige Begründer der Heim-volkshochschule.

Die Gründung der Heimvolkshochschulen in Dänemark war der Ausdruck einer agrarisch ausgerichteten Bevölkerung, deren spezifische Vorherrschaft durch sie gestärkt werden sollte. In den Heimvolkshochschulen sollte auch eine nationale Identitätsbildung stattfinden und die Pflege der dänischen Sprache zum Ziel haben, was auf Grundtvig zurückgeht (vgl. Filla 2014: 32). Seiner Ansicht nach, hat der Humanismus das Geistesleben Skandinaviens durch die Verdrängung der Muttersprache zum Stillstand gebracht und eine Barriere zwischen einer gebildeten Minderheit und einer Masse von Ungebildeten errichtet. Grundtvig forderte daher, dass die Heimvolkshochschule eine „Schule für das Leben“ sein müsse und sie solle statt der toten Sprachen des Humanismus, die eigene Muttersprache vermitteln.

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Seine „Lebensschule“ sei dafür gedacht, den SchülerInnen eine universale Geschichtsbetrachtung und eine gesellschaftspolitische Haltung zu lehren (vgl.

Krause 1975: 296).

Die Heimvolkshochschule könnte auch keine Schule für Knaben werden, die aufgrund ihres Alters noch keine menschliche Reife besäßen, sie müsste eine Schule für junge Erwachsene ab dem 18. Lebensjahr sein (vgl. Krause 1975: 296).

In den Heimvolkshochschulen wurden für die junge Landbevölkerung Bildungs-veranstaltungen von bis zu einem halben Jahr durchgeführt, nachdem die ursprüngliche Idee zweijährige Kurse abzuhalten, nicht realistisch war. Die SchülerInnen lebten mit ihren Lehrenden und der Leitung der Heimvolkshochschule unter einem Dach und im Mittelpunkt stand der Gesang. Auch Kunsthandwerk, Lesen und Kommunikation prägten die BesucherInnen nachhaltig. Ziel der Heimvolkshochschulen war nach Grundtvig ein geistiger Weckprozess durch das gesprochene Wort. Der wichtigste pädagogische Begriff Grundtvigs war das gegenseitige Lernen zwischen Lehrenden und BesucherInnen. Die Schule sollte sich von den öffentlichen Schulen dadurch unterscheiden und er erwartete von seiner Schule die Erfüllung der demokratischen Funktion gemäß der Aufklärung.

Gleichzeitig aber verfolgte er mit der nationalen Identitätsbildung und der Pflege der dänischen Sprache auch eine nationale Komponente, die im Widerspruch zur universalistischen Idee der Aufklärung steht (vgl. Filla 2014: 33).

Als Dänemark 1864 den Krieg gegen Preußen verliert und das Herzogtum Schleswig abtreten muss, wird die Heimvolkshochschule von Rodding nach Askov auf das verbleibende dänische Gebiet verlegt. Lehrer wie Jacob Appel, Poul la Cour, Heinrich Nutzhorn und Ludwig Schröder geben der neuen Heimvolkshochschule eine neue Form und Arbeitsweise und verbreiten dadurch ihren richtungsweisenden Ruf in Europa. Sie gilt heute als die älteste und größte dänische Heimvolkshochschule (vgl. Behrend 1975: 137).

Eine weitere, nicht unbedeutende Heimvolkshochschule wurde von Christian Kolg 1851 auf Fünen gegründet. Da er selbst aus ärmlichen Bedürfnissen stammt, kennt er auch die Probleme der ärmeren Landbevölkerung. Mit seinem eigenen ersparten und dem gesammelten Geld der Bauern eröffnet er seine Schule in Ryslinge, die

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wegen der geringen Kurskosten auch von der ärmeren Bauernschicht besucht werden kann. Kold setzt den Schwerpunkt seiner Bildung auf die Entfaltung der Schülerpersönlichkeit und weniger auf die staatsbürgerliche Erziehung von Grundtvig (vgl. Behrend 1975: 137).

