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Der Fußmarsch

Im Dokument Der Tierarzt kommt! (Seite 22-26)

3 Tierärztliche Fortbewegungsmittel

3.1 Der Fußmarsch

Die ursprünglichste Art der Mobilität stellt die Fortbewegung per pedes dar. Vor allem auf dem Land oder in anderen Gebieten mit mangelhaft ausgebauter Infrastruktur, wie beispielsweise im Hochgebirge, waren Tierärzte noch bis weit ins 20. Jahrhundert zu Fuß unterwegs. Der körperliche und zeitliche Aufwand, auf diese Weise zu den Patien-ten zu gelangen, war für den Tierarzt enorm. Der Witterung ungeschützt ausgeliefert konnten im Verlauf eines Arbeitstages nur wenige Patientenbesuche getätigt werden.

Sehr häufig finden sich nur allgemein gehaltene Angaben über den Fußmarsch, wie beispielsweise die Aussage des Tierarztes Herwig Forster aus dem in der österreich-ischen Steiermark gelegenen Dorf Großreifling, der dort in den 1950er Jahren zu prak-tizieren begann und in Girtlers Buch "Holt's den Viechdoktor" zitiert wird. Dieser äußert sich folgendermaßen:

" 'Auch zu Fuß bin ich viel unterwegs gewesen.' "22

Dieses Zitat steht stellvertretend für die häufig knapp und oberflächlich gehaltenen Aussagen über den Fußmarsch. In Girtlers Buch finden sich aber auch präzisere An-gaben über die Fortbewegung zu Fuß der von Beginn bis Mitte der 20. Jahrhunderts im alpinen Hochgebirge tätigen Tierärzte. Es wird dabei deutlich, dass der Fußmarsch nicht nur die ursprünglichste Art der Fortbewegung war, sondern in Abhängigkeit von geographischen Gegebenheiten und der klimatischen Situation, besonders in den Win-termonaten, auch eine zwingende Notwendigkeit besaß.

Dr. Franz Krawarik war bis 1947 als praktischer Tierarzt im oberösterreichischen, zum Traunviertel gehörenden Dorf Vorderstoder zu Fuß unterwegs. In seinen unveröffent-lichten, durch Girtler zitierten Erinnerungen, schreibt dieser:

" 'Meist war es nicht die tierärztliche Schwerarbeit an sich, die das Schwerste von mir abverlangte, sondern der Kampf mit den Wetterunbilden, der Weg zur Arbeit, welcher zur Qual wurde. Es kam vor, dass ich auf allen vieren mit Müh und Not über vereiste Steilhänge zu den Gehöften klettern musste.' "23

Und weiter schreibt er:

"Eines Abends wurde ich dringlich zu einem weit entfernten Bergbauern nach Oberweng bei Spital am Pyhrn geholt. Einer langen Talfahrt mit dem Pferdefuhrwerk folgte ein noch längerer nächtlicher Aufstieg in die Berge. Ich hatte mir den Weg genau beschreiben lassen und ging allein. Nach Mitternacht kam ich endlich an."24

Während in der Mitte des 20. Jahrhunderts die individuelle Mobilität durch motorisierte Gefährte bereits vielerorts nachhaltig revolutioniert worden war, konnte aufgrund der

22 Zit. in Girtler 2009 (wie Anm. 1), 202.

23 Krawarik, Franz (1969): Erinnerungen, unveröffentlichtes Manuskript. In: Girtler 2009 (wie Anm. 1), 194.

24 Krawarik 1969 (wie Anm. 23), 44.

mangelhaft erschlossenen Infrastruktur der Tierarzt im Hochgebirge noch nicht davon profitieren.

" 'Der Tierarzt ist dann zu Fuß zu uns herauf. Eine gute Stunde ist der Tierarzt gegangen. Damals, bis ungefähr ins Jahr 1957, gab es keine Straße zu unserem Hof.' "25

Allein schon die Entfernung zum Patienten stellte den Tierarzt vor große logistische Probleme, denn zusätzlich mussten auch die für die Behandlung benötigten Instru-mente und MedikaInstru-mente mitgeführt werden. So berichtet Dr. Franz Krawarik:

" 'Alles war tief verschneit, ich wurde zu einem Patienten [...] zwanzig Kilometer entfernt, gerufen. Natürlich musste ich zu Fuß und mit meinem schweren Rucksack am Buckel marschieren. Fünf Stunden brauchte ich hin und über sechs Stunden bergauf zurück. Ein ganzer Tag verging also für den einen Besuch, morgens brach ich auf und in der Dunkelheit kam ich heim.' "26

