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Schlussbetrachtung

Im Dokument Der Tierarzt kommt! (Seite 136-141)

Entwicklung, Erfolg und Fortbestand des tierärztlichen Berufes sind seit jeher eng verknüpft mit der Mobilität. Schon in Zeiten vormoderner Fortbewegung musste der Tierarzt seine Patienten möglichst schnell und effizient aufsuchen können. Es steht dabei außer Frage, dass die rasche Behandlung von Notfällen, die Gesamtanzahl der täglichen Patientenbesuche, die räumlichen Grenzen des Praxisgebietes und auch die Konkurrenzfähigkeit des einzelnen Praktikers stark von den eigenen Möglichkeiten und der Flexibilität im Rahmen der Fortbewegung abhing. Auch der allgemeine tech-nische Fortschritt hatte Einfluss auf die Mobilität des Tierarztes. In der Zeit vor der Er-findung bzw. flächendeckenden Verbreitung des Telefons war eine praxisintern gut strukturierte Organisation der einzelnen Wege zum Patienten sowie auch der allge-meinen Praxisabläufe unerlässlich, um alle angemeldeten Patienten besuchen zu können. Auch heute noch ist eine durchdachte Planung für die im Laufe eines Arbeits-tages zu fahrenden Strecken Grundvoraussetzung für ein effizientes und ökono-misches Arbeiten.

Je nach geographischer Lage und in Abhängigkeit vom Ausbau der Infrastruktur waren Tierärzte noch bis weit ins 20. Jahrhundert zu Fuß mit Tasche oder Rucksack unter-wegs. Auf dieser Grundlage war es kaum möglich, jeden Notfall rechtzeitig zu errei-chen. Auch das jeweilige Praxisgebiet war räumlich auf fußläufig erreichbare Distan-zen beschränkt, wenn der Tierarzt nicht von den Patientenbesitzern abgeholt wurde oder öffentliche Verkehrsmittel nutzen konnte. Zudem musste der Tierarzt alle für die Behandlung relevanten Instrumente und Medikamente mit sich führen. Bedingte die medizinische Situation des Patienten dann vor Ort eine andere Maßnahme als zuvor erwartet, musste der Tierarzt improvisieren oder, wenn der zeitliche Aspekt es zuließ, erneut aufbrechen, um das benötigte medizinische Equipment aus seinen Praxisräu-men zu besorgen. Eine logische Konsequenz daraus war neben dem erheblichen Zeit-verlust möglicherweise sogar der Verlust eines Patienten.

Das Pferd, sowohl als Reit- als auch als Zugtier eingesetzt, brachte gegenüber der Fortbewegung per pedes eine wesentliche Entlastung in den Praxisalltag. Seine Nutzung wirkte sich vielfach positiv auf die tierärztliche Mobilität aus: der Tierarzt war erheblich schneller an seinem Einsatzort, die Kapazität bei der Mitnahme von Medikamenten und Instrumenten wurde erweitert, der höhere Komfort resp. die Redu-zierung der körperlichen Anstrengung während der Praxistour ermöglichte die Betreu-ung einer signifikant höheren Anzahl medizinischer Fälle pro Tag, und auch eine Ex-pansion des Praxisgebietes wurde möglich. Der Tierarzt konnte durch die Mitnahme einer größeren Zahl medizinischer Gerätschaften vor Ort beim Patienten flexibler rea-gieren und auch unerwartete Eingriffe spontan vornehmen. Allerdings mussten die Mittel für den Erwerb und den Unterhalt eines Reitpferdes bzw. für Pferd und Wagen zunächst erwirtschaftet werden. Ein weiterer Nachteil bestand darin, dass das Pferd als Lebewesen ermüden konnte und der Tierarzt somit entweder zwingend an Ruhe-pausen gebunden war oder mehrere Tiere zum Wechseln benötigt wurden.

Reitpferde hatten den Vorteil, dass sie sehr kurzfristig einsatzbereit waren und mit ihnen nicht zwangsläufig eine Straße benutzt werden musste. Querfeldein geritten waren Pferde den ersten motorisierten Fahrzeugen auf der Straße an Schnelligkeit noch ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen. Der Einsatz von Pferd und Wagen aller-dings war im Vergleich zum Reitpferd fest an das bestehende Wegenetz gebunden.