Kold führt 1863 auch einen ersten Lehrgang für weibliche Schülerinnen in den Sommermonaten ein. Er ist damit der erste einer langen Tradition in dänischen Heimvolkshochschulen (vgl. Behrend 1975: 137).

Bis 1864 entstanden zwanzig Heimvolkshochschulen, die jedoch bald wieder aufgelöst wurden. Die Heimvolkshochschule in Hindsholm setzte neue Maßstäbe, indem sie die Bauern in der Auseinandersetzung mit den Gutsbesitzern unterstützte, denn zahlreiche Reichtagsabgeordnete der Bauernpartei Dänemarks erhielten in Hindsholm ihre politische Ausbildung (vgl. Behrend 1975: 138).

Die Heimvolkshochschulen haben sich zuerst in Nordeuropa und in Deutschland ausgebreitet, während in Österreich die Tradition der Heimvolkshochschule unter diesem Namen nicht wirklich von Bestand war. Die Heimvolkshochschule Payerbach wurde zwei Jahre nach ihrer Gründung 1948 wieder geschlossen, weil es einerseits keinen Bedarf und andererseits keine wirksame Trägereinrichtung gab (vgl. Filla 2014: 35).

4.2 University Extension

Der University Extension waren eine Reihe von philanthropischen Einrichtungen vorausgegangen. Im 18. Jahrhundert die Sonntagsschulen für Kinder und Erwachsene, danach zu Beginn des 19. Jahrhunderts Abendkurse. Zwischen 1825 und 1850 entstanden „Mechanic Institutes“ und das „Working Men College, welches von Frederik Maurice gegründet wurde. Die Studenten von Oxford und Cambridge riefen die „Settlement- Bewegung“ ins Leben (vgl. Seifert 1975: 187).

An der Universität Cambridge wurde 1863 mit der Gründung der University Extension eine bahnbrechende Bildungsinnovation in der Erwachsenenbildung von James Stuart entwickelt. Der Name der Bewegung bezog sich zunächst auf die

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Bestrebung den Lehrbetrieb der Universität einer großen Anzahl von Menschen zugänglich zu machen und universitäres Wissen über die Universität hinaus zu verbreiten. Universitäre Bildungsangebote sollten der breiten Bevölkerung zugänglich gemacht werden (vgl. Seifert 1975: 187.

Professoren der Universität sollten in andere Städte gehen und dort Vorträge und Kurse halten, die wiederum die Teilnehmer zur Studienzulassung befähigen sollten (vgl. Seifert 1975: 187).

Wichtige Impulse zur Gründung der University Extension gingen von der Frauenbewegung, die zu dieser Zeit in England sehr aktiv war, und von der Arbeiterbewegung aus. Es wurde ein Programm mit großen Teilen der universitären Fächer zusammengestellt, das so erfolgreich war, dass es sich auf ganz Europa ausdehnte und in Wien 1895 seinen Höhenpunkt fand (vgl. Filla 2014: 36). Ich werde in Punkt 4.3 näher auf die Universitäre Volksbildung in Österreich eingehen.

Das konzipierte Programm der University Extension in Cambridge war scharf strukturiert. Die Kurse dauerten sechs bis zwölf Wochen und fanden in drei Staffeln statt. Von Herbst bis Weihnachten, von Anfang Jänner bis Ostern und nach Ostern bis Ende Mai fand einmal pro Woche ein Vortagsabend statt. Unterrichtet wurde Geschichte, Nationalökonomie, Natur- und Sozialwissenschaften, Literatur und Kunst. 1890/91 wurden in Cambridge 457 Kurse abgehalten, wobei meisten Vorträge, nämlich 191 auf die Naturwissenschaften entfielen (vgl. Altenhuber 1995:

