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Sicherheitspolitischer Pluralismus in Europa

Gemeinsame Sicherheit für Europa – Inhalte, Irrwege und Institutionen

2. Sicherheitspolitischer Pluralismus in Europa

Die Vereinten Nationen sind global gesehen der zentrale Garant für den Frieden und seine Erhaltung. Die UNO (zum allgemeinen Charakter vgl. Schorlemer 2003) auszuhöhlen oder ihr andere für die globale Sicherheit zuständige Institu-tionen zur Seite zu stellen wird hier kritisch analysiert (Kapitel 3). Für die regio-nale Sicherheit – im vorliegenden Fall die Sicherheit in Europa – wird im Sinne eines »sicherheitspolitischen Pluralismus« argumentiert.

2.1. Regionale Sicherheit

Die veröffentlichte europäische Debatte um Außen- und Sicherheitspolitik hat sich im Wesentlichen auf die EU und die NATO verengt. Die UNO und vor allem die OSZE werden in manchen Überlegungen teils marginalisiert oder überhaupt nicht mehr erwähnt. Neben diesen Organisationen sind Institutionen wie der Eu-roparat oder regionale Initiativen – beispielsweise die Zentraleuropäische Initia-tive, Initiativen im Donauraum und der Schwarzmeerregion sowie der Nordische Rat – weitgehend aus dem öffentlichen Blickfeld verschwunden. Abseits einer zum Teil auch öffentlich geführten Debatte in der NATO um Truppen für Afgha-nistan oder die konfrontative Erweiterungspolitik einerseits und der Diskussion in der EU um die Politik der militärischen Auslandseinsätze und die Erhöhung von Militärbudget gerät andererseits ein umfassender Ansatz jenseits des Militärs aus dem Zentrum der Debatte. Ohne die breite Palette von Institutionen und Initiati-ven für regionale sicherheitspolitische Aufgaben allesamt grundsätzlich friedens-politisch zu idealisieren, so wird einem Bündel an vernetzten Institutionen und Normen eine stabilisierende Wirkung zugeschrieben.

2.2. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

Die OSZE (zum allgemeinen Charakter vgl. IFSH 2009) spielt bei der Debatte um einen nicht ausschließlich auf Militär reduzierten Sicherheitsbegriff eine wichtige Rolle. Bailes, Haine und Lachowski (2008: 73) beschreiben die Überschneidun-gen und Reibepunkte zwischen EU und OSZE sowohl funktional als auch geogra-phisch. Dabei werden Justiz- und Polizeireform, öffentliche Verwaltung, Bekämp-fung von Korruption, Menschenrechte, Demokratisierung, Wahlbeobachtung, Medien u. a. Aufgaben genannt. Örtlich ergibt sich für beide Organisationen der Westbalkan, Osteuropa sowie Zentralasien als Arbeitsfelder. Während die OSZE die meisten Betätigungsfelder um 1994 bereits voll entwickelt hatte, so begann

die EU mit den Bemühungen im Zuge der Gemeinsamen Außen- und Sicherheits-politik erst später. »Wahrscheinlich ist die Einschätzung realistisch, dass die OSZE möglicherweise professioneller und neutraler in der Beobachtung von Ge-schehnissen im Wahlprozess ist, die EU jedoch sowohl kurz- als auch langfristig eher in der Lage ist, die Geschehnisse auch zu ändern« (Bailes, Haine, Lachowski 2008: 74).