Individuelle Vorlieben, der Standort der Praxis (in urbaner oder ländlicher Umgebung) und auch die jeweiligen finanzielle Mittel hatten starken Einfluss auf die Häufigkeit und Dauer der Nutzung des Pferdes. Wenn auch die allgemeinen Grundansprüche (in ers-ter Linie Langlebigkeit, Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit) an Reitpferde bzw. Pferd und Wagen zum Einsatz in der tierärztlichen Praxis überwiegend einheitlich waren, so gab es gravierende Unterschiede hinsichtlich der persönlichen Vorlieben bei der Wahl der Pferderassen und Wageklassen. Pferde wurden durchaus noch als Reit- und Zug-tiere in der tierärztlichen Praxis genutzt, als bereits von Motoren angetriebene Fahr-zeuge zur Verfügung standen. Bis in die 1950er Jahre hinein bot das Pferd auf den Straßen noch ein alltägliches Bild, bis es ab diesem Zeitpunkt dann endgültig von den motorisierten Fahrzeugen aus seiner Führungsposition als Fortbewegungsmittel ver-drängt wurde.

Der Tierarzt wählte die Art der Mobilität, die am ehesten seinen Lebens- und Arbeits-umständen entsprach. Dies wird besonders am Beispiel Fahrrad deutlich. Das Ende des 19. Jahrhunderts neu entwickelte Zweirad war zwar anfänglich noch sehr kost-spielig, wurde aber dann zwischen 1920 und 1950 durch Massenproduktion zu einem Alltagsgegenstand. Dies führte dazu, dass diese Art der Fortbewegung auch viele Tier-ärzte nutzten, da nur verhältnismäßig moderate Anschaffungskosten sowie geringe Unterhaltungskosten anfielen und der Besitz und die Nutzung eines Fahrrads mit we-niger Aufwand verbunden waren als die Haltung von Pferden. Das Fahrrad war bei entsprechender Pflege und Instandhaltung jederzeit einsatzbereit. Außerdem galt es, besonders kurz nach seinem Aufkommen, als modern und innovativ und es besaß ei-nen gewissen sportlichen Chic.

Nach dem Ersten Weltkrieg, als die Verfügbarkeit und die Beschaffung von Be-triebsstoffen für Kraftfahrzeuge mit einem immensen Aufwand und hohen Kosten ver-bunden war, griffen viele Tierärzte erneut auf das Fahrrad als Praxisfahrzeug zurück, obwohl den meisten vorher bereits ein Automobil zur Verfügung gestanden hatte. Die Nutzung des Fahrrads unterlag nun einem wirtschaftlichen Zwang, und auch die vor-herige Gewöhnung an das komfortablere und auch prestigeträchtigere Automobil spielte dabei eine nicht unwesentliche Rolle. Auch heute ist das Fahrrad noch nicht gänzlich aus der tierärztlichen Praxis verschwunden. Ohne das Fahrrad wäre zum Beispiel die Arbeit für die Tierärzte auf den deutschen Inseln, auf denen kein Auto-verkehr zugelassen ist, um ein Vielfaches beschwerlicher und auch die Diagnostik- und Behandlungsmöglichkeiten wären erheblich eingeschränkt.

Die aufkommende Motorisierung Ende des 19. Jahrhunderts und die damit ver-bundene allgemeine Verfügbarkeit neuer Fahrzeuge wirkte sich signifikant auf die Abläufe in der tierärztlichen Praxis aus. Es konnten wesentlich mehr Patientenbesuche pro Tag erledigt, die Praxisgrenzen ausgedehnt oder ganz neue Praxisgebiete er-schlossen werden. Einerseits bedeutete dies einen finanziellen Gewinn, andererseits erhöhte sich auch der Konkurrenzdruck. Wer flexibel und schnell bei seinen Patienten sein konnte, wurde in der Folge möglicherweise auch weiterhin eher für anstehende Behandlungen kontaktiert als der Kollege, dem noch keine schnelleren Fortbewe-gungsmittel zur Verfügung standen.

Das Motorrad hatte, besonders in Deutschland, ab 1914 bis in die 1940er Jahre hinein aufgrund der hohen Anzahl der zur Verfügung stehenden motorisierten Zweiräder eine Führungsposition innerhalb der Individualfortbewegung inne. Zusätzlich machte ab 1928 eine steuerliche Vergünstigung den Besitz und die Nutzung eines Motorrads

auch für diejenigen interessant, die sich zuvor kein motorisiertes Gefährt hatten leisten können. Für Tierärzte waren besonders die für das Motorrad spezifischen Eigen-schaften von entscheidender Bedeutung: Schnelligkeit, flexible Einsetzbarkeit auf na-hezu allen Wegen und verhältnismäßig geringe Anschaffungs- und Unterhal-tungskosten machten das Motorrad über Jahrzehnte zu einem überaus häufig genutz-ten und geschätzgenutz-ten Fortbewegungsmittel in der tierärztlichen Praxis.