25). Als Einführung erhielten die Kursteilnehmer eine Inhaltsangabe in Form von gedruckten Leitsätzen. Der Kursabend selbst bestand aus einem einstündigen Vortag und einer einstündigen Nachbesprechung des Stoffes und durch Wiederholungen. Am Ende eines Kurses konnte eine Prüfung abgelegt werden, die jedoch keine Berechtigungen nach sich zogen. Die Kosten für die Kurse und die Honorare für die Universitätslehrer mussten die Kursteilnehmer selbst bezahlen, da keine staatlichen Unterstützungen vorgesehen waren. Erst nach und nach gab es Zuschüsse von Universitäten, auf Stadtebene und von Gewerkschaften. In weiterer Folge entstanden als neue Einrichtungen Wanderbibliotheken, Universitäts- Sommerkurse und University Colleges. An den Sommerkursen in Oxford und Cambridge nahmen Hörer aus vielen anderen Ländern teil (vgl. Altenhuber 1995:

25).

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1876 wurden auch in London und 1878 in Oxford Gesellschaften zur University Extension gegründet. Die Gedanken der University Extension wurden von der

„Workers Educational Association“, die 1903 von Albert Mansbridge ins Leben gerufen wurde, aufgenommen. Die „Workers Educational Association“ stellt bis heute eine der tragenden Säulen der Erwachsenenbildung dar (vgl. Seifert 1975:

188).

An der Universität Wien entstanden 1895 auf Grundlage der University Extension die „Volkstümlichen Universitätsvorträge“, die sich dann zügig auf die Universitäten Graz und Innsbruck ausbreiteten.

4.3 Die Internationale Urania Bewegung

Mit der Urania in Berlin wurde 1888 eine Bildungseinrichtung geschaffen, der es ursprünglich um die Verbreitung naturwissenschaftlichen Wissens ging.

Wissenschaftler wie Wilhelm Julius Förster, ein bedeutender Astronom, Werner von Siemens, ein Großindustrieller und Erfinder, Max Wilhelm Mayer, ein Astronom und Schriftsteller und der Kultusminister von Preußen Gustav Heinrich von Goßler waren die Initiatoren der Gründung. Die Anregung dazu ging von Alexander von Humboldt aus (vgl. Filla 2014: 38).

Das Neue und Besondere an der Urania war nicht ihr naturwissenschaftliches Konzept sondern dass sie bereits in einem eigenen Haus, dem damals modernsten Bau Europas beheimatet war. Außerdem war das Haus überaus fortschrittlich und großzügig für eine naturwissenschaftliche Bildungstätigkeit ausgestattet, die ein selbstorientiertes und selbstorganisiertes Lernen ermöglichte. Die Unterrichtsmaterialien waren auf dem neuesten Stand.

Die Uraniagründung in Berlin zog bald neue Uraniagründungen nach sich. 1894 entstand die kleinere Urania in Magdeburg, die bis heute besteht. 1897 wurde schließlich in Wien die Urania aus Anlass des 50jährigen Thronjubiläums Kaiser Franz Josephs I ins Leben gerufen. Die Urania in Wien unterschied sich von denen

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in Berlin und Magdeburg dadurch, dass sie eine Volkshochschule war, im Gegensatz zu ihren Kolleginnen. (vgl. Filla 2014: 39).

Auch in vielen anderen Ländern Europas kam es zur Gründung von Uranias.

Außerhalb Europas entstanden keine weiteren Uranias.

5. Die Volkshochschule in Wien

Für die Wiener Volkshochschule lässt sich ein genaues Gründungsdatum, nämlich der 22. Jänner 1887 festlegen (vgl. Filla 1998: 78) Gegründet wurde der

„Zweigverein Wien und Umgebung des Allgemeinen niederösterreichischen Volksbildungsvereines“. Der Stammverein des Allgemeinen niederösterreichischen Volksbildungsvereins wurde schon zwei Jahre davor am 7. April 1885 in Krems an der Donau ins Leben gerufen. Dieser wieder geht auf die Anregungen zurück, die der 1. Oberösterreichische Volksbildungstag 1884 in Bad Aussee bereitstellte. 1870 entstand der Steiermärkische Volksbildungsverein, 1872 einer in Oberösterreich.

