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Die sozialen Unruhen von 1380/1384

Im Dokument Familie und Memoria in der Stadt. (Seite 74-78)

Die politische Lage im endenden 14. und beginnenden 15

5.1 Die sozialen Unruhen von 1380/1384

Zu ersten Spannungen kam es bereits im Jahre 1374, als der Rat versuchte, zus¨atzlich zum Schoß eine Vorsteuer in H ¨ohe von 1 Ml ¨ub zu erheben, welche alle Hausbesitzer zahlen sollten, und die Abgabe f ¨ur das M ¨uhlen zu erh ¨ohen. Zu diesem Zeitpunkt scheint der Rat, wie bei der erneuten Beschwerde der Handwerkerschaft ¨uber die zu hohe j¨ahrliche Steuerleistung im Jahre 1376, aus welchem eine Bittschrift der betroffenen ¨Amter erhalten

1Zu L ¨ubeck grundlegend Brandt, A. v., Knochenhaueraufst¨ande, S. 123–200; vgl. auch Gleba, G., Die Gemeinde als alternatives Ordnungsmodell. Zur sozialen und politischen Differenzierung des Gemeinde-begriffs in den innerst¨adtischen Auseinandersetzungen des 14. und 15. Jahrhunderts. Mainz, Magdeburg, M ¨unchen, L ¨ubeck (Dissertationen zur mittelalterlichen Geschichte, Bd. 7, K ¨oln/Wien 1989) S. 194–202; Hoff-mann, E., L ¨ubeck im Hoch- und Sp¨atmittelalter, S. 242–248 und die ¨alteren Arbeiten von Deecke, E., Die Hochverr¨ather zu L ¨ubeck im Jahre 1384, L ¨ubeck 1858; Pauli, C. W., L ¨ubeckische Zust¨ande im Mittelalter, Teil II, S. 49–53; Erbst ¨oßer, M., Der Knochenhaueraufstand in L ¨ubeck 1384 (Vom Mittelalter zur Neuzeit, Zum 65. Geburtstag von H. Sproemberg, hrsg. v. H. Kretzschmar, Berlin 1956) S. 126–132.

F ¨ur die anderen St¨adte vgl. Brandt, A. v., Knochenhaueraufst¨ande, S. 124f. sowie Barth, R., Argumentati-on und Selbstverst¨andnis der B ¨urgeroppositiArgumentati-on in st¨adtischen Auseinandersetzungen des Sp¨atmittelalters, K ¨oln/Wien 1974, S. 121–175 und die jeweils dort angegebene Literatur.

2Vgl. dazu Hoffmann, E., L ¨ubeck im Hoch- und Sp¨atmittelalter, S. 248–258; Gleba, G., 203–232; Barth, R., S. 25–120; Rotz, R. A., The Lubeck uprising of 1408 and the decline of the Hanseatic league (Proceedings of the American Philosophical Society 121 [1977]) S. 1–45; Dollinger, Ph., Die Hanse, dritte ¨uberarbeitete Auflage, Stuttgart 1976, S. 368–375 sowie Wehrmann, C., Der Aufstand in L ¨ubeck bis zur R ¨uckkehr des Alten Rates 1408–1416 (HGBll 8 [1878]) S. 103–156, der zwar die ¨alteste aber immer noch beste Darstellung der Fakten der Auseinandersetzung liefert.

Zu den Quellen vgl. CDS 26, S. 395–403.

Die politische Lage Ende 14./Anfang 15. Jahrhunderts 57 ist, eingelenkt zu haben3. Aus der Sicht der Ereignisse der Jahre 1380 und 1384 handelte es sich hierbei jedoch lediglich um Vorgepl¨ankel, ging es dabei doch nur um die Beseiti-gung wirtschaftlicher BenachteiliBeseiti-gungen. Trotzdem zeichnete sich hier eine Entwicklung ab, die f ¨ur das Jahr 1380 eminent wichtig werden sollte: Die ¨Amter traten geschlossen f ¨ur eine Verbesserung ihrer Position gegen den Rat auf.

F ¨ur die Ereignisse zu Beginn der 80-er Jahre des 14. Jahrhunderts wurden die Knochenhauer, also die Metzger und Fleicher, federf ¨uhrend. Dies ist sicherlich keine Uberraschung, stellten sie doch die gr ¨oßte und wohl auch wohlhabendenste Gruppe¨ innerhalb der von v. Brandt ermittelten Sozialschicht III mit ca. 104 Mitgliedern4. Im Jahr 1380 standen nicht aktuelle wirtschaftspolitische Anl¨asse im Vordergrund, vielmehr ging es den Knochenhauern um die Beseitigung ihrer gewerberechtlichen Schlechterstel-lung gegen ¨uber den anderen Handwerks¨amtern, standen sie doch unter einem strengen Marktzwang und der Verf ¨ugungsgewalt des Rates5. Die Forderung, wie sie Detmar in seiner Chronik mitteilt, bezog sich demnach zun¨achst auf eine Beseitigung der Bevor-mundung seitens des Rates:

de van den ampten, sunderliken de knokenhouwer, esscheden veles rechte unde vryheit van den leden in den vlesscharnen6.

