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Abrechnung von Wegegeld

Im Dokument Der Tierarzt kommt! (Seite 125-136)

Am 21. Juni 1815 wurde erstmals eine vereinheitlichte Taxe für die Abrechnung medi-zinischer Leistungen auf preußischem Hoheitsgebiet eingeführt. Diese "Preußische Medicinal-Taxe" stellte ab diesem Zeitpunkt die Abrechnungsgrundlage für alle medi-zinischen Berufe in Deutschland dar, hierarchisch gegliedert nach ihrer sozialen Stell-ung in der Gesellschaft: Ärzte, Wundärzte, Geburtshelfer, Zahnärzte, gerichtliche Ärz-te, Tierärzte. Es ist also der letzte Abschnitt VI der Vorschrift, der sich mit der "Taxe für Thierärzte" befasst. Für die Abrechnung von Wegegeld galt folgende Berechnungs-grundlage:

"1. Der Lehrer einer Thierarzneischule oder ein Thierarzt, der zugleich als Arzt approbirt ist, bekommt für seine Bemühungen bei Epizootien (Viehseuchen) an Die-ten, Meilengebühren u.s.w., wie die Physiker [darunter ist ein Physikus = Amtsarzt zu verstehen] bei Epidemien.

2. Die übrigen Thierärzte empfangen die Hälfte von dem, was die unter Nr. 1 ge-nannten bekommen.

3. Wird ein Thierarzt von Nr. 1 an dem Orte gefordert, um über ein oder mehrere Thiere seinen Rath zu ertheilen, so empfängt er dafür 20 Ggr. [Guter Groschen] bis 1 Rthlr. [Reichsthaler]260. Der Thierarzt von Nr. 2 bekommt 10 bis 20 Ggr.

4. Falls es an einem anderen Orte ist, so finden Meilengelder und Dieten wie bei Nr.

1. und 2. statt."261

Privattierärzten (= nicht beamtete Tierärzte) stand auf Grundlage der Taxe von 1815 somit grundsätzlich nur die Hälfte dessen zu, was für beamtete Tierärzte vorgesehen war.

Im Jahr 1837 wurden der Taxe Ergänzungen und Abänderungen hinzugefügt, die unter anderem auch die Liquidation von Reisekosten betrafen, in diesem Fall explizit bezo-gen auf eine amtliche Bestellung des Tierarztes. Die daraus resultierenden Kosten, die der Tierarzt in Rechnung stellen konnte, wurden mit Mitteln aus der Staatskasse liqui-diert. In Absatz b) wird außerdem deutlich, dass den Privattierärzten Vergütungen in gleicher Höhe zustanden wie den humanen Wundärzten.

260 Anmerkung: ein Reichsthaler hatte im Jahr 1815 einen Gegenwert von 24 Guten Groschen. Der Kaufkraft der damaligen Zeit entsprechend kostete ein Pfund Butter 3 Gute Groschen.

261 Die Preußische Medicinal-Taxe für Aerzte, Wundärzte, Geburtshelfer, Zahnärzte, gerichtliche Aerzte und Thierärzte vom 1. Juni 1815. Ergänzungen und Abänderungen von 1837. A. W. Hahn, Berlin, 28-29.

Ergänzungen und Abänderungen:

"a) In denjenigen Fällen, wo ein K r e i s t h i e r a r z t zur Liquidation seiner Reisekosten nach dem Dienstreglement v. 28. Febr. 1816, Behufs der Erstattung aus der Staatskasse berechtigt ist, wird ihm derselbe Satz, wie den Kreischirurgen, nämlich 1 Rthlr. per Tag gewährt. Rv. 27. März 1824. A. S. 292.

b) Den T h i e r ä z t e n zweiter Klasse oder den Kreisthierärzten stehen für die Abwartung eines gerichtlichen Termines, für das Verschreiben eines Recepts in eigener Wohnung ec. dieselben Sätze zu, welche die Taxe in gleichen Verhältniss-en dVerhältniss-en WundärztVerhältniss-en dafür aussetzt. R.v. 17. Aug. 1825. A. S. 762."262

Neben der Taxordnung Preußens von 1815 und der wesentlich später erlassenen tier-ärztlichen Taxe Bayerns von 1872 gab es auch in Hessen eine "Allgemeine Medicinal-Taxordnung", die durch Erlass des kurfürstlich hessischen Ministerium d.I. [des Inn-ern] am 23. Mai 1866 beschlossen wurde und auch für Tierärzte Gültigkeit besaß. Auf dieser Grundlage erhielten Tierärzte zur Abrechnung ihres Wegegeldes zwei Drittel der für Ärzte vorgesehenen Entschädigungshöhe:

"§. 34. Bei Geschäften ausserhalb ihres Wohnortes dürfen die Thierärzte an Meilen-geldern und Transportkosten, sowie für Zeitversäumniss, wie die nicht zur innern Praxis berechtigten Wundärzte nach §. 21 berechnen […]

Bei Geschäften außerhalb seines Wohnortes erhält der Arzt neben den Gebühren für die besondere Verrichtung:

A bei Benutzung gewöhnlicher Transportmittel:

1) An Meilengeldern für jede ¼ Postmeile [1 Postmeile = 7,59 Kilometer], vom Wohnorte des Arztes an gerechnet, 8 bis 12 Sgr. [Silbergroschen], jedoch nicht über 6 bis 8 Thlr. [Thaler] für einen Tag.

2) Für Transportmittel, gleichviel ob er dieselben benutzt oder nicht, für jede ¼ Postmeile 10 Sgr.

a) Erreicht die Entfernung eine volle ¼ Postmeile nicht ganz, so wird der Besuch wie ein erster Besuch am Wohnorte berechnet.

b) Erreicht die Entfernung nach der ersten ¼ Postmeile, eine weitere ¼ Postmeile nicht, so wird zu bis ⅛ Postmeile die Hälfte der obigen Sätze, über ⅛ Postmeile der volle Satz gutgethan.

c) Transportkosten werden nicht vergütet, wenn sich der Arzt eines ihm gestellten Transportmittels bedient.

d) Bedient sich der Arzt bei Mangel eines eigenen Transportmittels unter Beistimmung des Kranken oder in Eilfällen einer Miethfuhre, so werden ihm die gehabten Auslagen ersetzt. Sämmtliche Bestimmungen und Ansätze für Meilengelder und Transportkosten begreifen die Hin- und Zurückreise in sich."263

262 Preußische Medicinaltaxe (wie Anm. 261), 31.

263 Adam, Theodor; Probstmayr, Wilhelm (1867): Regulativ zur Feststellung der thierärztlichen Gebühren-Rechnungen. In: Wochenschrift für Thierheilkunde und Viehzucht 11 (2), 14-15.

Zusätzlich deckte das Regulativ noch die Abrechnung zurückgelegter Wege mit der Eisenbahn ab. Demnach erhielt der Tierarzt pro Stunde Abwesenheit von seinem Wohnort 20 Silbergroschen bis 1 Thaler (zum Vergleich: im Jahr 1866 kostete 1 kg Roggenbrot etwa drei Silbergroschen264). Allerdings musste sichergestellt sein, dass die Reise mit der Bahn nötig und nicht langsamer als mit einem Wagen war. Bei Nacht-besuchen durfte der Tierarzt den zweifachen Satz an Wegegeldern in Rechnung stell-en.265 In den Erlassen erfolgt die Abrechnungsgrundlage nach der Klasse der Tier-ärzte. Beamtete Tierärzte wurden grundsätzlich höher vergütet als nicht beamtete.

Das tierärztliche Zweiklassensystem existierte in Preußen von 1838 bis 1855. Für ei-nen Tierarzt erster Klasse setzte man die Sekundareife und ein Studium mit einer Min-destdauer von sieben Semestern voraus. Für Berufsanwärter, die lediglich einen Volksschulabschluss vorweisen konnten, war nach maximal sechs Semestern die Approbation zum Tierarzt zweiter Klasse möglich. Erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde an den meisten tiermedizinischen Lehranstalten Deutschlands die Obersekun-dareife als Zulassungsvoraussetzung verlangt. Tierärzte waren zu diesem Zeitpunkt den anderen akademischen medizinischen Berufen noch nicht gleichgestellt. Vorraus-setzung dafür war eine Abgrenzung zu anderen, sich mit der Tierheilkunde befass-enden Berufen wie den sog. Heilkundigen oder Kurpfuschern. Eine wichtige Grundlage dafür bildete die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes aus dem Jahr 1869, in welcher in § 29 eine Zuordnung der Tierärzte zu den Ärzten erfolgte. Außerdem wurde die Berufsbezeichnung Tierarzt nun durch die Approbation als Befähigungsnachweis geschützt.266