Durch die überregionalen Veranstaltungen konnten die Vortragenden ihre Gedanken austauschen und ihre Erfahrungen vergleichen (vgl. Filla 1998: 79).

Eduard Leisching war der Meinung, dass sich die Wiener Volksbildung vom Land in die Stadt entwickelt hat, aber es ist auch eine Tatsache, dass sich die Wiener Volksbildung der Großstadt entsprechend entwickelte. Die Trennung des Wiener Volksbildungsvereins vom Allgemeinen niederösterreichischen Verein 1893 stellte daher eine logische Entwicklung dar. Die Anfänge der Wiener Volksbildung gehen viele Jahrzehnte zurück auf volkstümliche Vortragsreihen und Versuche zur Gründung von Volksbibliotheken auf liberaler und konservativer Seite. Auch die Sozialdemokraten hatten bereits sehr aktive Bildungsvereine aufgebaut (vgl. Bründl o.J.: 21).

Die neu gegründete Volksbildung unterschied sich jedoch in einigen Punkten von der bisherigen und zwar durch die grundsätzliche Neutralität auf politischem und sozialem Gebiet, ihren planmäßigen Ablauf und Betrieb, die Ausdehnung auf eine Vielzahl von Wissensgebieten und der Erfassung einer breiten

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schicht (vgl. Bründl o.J.: 21). Die Vorrausetzungen auf politischem, wirtschaftlichem, gesellschaftlichem und geistigem Gebiet, die dafür nötig gewesen waren, liegen noch viel weiter zurück und wurden bereits in den vorangegangenen Kapiteln besprochen.

5.1 Begriff und Eigenart der Wiener Volksbildung

Der Begriff „Wiener Volksbildung“ konnte trotz der verschiedenen Interpretationsformen des Wortes „Volksbildung“ in Wien ziemlich eindeutig ausgelegt werden. In Wien wurde im Gegensatz zu Deutschland keine Auseinandersetzung theoretischer Art geführt, sondern es galt von Anfang an die Dinge umzusetzen (vgl. Bründl o.J.: 13.). Die Volksbildungseinrichtungen mit ihren praktischen Tätigkeiten wurden mit so enormer Begeisterung angenommen, dass für theoretische Diskussionen keine Veranlassung bestand. Dieser Erfolg machte das Wiener Volksbildungswesen auch für zukünftige Generationen nahezu unantastbar. So ist ein wesentliches Merkmal der Wiener Volksbildung, dass sie sich in ihren Zielen und Grundprinzipien weniger geändert hat als andere geistige Bewegungen (vgl. Bründl o.J.: 13). Alle Diskussionen, die in Deutschland über Ergebnisse und Ziele von 1919 an geführt wurden, wurden in Wien mit dem Erfolg ihres Systems abgetan. Ein weiteres Merkmal der Wiener Volksbildung war ihr theoretischer und auch praktischer demokratischer Zugang. Die scharfe Trennung in Stände, wie es in Deutschland durchaus üblich war, hat es in Wien nie gegeben.

In den Wiener Volksbildungsvereinen saßen von Anfang an Arbeiter, Beamte, Gewerbetreibende und auch Akademiker in den Kursen nebeneinander, sofern sie sich zu den Auffassungen des Liberalismus und Sozialismus bekannten. Daher war auch den volkstümlichen Universitätskursen in Wien so großer Erfolg beschieden, während diese Art der Zusammenarbeit von Volksbildung und Universität in Deutschland noch sehr lange nicht gelang (vgl. Bründl o.J.: 15).

Es gelang dem Wiener Volksbildungswesen auch auf geistiger Ebene ein friedliches Miteinander zu gewährleisten, auch wenn durch den Kampf der Nationen innerhalb Österreichs kein politischer Frieden herrschte. So saß der Tscheche im Kurs

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friedlich neben dem Österreicher (vgl. Bründl o.J.: 15). Die Forderung nach bedingungsloser Objektivität in der Vermittlung von Wissen und der Vermeidung von Problematischem und Politischem, blieb stets im Vordergrund der Ideale des Wiener Volksbildungswesens (vgl. Bründl o.J.: 15).

