• Keine Ergebnisse gefunden

2. Literatur

2.4. Sexualzyklus der Maus

Mäuse sind polyöstrisch und erreichen im Alter von sechs bis sieben Wochen die Geschlechtsreife. Die Dauer eines Sexualzyklus umfasst ca. vier bis fünf Tage. Es handelt sich um eine spontane Abfolge wiederkehrender Ereignisse (ALLEN 1922). Unter normalen Umweltbedingungen zeigen Mäuse einen circadianen Rhythmus der Reproduktion in Abhängigkeit von der Tageslichtlänge und den klimatischen Bedingungen. Durch die standardisierten Bedingungen in der Labortierhaltung sollen Mäuse keine jahreszeitliche Abhängigkeit des Reproduktionsverhaltens zeigen (PARKES und BRAMBELL 1928). Der Tag-Nachtrhythmus im Tierhaus ist das ganze Jahr auf „Frühling“ mit 14 Stunden Licht und 10 Stunden Dunkelheit eingestellt. Zudem herrscht eine konstante Temperatur von 22 °C, so dass die Mäuse „Frühlingsgefühle“ haben und eine hohe Reproduktionsaktivität zeigen.

SCHWAB und SCHENKEL (2008b) beschreiben dagegen trotz dieser standardisierten Bedingungen einen deutlichen jahreszeitlichen Rhythmus in der Embryonenausbeute über einen Zeitraum von fünf Jahren. Dieses Phänomen ist unter anderem auf Schwankungen der Luftfeuchtigkeit in Abhängigkeit von der Außentemperatur zurückzuführen (DIERCKS et al.

2010).

2.4.1. Scheinträchtigkeit bei der Maus

Die Ovulation ist bei der Maus ein spontanes Ereignis. Um eine vollständige Funktion der Corpora lutea (C.l.) zu erreichen, wird jedoch ein neuroendokriner Stimulus (Stimulation der Cervix) benötigt (KENNEY et al. 1977). Bleibt dieser Reiz durch eine nicht erfolgte Paarung

aus, so bilden sich nach der Ovulation C.l. mit eingeschränkter Funktion und verkürzter Lebensdauer (DONNELLEY und HAU 1994). Diese insuffizienten C.l. sind nicht in der Lage eine Trächtigkeit aufrecht zu erhalten. Vor allem für die Generierung von scheinträchtigen Ammen für einen Embryotransfer ist dies von großer Bedeutung. Ohne eine Stimulation der Cervix, wie z.B. die Verpaarung mit einem vasektomierten männlichen Tier, wäre die Amme nicht in der Lage, Jungtiere auszutragen. Eine erfolgte Kopulation ist am sogenannten Vaginalpfropf, welcher aus koagulierten Proteinen aus der Samenflüssigkeit besteht und die Vagina bis zu 24 Stunden nach der Verpaarung verschließt, erkennbar. Nach 19 bis 21 Tagen Trächtigkeit werden die Jungtiere blind und unbehaart geboren. Im Durchschnitt besteht ein Wurf aus sechs bis zehn Jungtieren, ihre Anzahl ist aber insbesondere bei transgenen Mäusen variabel und kann wesentlich kleiner sein. Nach der Geburt sollte die Maus mit ihren Jungtieren zwei bis drei Tagen in Ruhe gelassen werden, da bei einer Störung die Gefahr von Kannibalismus droht (NAGY et al. 2003). Mit frühestens drei Wochen können die schnell heranwachsenden Jungtiere vom Muttertier abgesetzt werden (NAGY et al. 2003).

