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Kompetenz des Problemlösens

4.1 Mathematikdidaktische Perspektive

4.1.3 Rolle des Problemlösens im Mathematikunterricht

Neben der Begriffsdefinition ist ein Ziel von mathematikdidaktischer Forschung, die unterschiedlichen Facetten von Problemlösen zu benennen, ihre Einsatz-möglichkeiten im Mathematikunterricht bzw. in der Mathematikausbildung zu diskutieren und die jeweiligen Vor- und Nachteile zu erörtern. So gilt Problem-lösen „als eine Schlüsselkompetenz und wichtige prozessbezogene Kompetenz im Mathematikunterricht“ (Herold, 2015, S. 380). Stanic und Kilpatrick (1989) und Leuders (2003) fassen unterschiedliche Sichtweisen auf das Problemlösen überblicksartig zusammen. Während erstere übergeordnete Ziele aus dem Feld des Problemlösens für den schulischen Kontext ableiten, befasst sich letzterer explizit mit verschiedenen Tätigkeiten im Mathematikunterricht, welche als Problemlösen angesehen werden.

Nach Stanic und Kilpatrick (1989) nimmt mathematisches Problemlösen in schulischen Curricula drei unterschiedliche Rollen ein:Problem Solving as Con-text,Problem Solving as Skill und Problem Solving as Art. In der ersten Rolle Problem Solving as Context sind Probleme und Problemlösen Mittel, um ande-re Ziele im Mathematikunterricht zu erande-reichen. So würden Probleme beispiels-weise dazu eingesetzt, um dem Unterrichtsfach Mathematik eine Legitimierung zu geben: „Presumably, at least some problems related in some way to real-world experiences were included in the curriculum to convince students and teachers of the value of mathematics“ (Stanic & Kilpatrick, 1989, S. 13). Ei-ne weitere Möglichkeit, Probleme im SinEi-ne des Problem Solving as Context einzusetzen, ist, mit ihnen zuvor gelehrte Fähigkeiten und Konzepte zu vertie-fen und zu konsolidieren. Diesen Einsatz von Problemen bezeichnet Leuders (2003) als Problemlösen als Bearbeiten von (Text-)Aufgaben und sieht darin

jene Realität im Mathematikunterricht, in der Schülerinnen Aufgaben bear-beiten, in denen sie zuvor gelernte Verfahren einsetzen, und in denen Anfangs-und Endzustand sowie die einzusetzenden Mittel bekannt sind. Diese Sicht-weise kategorisiert er, wie Dörner (1976), nicht als Problemlösen, sondern als Aufgabenlösen. Eine derartige Verwendung von Problemen findet sich oft am Ende von thematischen Abschnitten in Lehrbüchern, um die zuvor behan-delten Verfahren einzuüben. Mit dieser Sichtweise korrespondiert eine weitere Perspektive, dasProblemlösen als Lernen. Diese beschreibt jegliches Lernen als einen Problemlöseprozess. So ist „ein ‚Problem‘ [...] schlichtweg eine Diskrepanz zwischen der Erwartung eines Individuums und der von ihm wahrgenommenen tatsächlichen Situation“ (Leuders, 2003, S. 119). Für Leuders ist diese Sicht-weise nicht hilfreich, da sie „zu weit [greift], um die Spezifität mathematischen Problemlösens zu erfassen“ (S. 119).

Problem Solving as Skill betont Problemlösen als wichtige Fähigkeit, die ihren Platz im Curriculum verdient hat. Schoenfeld (1992) macht deutlich, dass im Verständnis dieser Rolle Problemlösen wie folgt gelehrt werden kann: „(a) A task is used to introduce a technique; (b) The technique is illustrated; (c) Mo-re tasks aMo-re provided so that the student may practice the illustrated skills.“

(S. 12). Ziel des Mathematikunterrichts ist es, Problemlösefähigkeiten, wie auch Faktenwissen und Prozeduren, im „mathematischen Werkzeugkoffer“ der Schü-lerinnen verfügbar zu machen.

