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Kompetenz des Problemlösens

4.2 Physikdidaktische Perspektive

4.2.1 Modell des wissenszentrierten Problemlösens

Das Problemlösen ist, ähnlich wie zuvor in der Mathematik, ein zentraler Be-standteil in der Physik als Wissenschaft und erfährt eine große Beachtung innerhalb der physikdidaktischen Forschung (vgl. Reinhold et al., 1999; Malo-ney, 2011). So bezeichnen Docktor und Heller (2009) Problemlösen als „one of the primary goals, teaching tools, and evaluation techniques of physics cour-ses“ (S. 1). Im Vergleich zur mathematikdidaktischen Forschung wird in der Physikdidaktik unter anderem das Konstrukt des wissenszentrierten Problem-lösens in Abgrenzung zum strategiebezogenen Problemlösen der Psychologie genutzt. So orientiert sich die physikdidaktische Forschung zum Problemlösen in neuerer Zeit an der Expertiseforschung,13 da hier das Fachwissen explizite Berücksichtigung findet (vgl. Reinhold et al., 1999; Friege & Lind, 2003; Larkin

& Reif, 1979). Maloney (2011) begründet diese Wissensfokussierung wie folgt:

What is the value of identifying potential general problem-solving skills like planning, using heuristics and evaluating the solution,

13Eine detaillierte Beschreibung zur Expertiseforschung findet sich zum Beispiel bei Gruber und Ziegler (1996).

when the actual application of each varies widely depending on each situation? How useful is it for an individual to be able to plan, but not have the specific domain knowledge needed to accomplish the plan? (S. 7)

Er ordnet das Handlungswissen bezüglich Heurismen dem eigentlichen Fach-wissen unter, im Gegensatz zu Niss (2003), welcher FaktenFach-wissen als Basis des Handlungswissens darstellt (vgl. Abschnitt 3.2.2). Zwar ist in der mathema-tikdidaktischen Forschung zum Problemlösen der Kontext immer ein wichtiges Element, dies zeigt sich besonders in den heuristischen Prinzipien, für die ma-thematische Verfahren grundlegend sind (vgl. Bruder und Collet, 2011), jedoch erfolgt in dieser Diskussion in der Regel keine so deutliche Zweiteilung inner-halb der Problemlösemodelle wie im folgenden Modell des wissenszentrierten Problemlösens (vgl. Abbildung 4.7). Eine Ausnahme bildet Schoenfeld (2011), der die heuristischen Strategien der Wissensbasis zuordnet.

Wissensstruktur

Abbildung 4.7: Modell zum physikalischen Problemlösen nach Reinhold et al.

(1999, S. 55)

Das Modell, für das „nicht nur empirische Ergebnisse, sondern auch nahelie-gende Interpretationen und Vermutungen, die sich in der Literatur finden“

(Reinhold et al., 1999, S. 54) herangezogen wurden, stellt das Problemlösen in der Physik über zwei Ebenen dar, die Wissensstruktur und den eigentli-chen Problemlöseprozess. Die Wissensstruktur bildet die Grundlage für ein

erfolgreiches Problemlösen und hat ihre theoretische Grundlage in der bereits erwähnten Expertiseforschung. Sie gliedert sich in zwei Bereiche auf, in de-nen sich Novizen von Experten unterscheiden. Während Novizen ihr Wissen über Begriffe und Gesetze vorwiegend isoliert abspeichern und in Begriffsnet-zen stärker auf einzelne und konkrete Begriffe fokussieren, findet bei Experten ein Abspeichern der Informationen in größeren „chunks“ (Larkin, 1977; zitiert nach Reinhold et al., 1999, S. 47) und in stärker vernetzten und hierarchisierten Strukturen statt. Dadurch werden nach Reinhold et al. (1999) bei „häufige[m]

Gebrauch des Wissens [...] deklarative Problemrepräsentationen mit Proze-duren verbunden und bilden Problemschemata, die dann beim Problemlösen aktiviert werden können“ (S. 47). Das Wissen über Beispiele wird in Form von Repräsentationen im Gedächtnis abgespeichert und unterscheidet sich bei No-vizen und Experten auf eine vergleichbare Weise, wie das Wissen über Begriffe und Gesetze.