Der Tierarzt Dr. Herwig Forster, der um 1950 die väterliche Praxis in Großreifling in der österreichischen Steiermark übernahm, berichtet ebenfalls in Girtlers Buch vom Fußmarsch zur alltäglichen tierärztlichen Fortbewegung. Auch sein Vater (Abb. 5) erle-digte seine Patientenbesuche zu Fuß. Später legte er sich dann zunächst ein Motorrad und danach einen VW-Kübelwagen als Praxisfahrzeuge zu.27

Abb. 5: Dr. Herwig Forsters Vater Adolf Forster zu Fuß auf dem Weg zu seinem letzten Patientenbesuch vor dem Ruhestand, Steiermark, 1950er Jahre.

(Quelle: Girtler 2009 (wie Anm. 1), 204)

25 Zit. in Girtler 2009 (wie Anm. 1), 193.

26 Zit. in Girtler 2009 (wie Anm. 1), 195.

27 Zit. in Girtler 2009 (wie Anm. 1), 112.

Die Schrittgeschwindigkeit eines Menschen beträgt auf ebener Strecke durchschnitt-lich 5-7 km/h. Hatte der Tierarzt zum Beispiel eine Visite in 10 km Entfernung zu täti-gen, musste er (je nach Geländeform) also rund zwei Stunden pro Weg einkalkulieren, in unebenem Gelände auch wesentlich mehr. Es ist offensichtlich, dass in dringenden Notfällen aufgrund des zeitlichen Aufwandes eine tierärztliche Versorgung mitunter für den Patienten zu spät erfolgte. Der Zeitverlust und auch die wirtschaftlichen Einbußen durch derart lange An- und Abmarschwege waren erheblich, so dass oftmals nur ein Termin pro Tag erledigt werden konnte.

Aus einem Online-Artikel über die Historie der Tierarztpraxis Hermann in Dachsbach im mittelfränkischen Landkreis Neustadt a. d. Aisch-Bad Windsheim geht hervor, dass im Jahr 1902 ein Tierarzt namens Kreuzer seine tierärztliche Tätigkeit antrat, diese aber aufgrund des großen Einzugsgebietes und der damit verbundenen langen und beschwerlichen Fußmärsche innerhalb kurzer Zeit wieder aufgab. Darüber hinaus war die tierärztliche Tätigkeit in Dachsbach zu dieser Zeit auch nicht lukrativ genug. Die Gemeinde musste das Einkommen des Tierarztes jährlich mit 200 Mark bezuschuss-en. Kreuzers Nachfolger, Tierarzt Dr. Oskar Schiller, musste seine Patientenbesuche ebenfalls ohne Fahrzeug erledigen und mit voll bepacktem Rucksack die Landwirte zu Fuß aufsuchen.28

Maria Gräfin von Maltzan beschreibt in ihrer Autobiografie "Schlage die Trommel und fürchte dich nicht" eine Situation aus dem Jahr 1971, in der sie als Praxisvertretung in Bütschwil im Schweizer Kanton St. Gallen tätig war. Die Anfahrt zu einer nächtlichen Geburt auf einer Hochalm wird ihr durch den Bauern folgendermaßen beschrieben:

"[...] Sie fahren bergauf bis zu einem Bach. Fahren Sie in den Bach hinein und wenden Sie den Wagen. Stellen Sie ihn ans Ufer und gehen Sie von da ab zu Fuß weiter."29

Mit schwerer Instrumententasche und bei Starkregen musste die Tierärztin dann einen anstrengenden Fußmarsch zum Gehöft bewältigen, von wo aus sie eine zusätzliche Strecke zu dem noch höher gelegenen Kuhstall zurücklegen musste.

Die Autorin Elisabeth Krameyer schreibt unter dem Pseudonym Leonore Hanss in ihrem Roman "Sieben aus dem Doktorhaus" über das Leben der thüringischen Tier-arztfamilie Berg vor und während des Ersten Weltkriegs. Bei der Autorin handelt es sich um eines der sieben Kinder der Familie, das in seinen Beschreibungen die Er-lebnisse des Vaters als Tierarzt gemeinsam mit seiner Familie in den Vordergrund stellt. Es handelt sich dabei um eine fiktional bearbeitete Familiengeschichte, nicht um eine Autobiografie.30 Die Autorin beschreibt, dass ihr Vater, der Kreistierarzt Dr. Her-mann Berg, sich nach seiner Militärzeit und Heirat als praktischer Tierarzt in seiner Heimatumgebung niederließ. Anfänglich konnte er sich Pferd und Wagen aufgrund geringer beruflicher Auslastung noch nicht leisten, weshalb er seine Patienten zu Fuß aufsuchen musste:

28 www.tierarztteam.de/Website/Geschichte.html, 01.04.2014.

