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Teil II Institutionalisierung der Erwachsenenbildung

7. Begriffe der Bildung Erwachsener im Wandel der Zeit

Betrachtet man die Begriffsgeschichte der Erwachsenenbildung, so lassen sich nach Seitter drei unterschiedliche Begriffe beschreiben: Die Volksbildung, die Erwachsenenbildung und die Weiterbildung bzw. das lebenslange Lernen. Dabei muss man die historischen Vorgänge und die sozialen Begebenheiten berücksichtigen (vgl. Seitter 2007: 135). Auf der einen Seite die Begriffe

„Volksbildung“ und „Erwachsenenbildung“, die eine personenbezogene Absicht darstellen und auf der anderen Seite der Begriff des „lebenslangen Lernens“, der durch einen Zeitbezug bestimmt wird. Seitter schreibt dazu: „Die Umstellung von einem Personenbezug auf einen- zunehmend radikalisierten- Zeitbezug begründet die These, dass mit der Begriffsverschiebung von der Volksbildung zum lebenslangen Lernen Erwachsenenbildung zum Medium der Temporalisierung des Lebenslaufs wird. Nicht mehr das Volk, der Erwachsene oder ein unspezifisches

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„Weiter“, sondern der Lebenslauf wird zum zentralen Bezugspunkt moderner Erwachsenenbildung“ (Seitter 2007: 135).

7.1 Volksbildung

Der Begriff „Volksbildung“ des 18. und 19. Jahrhunderts wurde als altersunspezifischer Begriff verwendet. Als Volk wurden alle Mitglieder der Gesellschaft bezeichnet oder der Begriff umfasste nur die Mitglieder der niederen Gesellschaftsschichten. Die Volksbildung dieser Zeit war eine zeitlich begrenzte, vorübergehende Maßnahme, um berufliche und praktische oder religiöse Anforderungen besser bewältigen zu können. Sie blieben auf die bäuerlichen und handwerklichen Lebensumstände beschränkt und unterlagen den strengen hierarchischen Obrigkeitsverhältnissen dieser Epoche, in denen der Einzelne entweder durch den Gutsherrn oder die Kirche auf seinen angestammten Platz verwiesen wurde (vgl. Seitter 2007: 136). Die Übergänge zwischen Kind, Jugend und Erwachsenen waren fließend.

Volksbildung bezog sich nicht auf die Bildung Erwachsener, sondern auf die benötigten Probleme der Landwirtschaft, des Gewerbes und der anderen benötigten Maßnahmen zur Bewältigung der Berufe. Der Lese-, Schreib- und Zeichenunterricht wurde von Jugendlichen und Erwachsenen gleichermaßen besucht. Der Erwachsene wurde nicht als Individualität sondern als Glied in einer ständischen Volkshierarchie betrachtet. Sein Lernvermögen und seine Aufklärung sollten sich innerhalb seines Berufes und innerhalb seines Standes bewegen, obwohl sich der volksbildnerische Tatendrang auch auf allgemeine und ständeübergreifende Themen bezog (vgl. Seitter 2007: 137).

Der Großteil der Erwachsenen des 18. Jahrhunderts war noch nicht mit Rechten und Pflichten innerhalb des Staatsgefüges ausgestattet. Die staatsbürgerlichen Rechte und Pflichte waren ausschließlich für die adeligen und bürgerlichen Schichten reserviert und Knechte, Mägde, Gesellen und Taglöhner wurden von ihrer Herrschaft in einer geradezu kindlichen Abhängigkeit gehalten. Das

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Erwachsensein definierte sich nicht durch das Alter sondern ausschließlich durch den sozialen Status. Das Volk war abhängig von adeligen Grundbesitzern, städtischen Patriziern oder Handwerksmeistern, die ihre Freiheit und Verfügungsgewalt ihrem Status innerhalb der Gesellschaftsordnung verdankten (vgl. Seitter 2007: 137).

7.2 Erwachsenenbildung

Der Terminus „Erwachsenenbildung“, der den Begriff der „Volksbildung“ um 1900 ablöste, signalisierte bereits eine altersspezifische Definition, nämlich die die Bildungsarbeit mit Erwachsenen und für Erwachsene. Entscheidend dabei war die unterschiedliche Betrachtungsweise zwischen der Arbeit mit Schülern und der Arbeit mit Erwachsenen. Der Erwachsene galt als Person mit einer eigenen Geschichte und einer eigenen Erfahrung, die zum Ausgangspunkt der didaktischen Bemühungen gemacht wurde. Seine Leistung sollte nicht benotet und beurteilt werden wie die der Schüler, und seine Person aufgrund der bereits erlebten Erfahrungen respektiert. Der Erwachsene musste nicht mehr erzogen werden, da er seinen Platz innerhalb seiner Lebenswelt schon gefunden hatte, sondern er musste in Position anerkannt werden (vgl. Seitter 2007: 138).