In diesem und ähnlichen Modellen wird eine weniger strenge Definition des BegriffsProblem verwendet als zuvor in der mathematikdidaktischen Betrach-tung. Unter anderem müssen die Mittel zum Schließen der Lücke zwischen Anfangszustand und Endzustand nicht unbekannt sein, damit es sich um ein Problem handelt. Zudem sind Probleme „unter Einsatz von Fachwissen eindeu-tig lösbar, und ganz ohne Fachwissen ist in der Regel eine Lösung überhaupt unmöglich“ (Friege & Lind, 2003, S. 65).

Die Modellierung des eigentlichen Problemlöseprozesses orientiert sich an der Stufeneinteilung von Dewey (2002), reduziert diese für das Problemlösen in der Physik jedoch auf vier Stufen. In der ersten Stufe muss das eigentliche Pro-blem identifiziert werden. Reinhold et al. (1999) sprechen von „der Erarbeitung einer angemessenen Problemrepräsentation“ (S. 51). Mögliche Repräsentatio-nen sind Skizzen, physikalische Konzepte und Idealisierungen (Brandenburger, Mikelskis-Seifert & Labudde, 2014). Diese entsprechen einer Übersetzung der gegebenen Problemsituation in die Sprache der Physik, sind in der Regel zu Be-ginn von qualitativer Natur und führen bei Expertinnen zu mathematischen Darstellungen. Novizen dagegen können im Allgemeinen die Situation nicht adäquat und für eine quantitative Darstellung förderlichen Weise abbilden (Reinhold et al., 1999). Stattdessen nutzen sie oberflächliche Repräsentatio-nen, welche ihnen aus dem Alltag bekannt sind, im Gegensatz zu ExpertinRepräsentatio-nen,

die solche wählen, die wichtige physikalische Prinzipien und Konzepte verbin-den (Maloney, 2011).

In der folgenden Stufe, Reinhold et al. (1999) nennen sie „die Auswahl eines geeigneten Problemschemas“ (S. 51), findet „der Ansatz einer möglichen Lö-sung statt“ (Dewey, 2002, S. 58). An dieser Stelle sind die Problemschemata für den weiteren Fortschritt in der Problembearbeitung von Bedeutung. Lie-gen keine Schemata vor, kann durch die Nutzung von Fachwissen ein möglicher Lösungsweg entwickelt werden (Brandenburger et al., 2014). Die abgerufenen Problemschemata bedingen den weiteren Lösungsprozess, der in der nächsten Stufe, der Ausarbeitung der Lösung, durchgeführt wird. In der letzten Stufe wird abschließend die Lösung auf ihre Richtigkeit hin überprüft. Eine wichtige Verbindung zwischen der mathematik- und physikdidaktischen Perspektive ist, dass das Modell von Dewey (2002), das hier die Basis bildet, große Ähnlichkei-ten zum Modell von Polya (1957) aufweist: „Insgesamt stellt man fest das [sic]

beide Stufenmodelle sich nur in Unwesentlichem voneinander unterscheiden.

In den wesentlichen Punkten entsprechen sie sich“ (Neuhaus, 2002, S. 429).

Die hohe Bedeutung der Wissensstruktur im Problemlöseprozess steht ebenso im Modell derEpistemic Games im Fokus. Dieses wird im folgenden Abschnitt detailliert ausgeführt, da es neben dem Phasenmodell von Polya (1957) und den Heurismen von Bruder und Collet (2011) die dritte theoretische Grundlage der empirischen Untersuchung dieser Arbeit darstellt.