In tierärztlichen Fachzeitschriften wurde die Abrechnung tierärztlicher Gebühren häu-fig diskutiert. Als Beispiel dient hier ein aus dem Jahr 1889 stammender Bericht des Kreistierarztes Lemke aus Friedrichsberg, der als Sachverständiger vom Berliner Ge-richt bestellt wurde. In seinem in der Berliner Thierärztlichen Wochenschrift erschie-nenen Artikel beschreibt Lemke den Inhalt und Ausgang des Streitfalls, der aus seiner an das Gericht gestellten Entschädigungszahlung für das Wegegeld resultierte. Be-weggrund für die Veröffentlichung seines Falls war die seiner Meinung nach grund-sätzliche Wichtigkeit für die Tierärzteschaft:

"Es ist bekannt, dass der Thierarzt vom Gericht als Sachverständiger requirirt, 6 Mark für Abwartung des Termins, falls derselbe nicht über 3 Stunden dauert, und Reiskosten liquidiren kann, letztere indessen nur dann, wenn die Entfernung von der Grenze des Abgangsortes bis zur Mitte des Bestimmungsortes mindestens 2 km beträgt. Es werden solche Entfernungen von über 2 bis 8 km als volle 8 km und zwar mit 25 Pf. pro km Landweg berechnet. Da Friedrichsberg, mein Wohnort, in diesem Sinne über 2 km von Berlin entfernt liegt, so habe ich meine Liquidation bei Reisen nach Berlin als Sachverständiger wie folgt aufgestellt:

Reisekosten, 16 km Landweg (8 km hin und 8 km zurück)

265 Adam; Probstmayr (wie Anm. 264), 13-14.

266 Seewald, Wolfgang (1977): Entstehung der Tierärztekammern in Preußen, Bayern und Baden.

Hannover, Tierärztliche Hochschule, Diss., 30.

Dieser Betrag von 10 Mark wurde mir seit Jahren anstandlos ausgezahlt. […] Meine gleich nach dem ersten Termin eingereichte Liquidation in der Höhe von 10 Mark wurde mir sofort beanstandet. Ich erhielt 6 Mark (für Abwartung des Termins) und 50 Pf. Pferdebahngeld als Reisekosten und gleichzeitig nachstehendes Monitum zugeschickt, welches den Beweis liefern sollte, dass meine Reise eine Dienstreise und keine Geschäftsreise gewesen sei. […] Infolgedessen wandte ich mich be-schwerdeführend an das Königliche Landgericht I. in Berlin. In meiner Beschwerde führte ich kurz aus, dass ich Privatthierarzt sei. Wenn auch bei gerichtsärztlichen Geschäften Privatthierärzte nach denselben Sätzen, wie die beamteten Thierärzte laut Gesetz liquidieren, so könnten doch „Dienstreisen" nur von solchen Thierärzten ausgeführt werden, welche sich in Wirklichkeit auch im Staatsdienst befinden. […]

Meine Beschwerde war von Erfolg gekrönt, denn ich erhielt unter dem 2. November h. a. folgenden Bescheid:

Beschluss.

[…] werden auf die Beschwerde des Kreisthierarztes a.D. Dr. Lemke […] die demselben zuzubilligenden Reisekosten auf im Ganzen 4 Mark, also abzüglich der ihm bereits gezahlten 50 Pf. auf noch 3 Mark 50 Pf. festgesetzt. […].

Königliches Landgericht I. Civilkammer VIII.

Da der obige Entscheid von principieller Bedeutung ist, so glaube ich durch seine Veröffentlichung den Collegen einen Dienst zu erweisen."267

Ebenfalls in der Berliner Thierärztlichen Wochenschrift aus dem Jahr 1892 ist die Ant-wort der Redaktion auf ein zuvor eingesandtes Schreiben eines Tierarztes veröffent-licht, in welchem die Frage über tierärztliche Liquidation anhand eines Streitfalles nach tierärztlicher Rechnungsstellung erörtert wird. Von besonderem Interesse ist dabei die Aufstellung des Wegegeldes:

"Uns ist folgende Anfrage zugegangen: 6 km vom Wohnort des betreffenden Thierarztes behandelte der Betreffende zwei Tage hintereinander jedesmal 5 Pfer-de […]. Die preussische Taxe setzt uns bei Besuchen in Pfer-der Entfernung von 2-7,5 km vom Wohnort des Thierarztes 1,50-3 Mk. für den ersten und 1-1,50 Mk. für jeden folgenden Besuch bei Behandlungen eines Thieres und für Behandlung jedes weiteren Thieres die Hälfte dieser Sätze. […] Hat der Besitzer indessen den Thier-arzt nicht mit seinem Wagen abholen lassen, so hat der ThierThier-arzt, ganz gleichgültig, wie er den Weg zurückgelegt hat, ausser der Besuchsgebühr von 13,50 Mk. noch zu liquidiren für jeden Besuch den ortsüblichen Miethspreis eines zweispännigen Wagens. Derselbe dürfte 4 Mk. betragen, in manchen Gegenden allerdings erheblich mehr. Demnach ist ein Gesammtbetrag der fraglichen Liquidation von 13,50 + 2 x 4 = 21,50 Mk. der Taxe entsprechend."268

Die grundlegenden Gebührensätze wurden im Laufe der Zeit regelmäßig den wirt-schaftlichen Verhältnissen angepasst.

267 Lemke, [o.V.] (1889): Geschäftsreise oder Dienstreise. In: Berl. Thierärztl. Wschr., Jg. 1889 (49), 390.

268 Redaktion der Berliner Thierärztlichen Wochenschrift (1892): Ueber thierärztliche Liquidationen. In:

Berl. Thierärztl. Wschr., Jg. 1892 (41), 489.

Für die Provinz Hannover galt ab Dezember 1931 eine "Mindestgebührenordnung für die praktizierenden Tierärzte nach den Beschlüssen der Tierärztekammer und des Preußischen Tierärztekammerausschusses bis einschließlich Februar 1932". In dieser unterlagen die Gebührensätze einer grundsätzlichen Preissenkung, wie in § 6 be-schrieben wird:

"Der Notlage der Landwirtschaft und der allgemeinen Preissenkung Rechnung tragend, empfiehlt die Tierärztekammer, bis auf weiteres ab 1. April 1931 bei Bar-zahlung und bei Begleichung der Rechnung innerhalb vier Wochen nach Zustellung auf alle Forderungen gemäß der tierärztlichen Gebührenordnung für die Provinz Hannover einen Notabschlag von 10 % zu gewähren. (Beschluß der 19. Hauptver-sammlung am 7. März 1931, veröffentl. Amtsblatt Nr. 3, Seite 29).269

Für die Abrechnung für Fahrkosten (Abb. 80) galt somit folgende Berechnungsgrund-lage:

Abb. 80: Abrechnungsgrundlage nach der Tierärztlichen Gebührenordnung für die Provinz Hannover vom Dezember 1931.

(Quelle: Tierärztliche Gebührenordnung der Provinz Hannover (1932), Geschäftsstelle der Tierärztekammer der Provinz Hannover, 6)

269 Tierärztliche Gebührenordnung für die Provinz Hannover (1932), Tierärztekammer Hannover, Ge-schäftsstelle Hannover, 5.

Der Punkt 8) in der Gebührenordnung erklärte außerdem, dass sich die Gebühren bei Nachteinsätzen erhöhten. Um wieviel, ist allerdings nicht näher beschrieben.

Innerhalb von 2 Monaten wurden die Gebühren erneut gesenkt (Abb. 81 a, b. Dem-nach wurde auf die Fahrkosten (km-Gebühren) bei Barzahlungen ein "Notabschlag"

von 20 % gewährt, bei den anderen Liquidationen ein Abschlag von 15 %:

Abb. 81 a: Erneute Senkung der Gebühren im Februar 1932.

(Quelle: Tierärztliche Gebührenordnung der Provinz Hannover (1932), Geschäftsstelle der Tierärztekammer der Provinz Hannover, 19-20)

Abb. 81 b: Erneute Senkung der Gebühren im Februar 1932.