Ein entscheidender Nachteil des Motorrads, der allerdings wahrscheinlich aufgrund der vielen positiven Eigenschaften allgemein billigend in Kauf genommen wurde, war der fehlende Schutz vor Wind und Wetter, woraus es mitunter sogar zu chronischen Erkrankungen des Fahrers kommen konnte. Auch die Mitnahme des benötigten medizinischen Equipments war begrenzt, sofern nicht ein Beiwagen benutzt wurde, der aber wiederum die Geländegängigkeit einschränkte. Obwohl das Automobil bereits zur Verfügung stand und auch schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der tier-ärztlichen Praxis eingesetzt wurde, waren die dabei anfallenden Kosten bis in die 1950er Jahre hinein meist so hoch, dass das Motorrad auch weiterhin als Praxis-fahrzeug eingesetzt wurde.

Das Automobil schließlich revolutionierte die Mobilität des Tierarztes nachhaltig und wie kein anderes Fahrzeug. Erstmals war es möglich, ohne Einsatz von Muskelkraft, vor Wind und Wetter geschützt, verhältnismäßig bequem und vor allem mit hoher Geschwindigkeit (die außer dem Motorrad kein weiteres Fortbewegungsmittel bis dato erreichen konnte) die täglichen Berufsfahrten und Visiten zu verrichten. Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzten Tierärzte die Möglichkeit, sich ein für die Praxis geeignetes Fahrzeug aus Armeebeständen zuzulegen (z.B. Kübelwagen oder Jeep).

Mit dem dauerhaften und regelmäßigen Einsatz des Autos als Praxisfahrzeug stiegen aber auch die Ansprüche, sowohl die des Tierarztes an sein Fahrzeug als auch die der Tierbesitzer an das Leistungsspektrum ihres Tierarztes. Hatte dieser doch nun die Möglichkeit, schnellstens vor Ort zu sein und sich auch mit unerwarteten Fällen um-gehend auseinandersetzen zu können. Das Auto bot alle nötigen Kapazitäten, um jeg-liches für die Behandlung benötigte Equipment mitzuführen. Dieser Umstand führte aber auch zu einer Steigerung des Leistungsdrucks unter den niedergelassenen Tierärzten, da mit dem Einsatz des Autos auch der Erwerb und der Einsatz neuer Ge-rätschaften und damit neue Investitionskosten verbunden waren.

Ein weiterer Punkt ist die Rolle des Autos als Prestigeobjekt. Ein kostspieliges, ge-pflegtes und technisch modern ausgestattetes Fahrzeug kann unter Umständen den Eindruck von Professionalität vermitteln und in der Konsequenz zu neuer Kundschaft führen. Außerdem kann der Tierarzt sein Praxisfahrzeug werbetechnisch dazu nutzen, mithilfe gezielt platzierter Beschriftung des Wagens auf seine Praxis aufmerksam zu machen und auf diese Weise Neukunden zu aquirieren.

Mit fortschreitender Urbanisierung wurden landwirtschaftliche Betriebe und Großtier-halter an die städtischen Randbezirke oder ganz in ländliche Gebiete verdrängt. Dem-entsprechend siedelte sich auch die überwiegende Zahl der Großtierpraktiker auf dem Land an, da kurze Wege im beruflichen Alltag des Tierarztes schon immer eine erheb-liche Rolle spielten. Der Bedarf an Möglichkeiten, eine zweckmäßige und sichere La-gerung des medizinischen Equipments in den Fahrzeugen zu gewährleisten, führte sogar zum Aufkommen von Handwerksbetrieben und Firmen, die sich eigens auf den Innenaus- und umbau von Fahrzeugen für die tierärztliche Praxis spezialisiert haben.

Mittlerweile gibt es (Fahr-) Praxen, die keine Immobilie mehr als Praxisstandort nutzen, sondern in einem (oder mehreren) Wagen jegliches für die Führung einer Tier-arztpraxis relevante Inventar untergebracht haben. Diese Form der TierTier-arztpraxis ist allerdings noch wesentlich seltener anzutreffen als die Praxis des klassischen nieder-gelassenen Landtierarztes.

