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2.1.1 Schmerz bei Tieren – Einführung

Während in der Vergangenheit noch in Frage gestellt wurde, ob Tiere überhaupt Schmerz im Sinne der menschlichen Schmerzwahrnehmung empfinden, wird heute davon ausgegangen, dass das Schmerzempfinden aller Säugetiere vergleichbar ist, auch wenn ein sicherer Beweis dafür nicht erbracht werden kann (LASCELLES 1999, LAMONT et al. 2000a). Das nozizeptive System ist bei Mensch und Tier ähnlich strukturiert (GEBHART 1994, VAN HOOFF et al. 1995, FLECKNELL 1996).

Tiere zeigen Aversionen auf die Art von Reizen, welche beim Menschen zu Schmerzen führen (LASCELLES 1999). Das rechtfertigt eine Anwendung des sogenannten Prinzips der Analogie, z. B. bei der Entscheidung, prä- und postoperativ Analgetika einzusetzen.

Die vermehrte pharmakologische Forschung auf dem Gebiet der Analgetika wurde ausgelöst durch das in den letzten Jahrzehnten erlangte Verständnis der Schmerzmechanismen, wie u. a. der Entstehung der sogenannten „gate-control“

Theorie durch MELZACK und WALL (1965) oder der Entdeckung des Opiatrezeptors im Jahr 1973 (SCHNEIDER et al. 1990). Heute wird die Behandlung von Schmerz weitgehend als Standardtherapie bei Patienten angesehen

Im Durchschnitt durchläuft jede Katze mindestens einen operativen Eingriff in ihrem Leben, wie z. B. eine Kastration. Die Verabreichungshäufigkeit von Analgetika sowohl postoperativ als auch bei chronischen Schmerzzuständen liegt noch immer weit hinter der bei Hunden. (HANSEN und HARDIE 1993, DOHOO und DOHOO 1996, LASCELLES et al. 1999, HELLYER 2002). Häufig wird aufgrund Wissens- und

Wirkstoffmangels eine vermehrt empirisch, oder auf Extrapolation der Dosierungen beim Hund basierende Analgesie durchgeführt (TAYLOR 1984, WRIGHT 2002).

Für den Verzicht vieler Tierärzte auf eine adäquate Analgesie speziell bei Katzen gibt es verschiedene Gründe (DOHOO und DOHOO 1996, LASCELLES und WATERMAN 1997). Schmerzerkennung ist bei Katzen eine besonders große Herausforderung, da die Zeichen für Schmerz bei dieser Spezies oft subtil und versteckt sind (SANFORD et al. 1986, CAMBRIDGE et al. 2000, MATHEWS 2000).

Aufgrund einiger Unterschiede in der Physiologie der Katze ist das Risiko für das Auftreten von Nebenwirkungen größer als bei anderen Tierarten. Die Katze hat im Vergleich zum Hund einen Mangel an der ortho- und para-Aminophenolform des Enzyms UDP-Glucuronyltransferase, welches zur Metabolisierung verschiedener Substanzen in der Leber im Rahmen der Phase-II-Reaktionen benötigt wird. Das führt zu einer niedrigeren Exkretionsrate, einer verlängerten Halbwertszeit bis hin zu toxischer Akkumulation einiger Wirkstoffe (BOOTHE 1990a). Betroffen sind vor allem Verbindungen mit Phenolen, aromatische Säuren und Amine wie z.B. Morphin, Acetaminophen (FINCO et al. 1975) und Acetylsalicylsäure (HERRGESELL 1967).

Somit wurde lange die Nutzung von NSAIDs als sehr riskant angesehen (BOOTHE 1990b). Mit der veralteten Theorie über die sogenannte Morphin-Manie der Katze (JOEL und ARNDTS 1925), nach welcher Morphin zu Erregungszuständen führen solle, wird ebenfalls noch häufig argumentiert (SLINGSBY und WATERMAN-PEARSON 1998). Eine Rolle spielen außerdem der administrative Aufwand bei der Anwendung von Opioiden, ideologische Dogmen wie: „Schmerz schütze vor weiteren Schäden“ (DOHOO und DOHOO 1996, SLINGSBY und WATERMAN-PEARSON 1998, LASCELLES 1999), sowie der Kostenfaktor (HENKE und ERHARDT 2004).

2.1.2 Physiologie

Grundlage für die Durchführung einer adäquaten Schmerzbehandlung und für das Verständnis der Funktionsweise von Schmerzmodellen sind die physiologischen und pathophysiologischen Zusammenhänge der Schmerzentstehung (LAMONT 2002).