Die Rolle desProblem Solving as Art fußt auf den Arbeiten von Polya. Dieser befasste sich mit der „idea of heuristic (art of discovery)“ (Stanic & Kilpatrick, 1989, S. 15), um sie in der Schule einsetzen zu können. Für Polya ist Problem-lösen eine handwerkliche Kunst („practical art“) „like swimming, or skiing, or playing piano“ (Polya, 1981; zitiert nach Stanic & Kilpatrick, 1989, S. 16).

In diesem Verständnis kann Problemlösen seiner Ansicht nach nicht wie beim Problem Solving as Skill unterrichtet werden: „techniques of problem solving need to be illustrated by the teacher, discussed with the students, and practi-ced in an insightful, nonmechanical way“ (Stanic & Kilpatrick, 1989, S. 16).

Auch Leuders (2003) erachtet die Perspektive, Problemlösen und Problemfin-den als Mathematik betreiben, als die geeignetste Form, Problemlösen im Ma-thematikunterricht zu behandeln und beschreibt ein erweitertes Verständnis von Problemlösen. Dieses umfasst nicht nur den Prozess des Problemlösens,

sondern auch die vorgelagerte Handlung, ein Problem zu finden, und die nach-gelagerte Handlung, ein Problem weiterzuentwickeln. Schülerinnen entdecken

„Probleme und Fragestellungen in inner- wie außermathematischen Kontex-ten“, erfassen dabei „die Problemsituation genauer und bewerten, ob eine Frage interessant und verfolgenswert erscheint“ (Leuders, 2003, S. 122). Während das Auffinden von Problemen ein tieferes Verständnis des gesamten Prozesses des Problemlösens bei den Schülerinnen und Schülern fördert, führt die Weiterent-wicklung von Problemen zu neuen mathematischen Begriffen und Verfahren.

Der Prozess des Problemlösens im weiteren Sinne besteht demnach aus den drei Schritten Problem finden, Problem lösen und Problem weiterentwickeln.

Während in der dritten Rolle, dem Problem Solving as Art, für viele Mathe-matikerinnen die wahre Natur des mathematischen Problemlösens liegt,3 wirft sie gleichzeitig auch ein entscheidendes Problem auf:

[...] we see problem solving as art as the most defensible, the most fair, and the most promising. But at the same time it is the most problematic theme because it is the most difficult to operationalize in textbooks and classrooms. The problem for mathematics edu-cators who believe that problem solving is an art form is how to develop this artistic ability in students. (Stanic & Kilpatrick, 1989, S. 17)

Diese Äußerung macht das Dilemma deutlich, in dem sich der Mathematik-unterricht an der Schule bzw. die Mathematikausbildung im tertiären Bereich in Hinblick auf Problemlösen befindet. Auf der einen Seite spiegeln die beiden ersten Verständnisse von Problemlösen, das Problem solving as context und das Problem solving as a skill, nicht die Komplexität und das Potential des Problemlösens wider, welche ihm von der Mathematik her zugeschrieben wer-den. Auf der anderen Seite sind gerade diese beiden weniger anspruchsvollen Verständnisse einfacher im Unterricht bzw. der Ausbildung umzusetzen als das Verständnis des Problemlösens als Kunst.

Leuders (2003) beschreibt neben den drei vorherigen Sichtweisen zwei weitere:

Problemlösen als Beweisen und Problemlösen als Rätsellösen. Während ers-tere auch von Polya (2010) als problemlösende Tätigkeit thematisiert wird,

3Halmos (1980) spricht gar vom „Herz der Mathematik“.

wird letztere von Charles und Lester (1982) als Klassifikation von Problemen erwähnt. Die erste Sichtweise fokussiert die innermathematische Tätigkeit des Beweisens, setzt ein „grundlegendes Verständnis formaler argumentativer Me-thoden der Mathematik voraus“ (Leuders, 2003, S. 120) und ist deswegen un-geeignet, um auch jüngere Schülerinnen und Schüler an das Problemlösen her-anzuführen. Als letzte Sichtweise beschreibt Problemlösen als Rätsellösen die Tendenz in einigen Ländern, Problemlösen anhand von Rätseln zu thematisie-ren. „Puzzles depend on luck or guessing or a use of unusual strategies toward their solution“ (Charles und Lester, 1982 zitiert nach Hembree, 1992, S. 249).