Schnelligkeit und Flexibilität spielen seit jeher eine wesentliche Rolle in der tierärztlichen Mobilität. Die Möglichkeit, sofort einsatzbereit und umgehend auf dem Weg zum Patienten zu sein, ist ganz besonders hinsichtlich der Versorgung lebens-bedrohlicher Notfälle von entscheidender Bedeutung. Im Gegensatz zu humanmedi-zinischen Rettungsdiensten ist es Tierärzten nicht erlaubt, optische oder akustische Warnsignale im Straßenverkehr zu benutzen. Somit kann es durchaus vorkommen, dass bei widrigen Verkehrsverhältnissen die Anfahrt übermäßig lange dauert und dies die Therapiemöglichkeiten beim Patienten nachteilig beeinflusst.

Nicht an die Straßen- und Verkehrsverhältnisse gebunden zu sein, kann im Ernstfall das Leben eines Tieres retten und macht deutlich, dass auch die Nutzung unter-schiedlichster Fluggeräte für Tierärzte Relevanz besitzen kann. Allerdings ist die Nutzung von Tragschraubern, Ultraleichthubschraubern und ähnlichen Fluggeräten, deren Steuerung nur mit einer (Privat-) Pilotenlizenz zulässig ist, hierzulande noch eine Randerscheinung. Obwohl deren Einsatz deutliche Vorteile in puncto Zeit- und Be-triebsstoffersparnis mit sich bringt, muss doch im Vorfeld zunächst größerer finan-zieller Aufwand betrieben und auch viel Zeit investiert werden, um einen Flugschein und außerdem noch das passende Fluggerät erwerben zu können. Auch die Abrech-nung solcher Touren ist nicht gesetzlich geregelt, wodurch eventuell entstehende Mehrkosten durch diese noch seltene Form der tierärztlichen Mobilität nicht einheitlich geregelt auf die Tierbesitzer übertragen werden können und somit die übliche Be-rechnung nach Entfernung und Doppelkilometer zu Grunde gelegt wird.

Nach der Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) ist in Deutschland die Abrechnung von Wegegeld einheitlich geregelt. Je nach Art des genutzten Fahrzeugs und den damit verbundenen laufenden Unterhaltungskosten sowie auch der geographischen Lage des Praxisgebietes (Verbrauch von Betriebsstoffen) können mit den dafür aktuell geltenden Sätzen tatsächlich nicht immer alle Unkosten für den Tierarzt gedeckt wer-den. Die Abrechnung des Wegegeldes führt dabei aber in keinem Fall zu einem rele-vanten finanziellen Gewinn für den Tierarzt. Nach Absprache mit den Tierbesitzern können in Fällen, in denen die GOT keine explizite Abrechnung vorsieht, wie zum Bei-spiel bei einem Charterflug auf den Nordseeinseln, die tatsächlich entstandenen An-fahrtskosten zu einhundert Prozent auf den Tierhalter umgelegt werden.

Es ist davon auszugehen, dass einhergehend mit dem technischen Fortschritt der Mobilität dem Tierarzt auch die Möglichkeit gegeben wurde, seine individuellen sozia-len und familiären Belange vermehrt in seinen beruflichen Alltag einzugliedern. Einher-gehend mit der Verfügbarkeit moderner und somit schneller Fortbewegungsmittel konnte der Tierarzt, sofern es die terminliche Auslastung und seine Fahrtroute erlaub-ten, die Zeit zwischen zwei Terminen auch für private Belange nutzen. Somit war es zum Beispiel möglich, diese freie Zeit für ein gemeinsames Mittagessen mit der Familie oder private Erledigungen zu nutzen. Allerdings wuchs analog zur höheren Schnellig-keit und Flexibilität bei der Fortbewegung auch die Anzahl der potenziell zu erledi-genden Termine, was effektiv auch zu einer insgesamt höheren zeitlichen, physischen und psychischen Belastung führen kann.

Welche expliziten technischen Neuerungen die kommenden Jahre und Jahrzehnte bringen werden, bleibt abzuwarten. Es ist aber stark davon auszugehen, dass die Weiterentwicklung der Fahrzeuge und somit auch der von Tierärzten genutzten Fort-bewegungsmittel in hohem Tempo weiter voranschreiten wird. Die Mobilität wird auch in Zukunft einen zentralen Punkt in der tierärztlichen Praxis einnehmen.

Im Dokument Der Tierarzt kommt! (Seite 136-141)