Die OSZE hat mit den kriegerischen Entwicklungen der 1990er Jahre am Bal-kan wichtige Erfahrungen für zivile Konfliktprävention und ziviles Krisenmana-gement machen können. Bailes, Haine, Lachowski (2008: 75 f.) führen auch an-dere Beispiele wie die Grenzsicherung (OSZE-Konzept versus Schengener Abkommen) an: »All dies kollidiert unbestreitbar existenziell mit dem Acquis und den Zielen der OSZE und erklärt zumindest teilweise, warum OSZE-Teilneh-merstaaten, die nicht EU-Mitglieder sind, das innerhalb wie außerhalb des Wiener Forums an den Tag gelegte monolithische Verhalten der EU möglicherweise übel nehmen (...) Aber wieder einmal könnte es so aussehen, als ob die ›Nachzügler‹-Institution sich einer Rolle bemächtigt, die ihrem Auftrag in der Zeit nach dem Kalten Krieg entsprechend eigentlich eine Herzensangelegenheit der OSZE sein sollte«, wobei auch auf Bereiche zu verweisen ist, wo beide Institutionen sich ver-stärken (nämlich, wo die EU keine Interessen hat oder diese nicht formulieren kann). Im Kaukasus hat die OSZE derzeit »noch die zentralere Rolle im (poten-ziellen) Friedensprozess inne; wie aber bereits angedeutet, steht die EU in dieser Region schon mit speziellen Programmen in den ›Startlöchern‹ und ist drauf und dran die OSZE auch operativ zu überholen« (Bailes, Haine, Lachowski 2008: 77).

Konsensbeschlüsse der OSZE – gerade im OSZE-Betätigungsfeld Kaukasus und Zentralasien – umfassen auch die Zustimmung Russlands. Bei Beschlüssen der EU in diesem geographischen Raum sitzt Russland nicht als stimmberechtig-tes Mitglied am Tisch. Bailes, Haine, Lachowski (2008: 77) sehen – da qualifi-ziertes Personal aus den Mitgliedstaaten stammt – einen möglichen »Schönheits-wettbewerb« um die »besten Köpfe«.

Die EU-Staaten und ihre Kandidaten für einen EU-Beitritt machen über 30 der insgesamt 55 OSZE-Staaten aus. Die EU-Staaten versuchen sich im Vorfeld der OSZE-Beratungen auf Positionen zu einigen, von denen sie später nicht mehr ab-rücken wollen. Der Schweizer und der US-amerikanische OSZE-Botschafter ha-ben diese EU-Strategie in einem Reformpapier im Juni 2005 (Alcee L. Hastings und Edouard Brunner, zit. nach Zellner 2006: 56) wie folgt beschrieben: »Die EU-Länder in der OSZE verhandeln angestrengt untereinander, bevor sie ihre ge-meinsamen Positionen den Nicht-EU-Ländern vorlegen. Wenn innerhalb der EU ein Kompromiss gefunden worden ist, gibt es einen sehr geringen Verhandlungs-spielraum, was zu der sinkenden Bedeutung der OSZE als politischer Plattform beiträgt.« Diese Praxis der Verhandlungsführung bestätigen auch russische und afrikanische DiplomatInnen für unterschiedlichste Fragen der internationalen Be-ziehungen immer wieder.

Die Überschneidung der Aufgaben – wie beispielsweise Polizeireform oder Grenzsicherung – zwischen OSZE und EU stellen aufgrund der ökonomischen und politischen Kraft der EU und deren Einsatz dieser Instrumente bei den Aufga-ben selbst eine ernstzunehmende Herausforderung für die OSZE dar. Die EU hat sich »fast das gesamte Spektrum auch ziviler Instrumente zur Krisenregulierung zugelegt und ist damit in einem Gebiet tätig geworden, in dem bisher die OSZE dominiert hatte« (Zellner 2006: 56). Diese Überschneidung kann die Erfüllung der Aufgaben erleichtern oder die Kooperation von EU und OSZE wird »auch durch die Indifferenz einer Reihe von EU-Staaten gegenüber der OSZE er-schwert« (Zellner 2006: 57).

Eine objektive Betrachtung der sicherheitspolitischen Institutionen in Europa macht deutlich, dass die OSZE auf absehbare Zeit mangels politischem Willen nicht zur zentralen Sicherheitsinstitution Europas werden wird. Gerade wegen ihrem umfassenden Zugang und ihren alle Mitglieder umfassenden Entschei-dungsstrukturen darf die Organisation für künftige Überlegungen zu einem Sys-tem für Frieden und Stabilität nicht marginalisiert werden.

