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Schreiben unter Zensur – ein deformiertes literarisches Feld

Jede Art der literarischen Arbeit jüdischer Autoren im NS-Deutschland muss heute vor dem Hintergrund einer Geschichte von Sprachverboten und Zensur gesehen werden, als ein Bemühen künstlerischer Sprachfindung und Identitätssuche in einem Raum, in dem die freie Rede unmöglich geworden war. Für die Zeit von 1933 bis 1945 lassen sich vor dem Hintergrund nationalsozialistischer Kulturpolitik in Deutschland vier Hauptperioden literarischer Aktivitäten jüdischer Schriftsteller und Intellektueller kennzeichnen:

Die erste Periode umfasste etwa den Zeitraum vom Januar 1933 bis zu den ersten Massenausschlüssen und -ablehnungen jüdischer Autoren durch die Reichsschrift-tumskammer (RSK) im Frühjahr 1935. Sie war von nationalsozialistischer Seite aus zunächst bestimmt durch die ablehnende Haltung gegenüber jeder weiteren kultu-rellen Tätigkeit deutscher Juden. Im Disput gegensätzlicher Auffassungen verschie-dener staatlicher Stellen und Organisationen setzte sich schließlich die Ansicht des Preußischen Ministeriums für Kunst, Wissenschaft und Volksbildung in der Person des Staatskommissars Hans Hinkel durch, dass ein isoliertes jüdisches Kulturleben die deutsche Kultur vor dem „destruktiven jüdischen Geist“ schütze. Auf Initiative jüdischer Künstler und Intellektueller begann im Sommer 1933 in Berlin und ganz

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Deutschland der Aufbau eines vom deutschen Kulturleben separierten jüdischen Kulturlebens. Es kam zu einem sprunghaften Anwachsen jüdischer Verlagstätigkeit.

Eine Reihe jüdischer Autoren arbeitete in diesen Jahren offen (Jakob Picard, Hans Keilson), unter Pseudonymen (Leo Hirsch, Karl Escher) oder unter dem Namen von Freunden (Rudolf Frank) weiter im deutschen Kulturleben. Diese Gleichzeitigkeit des Ausschlusses aus dem sich zunehmend gleichschaltenden kulturellen Leben in Deutschland, der sich verstärkenden Suche nach Emigrationsmöglichkeiten und dem Engagement in einem sich neu konstituierenden jüdischen Kulturkreis gehört zu den Besonderheiten schriftstellerischen Wirkens jener Jahre, die auch in literari-schen Texten ihren Niederschlag fand.

Die Zeit vom Sommer 1935 bis Ende 1936 umfasst eine zweite Periode literari-scher und kultureller Aktivitäten, die man – auf den Gesamtzeitraum wie auf die Veröffentlichungstätigkeit bezogen – nahezu als „Blütezeit“ (Cochavi 1986, 401) be-zeichnen könnte. Das Propagandaministerium hatte Hans Hinkel in seiner Funktion als Leiter des Sonderreferates für jüdische kulturelle Angelegenheiten auf Reichs-ebene übernommen. Gleichzeitig verstärkte sich bei Goebbels und bei der Gestapo der Vorsatz, die jüdische Kulturarbeit zu manipulieren. Die Diskussionen um eine spezifisch ‚jüdische‘ Kultur und Kunst erreichten 1936 in den verschiedenen Berei-chen kulturellen Lebens ihren Höhepunkt.

Die Jahre 1937 bis 1938 waren schließlich durch eine sich verstärkende unmittel-bare Einflussnahme des Sicherheitsdienstes (SD) auf die Veröffentlichungs- und Aufführungspraxis gekennzeichnet. Die kulturellen Aktivitäten deutscher Juden wa-ren nicht mehr erwünscht, da man davon ausging, dass sie die geistige Wider-standskraft der jüdischen Bevölkerung stärkten. Rede- und Veröffentlichungsverbo-te häufVeröffentlichungsverbo-ten sich ebenso wie die Reglementierungen kultureller Arbeit auf allen Gebieten. Die jüdische Verlagstätigkeit ging auf das Niveau der Jahre vor 1933 zu-rück und geriet in eine ernste Krise. Die Diskussionen um eine spezifisch ‚jüdische‘

Kultur und Kunst nahmen spürbar ab. Mit dem Verbot aller jüdischen Zeitungen und Zeitschriften am 8. November 1938 sowie der Auflösung der jüdischen Verlage und Buchhandlungen zum 31. Dezember dieses Jahres versiegten die letzten Mög-lichkeiten schriftstellerischen Wirkens jüdischer Intellektueller im NS-Deutschland.

