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Um das demokratische Zusammenleben gewährleisten zu können, wird von der Bildung mehr und mehr gefordert, das kritische Denken und gewaltfreie Konfliktlösungskompetenz bei Bürgern zu fördern. Die vorliegende Studie liefert Beweise dafür, dass die moralisch-demokratische Urteilsfähigkeit der Studierenden durch gute universitäre Bildung gefördert werden kann. Eine qualitative Hochschulbildung darf nicht auf den Erwerb fachlicher Kenntnisse und Kompetenzen eingeschränkt werden, sondern setzt die Integrierung der fachlichen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen der Studierenden in Aktivitäten zur Übernahme von realer Verantwortung verknüpft mit Gelegenheiten zur angeleiteten Reflexion voraus. Die Befunde dieser Arbeit legen nahe, dass die Entwicklung moralischer Urteilsfähigkeit gezielt bewirkt werden kann, und deuten auf Möglichkeiten hin, durch die dies erreicht werden kann.

Die moralische Urteilsfähigkeit ist nicht genetisch bestimmt und entwickelt sich nicht von unten nach oben von alleine. Die moralische Urteilsfähigkeit kann sich zurück bilden, wenn sie nicht mehr gefördert wird, insbesondere wenn die fördernden Prozesse aufhören, bevor ein bestimmter Stabilisierungsgrad erreicht wurde. Ohne die gezielte Förderung der moralischen Urteilsfähigkeit, werden die Menschen nicht fähig, moralische Konflikte adäquat zu lösen. Die Entwicklung moralischer Urteilsfähigkeit ist kein Ergebnis des Erlernens guter oder richtiger Prinzipien. Die starke Indoktrinierung mit guten (religiösen) Werten führt weder zu höheren moralischen Prinzipien, noch zu höherer moralischer Urteilsfähigkeit.

Überdies wird die positive Wirkung der universitären Bildung auf die Entwicklung moralischer Urteilsfähigkeit durch eine starke dogmatische Religiosität erschwert. Durch die Unterscheidung von verschiedenen Formen von Religiosität in dieser Arbeit konnte der Einfluss der Religiosität auf die Moralentwicklung besser verstanden werden. Nur dogmatische, kirchengebundene Religiosität hat einen bremsenden Einfluss auf die Entwicklung moralischer Urteils- und Diskursfähigkeit. Die persönliche Religiosität hingegen tendiert mit der Höhe moralischer Urteilsfähigkeit zusammenzuhängen. Die Religiosität per se stellt kein Hindernis für die Entwicklung moralischer Urteilsfähigkeit dar. Die für die dogmatische Religiosität spezifische unreflektierte und rigide Denkweise, ist das tatsächliche Hindernis für die Entwicklung moralischer Urteilsfähigkeit. Verallgemeinernd kann man behaupten, dass die starke, unreflektierte Bindung an bestimmte Ideologien – religiöser,

124 politischer oder anderer Natur -, die eine Autoritätsunterwerfung begünstigen und zwar unabhängig von der Natur moralischer Prinzipien, eine Gefahr für die Entwicklung moralischer Urteilsfähigkeit darstellen.

Die Beziehung zwischen moralischer Urteilsfähigkeit und dogmatischer Religiosität ist komplex. Ihre Erklärung bedarf weiterer Untersuchung. Es scheint, dass dogmatische Religiosität durch ihren Anspruch auf Gehorsamkeit, ungünstige Voraussetzungen für die Entwicklung autonomen Denkens schafft. Aber man könnte sich die Beziehung zwischen dogmatischer Religiosität und moralischer Urteilsfähigkeit auch umgekehrt vorstellen. In Abhängigkeit vom Niveau moralischer Urteilsfähigkeit, wählen Personen solche religiösen Formen, die zu ihren Fähigkeiten passen. Personen mit hoher moralischer Urteilsfähigkeit bewahren ihr autonomes Denken auch in religiösen Bereichen. Personen mit geringer moralischer Urteilsfähigkeit brauchen vorgefertigte Antworten auch in religiösen Angelegenheiten und entwickeln dogmatische Religiosität. Sei es, dass eine geringe moralische Urteilsfähigkeit eine dogmatische Religiosität hervorruft, oder sei es dass eine dogmatische Religiosität eine niedrige moralische Urteilsfähigkeit begünstigt, besteht die bestmögliche Lösung darin, die in der fachlichen Literatur bestehenden Resultate, zur Förderung moralischer Urteilsfähigkeit einzusetzen.