Leuders bemängelt hier besonders den unreflektierten Einsatz des Problemlö-sens, der zu keinen tragfähigen Ideen im Mathematikunterricht führe.

Stanic und Kilpatrick (1989) und auch Leuders (2003) argumentieren über-einstimmend, dass das Problemlösen im Kontext des Mathematikunterrichts4 mehr ist als die eigentliche Fertigkeit, ein aktuell auftretendes Problem zu lö-sen. Durch das Favorisieren des VerständnissesProblem solving as art machen Stanic und Kilpatrick (1989) deutlich, in welchem Sinn das Entdecken ein zen-traler Aspekt des Problemlösens ist. Leuders (2003) betont, dassProblemlösen und Problemfinden als Mathematik betreiben die den Kern der Mathematik treffendste Sichtweise ist, um Problemlösen als Unterrichtsgegenstand einzu-setzen. Dabei macht er deutlich, dass diese Vorgehensweise sich nicht nur auf den eigentlichen Lösungsprozess beschränkt, sondern zusätzlich aus den beiden SchrittenProblem finden undProblem weiterentwickeln, die erst eine ganzheit-liche Betrachtung des Problems an sich ermögganzheit-lichen.

Stanic und Kilpatrick (1989) und Leuders (2003) thematisieren im Hinblick auf die BegriffeProblem und Problemlösen Inhalte, Grundannahmen in der Typi-sierung und unterschiedliche Zielsetzungen des Problemlösens im Mathematik-unterricht. Diese stellen die Grundlage für eine Vielzahl von Modellen dar, die den Prozess und die Tätigkeiten während des Problemlösens illustrieren und die besondere Stellung des Problemlösens gegenüber dem Abarbeiten von rei-nen Routineaufgaben herausstellen. Nach Philipp (2013) könrei-nen die Modelle hinsichtlich ihrer jeweiligen Schwerpunktsetzung in Modelle deräußeren

Struk-4Die Einschränkung auf den schulischen Mathematikunterricht resultiert aus der Position der Autoren. Die vertretene Sichtweise lässt sich auf das Lehren von mathematischem Pro-blemlösen im Allgemeinen erweitern.

tur und der inneren Struktur unterteilt werden. Modelle deräußeren Struktur bilden die verschiedenen Phasen im Bearbeitungsprozess von Problemen und die möglichen Übergänge zwischen diesen ab. Hier liegt der Fokus auf der Or-ganisation und dem zeitlichen Ablauf des Bearbeitungsprozesses. Dahingegen thematisieren Modelle der inneren Struktur Strategien und Heurismen, wel-che beim Lösen von Problemen eingesetzt werden. In diesen Modellen werden zudem die kognitiven Prozesse und Beliefs betrachtet, die im Zusammenhang mit Problemlösen von Bedeutung sind.

Äußere und innere Struktur sind dabei nicht als unabhängige und nebenein-ander existierende Systeme zu verstehen. Beide Strukturen werden vielfach kombiniert, indem zum Beispiel bestimmte Heurismen (Bestandteile der in-neren Struktur) besonders zu bestimmten Zeitpunkten im Problemlöseprozess (äußere Struktur) Anwendung finden. Diese Modelle dienen der Unterstützung von Lehrenden und Lernenden, der Beschreibung empirischer Beobachtungen oder vereinen beide Aspekte. In den folgenden beiden Abschnitten werden aus-gewählte Modelle der äußeren und der inneren Struktur des Problemlösens in der Mathematik vorgestellt, verglichen und diskutiert.

4.1.4 Modelle der äußeren Struktur: Phasen und ihre