Bildung hieß im 19. Jahrhundert zuerst Wissensvermittlung, später kamen dann noch die formale Schulung des Denk- und Urteilsvermögen zu den Bildungszielen hinzu. Ein wesentliches Merkmal der Wiener Volksbildung ist vom Beginn des 20.

Jahrhunderts bis in die 1939er Jahre, dass sie auf die Idee einer Volkshochschule ausgerichtet ist. Dies umfasst alle Bestrebungen für die Weiterbildung Erwachsener, die keine Möglichkeit hatten nach der Volksschule noch weitere Schulen zu besuchen. Die Bildung musste neutral auf weltanschauliche und politische Anschauungen ausgerichtet sein und sie durfte nicht der beruflichen Weiterbildung dienen (vgl. Bründl o.J.: 16).fest

Das Ziel der Wiener Volksbildung war es auch den Menschen in seinem Denken zu schulen, damit er die Fähigkeit zu einer selbstständigen Urteilskraft findet. „Der Weg dazu ist die Vermittlung der der feststehenden Ergebnisse der Wissenschaft durch Buch, Vortrag, Kurs oder Arbeitsgemeinschaft.“ (Bründl o.J.: 16). Die Träger der Volksbildung waren die Vereine.

5.2 Die Volksbildungsinstitutionen in Wien und Umgebung

In Wien entstanden zwischen 1885 und dem Ersten Weltkrieg fünf bedeutende Bildungsinstitutionen, die alle eigenständig waren, das heißt keinem übergeordnetem Verband angehörten. Das waren, der 1887 gegründete Wiener Volksbildungsverein, die Volkstümlichen Universitätsvorträge 1895, die, auch 1887 anlässlich des 50 jährigem Thronjubiläums von Kaiser Franz Josef I gegründete, Urania, der Verein für Abhaltung wissenschaftlicher Lehrkurse für Frauen und Mädchen 1900, kurz Athenäum genannt und 1901 das Volksheim, das nicht den Namen Volkshochschule tragen durfte (vgl. Filla 2014: 41). Da allen diesen

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Bildungseinrichtungen eine große Bedeutung zukommt, werde diese ich in den nachfolgenden Kapiteln näher beschreiben.

5.2.1 Der Wiener Volksbildungsverein

Der Wiener Volksbildungsverein, der 1887 ins Leben gerufen wurde, hatte seine Wurzeln, wie bereits besprochen im Allgemeinen Niederösterreichischen Volksbildungsverein, welcher wiederum seine Entstehung zu einem großen Teil den Volksbibliotheken verdankte. Einen weiteren Anstoß für seine Gründung verdankte er dem „Kremser Wochenblatt“, das durch seine Beiträge zur Plattform des niederösterreichischen Vereins wurde (vgl. Filla 1998: 79)

Von Bedeutung für die Gründung des Wiener Volksbildungsvereins war auch der Verein „Casino“, eine Lese Café aus 1850, in dem ab 1865 „populäre Vorlesungen“

stattfanden, die hauptsächlich von Professoren des Gymnasiums abgehalten wurden. Der 1855 in Stein an der Donau gegründete „Katholische Gesellenverein“

nahm sich der Elementarbildung wie Lesen; Schreiben, Rechnen, Religion und Gesang für Gesellen an. Der Verein „Union“ der nur von 1881 bis 1885 bestand, gilt als unmittelbarer Vorläufer des Volksbildungsvereins. Sein Statut den Ausschluss jeder Politik aus der Vereinstätigkeit, bildete die Grundlage für den Neutralitätsgrundsatz, der den Volkshochschulen bis 1934 als Grundsatz diente.

Das Angebot der Union beinhaltete wissenschaftliche Vorträge und Diskussionen, Konzerte, Bälle, musikalische Abende und Landpartien (vgl. Filla 1998: 79).