Die Definition für Schmerz lautet, modifiziert nach der International Association for the Study of Pain (IASP): Schmerz ist eine unangenehme Empfindung und ein emotionales Erlebnis, das mit einem aktuellen oder potentiellen Gewebeschaden einhergeht (MERSKY 1983). Das Schmerzerlebnis stellt die emotionale Verarbeitung der Nozizeption dar, welche definiert ist als neuraler Prozess, welcher zum Schmerz führt. (SANDKÜHLER und HEINKE 2000). Zu diesem Prozess zählen Transduktion, Transmission, Modulation und Perzeption. Die Transduktion am peripheren Schmerzrezeptor, dem Nozizeptor, beinhaltet die Umsetzung physikalischer Energie, z. B. die Umwandlung eines thermischen Stimulus in elektrische Aktivität.

Nozizeptoren, die auf thermische und mechanische Reize reagieren, sind freie Nervenendigungen myelinisierter Fasern vom Aδ-Typ, mit kleinem Durchmesser und hoher Leitungsgeschwindigkeit (5-30 m/s, scharfer, gut lokalisierter Erstschmerz) sowie nichtmyelinisierter polymodaler C-Fasern mit niedrigerer Leitungsgeschwindigkeit (0,5-2 m/s, dumpfer, brennender Zweitschmerz) (POTTHOFF und CARITHERS 1989, HELLEBREKERS 2001). Die großen, myelinisierten Aß-Fasern (50 m/s, Stimulation durch taktile Reize) sind synaptisch über Interneurone in den Prozess involviert und aktivieren lokale Flexorreflexe (POTTHOFF und CARITHERS 1989). Von den Nozizeptoren wird der Schmerzreiz durch afferente, sensible Nervenfasern über das Rückenmark zum Gehirn weitergeleitet. Eine Umschaltung auf das zweite Neuron, welches über den Tractus spinothalamicus zum Gehirn zieht, geschieht in der Substantia gelatinosa des Hinterhorns. Im Thalamus werden alle Nervenreize des Körpers erfasst, in verschiedene Gehirnzentren geleitet und dort verarbeitet: in der Formatio reticularis mit Beeinflussung des Atem- und Kreislaufzentrums, im aufsteigenden retikulären aktivierenden System, welches als Weckzentrum die Aufmerksamkeit steuert, in der Großhirnrinde, welche Schmerz bewusst macht, in der Hypophyse zur Ausschüttung von ACTH und β-Endorphin und schließlich im Limbischen System, das dem Schmerz beim Menschen seine emotionale Bedeutung verleiht.

Neurophysiologisch bewiesen ist, dass unterschiedliche Organe bzw. Gewebe unterschiedlich empfindlich für Schmerzreize sind. An der Haut wird der Schmerz

über mechanische, thermische oder chemische Rezeptoren aufgenommen und kann sehr intensiv sein (HENKE u. ERHARDT 2001).

2.1.3 Pathophysiologie und Reaktionen auf Schmerz

Schmerz kann entweder durch Erregung von Schmerzrezeptoren, oder aber durch verminderte Schmerzhemmung entstehen. Dabei kodieren die Nozizeptoren die Intensität des einwirkenden Reizes über die Entladungsfrequenz (HENKE und ERHARDT 2004). Es gibt unterschiedliche Arten von Schmerz, sowohl physiologische, als auch pathologische. Zum einen gibt es den protektiven, bei Kontakt mit noxischen Reizen auftretenden physiologischen Schmerz, der die Aufgabe hat, den Körper vor Gewebeschäden zu schützen. Dieser Schmerz hat eine biologische Warnfunktion und dient mit Hilfe von Lehr- und Lerneffekt der Lebenserhaltung. Er löst eine sofortige Schutzreaktion aus und kann außerdem in Modellen zur experimentellen Auslösung von Schmerzen, den sogenannten Schmerzmodellen, genutzt werden (DUBNER 1994).

Davon zu unterscheiden ist der pathologische Schmerz, hervorgerufen durch jede Art von Gewebeverletzung. Dieser Schmerz verursacht neben der unangenehmen Empfindung weitere systemische Reaktionen des Körpers als Folge verschiedener sympathoadrenerger Effekte. Zusammenfassend können folgende Arten von Reaktionen des Körpers auf Schmerz hervorgerufen werden: spinale, lokale Muskelreflexe (z. B. Wegziehbewegung), supraspinale, autonome Reflexe (z. B.

Herzfrequenz- und Atemfrequenzveränderungen), endokrine sowie kortikale Reaktionen, und schließlich das eigentliche Schmerzempfinden aufgrund Weiterleitung aszendierender Nervenimpulse zu Thalamus und Kortex (Fluchtverhalten, Vokalisation, etc.) (WALL 1992, WOOLF 1991).