Dabei gelang es den Fleischern unter Berufung auf das olde recht auch die ande-ren ¨Amter der Stadt f ¨ur ihre Forderungen zu gewinnen. Unter Vermittlung angesehener Kaufleute, die hier als verfassungsgem¨aße Gruppe, welche den Rat stellte, auf dessen Seite handelte, konnte ein Kompromiß ausgehandelt werden, der beiden opponierenden Parteien scheinbar gerecht werden w ¨urde: Den Handwerkern wurden weitreichende Zu-gest¨andnisse gemacht unter der Bedingung, daß damit nicht

”das

olde recht‘ anderer Mitb ¨urger beeintr¨achtigt w ¨urde“7.

Doch als am dritten Adventssamstag [15. Dezember] erneut unter F ¨uhrung der Kno-chenhauer alle ¨Amter eine urkundliche Verbriefung dieser Rechte verlangten, lehnte der

3Vgl. dazu CDS 19, Detmar III, Art. 776: In deme sulven jare in der advente unses Heren vorhof sik de erste misbehegelicheit unde wrank der menheit jegen den raat to Lubeke.

Siehe zur Bittschrift UBStL IV, Nr. 326; vgl. auch Brandt, A. v., Knochenhaueraufst¨ande, S. 180f.; Hoffmann, E., L ¨ubeck im Hoch- und Sp¨atmittelalter, S. 243f. sowie Gleba, G., S. 195f.

4Vgl. dazu Brandt, A. v., Knochenhaueraufst¨ande, S. 131 und 184; Hoffmann, E., L ¨ubeck im Hoch- und Sp¨atmittelalter, S. 244 sowie zu den Schoßleistungen der Knochenhauer und der anderen ¨Amtern UBStL IV, Nr. 326.

5Vgl. dazu CDS 19, Detmar III, Art. 813; Gleba, G., S. 196f.; Hoffmann, E., L ¨ubeck im Hoch- und Sp¨atmit-telalter, S. 244f sowie Brandt, A. v., Knochenhaueraufst¨ande, S. 185:

Diese bisher nicht gen ¨ugend beachtete gewerberechtliche Schlechterstellung der Knochenhauer bietet die Erkl¨arung daf ¨ur, warum sie bei jeder Un-ruhe voranstanden und warum auch 1380 ihre Forderungen die einzig genau pr¨azisierten waren“.

6CDS 19, Detmar III, Art. 813 [S. 569]; vgl. dazu auch Brandt, A. v., Knochenhaueraufst¨ande, S. 185f.;

Hoffmann, E., L ¨ubeck im Hoch- und Sp¨atmittelalter, S. 244f. sowie Gleba, G., S. 196f.

Zu den Zw¨angen, denen das Amt der Fleischhauer unterlag, siehe die Aufz¨ahlung bei Brandt, A. v., Kno-chenhaueraufst¨ande, S. 185 und die dort zugrundegelegten Quellentexte UBStL II, Nr. 1098 [S. 1046 Anm. 6]

und III, Nr. 186.

7Brandt, A. v., Knochenhaueraufst¨ande, S. 186 [Hervorhebung wie im Original]; vgl. auch CDS 19, Det-mar III, Art. 813; Hoffmann, E., L ¨ubeck im Hoch- und Sp¨atmittelalter, S. 245.

Rat dies rundweg ab: H¨atte er zu dieser Forderung eingewilligt, st ¨unden die handwerk-lichen ¨Amter auf einer gleichgeordneten Position und der Rat h¨atte seine verfassungs-rechtliche Vorrangstellung aufgegeben8. Er wollte lediglich einer Eintragung in des stades book9zustimmen, welches aber von den Handwerkern abgelehnt wurde. An dieser Stel-le ist genau zu eruieren, daß der Konflikt nicht auf eine gewerberechtliche sondern eine verfassungsrechtliche Besserstellung der Handwerkerschaft abzielte: So manifestiert sich die These A.s v. Brandt, daß der ”Urgrund der Unruhen [...] fast ¨uberall die zunehmen-de ozunehmen-der grunds¨atzliche Ausschließung zunehmen-der Handwerker vom Stadtregiment“10war. Vom rein rechtlichen Standpunkt w¨are die Niederschrift in einem der amtlichen Stadtb ¨ucher weit tragf¨ahiger gewesen, da diese jedes andere schriftliche Zeugnis an Gewicht ¨uber-trafen; die ¨Amter hatten jedoch erkannt, daß ihnen ein st¨adtisches Privileg in Zukunft dienlicher w¨are11.