2.3. »Helsinki II«

Die Schaffung von Institutionen und Regeln zur gemeinsamen Sicherheit ist gemäß dem hier propagierten »sicherheitspolitischen Pluralismus« einerseits in-nerhalb der bestehenden Institutionen – besonders seien hier die OSZE und die UNO erwähnt – voranzutreiben und andererseits ist auch eine offene Debatte über den friedenspolitischen Charakter der bestehenden Institutionen und über Vor-schläge von gouvernmentaler Seite zu diskutieren.

Aus der internationalen Lage nach dem völkerrechtswidrigen Kosovo-Krieg 1999, dem laufenden Afghanistan- und Irak-Krieg, der Situation um die Begren-zung der konventionellen Streitkräfte in Europa, der Frage der Raketenabwehr oder der Politik und Militärpräsenz westlicher Akteure in Osteuropa, dem Kauka-sus und Zentralasien hat die Russische Föderation eine Diskussion über »Helsinki II« vorgeschlagen. Der Russische Präsident Medwedjew schlägt eine Ordnung

»auf der Hoheit des Rechts« auf Basis der UN-Charta vor. Er ist der Auffassung,

»dass wir ohne Einsparungen bei militärischen Ausgaben nicht die nötigen Res-sourcen finden können, die wir für eine effiziente Antwort auf die eigentlichen Herausforderungen wie illegale Immigration, Klimaveränderungen und globale Armut benötigen.« Vorgeschlagen wird »die Ausarbeitung und der Abschluss ei-nes juristisch verbindlichen Vertrages über die europäische Sicherheit«, wobei Medwedjew eine kritische Haltung gegenüber der NATO vertritt. »Die NATO schafft es ebenso nicht, ihrer Existenz eine neuen Sinn zu verleihen. Gegenwärtig wird versucht, diesen Sinn mit der globalisierten Mission der Allianz zu begrün-den, dies u. a. unter Verletzung der Prärogativen der UNO, (...) sowie durch Ge-winnung neuer Mitglieder. Es ist aber offensichtlich, dass dies keine Lösung für

die gestellte Aufgabe sein kann« (Medwedjew 2008: 1, 3). Zusätzlich wurden von Präsident Medwedjew eine Reihe rüstungspolitischer Vorschläge dargelegt, wie die Verhinderung der Weltraumrüstung, die Reduzierung von Nuklearwaffen und Trägersystemen sowie die Zerstörung statt nur die Konservierung von Atomwaf-fen (Quiring 2009).

Die skizzierten Eckpfeiler legen nahe, diese Debatte um eine Neugestaltung europäischer Sicherheit weiterzuverfolgen. Die Instrumente der zivilen Krisen-prävention und des zivilen Krisenmanagements sollten von Seiten friedensorien-tierter Akteure – Teile der Medien, Wissenschaft, Parteien und Zivilgesellschaft – in die Diskussion eingebracht werden.

2.4. Rolle der Neutralität in Europa

Die Neutralität Österreichs geht auf das Bundesverfassungsgesetz aus dem Jahr 1955 zurück. Österreich muss die Neutralität mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen. Österreich darf keinen militärischen Bündnissen beitreten und keine fremden Stützpunkte auf seinem Staatsgebiet zu-lassen.

Die neutralen der EU – Schweden, Finnland, Irland, Malta und Österreich – und die Schweiz außerhalb der EU haben unterschiedliche Grundlagen und Tradi-tionen, ihre Neutralität mit Inhalten zu füllen. Gemeinsam ist allen Neutralen – wenn man die jüngere Geschichte betrachtet –, dass sie sich für Abrüstung, Dia-log und internationale Verständigung eingesetzt haben. Zwischen Solidarität und Neutralität wurde ein Widerspruch konstruiert. Die Neutralität war in Irland zen-traler Punkt, warum die Bevölkerung den Vertrag von Nizza und den Verfassungs-vertrag im ersten Referendum abgelehnt haben.