(Quelle: Tierärztliche Gebührenordnung der Provinz Hannover (1932), Geschäftsstelle der Tierärztekammer der Provinz Hannover, 19-20)

Die Abrechnung nach einer Gebührenordnung resp. Taxe hatte in den Reihen der Tierärzte nicht nur Befürworter. Besonders hinsichtlich kurativer Leistungen stieß die vereinheitlichte Abrechnungsgrundlage immer wieder auf Gegenwehr und war Gegen-stand diverser Diskussionen. Sinn und Zweck einer einheitlichen Abrechnungsgrund-lage hinsichtlich des Wegegeldes wurden allerdings seltener angezweifelt, da es sich tendenziell eher um eine für alle Praktiker einheitliche Leistung handelte, wie es von Reinhold Schmaltz 1938 angeführt wird:

"M.A. nach ist eine allgemein bindende Taxe nicht nötig und nicht erwünscht. Gewiß ist es berechtigt, für manche gleichwertigen Leistungen Gebühren festzusetzen, die weder überschritten noch unterboten werden dürfen, wie z.B. Impfgebühren, Wege-berechnung u.a."270

Am 1. Juli 1937 trat in Deutschland die Reichstierärzteordnung (RTO) in Kraft. In dieser unter nationalsozialistischer Regierung völlig neu erstellten Ordnung wurde auch eine neue Gebührenordnung eingeführt. Diese stellte im Gegensatz zu den bisher gültigen Taxen und Gebührenordnungen, die besonders als Richtlinien in Streitangelegen-heiten galten, einen verbindlichen gesetzlichen Rahmen für die Berechnung der tier-ärztlichen Gebühren dar.271 Am 30. Oktober 1940 wurde aufgrund des § 15 der RTO

270 Schmaltz, Reinhold (1938): Entwicklungsgeschichte des tierärztlichen Berufes und Standes in Deutschland. Verlagsbuchhandlung Richard Schoetz, Berlin, 332.

271 Insenhöfer, Svantje (2008): Dr. Friedrich Weber. Reichstierärzteführer von 1934 bis 1945. Hannover, Tierärztliche Hochschule, Diss., 115-116.

für das ganze Reich eine einheitliche Gebührenordnung für Tierärzte erlassen. Danach wurden folgende Besuchsgebühren (Abb. 81 a, b) fällig:

Abb. 81 a: Berechnungsgrundlage für Wegegelder nach der Gebühren- ordnung für Tierärzte entsprechend der RTO von 1940.

(Quelle: Gebührenordnung für Tierärzte (1940), Wilhelm Limpert, Berlin, 4-5)

Abb. 81 b: Berechnungsgrundlage für Wegegelder nach der Gebühren- ordnung für Tierärzte entsprechend der RTO von 1940.

(Quelle: Gebührenordnung für Tierärzte (1940), Wilhelm Limpert, Berlin, 4-5)

Trotz der allgemeinen Vorgabe zur Abrechnung von Wegegeld führte die spätere Rechnungsstellung für den Tierarzt mitunter zu Schwierigkeiten. So berichtet der be-reits mehrfach erwähnte Tierarzt Dr. Ludwig Dankwardt in seiner Autobiografie von einer winterlichen Situation in den frühen 1940er Jahren :

"Einmal war die Straße nach Wismar und auch die nach Rerik so von Schnee verweht, daß große Schippkommandos die Straße freischaufeln mußten. […] Es wurde ein Einbahnstraßenweg freigelegt, mit ein paar Ausweichstellen. […] Von Poischendorf hatte ich einen Schlitten angefordert, der mir entgegenkommen sollte.

Bei Steinhausen traf ich den Schlitten und fuhr meinen Wagen in eine Ausbuchtung und mit dem Schlitten weiter nach Poischendorf, immerhin noch 14 km. Dort übernachtete ich, um am nächsten Morgen wieder zu meinem Auto zurückgefahren

zu werden. […] Eine Berechnung dieser Tagesfahrten war gar nicht möglich.

Überhaupt konnte ich mich bei diesen weiten Praxisfahrten nie an die Gebührentaxe halten. Ich betrachtete sie als meinen Kriegseinsatz. Nicht das Geld spielte eine Rolle, sondern die Hilfe, die ich geben konnte, war das Entscheidende für mich."272

Aus seiner Aussage wird deutlich, dass die Abrechnung nach der Gebührenordnung für ihn besonders aufgrund seiner persönlichen Moralvorstellung nicht umsetzbar war.

Wie genau bzw. ob er dem Landwirt in einem solchen Fall die Anfahrten berechnete, führt er allerdings nicht näher aus.

