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Bedeutung der UNO und die Gefahr ihrer Aushöhlung

Gemeinsame Sicherheit für Europa – Inhalte, Irrwege und Institutionen

3. Bedeutung der UNO und die Gefahr ihrer Aushöhlung

Für die Sicherheit in Europa wurde im Abschnitt 2 für einen »sicherheitspoliti-schen Pluralismus« – ein Geflecht von Institutionen und sicherheitspoliti»sicherheitspoliti-schen Regeln – plädiert. Auf globaler Ebene ist die zentrale Verantwortung der UNO für den Weltfrieden aus dreierlei Gründen wichtig. Erstens weil sie ein Gewaltverbot kennt (mit klar charakterisierten Ausnahmen) und den Krieg ächtet, zweitens weil ihr im Sicherheitsrat als auch durch ihre Unterorganisationen ein breites Spektrum nichtmilitärischer Instrumente zur Verfügung steht und drittens weil alle Mitglied-staaten eine Stimme haben.

Eine Reihe neokonservativer US-amerikanischer AutorInnen denken seit ge-raumer Zeit über Veränderungen innerhalb der Vereinten Nationen nach. Es ist an-zunehmen, dass die Vorschläge mehr als nur einem Modetrend des UN-bashing der Administration George W. Bush folgen.

Francis Fukuyama schlägt einen »Multi-Multilateralismus« vor, in dem es eine Vielzahl an internationalen Institutionen gibt, deren Aufgaben sich konkurrieren oder zum Teil überschneiden (Fukuyama 2006: 160). »Wahrhaft liberale Prinzi-pien sprächen nicht für eine einzige, umspannende, durchsetzbare liberale Ord-nung, sondern für eine Vielfalt von Institutionen und institutionellen Formen, um über ein breites Spektrum von Sicherheits-, wirtschaftlichen, Umwelt- und ande-ren Problemen zu wachen« (Fukuyama 2006: 165).

Für den Autor und Politikberater Robert Kagan ist eine alternative Weltord-nung auf Basis der mächtigen Nationalstaaten vorstellbar: »Eine alternative Machtkonfiguration, eine multipolare Welt, in der die Pole Russland, China, die Vereinigten Staaten, Indien und Europa wären, würde ihre eigene Art von Ord-nung hervorbringen, mit anderen Regeln und Normen, die die Interessen jener mächtigen Staaten reflektiert, die an ihrer Hervorbringung beteiligt sind« (Kagan 2007: 1006). Die von Kagan skizzierte Ordnung funktioniert nach seinem neo-konservativen Gedankenbild allerdings nur dann, wenn es erstens Außenstehende und zweitens Feindbilder gibt.

Robert Zoellick (2009: 67), Präsident der Weltbank, plädiert für ein pragmati-sches und flexibles Netzwerk, welches einen »Neuen Multilateralismus« schafft.

Es umfasst private und öffentliche Bereiche, profitorientierte Unternehmen wie auch Nichtregierungsorganisationen. Die Lenkungsgruppe soll nach Zoellick ne-ben den G7 auch Brasilien, China, Indien, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien auch Südafrika umfassen. Es müsse die Flexibilität vorhanden sein, neue Akteure auf-zunehmen und um zügig auf Entwicklungen reagieren (was mit den G20 auch ge-schah).

Die USA im Allgemeinen und die neokonservativen Kräfte im Besonderen wa-ren mit den Vereinten Nationen und den damit verbundenen Einschränkungen der nationalen Entscheidungsfindung und Interessendurchsetzung nie zufrieden. Die Kriege seit 1999 haben die Vorlieben für die UNO und den Sicherheitsrat nicht verbessert. Eine Reihe von think tanks und konservative PublizistInnen und Jour-nalistInnen haben sich die Aufgabe zu eigen gemacht, diskutierenswürdige und vorerst moderate Vorschläge für eine teilweise Delegitimation bzw. einen schritt-weisen Ersatz der UNO auszuarbeiten. Die Möglichkeit der Blockierung des UNO-Sicherheitsrates hat darüber hinaus auch andere WissenschafterInnen und politische EntscheidungsträgerInnen veranlasst, sich mit der Ordnung in den in-ternationalen Beziehungen auseinanderzusetzen. Die von Robert Kagan skizzierte

»alternative Machtkonfiguration« zählt genauso dazu wie die von Hachigian und Sutphen favorisierten »Core 6«.