Mit der Neutralität Österreichs – ursprünglich nach dem Vorbild der Schweiz ausgerichtet – war im Laufe der Jahrzehnte eine so genannte »aktive Friedens-und Neutralitätspolitik« eng verbFriedens-unden. Das bedeutete beispielsweise die Förde-rung des Friedensprozesses im Nahen Osten, den Nord-Süd-Dialog, die Stärkung der Vereinten Nationen (Wien ist UNO-Standort) oder das Engagement im KSZE-Prozess (OSZE-Standort in Wien). Neutralität ist also wesentlich mehr als ein bloßes Gesetz, sondern ist für die Menschen in Österreich die Basis für eine kon-struktive und eigenständige Rolle in den internationalen Beziehungen geworden.

Zwischen 65 – 85 Prozent der Menschen sprechen sich in Umfragen für die Neu-tralität aus. Diese NeuNeu-tralität ist spätestens mit der Debatte um eine EG-Mitglied-schaft – wie auch in Schweden und Finnland – in Diskussion geraten.

Die Neutralität in der EU zu sichern heißt, diese aktiv in die Außenpolitik der EU einzubringen. Nationalstaatliche Außenpolitik hat innerhalb der EU an politi-scher Bedeutung verloren. Für eine zukunftsfähige Friedenspolitik Österreichs in der EU darf dies aber weder einen Abschied von der Neutralität noch von ihren Werten bedeuten. Die Wesensmerkmale der Neutralität sind auf die EU zu

über-tragen. Dass sich der Neutrale nicht an Kriegen beteiligen darf, kann von einem

»Friedensprojekt Europa« mit guten Begründungen eingefordert werden. Dies geht – entgegen dem aktuellen Trend – damit einher, dass die EU auf offensiven militärischen Interventionismus in aller Welt verzichtet. Weiters ist dem neutra-len Österreich im Sinne des Neutralitätsgesetzes verboten, militärischen Bündnis-sen beizutreten. Dies auf die EU zu übertragen bedeutet, alles zu verhindern, dass aus der EU ein Militärpakt wird. Dies betrifft die Beistandsverpflichtung nach dem Verfassungsartikel I-41.7., der jedoch »den besonderen Charakter der Sicher-heits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten« (z. B. die Neutrali-tät) betont. Zu guter letzt wird Österreich verboten, militärische Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiet zuzulassen. Das gilt es auch umgekehrt einzu-fordern.

EU-Interventionen sind unabhängig davon zu betrachten, ob die EU künftig als

»Kerneuropa« (Art. I-41.5. oder I-41.6.) agiert oder nicht. Der Anspruch eines ak-tiv Neutralen darf sich nicht darauf beschränken, bloß sicherzustellen, nicht in Militäraktionen verwickelt zu werden (durch »opting out«, »konstruktive Enthal-tung« oder die Berufung auf Einstimmigkeit, durch die Österreich derzeit zu kei-nen militärischen Abenteuern verpflichtet werden kann). Vielmehr ginge es darum, die Gesamtentwicklung der EU in Richtung einer militärisch ausschließ-lich defensiven und vorrangig präventiven zivilen Friedenspolitik zu lenken. Den neutralen EU-Staaten kommt dabei – möglicherweise auch als »Kerneuropa der Neutralen« (Roithner 2005: 1313) – eine entscheidende Rolle zu. Wenn ein deutsch-französisches Kerneuropa für mehr Rüstung und mehr Militäreinsätze vorangetrieben wird, so muss auch Platz für ein Kerneuropa – mit den Neutralen im Zentrum – sein, welches Vorreiter für Training, Rekrutment, Entsendung und Forschung von zivilem Krisenmanagement und ziviler Krisenprävention ist.