Nun drohte die Lage zu eskalieren und nachdem die Handwerker sich schon in der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember bewaffnet hatten, traten am folgenden Morgen, den 16. Dezember 1380, auch die Kaufleute in Waffen an, um die Position des Rates zu vertei-digen. Erneut wurden Verhandlungen in der gemeindlichen Versammlungsst¨atte zu St.

Katharinen aufgenommen, in deren Verlauf die ¨Amter, wohl auch unter dem Eindruck, dat dat volk so mechtych tegen se tho harenssche lach12, nachgaben. Das Amt der Knochen-hauer erhielt zwar neue Rechte und hatte somit unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten einen Erfolg erreicht, politisch aber waren sie gescheitert13. Daf ¨ur hatten sie ¨offentlich S ¨uhne zu leisten und zur Beschw ¨orung derselben sollten sowohl sie als auch die Kauf-leute je 24 angesehene Mitglieder ihrer Gruppe stellen, die am Domstegel den wiederher-gestellten Frieden beeideten14. Der Rat erscheint hier als ¨ubergeordnete Institution, vor dem diejenigen Abbitte leisten mußten, welche den Frieden in der Stadt st ¨orten, auch wenn sich die Auflehnung der ¨Amter jegen den raad15 und nicht gegen die Kaufmann-schaft gerichtet hatte.

Daß die Knochenhauer sowie einige weitere Handwerker mit dem Erreichten nicht zufrieden waren, zeigen die Ereignisse im September 1384. Wohl unter der F ¨uhrung Heinrich Paternostermakers, dem Sohn von Johann Paternostermaker, welcher es vom Bernsteindreher zum angesehenen B ¨urger und Kaufmann gebracht hatte, bildete sich

8Vgl. dazu CDS 19, Detmar III, Art. 813; Brandt, A. v., Knochenhaueraufst¨ande, S. 186f.; Gleba, G., S. 197.

9CDS 19, Detmar III, Art. 813 [S. 570].

10Brandt, A. v., Knochenhaueraufst¨ande, S. 125. Schon E. Daenell hat dies in seiner rund 50 Jahre zuvor erschienenen Darstellung ¨uber die Hanse richtig erkannt — vgl. Daenell, E., Die Bl ¨utezeit der Deutschen Hanse, Bd. 1, Berlin 1905, S. 501f.

11Vgl. dazu Brandt, A. v., Knochenhaueraufst¨ande, S. 187; Hoffmann, E., L ¨ubeck im Hoch- und Sp¨atmit-telalter, S. 245 sowie Gleba, G., S. 197.

12CDS 26, Berichte und Aktenst ¨ucke ¨uber die Ereignisse in L ¨ubeck von 1403–1408, S. 351.

13Vgl. zu den neu festgesetzten Rechten f ¨ur das Amt der Knochenhauer Brandt, A. v., Knochenhauer-aufst¨ande, S. 189.

14Vgl. dazu Brandt, A. v., Knochenhaueraufst¨ande, S. 188f.; Gleba, G., 197f. sowie Hoffmann, E., L ¨ubeck im Hoch- und Sp¨atmittelalter, S. 245.

15CDS 19, Detmar III, Art. 814 [S. 571].

Die politische Lage Ende 14./Anfang 15. Jahrhunderts 59 ein kleiner Kreis von etwa 60 bis 65 Verschw ¨orern, der einen gewaltsamen Umsturz der Stadtverfassung erreichen wollte16. Dem engsten F ¨uhrungskreis um Heinrich Paterno-stermaker geh ¨orten die beiden B¨acker Heinrich Caleveld und Hermann van Mynden, die beiden Pelzer Arnold Synneghe und Johann van Soest sowie die beiden Knochen-hauer Nikolaus van der Wisch und Godeke Wittenborch an17. Bei der Zusammenset-zung der gesamten Verschw ¨orergruppe ¨uberwogen die Handwerker aus dem Amt der Knochenhauer, die ungef¨ahr die H¨alfte dieses Kreises stellte. Auffallend ist zudem, daß der Großteil eine

”durch pers ¨onliche oder gesch¨aftliche oder nachbarliche Beziehungen verkn ¨upfte Einheit bildete“18und sich in schwieriger wirtschaftlicher Lage befand19.