Der „Gabelsberger Stenographenverein“, der „Club Merkur“ und der „Kremser Arbeiterbildungsverein“ sind als weitere Vorläufer des Niederösterreichischen Volksbildungsvereins zu sehen. Krems war ein sehr fruchtbarer Boden auf dem Gebiet der Volksbildungsaktivitäten mit einer sehr engagierten Lehrerschaft, die einen wesentlichen Anteil an der 1885 erfolgten Gründung des Allgemeinen niederösterreichischen Volksbildungsverein hatten(vgl. Filla 1998: 80).

Die klein- und bildungsbürgerlichen Bestrebungen mit ihren unterschiedlichen politischen Anschauungen bildeten den soziologischen Hintergrund für die

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Volksbildungsbestrebungen. Eine organisierte Arbeiterschaft mit sozialistischer Orientierung spielte bei dieser Gründung keine Rolle. Der Unterschied zu den späteren Wiener Volkshochschulen war der, dass die frühen Volksbildungsvereine noch keine einheitliche Planung des Kursprogramms aufwiesen und dass die Kontinuität der Bildungstätigkeit und die dafür notwendigen institutionellen Grundlagen nicht gegeben waren (vgl. Filla 1998: 80).

Am 4. Dezember 1886 wurde in einer sehr gut besuchten Versammlung die Gründung des Zweigvereins „Wien und Umgebung“ des „Allgemeinen niederösterreichischen Volksbildungsvereins“ beschlossen. Die Vereinsgründung selbst fand dann am 22. Jänner 1887 statt. Ein maßgeblicher Initiator war Eduard Leisching, der viele Jahre im Volksbildungsverein entscheidend mitwirkte. Der Vorstand des „Zweigvereins Wien und Umgebung“, der ausschließlich mit Männern besetzt war, bestand aus dem Obmann Dr. Alexander von Peez, ein Mitglied des Abgeordnetenhauses, Eduard Leisching, der später Museumsdirektor wurde, dem Schriftführer Adam Müller- Guttenbrunn und Persönlichkeiten aus der Wirtschaft und Bürokratie. Ein namhaftes Mitglied des Vereins war auch Viktor Adler, dem es besonders wichtig war, dass der Verein die Bildungsbestrebungen der Arbeiterschaft fördern, ihre politischen Ambitionen jedoch nicht stören sollte. Wie bereits in den vorigen Kapiteln erwähnt, wurde von der Arbeiterbewegung niemals versucht ihre politischen und sozialistischen Vorstellungen in die Volksbildungs-arbeit einzubringen (vgl. Filla 1998: 81).

Im Jahr 1893 löste sich der Zweigverein „Wien und Umgebung“ von seinem Stammverein und begann unter dem Namen „Wiener Volksbildungsverein“ seine Arbeit weiterzuführen. Von Beginn an war die Intention des Volksbildungsvereins das geschriebene Wort mit dem gesprochenen Wort zu verknüpfen und so entstanden die Volksbibliotheken für das geschriebene Wort und die Vortragstätigkeiten für das Gesprochene. 1887 war bereits die Volksbibliothek in Simmering mit einer angeschlossenen Freilesehalle entstanden. Eine zweite Bibliothek folgte im März 1888 und im April desselben Jahres wurde die Volksbibliothek in Favoriten gegründet (vgl. Filla 1998: 82). Die rege Gründung von Volksbibliotheken blieb aufrecht und so wurden 1890 sechs weitere Bibliotheken errichtet. Danach folgten Freilesehallen für Häftlinge, Lehrling und Patienten des

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Allgemeinen Krankenhauses und Garnisonsbibliotheken für Soldaten (vgl. Filla 1998: 82).