In der vorliegenden Studie wurde gezeigt dass, die Entwicklung moralischer Urteilsfähigkeit direkt von der Qualität der Lernumgebung bestimmt ist, und nicht von anderen Bildungsmerkmalen wie Universitätsart, Studienrichtung oder finanziellen Ressourcen. Die Studie bestätigt diesbezüglich die Ergebnisse der Studie von Schillinger (2006). Das bedeutet, dass eine qualitative Lernumwelt in jeder Universität, und zwar unabhängig von Größe oder finanziellen Ressourcen, realisierbar ist.

Die erste Implikation dieser Untersuchung ist, dass die Gestaltung einer fördernden Lernumwelt in erster Linie darin besteht, ein breites Spektrum von Aktivitäten zur Verantwortungsübernahme und angeleiteten Reflexion den Studierenden anzubieten.

Mitarbeit an praktischen Projekten, Betreuung junger Kollegen oder Gymnasialschüler und die Beteiligung der Studierenden an der Bestimmung der Lehrinhalte und Unterrichtsmethoden sind einige Beispiele von Aktivitäten, in denen die Studierenden reale Verantwortung übernehmen können. Sprinthall (1993) und Lind (1996) zeigen, dass die Gelegenheiten zur Verantwortungsübernahme unwirksam sind, wenn sie mit Gelegenheiten zur angeleiteten Reflexion nicht verknüpft werden. Daher ist wichtig, dass die Verantwortungsübernahme mit Reflexionsübungen, Feedback seitens der qualifizierten

Personen, Meinungsaustausch mit anderen Studierenden oder Gesprächen mit Professoren verknüpft wird.

Die in dieser Untersuchung beobachtete niedrige Beteiligung an Aktivitäten zur Verantwortungsübernahme – insbesondere wenn sie einen nichtpflichtigen Charakter haben -hängt einigermaßen mit dem Zeitmangel zusammen. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung – im Jahr 2005, vor der Einführung der Bologna-Reform – waren die Curricula überladen. Sie ließen den Studierenden kaum Zeit, um sich an anderen Aktivitäten zu beteiligen. So kann erklärt werden warum, die hier untersuchten Studierenden vorwiegend in Aktivitäten des curricularen Bereichs und sehr wenig in Tätigkeiten außerhalb der Universität involviert waren. Mit der Einführung der Bologna-Reform in den rumänischen Universitäten wurde auch darauf abgezielt, auf überladene Curricula zu verzichten und Studierenden mehr Zeit für das individuelle Studium zu verschaffen.

Aktivitäten zur Verantwortungsübernahme müssen von den Studierenden wahrgenommen und benutzt werden. Es reicht nicht aus, dass sie nur vorhanden sind. Es wurde gezeigt (Comunian, 2006), dass Personen mit hoher moralischer Urteilsfähigkeit solche Gelegenheiten zur Verantwortungsübernahme leichter erkennen und eine höhere Bereitschaft zeigen, sich in solchen Aktivitäten zu engagieren. Eine sehr effektive Möglichkeit, die direkt auf die Förderung moralischer Urteilsfähigkeit der Studierenden abzielt, sind die Interventionsprojekte, wie Dilemma-Diskussion oder Gestaltung des Schullebens nach demokratischen Prinzipien. Im Vergleich zu der Methode der Gestaltung des Schullebens nach demokratischen Prinzipien, die zeitlich und gegenständlich ziemlich aufwendig ist, hat sich die Methode der Dilemma-Diskussion als sehr effizient erwiesen. Die Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion wurde insbesondere im deutschsprachigen Raum sowohl bei Schülern und Studierenden als auch bei Lehrern sehr oft und mit viel Erfolg eingesetzt.