2.4.2. Superovulation und Synchronisation des Östrus

Um eine gezielte und erhöhte Ovulationsrate zu induzieren, werden vorwiegend präpubertäre weibliche Mäuse mit einem Alter von vier bis sechs Wochen mit Hormonen behandelt. Die Superovulation kann für unterschiedliche Zwecke eingesetzt werden: die Gewinnung einer möglichst hohen Oozytenanzahl zur Durchführung einer IVF oder die gezielte Verpaarung von Mäusen zur terminierten Geburt von Jungtieren bzw. um definierte Embryonalstadien zur Kryokonservierung oder Sanierung zu erhalten. Superovuliert wird nach dem von WHITTINGHAM (1971) entwickelten Schema, wobei die Tiere zu festgelegten Zeiten mit Gonadotropinen behandelt werden. Die erste Injektion mit equinem Choriongonadotropin (eCG) zur Stimulation der Follikelreifung (FSH-Analogon) wird zwei Stunden vor Beginn der Nachtphase appliziert. Zur gezielten Verpaarung wird nach 44 Stunden humanes Choriongonadotropin (hCG) zur Induktion der Ovulation (LH-Analogon) injiziert und die Tiere werden über Nacht zu den männlichen Tieren gesetzt. Für die Gewinnung von Oozyten wird hCG 48 Stunden nach der eCG-Gabe appliziert. 12 bis 14 Stunden später können die unbefruchteten Oozyten aus der Ampulle des Eileiters präpariert und in der IVF eingesetzt werden.

Zu beachten ist, dass der genetische Hintergrund den Erfolg der Superovulation beeinflusst (BYERS et al. 2006), wobei Mäuse aus Hybrid- und Auszucht bessere Oozyten- und Embryonenspender sind als Inzuchttiere (AUERBACH et al. 2003). Die Wirkung des exogenen Gonadotropins wird von wenigen stammspezifischen Genen beeinflusst (SPEAROW 1988, SPEAROW u. BARKLEY 1999).

Entscheidend für den Erfolg der Superovulation ist auch der Zeitpunkt der ersten Gonadotropingabe. Befinden sich die Tiere im Östrus, so kann die größte Anzahl an Oozyten gewonnen werden, während im Diöstrus mit der niedrigsten Anzahl zu rechnen ist (TARIN et al. 2002). Aus diesem Grund ist es sinnvoll, mit präpubertären Tieren zu arbeiten, wenn die Trächtigkeit nicht aufrechterhalten werden soll. Bei ihnen wird eine hohe Oozyten- bzw.

Embryonenausbeute erreicht, da sie sich noch nicht im Zyklus befinden (NAGY et al. 2003).

Bei älteren Tieren, welche sich bereits im Zyklus befinden, ist die Reaktion auf die Superovulation abhängig vom Zyklusstand des einzelnen Tieres, so dass die Zahl der gewonnenen Eizellen im Vergleich mit präpubertären Mäusen niedriger ist.

2.4.3. Stress in der Versuchstierhaltung

Generell ist die Frage nach Wohlbefinden oder Stress nicht nur aus ethischer Sicht, sondern auch im Hinblick auf die Qualität von Tierversuchsergebnissen besonders wichtig. Eine generell gültige Definition von Stress gibt es nicht. BROOM und JOHNSON (1993) definieren Stress als einen Umweltfaktor, durch den das Kontrollsystem des Tieres überfordert und seine Fitness reduziert wird. Nach dieser Definition geht Stress immer mit einem schlechteren Wohlbefinden einher (BROOM 1996), wohingegen DAWKINS (1980) Stress unter bestimmten Umständen sogar als ein Zeichen für Wohlbefinden ansieht.

Negativer Stress wird als Distress und positiver Stress als Eustress bezeichnet. Die GESELLSCHAFT FÜR VERSUCHSTIERKUNDE; SOCIETY FOR LABORATORY ANIMAL SCIENCE (1992) definiert Distress, also Stress mit einem negativen Einfluss auf den Organismus, als einen Zustand, in welchem das Tier einen Großteil seiner Anstrengungen bzw. Ressourcen adaptiven Reaktionen auf Umwelteinflüsse widmen muss. In den Begriff Distress werden „Angst“, „Frustration“ oder „Depression“ mit einbezogen. „Diskomfort“

wird als milde Form von Distress angesehen.

Im Umkehrschluss definiert BROOM (1988) Wohlbefinden eines Individuums als die Fähigkeit, sich situationsgemäß an die Anforderungen seiner Umwelt anzupassen und diese

zu bewältigen. Im Tierschutzgesetz geht der Begriff Wohlbefinden über das bloße Fehlen von Schmerzen, Leiden und Schäden hinaus. Er wird als „frei von negativen Empfindungen“

verstanden und wird durch Gesundheit, Zufriedenheit, Erfüllung sozialer und ethologischer Bedürfnisse sowie durch normales Verhalten gekennzeichnet (HACKBARTH u. LÜCKERT 2002).