Die in unterschiedlichsten G-Gruppen sich zusammenfindenden Staaten (von G7, G8, G8+5, G10, G11, N11 bis zur G20 oder der G33) tragen dazu bei, die glo-balen Herausforderungen außerhalb der traditionellen multilateralen Institution zu diskutieren und gegebenenfalls Entscheidungen zu treffen. Dabei ist nicht zu ver-schweigen, dass auch die EU in ihren gegenwärtigen Beschlüssen schon seit 1999

sicherheitspolitisch mehr Distanz zu einem Mandat des Sicherheitsrates für Mi-litäreinsätze an den Tag legt.

Dies ist aus friedens- und stabilitätspolitischen Gründen mehrfach problema-tisch:

• Es delegitimiert die UNO,

• es führt zu einem Abbau herkömmlicher multilateraler Institutionen,

• es grenzt die Mehrheit der Staaten aus (u. a. die arabische Welt und Afrika),

• die Gründung und Auflösung dieser Formen der Zusammenarbeit folgt den In-teressen der globalen Wirtschafts- und Militärmächte und

• der konkrete Adressat für Forderungen, Anliegen und Vorschläge von Bevölke-rung, Medien, Wissenschaft und Zivilgesellschaft wird unklarer.

Die 27 EU-Mitglieder tragen rund 40 Prozent der Beiträge zum Haushalt der UNO bei, bringen 50 Prozent der Kosten für friedenssichernde UN-Aktivitäten auf und übernehmen rund 60 Prozent der Ausgaben für Entwicklungspolitik. Für die Einsätze bezahlt die EU einen zentralen Teil, allerdings stellten die EU-Staa-ten 2005 nur 6,5 Prozent der Truppen, in Afrika sogar nur 2,2 Prozent. Die 10 größten Truppensteller (2001 – 2005) waren Pakistan, Bangladesh, Indien, Nige-ria, Ghana, Jordanien, Kenia, Nepal, Uruguay und Ukraine. In der Periode 1996 – 2000 waren noch Polen, Österreich, Finnland und Irland unter den Top 10 der Beitragenden. 1991 – 1995 waren in dieser Gruppe auch Frankreich, Großbritan-nien und Polen als europäische Staaten präsent (Heldt 2008: 25, Heintze 2008:

168). Insgesamt finden sich unter den 35 wichtigen Personalentsendestaaten für UN-Operationen bis Ende März 2004 keine europäischen Staaten unter den ersten 10. Polen belegt mit 738 von insgesamt 51 697 Personen den Rang 17, das stän-dige SR-Mitglied Großbritannien mit 577 Personen den Rang 21. Österreich kommt mit 429 Personen auf Rang 27 (UNO 2004 b: 17).

Der Grund liegt vor allem darin, dass sowohl die NATO als auch die EU für die gewünschten Auslandseinsätze eine Beauftragung mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrat bevorzugen als sich mit Truppen an UN-Einsätzen zu beteiligen.

Sven Bernhard Gareis von der Universität Münster und Johannes Varwick (2007:

68) von der Universität Kiel konstatieren ein »Zwei-Klassen-System« von »hoch-modernen, teuren Einsätze[n] von NATO und EU« und »schlecht ausgestatteten UN-Missionen«.

Dies führt zu einigen wichtigen Gedanken bezüglich einer Reform der UNO, die seit Jahrzehnten verhandelt wird, allerdings aufgrund des Abblockens wesent-licher UN-Mitglieder zu keiner Umsetzung gelangt (vgl. hierzu Leidenmühler 2000). Der außen- und sicherheitspolitische Wert ist nicht nur im Sicherheitsrat, sondern auch in den Unterorganisationen zu suchen, die im Sinne eines umfassen-den und nichtmilitärischen Sicherheitsbegriffs ihre Tätigkeit entfalten. Dabei sind beispielsweise das Entwicklungsprogramm (UNDP) und das Umweltprogramm (UNEP) zu erwähnen. Im Sicherheitsrat selbst ist u. a. die Nicht-Repräsentanz der arabischen Welt und Afrikas zu kritisieren.

4. Umkehrung der Prioritätensetzung von Zivil und Militär in der EU