Die Gebührenordnung vom 2. September 1971, die auf der Grundlage der Bundes-tierärzteordnung vom 17. Mai 1965 beruhte, wurde vom Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Jugend, Familie und Ge-sundheit mit Zustimmung des Bundesrates erlassen. In Teil B der Gebührenordnung ist die Abrechnungsgrundlage für tierärztliche Entschädigungen aufgeführt. Abge-rechnet wurde dort das Wegegeld nach Doppelkilometer, differenziert nach Tagfahrten à 1,50 DM und Nachtfahrten à 2,50 DM. Eine individuelle Abweichung von diesen Kosten war ebenfalls möglich und gab dem Tierarzt die Möglichkeit, je nach Aufwand mit dem ein- bis dreifachen Satz zu kalkulieren.

Auch heute sind Tierärzte verpflichtet, ihre erbrachten Leistungen grundsätzlich nach der "Gebührenordnung für Tierärzte" (GOT) abzurechnen. Diese ist eine Verordnung der Bundesregierung und stammt in der aktuell geltenden Version vom 28. Juli 1999.

Seit dem 28. Juli 2008 wurden die bis dato bestehenden Gebührensätze der wirt-schaftlichen Entwicklung angepasst, wobei eine allgemeine Gebührenerhöhung um 12

% fixiert wurde. Außerdem wurde die Abschaffung des bisher für die neuen Bundes-länder geltenden zehnprozentigen Abzugs beschlossen und die Berechnung des We-gegeldes wurde angepasst (Abb. 82). Die Abrechnung von Wegegeld wird dabei auch weiterhin der Kategorie "Entschädigungen" zugeteilt. 273

Der im vorherigen Kapitel thematisierte Dr. Steffen Kappelmann, der im Rahmen sei-ner tierärztlichen Tätigkeit einen Tragschrauber nutzt, rechnet die Wege, die er über den Luftweg zurücklegt, nach der GOT ab. Dabei berechnet er genau die Strecke nach gefahrenen Kilometern, die er mit dem Auto zurückgelegt hätte. Da die Gesamtbe-triebskosten des Tragschraubers unter denen seines Praxisautos liegen, macht er auf diese Weise keine finanziellen Verluste. Die Landwirte sind nach seiner Auskunft auch nicht bereit, Extrakosten durch die Nutzung des Ultraleichthubschraubers zu tragen.274 Der ebenfalls im Kapitel über die außergewöhnliche tierärztliche Fortbewegung er-wähnte Tierarzt Dr. Solaro von der Nordseeinsel Norderney rechnet seine Mietflüge mit den Flugzeugen der "Inselflieger" nicht nach der GOT ab. Die Kosten für einen Flug von Norderney ausgehend werden zu 100 % dem Tierbesitzer in Rechnung gestellt und betragen zur Insel Juist bis 140 Euro, zur Insel Borkum bis 250 Euro.275

Die Abrechnungsgrundlage tierärztlicher Gebühren wurde im historischen Verlauf re-gelmäßig überarbeitet und den wirtschaftlichen, politischen und auch technischen

272 Dankwardt 1997 (wie Anm. 49), 57.

273 Zeller, Gerfried (2008): Vorwort. In: Gebührenordnung für Tierärzte vom 28. Juli 1999, mit Gebüh-rensätzen nach 2. Verordnung zur Änderung der GOT vom 30. Juni 2008. Albrecht GmbH, Aulendorf.

274 Kappelmann, Steffen: schriftliche Mitteilung, 09.09.2015.

275 Solaro, Karl-Ludwig: mündliche Mitteilung, 31.08.2015.

Rahmenbedingungen angepasst. Bereits in der Taxe von 1815 wurde die Vergütung der Hin- und Rückreise berücksichtigt, die heute als Doppelkilometer abgerechnet wird. Die jeweiligen Bezeichnungen der genutzten Fortbewegungsmittel wurden im Laufe der Zeit der technischen Entwicklung angepasst, so dass beispielsweise in der Gebührenordnung von 1931 noch allgemein von einem "Fuhrwerk" als Fortbewe-gungsmittel gesprochen wurde, diese Bezeichnung in der GOT von 1970 dann aber allgemein durch "Kraftfahrzeug" ersetzt war. Die Eisenbahn wurde bereits in der Taxe von 1866 als tierärztliches Fortbewegungsmittel in einem separaten Unterpunkt der Abrechnungsgrundlage aufgeführt und findet sich noch in der heute gültigen Version der GOT.

Abb. 82: Berechnung von Wegegeld nach der aktuell gültigen GOT (2008).

(Quelle: GOT 2008)

Im Dokument Der Tierarzt kommt! (Seite 125-136)