Das Gesprochene Wort fand seine Bestimmung in einer Vortragstätigkeit, die zuerst nur an Sonntagen stattfand. Themen wie Gesundheitspflege, Naturwissenschaft, Volkswirtschaft, Erziehungslehre, Kunst, Geschichte, Gewerbewesen und Buchführung. Ursprünglich war eine berufsorientierte Bildungstätigkeit vorgesehen, doch bereits zu Ende der 1880er Jahren wurde die Bildungstätigkeit um Volksconcerte und literarische Veranstaltungen ergänzt und so die berufliche Bildung um eine allgemeine und kulturelle Bildung erweitert. Von den 235 gebotenen Vorträgen waren 39 reine Vorträge und 27 Konzerte. Die naturwissenschaftlichen Vorträge aufgrund der neuen Erkenntnisse in Chemie und Elektrizität standen auf der Beliebtheitsskala ganz oben. Gesundheitsthemen und geographische und landeskundliche Vorträge waren auch außerordentlich beliebt (vgl. Filla 1998: 84).

Alle Vorträge des Volksbildungsvereines konnten von Frauen auch besucht werden und das zu einer Zeit als Frauen an den Universitäten noch nicht zugelassen waren.

Es fanden sogar Vorträge von Frauen mit besonderer Berücksichtigung von Fragen, welche der weiblichen Bevölkerung am Herzen lagen statt (vgl. Filla 1998: 84).

Die bedeutendste Innovation des Wiener Volksbildungsvereins war, wie bereits im vorangegangenen Kapitel erwähnt, die Zusammenfassung von einzelnen Vorträge zu ganzen Zyklen und die Einführung von Kursen über einen längeren Zeitraum hinweg. Ludo Moritz Hartmann ist es zu verdanken, dass die Vorträge zu Kursen zusammengefasst wurden und er bemühte sich auch um die Finanzierung der Kurse und die Bezahlung der Kursleiter. Die Teilnahme an den Kursen blieb weiterhin unentgeltlich. 1890 wurden erstmals sieben Kurse in die Tat umgesetzt mit insgesamt 486 HörerInnen. Rund 10% der TeilnehmerInnen waren Frauen, der Arbeiteranteil betrug ca. 30%, die Handels- und Gewerbetreibenden 16% und jeder fünfte Hörer kam aus dem Beamtentum. Damit zeigt sich die Mittelschichtorientierung wie auch schon in der Frühzeit der Volkshochschulen an und die soziale Durchmischung. Nur 3% der Kursteilnehmer waren Hochschüler, 7,4% Mittelschüler und ca. 5% Lehrer.

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Carl Grünberg war der Kursleiter von zwei der Kurse, die Gesetztes und Verfassungskunde zum Thema hatten. Grünberg gilt als der „Ahnherr“ des Austromarxismus und wurde 1924 als erster Direktor des Institutes für Sozialforschung nach Frankfurt berufen (vgl. Filla 1998: 85). Volkswirtschaft, Hygiene, Geschichte des letzten Jahrhunderts, Arbeiterschutz und Arbeiterversicherung. Während Grünberg in seinen Kursen den Marxismus noch nicht zum Thema machte, ging Dr. Siegmund Feilbogen in seinem Kurs der Volkswirtschaftslehre auf die Marxsche Mehrwertlehre ein. Dies war ein erster Ansatz den Marxismus als Wissenschaft zu thematisieren, was dann in den 1920er

Carl Grünberg war der Kursleiter von zwei der Kurse, die Gesetztes und Verfassungskunde zum Thema hatten. Grünberg gilt als der „Ahnherr“ des Austromarxismus und wurde 1924 als erster Direktor des Institutes für Sozialforschung nach Frankfurt berufen (vgl. Filla 1998: 85). Volkswirtschaft, Hygiene, Geschichte des letzten Jahrhunderts, Arbeiterschutz und Arbeiterversicherung. Während Grünberg in seinen Kursen den Marxismus noch nicht zum Thema machte, ging Dr. Siegmund Feilbogen in seinem Kurs der Volkswirtschaftslehre auf die Marxsche Mehrwertlehre ein. Dies war ein erster Ansatz den Marxismus als Wissenschaft zu thematisieren, was dann in den 1920er