Hatten schon vor 1938 zahlreiche Manuskripte nicht mehr den Weg in eine selbst begrenzte Öffentlichkeit gefunden oder deren Verfasser diese bewusst nicht mehr gesucht, blieben die wenigen nach 1938 in Deutschland geschriebenen Texte jüdi-scher Autorinnen und Autoren nun der Schublade vorbehalten, dem privaten Brief-wechsel, dem engsten Freundeskreis – oder einem künftigen Leser.

Die darauf folgenden Jahre vom November 1938 bis zum Mai 1945 waren nach dem Novemberpogrom von 1938 zunächst geprägt von der zweiten großen Flucht-welle der jüdischen Bevölkerung aus Deutschland. Der „Jüdische Kulturbund“ wur-de bis zu seiner Schließung im September 1941 zu Zwangsvorstellungen verpflichtet, das jüdische Verlags- und Zeitschriftenwesen Ende 1938 aufgelöst. Seit Mitte 1939 war das Jüdische Nachrichtenblatt die einzige weiterhin zugelassene und streng

zensierte jüdische Zeitschrift in Deutschland. Sie erschien bis zum 1. Juni 1943 und dokumentiert mit ihren regelmäßigen Veröffentlichungen neuester Restriktions-maßnahmen gegen die Juden unmittelbar neben den Ankündigungen der aktuellen Veranstaltungen des „Jüdischen Kulturbunds“, wie sehr jede kulturelle Betätigung dieser Jahre im Schatten der immer drückender werdenden Zwangsmaßnahmen und Ghettoexistenz der jüdischen Bevölkerung stand. Die von nationalsozialisti-scher Seite beschlossenen Maßnahmen einer verstärkten Zentralisierung und Isolie-rung im kulturellen Bereich, welcher nun vor allem der ForcieIsolie-rung einer bis zum Herbst 1941 noch möglichen Auswanderung sowie der Überwachung der jüdischen Bevölkerungsteile dienen sollte, spiegelten als wesentliche Prämissen kultureller Arbeit zugleich zentrale Richtlinien nationalsozialistischer Judenpolitik jener Jahre.

Vom Herbst 1941 bis zu den Massendeportationen in Berlin im Frühjahr 1943 erfolg-te die Zerschlagung letzerfolg-ter kultureller Aktivitäerfolg-ten deutscher Juden in Berlin und Deutschland. Sie war geprägt von Zwangsarbeit, dem endgültigen Auswanderungs-verbot sowie den im Oktober 1941 in Berlin einsetzenden Deportationen. Nur wenige Schriftsteller und Künstler, die sich wie der Autor Karl Escher nach dem Frühsom-mer 1943 noch in Berlin aufhielten, überlebten die letzten Jahre des Krieges in soge-nannten ‚Mischehen‘ bzw. in der Illegalität.

Auf den Gesamtzeitraum nationalsozialistischer Herrschaft bezogen, konnten sich dabei die sicherheitsdienstlichen wie staatlichen Anforderungen an die inhalt-liche Ausrichtung literarischer Aktivitäten deutscher Juden schnell wandeln. Das einschneidendste Sprach- und Schreibverbot bestand natürlich – wie in allen totali-tären Systemen – in einer Tabuisierung jeder Form politischen Widerspruchs gegen das herrschende System und seine Politik. Unter dieses unausgesprochene Verdikt fiel die Thematisierung nationalsozialistischer Verfolgungen ebenso wie jeder Ver-weis auf die politischen Gegner des Regimes – also auch auf zahlreiche linke Auto-ren der Weimarer Republik sowie auf die politisch engagierten Emigranten und ihre Texte. Die innerhalb Deutschlands vergleichsweise unkonturiert bleibenden literari-schen Darstellungen vom Exil könnten hierin auch eine Ursache haben. Insbeson-dere in den ersten Jahren nationalsozialistischer Herrschaft mussten jedoch zu-nächst Texte, Redner und natürlich Organisationen mit massiven Verboten rechnen, die sich in irgendeiner Form gegen das Exil und für ein Bleiben in Deutschland aus-sprachen oder eine Zugehörigkeit zur deutschen Kultur betonten. Aus einer Erwäh-nung des 1934 im Berliner Reiss Verlag erschienenen Buchs Wir Juden von Joachim Prinz im Lagebericht über das jüdische Schrifttum und das gegnerische Schrifttum des Auslands vom Mai 1935 geht zudem hervor, dass bereits zu diesem Zeitpunkt auch die Zionisten im Hinblick auf ein widerständiges Potential ihrer Schriften von den nationalsozialistischen Überwachungsbehörden aufmerksam beobachtet wurden, bis Hans Hinkel schließlich 1939 erklärte, „dass jegliche Stimmungsmache für einen künftigen jüdischen ‚Staat‘ verboten“ sei (zit. n. Akademie der Künste 1992, 305).