Die Arbeitsgemeinschaft der 1920er Jahre anerkannte die neue Begriffsdefinition des Erwachsenen und der Wechsel vom Begriff Volksbildung zum Begriff Erwachsenenbildung fiel auch in dieses Zeitalter. Die Bildungsarbeit dieser Zeit beruhte auf der Eigenständigkeit und Freiwilligkeit der Teilnehmer und Themenkreise wurden partnerschaftlich von allen Teilnehmern gemeinsam erarbeitet. Der Lehrende verstand sich als Moderator und Lernhelfer. Statt der Verbreitung allgemeiner Kenntnisse sollte die Arbeitsgemeinschaft ihren Bildungsfortschritt selbst bestimmen, unterschiedliche Wissensgebiete zulassen und die Kurse auch als Möglichkeit zu neuen Erkenntnissen und neuen Wissenserfahrungen nutzen (vgl. Seitter 2007: 138).

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Durch die Begriffsdifferenzierung von Schulbildung und Erwachsenenbildung spaltete sich die altersunspezifische Volksbildung in die altersspezifischen Bildungssegmente auf. Die Schule hatte die Aufgabe die Kinder und Jugendlichen zu bilden, was sich auch auf deren Lebensverläufe auswirkte. Erwachsenenbildung wurde zur wissenschaftsorientierten Bildungsform für die interessierten Erwachsenen. Diese unterlag keinerlei Verpflichtungen, sie war freiwillig und unterlag keiner gesellschaftlichen Selektion. Dem Erwachsenen wurde die Möglichkeit geboten, sich Wissen in Bezug auf seine beruflichen, lebenspraktischen und kulturellen Fertigkeiten anzueignen (vgl. Seitter 2007: 139).

7.3 Lebenslanges Lernen

In den 1960er und 1970er Jahren kam es durch den „Strukturplan für das Bildungswesen“, der durch den Deutschen Bildungsrat durchgesetzten Bildungsreform zu einem neuerlichen Begriffswechsel, der „Weiterbildung“. Der Strukturplan wurde nach vierjähriger Arbeit der Kommission des Bildungsrates vorgelegt. Neben den Vorschlägen zur Reformierung der Sekundarstufe, wurde erstmals auch das vorschulische und nachschulische Lernen in das öffentliche Bildungswesen aufgenommen. Der veränderte Blick auf die Erwachsenenbildung und die vorgestellten Begründungen für das Weiterlernen nach der eigentlichen Schule, führte die Kommission dazu, den Begriff „Weiterbildung“ statt

„Erwachsenenbildung“ in ihr Programm aufzunehmen (vgl. Seitter 2007: 142).

Neben die schulische, berufliche und universitäre Bildung sollte die Weiterbildung einen Platz in der Bildungslandschaft finden. „ Der Bildungsprozess sollte nicht okkasionell, kompensatorisch und vorübergehend, sondern dauerhaft, komplementär und lebensbegleitendgestaltet werden“ (Seitter 2007: 140). Der Unterschied in der altersspezifischen Volksbildung zur altersübergreifenden Weiterbildung bestand und besteht in der Permanenz der Aufgabe des Lernens.

Diese Permanenz wurde schließlich in derselben Bildungsreform im Begriff des

“lebenslangen Lernens“ aufgenommen und besonders von der UNESCO und der OECD als Begriff gefördert (vgl. Seitter 2007: 140).

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Mit der adressatenunspezifischen und altersübergreifenden Formulierung des lebenslangen Lernens verwischt sich die strikte Trennung von Jugend- und Erwachsenenphase. Die wissenschaftliche Konstruktion des Teilnehmers in der Erwachsenenbildung beginnt sich aufgrund dieser Tatsache der unterschiedlichen Lebensmilieus in ihrer Wirkung zu analysieren. Betrachtet man die Begriffsgeschichte der Erwachsenenbildung wird dieser Prozess durch die Begriffsveränderung erklärt, die das Konzept des lebenslangen Lernens seit den 1960er Jahren in bildungspolitischer, bildungspraktischer und erziehungs-wissenschaftlicher Hinsicht durchlaufen hat (vgl. Seitter 2007: 142).