Die moralische Urteilsfähigkeit kann auch dadurch trainiert werden, indem die kognitiven Strukturen durch eine prozess- und nicht durch eine produktorientierte Leistungsforderung gefördert werden. Wichtiger als die Lösung eines Problems ist der Prozess des Problemlösens. Die bloße Vermittlung von Informationen und vorgefertigten Antworten trägt nicht zur Entwicklung der Reflexionsfähigkeit bei, sondern fixiert auf einem konkreten kognitiven Niveau. Schroder, Driver und Streufert (1967) verweisen darauf, dass die kognitive Komplexität sogar regredieren kann, wenn Ziele und Verhaltensmodelle vorgeschrieben werden und das Verhalten nur in Übereinstimmung mit vorgegebenen Kriterien bewertet wird. Deduktive Unterrichtsmethoden, die auf der Zerlegung einer Aufgabe in ihre Komponenten und auf dem Lernen jeder Komponente und der

126 Integrationsregeln gründen, vereinfachen die Lernsituationen, was zu einer Verzögerung der kognitiven Entwicklung führt. Bloße Vermittlung von Kenntnissen und Regeln und die Bewertung ihrer Assimilation durch externe Belohnungs- oder Bestrafungsmethoden bewirken einen Stillstand der kognitiven Entwicklung auf einem konkreten Niveau.

Lernsituationen, die auf induktiven Unterrichtsmethoden beruhen und in denen dem Lernenden die Aufgabe gestellt wird, Integrationsregeln selbst zu entdecken oder zu entwickeln, führen hingegen zur Entwicklung abstrakter Strukturen. Die Hauptaufgabe des Erziehers ist nicht die, Inhalte und Regeln zu vermitteln, sondern die Lernumwelt so zu gestalten, dass sie selbst Anreize zu ihrer Erforschung anbietet.

Die Gestaltung der Lernumwelt ist wesentlich von Erziehern geprägt. Reiman und Johnson (2003) zeigen, dass zwischen dem Niveau moralischer Entwicklung des Lehrers und seinen Arbeitsmethoden eine wichtige Beziehung besteht. Erzieher, die höhere moralische Urteilsfähigkeit haben, fordern mehr die aktive und kritische Teilnahme der Studierenden, verwenden öfter Diskussionsmethoden und bevorzugen prozessorientierte Lehrmethoden den produktorientierten. Eine weitere Möglichkeit zur Förderung moralischer Urteilsfähigkeit der Studierenden wäre also die Förderung moralischer und sozialer Kompetenzen ihrer Lehrer.

Nicht zuletzt hängt die Förderung moralischer Urteils- und Diskursfähigkeit von der ihr zugeschriebenen Bedeutung ab. Obwohl in Rumänien als auch in vielen anderen Ländern ein erklärtes Bildungsziel ist, neben fachlichen Kenntnissen auch moralische und soziale Kompetenzen zu fördern, liegt der Fokus weiterhin fast ausschließlich auf der Vermittlung und Aneignung von Fachwissen. Für viele Erzieher, sowie Studierende hat der Erwerb von fachlichen Kenntnissen und Fähigkeiten Vorrang. Oft wird übersehen, dass die moralisch-demokratische Urteilsfähigkeit genau so wichtig für das zukünftige Berufsleben ist, wie die fachlichen Kompetenzen. Mit zunehmender moralischer Urteilsfähigkeit wächst die Bereitschaft, sich in Problemlösen zu engagieren, anstatt vorgefertigte Antworten zu übernehmen. So wird das kritische Denken gefördert, das eine notwendige Voraussetzung für gute schulische Leistungen, insbesondere in den höheren Schuljahren, und für den Berufserfolg ist. Nur wenn alle Beteiligten am Bildungsprozess davon überzeugt sind, dass die Förderung moralischer Urteilsfähigkeit genau so wichtig ist, wie die Förderung fachlicher Kompetenzen, kann man sagen, dass ein wichtiger Schritt zur Gestaltung einer fördernden Lernumwelt gemacht wurde.