Die Formulierung von Dissens scheint in der damaligen Literatur vor allem immer dann möglich gewesen zu sein, „wenn die Gesamttendenz des Textes den aktuellen

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Zielen der ‚Judenpolitik‘ zu nutzen schien“ (Schreuder 2002, 64), also den Texten signalhafte Zeichen beigefügt wurden, wie der Prolog in Gerson Sterns Roman-Bestseller Weg ohne Ende (1934), der die Vertreibung der Prager Juden im 18. Jahr-hundert als Anklage der Assimilation präsentiert, geschrieben für „alle die, welche sich verloren haben“ (Stern 1934, 7), oder wie das Vorwort in Ernst Fürstenthals Roman über die erste Lebensphase des jüdischen Stammvaters Abraham (1936),

„das den Rekurs auf die jüdische Folklore hervorhebt“, und die Autoren und Verla-ge auf diese Weise „eine politische Unbedenklichkeit“ sugVerla-gerierten, „die die Auf-merksamkeit der nazistischen Kontrolleure beeinträchtigt haben mag“ (Schreuder 2002, 64‒65). Insbesondere Schilderungen und Bilder von Gefangenschaft und Un-terdrückung jeder Art erregten jedoch Anstoß bei den Zensoren. Wenn Gedichte wie Der Gefangene von Halpern Leiwik, mit Eingangszeilen wie „Die Scheiben vergittert, / Kaltstarrend die Wänd‘“, dem Sonderreferat Hinkel 1935 für einen Abdruck in den Monatsblättern des Jüdischen Kulturbunds überhaupt noch eingereicht wurden, wa-ren derartige Versuche subversiver redaktioneller Arbeit im Laufe der Jahre immer seltener erfolgreich. Die politisch brisanten Gedichte im Mittelteil von Frieda Meh-lers Gedichtband Vom Wege (1934 im Berliner Berthold Levy Verlag) entgingen of-fenbar zunächst der Aufmerksamkeit der Zensoren. Es gelangte schließlich als ein-ziges, in einem jüdischen Verlag nach 1933 veröffentlichtes Buch auf die damaligen Listen des schädlichen und unerwünschten Schrifttums.

Die mit derartigen Eingriffen einhergehende, ursächlich fremdbestimmte Ent-wicklung kulturellen Lebens prägte nicht nur erkennbare ‚Deformierungen‘ der zeit-genössischen literarischen Szene, sondern verlieh den literarischen Darstellungen jener Jahre zudem ihren spezifischen Charakter. „Für uns Schriftsteller kommt es darauf an, so klug zu schreiben, daß die derzeit Mächtigen nicht gleich unsern Wi-derstand sehen“, bekundete Martin Buber in jenen Jahren die Notwendigkeit einer zu entwickelnden Rhetorik der Verschlüsselung, „[…], so klug zu schreiben, daß uns viele Menschen gelesen haben, ehe man uns zur Verantwortung ziehen kann“ (zit.

n. Belke 1983, 94). Als Grundgedanke kultureller Aktivitäten deutscher Juden im nationalsozialistischen Deutschland kann daher heute der geistige Widerspruch gelten – als Widerspruch im Sinne der inneren Stärkung einer verfolgten Gemein-schaft im Angesicht äußerer Bedrohung ebenso wie im Sinn einer bewussten Erzie-hung und Bildung hin zu einem Denken, welches dem damals in Deutschland herr-schenden grundsätzlich entgegengesetzt war.