Im Umgang mit Versuchstieren ist es wichtig zu beachten, dass Handhabung und Management der Tiere einen nicht zu unterschätzenden Stressfaktor darstellen (MATTERI u.

MOBERG 1986). Auch Lärm, Vibrationen, andere Tiere, eine hohe Belegungsdichte, das Raumklima und zahlreiche weitere Umweltfaktoren sind potentielle Stressoren für die Tiere.

Hierbei muss die vom Menschen abweichende Sinneswahrnehmung der Tiere berücksichtigt werden. Mäuse können im Ultraschallbereich hören und somit durch für Menschen nicht wahrnehmbare Geräusche gestresst werden (CASTELHANO-CARLOS u. BAUMANS 2010). Auch das Verhalten des Experimentators, des an Versuchen beteiligten Personals und der Tierpfleger stellt einen potentiell zu Distress führenden Reiz dar (GESELLSCHAFT FÜR VERSUCHSTIERKUNDE; SOCIETY FOR LABORATORY ANIMAL SCIENCE 1992).

Die Umweltbedingungen, darunter auch Lärm, führen zu einer Verminderung der Reproduktionsrate von Mäusen (DIERCKS et al. 2010).

Viele unterschiedliche Stressoren können das Wohlbefinden der Tiere negativ beeinflussen (BREAZILE 1987). Eine erfolgreiche Reproduktion ist von einer strikten Abfolge neuroendokriner Prozesse abhängig. Im ovariellen Zyklus ist die Follikelreifung mit nachfolgender Ovulation eine besonders Stress-sensitive Phase (MOBERG 1991). Stress bewirkt eine Veränderung der neuroendokrinen Interaktionen auf verschiedenen Ebenen der Hypothalamus-Hypophysen-Achse. Durch die Aktivität des Corticoliberin (CRH) kommt es zu einer Verminderung der Sekretion von Gonadoliberin (GnRH) im Hypothalamus (RIVIER u. VALE 1984, TSIGOS u. CHROUSOS 2002a). Im Proöstrus kommt es durch Stress zu einer Unterdrückung der Ausschüttung der Gonadotropine Lutropin (LH) und Follitropin (FSH) und dadurch zu einer Hemmung der Ovulation (ROOZENDAAL et al. 1995). Eine erhöhte Glukokortikoidausschüttung führt zu einer Hemmung von Wachstum und Reproduktion auf der Ebene von Hypothalamus, Hypophyse und peripherer Hormone. Die Hemmung der peripheren Hormone erfolgt hierbei über eine Änderung der Rezeptoren im Zielgewebe (CHROUSOS 2000b). Neben den Glukokortikoiden werden stressbedingt auch

endogene Opioide aktiviert, welche über Opioidrezeptoren im Hypothalamus eine verminderte LH-Ausschüttung bewirken (PETRAGLIA 1986).

Durch Stress wird nicht nur der Sexualzyklus negativ beeinflusst, sondern es kann auch zu einer Störung der Embryonalentwicklung im Falle einer Trächtigkeit kommen. Verschiedene Studien zeigen einen negativen Effekt von Lärm bzw. Vibration auf die Embryonalentwicklung, wobei insbesondere die Knochenbildung (CASTILLO et al. 2006;

XIE et al. 2006) und die Entwicklung des Herz-Kreislaufsystems (FARAH et al. 2004, FARAH et al. 2006) betroffen sind. In einem Versuch zu den Folgen eines Erdbebens im Mausmodell hatten MONTENEGRO et al. (1995) eine Resorptionsrate von bis zu 50% der Trächtigkeiten beobachtet. Hohe Resorptionsraten wurden durch ein Projekt zur Untersuchung der Auswirkung von Verkehrslärm, welcher durch künstliche Vibration simuliert wurde, ausgelöst (FANGHANEL u. SCHUMACHER 1980). NAWROT et al.

(1980) zeigten, dass unterschiedliche Arten von Lärm zu einer Embryotoxizität führen. Auch Baulärm führt zu einer verminderten Reproduktivität von Mäusen (DIERCKS et al. 2010).