Am Morgen des 16. September 1384 wollte die Gruppe losschlagen und zun¨achst den Rat bei seiner morgendlichen Sitzung festsetzen bzw., falls n ¨otig, erschlagen und dann durch eine Brandstiftung am Haus eines der Mitverschw ¨orer die zusammenlaufen-de Menge f ¨ur ihre Ziele motivieren. Aus zusammenlaufen-den Erfahrungen zusammenlaufen-des gescheiterten Aufstanzusammenlaufen-des von 1380 und dem Wissen um die zahlenm¨aßige ¨Uberlegenheit der Kaufleute, wurde die Unterst ¨utzung der holsteinischen Ritter Gottschalk und Detlef Godendorp mit ihren Mannen gesucht. Letztere sollten sobald sie auf den Brand aufmerksam wurden in die Stadt einr ¨ucken und so den Kreis der Verschw ¨orer gegen die Kaufleute unterst ¨utzen20. Die Notiz Detmars’, daß boden unde breve quemen an den raat21, legt die Vermutung nahe, in diesem außerst¨adtischen Kreis denjenigen zu ermitteln, welcher den l ¨ubeckischen Rat von diesem Umsturzversuch in Kenntnis gesetzt hat. Der Rat reagierte sofort mit der Be-waffnung der loyalen Kaufmannschaft, der Besetzung der Stadtbefestigungen und der Tore sowie der vorsorglichen Verhaftung des inneren Verschw ¨orerkreises. Anscheinend kannte man in der Stadt die gr ¨oßten Unruhestifter, unter denen sich auch Heinrich Pa-ternostermaker befand; letzterer beging noch in der Nacht Selbstmord22.

In der Ahndung dieser Vorkommnisse ist zu erkennen, daß es sich aus dem Blick-winkel der beteiligten Zeitgenossen nicht um einen Aufruhr, sondern um einen Ver-rat an der Stadt handelte: Heinrich Paternostermaker, der sich einer Verhaftung durch Selbstmord entzog, wurde ebenso ¨offentlich der Prozeß gemacht wie 18 weiteren

Ver-16Vgl. zur Familie Paternostermaker und zum gesellschaftlichen Aufstieg des Vaters Johann die Ausf ¨uhrungen bei Brandt, A. v., Knochenhaueraufst¨ande, S. 147–161 und die dort angef ¨uhrten Quellenbele-ge des L ¨ubecker Niederstadtbuches; Peters, E., S. 135–139 sowie Nordmann, C., N ¨urnberQuellenbele-ger Großkaufleute im sp¨atmittelalterlichen L ¨ubeck (N ¨urnberger Beitr¨age zu den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, hrsg.

v. H. Proesler/W. Vershofen, Heft 37/38, N ¨urnberg 1933) S. 2, 6 und 153.

Zum Verschw ¨orerkreis vgl. die ausf ¨uhrlichen Angaben bei Brandt, A. v., Knochenhaueraufst¨ande, S. 161–

179. Dort werden auch die pers ¨onlichen und wirtschaftlichen Verh¨altnisse sowie das Schicksal der jeweiligen Person nach dem gescheiterten Aufstand besprochen.

17Vgl. dazu Brandt, A. v., Knochenhaueraufst¨ande, S. 167f., 171, 174 und 176f.

18Brandt, A. v., Knochenhaueraufst¨ande, S. 178f.

19Vgl. Brandt, A. v., Knochenhaueraufst¨ande, S. 177f. sowie Hoffmann, E., L ¨ubeck im Hoch- und Sp¨atmit-telalter, S. 247.

20Vgl. dazu Hoffmann, E., L ¨ubeck im Hoch- und Sp¨atmittelalter, S. 247 und Brandt, A. v., Knochenhauer-aufst¨ande, S. 190f.

21CDS 26, Detmar III, Art. 843 [S. 582].

22Vgl. dazu Brandt, A. v., Knochenhaueraufst¨ande, S. 191f. und Hoffmann, E., L ¨ubeck im Hoch- und Sp¨atmittelalter, S. 247f.

schw ¨orern, deren Urteil s¨amtlich auf Tod lautete; der Hauptanf ¨uhrer wurde sogar, ob-wohl schon tot, ger¨adert23. Das Amt der Knochenhauer, von dem ein großer Teil an diesem Umsturzversuch sowie den Ereignissen des Jahres 1380 pers ¨onlich beteiligt war, wurde vom Rat der Stadt zun¨achst aufgel ¨ost und erst Ostern 1385 neu begr ¨undet: Es stellte fortan nur 50 Meister gegen ¨uber der vorherigen Anzahl von 100 und stand unter strengster Kontrolle und Verwaltung des Rates mit jedwedem Verbot der Eigenst¨andig-keit, wie dies bei allen anderen Handwerks¨amtern der Fall war24. Die anderen ¨Amter wurden nur zu einem neuen Treueeid gegen ¨uber dem Rat verpflichtet, den diese am 21.

Februar 1385 leisteten25.

5.2 Die Auseinandersetzung zwischen Neuem und Altem Rat 1408/1416

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