29 Maltzan, Maria Gräfin von (1986): Schlage die Trommel und fürchte dich nicht. Ullstein Verlag, Berlin, Frankfurt/M., 257.

30 Schönbeck, Lena (2009): Tierarzt und Tierärztin in der Belletristik. Studien zum Öffentlichkeitsbild des Berufes. Hannover, Tierärztliche Hochschule, Diss., 27.

"Als Wanderbursch, wie er lachend sagte, durchquerte er das Osterland und sang sich eins aus dem überschäumenden Glücksgefühl heraus, heimgekehrt zu sein."31

Im Laufe seines ersten Arbeitssommers steigerte sich sein Patientenaufkommen aller-dings erheblich:

"[…] sah mit Bangen den grundlosen Wegen des Winters entgegen, nicht wissend, wie er zu Fuß die Entfernungen überwinden sollte."32

Der Arbeitsbereich des Tierarztes Berg umfasste räumlich sowohl Besuche in der Stadt als auch weiter entfernt gelegene Visiten im ländlichen Umkreis. Die Patienten-besuche in der Stadt erledigte er dabei auch zu der Zeit, als bereits Pferd und Wagen zur Verfügung standen, weiterhin zu Fuß:

"Schon um fünf Uhr hatte des Doktors Tagewerk begonnen, denn auf dem Schwei-nemarkt erwarteten ihn die Viehhändler, die Spediteure brauchten ihn, unter deren großen Pferdebeständen sich immer Patienten befanden. Die Tiere wurden behan-delt, bevor die Kutscher mit ihren Gespannen ausrückten. Im herzoglichen Marstall endeten des Doktors Stadtbesuche, und dann lenkte er seine Schritte heimwärts, um mit seiner Familie das erste Frühstück einzunehmen."33

In der Berliner Tierärztlichen Wochenschrift aus dem Jahr 1913 ist der Artikel "Aus dem Leben des Geheimen Veterinärrats Dr. Eduard Greve in Oldenburg" von Veteri-närrat Anton Tapken veröffentlicht. Der Autor beleuchtet darin Greves Lebensweg anhand dessen autobiografischen Aufzeichnungen. Im Jahr 1844 führte ihn sein Weg in einen "kleinen Ort der Wesermarschen", wo er ab diesem Zeitpunkt als praktischer niedergelassener Tierarzt tätig war. Er beschreibt dabei die Widrigkeiten der Land-praxis zu dieser Zeit:

" 'Die Ausübung der Praxis war äußerst beschwerlich, die Kleiwege (Marschwege) waren mitunter sehr schlecht und in der ganzen Marsch noch keine Chaussee vor-handen. Im ersten Jahr machte ich die Wege zu Fuß […]'."34

Nur wenige Quellen thematisieren tiefergehend die Fortbewegung per pedes. Es wird aber dennoch deutlich, dass der Fußmarsch für den Tierarzt eine zwingende Notwen-digkeit, gelegentlich sogar ein unumgängliches Übel war, Patientenbesuche zu tätigen.

Sei es in Ermangelung technischen Fortschritts, aufgrund schlecht ausgebauter Infra-struktur, in Abhängigkeit von wirtschaftlichen Einflüssen, geographischen oder klima-tischen Gegebenheiten: der Fußmarsch war Mittel zum Zweck und nicht Mittel der Wahl. In den Städten allerdings, wo die Wege zum Patienten in der Regel kürzer wa-ren, war der Fußmarsch auch mitunter von Vorteil, da keine zusätzliche Zeit z. B. für das Satteln oder Anspannen von Pferden benötigt wurde. Dennoch waren Tierärzte grundsätzlich bestrebt, ein schnelles, bequemes und geräumiges Fahrzeug zu benutz-en, da besonders die Zeitersparnis und die Verbesserung des Komforts gegenüber dem Fußmarsch erheblich waren.

31 Hanss, Leonore (1937): Sieben aus dem Doktorhaus. Nach dem Leben erzählt. Linden-Verlag Herbert Fischer, Leipzig, 45.

32 Hanss 1937 (wie Anm. 31), 45.

33 Hanss 1937 (wie Anm. 31), 7.

34 Tapken, Anton (1913): Aus dem Leben des Geheimen Veterinärrats Dr. Eduard Greve in Oldenburg.

In: Berl. Thierärztl. Wschr., Jg. 1913 (19), 353.

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