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Mathematik und Physik in der Ingenieurausbildung

3.2 Die Mathematikausbildung für Ingenieure

Mathematik ist sowohl als eigenständiger Inhaltsbereich als auch in Form ma-thematischer Verfahren und Konzepte in anderen Kontexten ein wichtiger Be-standteil des ingenieurwissenschaftlichen Studiums. Sie bildet eine Grundlage für spätere Lehrveranstaltungen, die technische Aspekte fokussieren. In die-sem Abschnitt werden die curricularen Entwicklungen in der Mathematikaus-bildung für Ingenieure von einer Input- hin zu einer Kompetenzorientierung vorgestellt.

3.2.1 Entwicklung von der Input- zur Outputorientierung

Die Beschreibung von Standards für die Mathematikausbildung im Ingenieur-studium hat über die letzten Jahrzehnte einen Wandel von verpflichtenden In-halten (vgl. Barry & Steele, 1992) über sogenannte „Learning Outcomes“ (vgl.

Mustoe & Lawson, 2002) bis hin zu einer kompetenzorientierten Beschreibung von Lernzielen (vgl. Alpers, Demlova, Fant, Gustafsson & Lawson, 2013) er-fahren.

Ein erster Versuch, die Studieninhalte auf eine gemeinsame Basis zu stellen, war dasCore Curriculum in Mathematics for the European Engineer, das 1992 von der European Society of Engineering Education (SEFI) veröffentlicht wur-de. Dieses Curriculum beinhaltet eine Zusammenstellung von Inhalten zu den Themen Analysis, Lineare Algebra, Diskrete Mathematik und Wahrscheinlich-keitsrechnung und Statistik, die nach Barry und Steele (1992) wie folgt zu verstehen ist: „the Core [Curriculum] itself represents the ABSOLUTE MI-NIMUM, of pure mathematics that should be made available to engineering students in any European institution“ (S. 13, Großschreibung im Original).

Eine Weiterentwicklung erfolgte durch Mustoe und Lawson (2002), welche die mathematischen Inhalte5 über ein 4-Level-Core-Model beschreiben, in dem die jeweiligen Cores aufeinander aufbauen.

Core Zeroumfasst Learning Outcomes, die bereits zu Beginn des Studiums von den Studierenden beherrscht werden sollten, wobei Mustoe und Lawson (2002) einschränken, dass es aufgrund von unterschiedlichen Schulausbildungen nötig

5Zusätzlich zu den von Barry und Steele (1992) aufgeführten Inhalten wurden die Algebra und die Geometrie und Trigonometrie aufgenommen.

sein kann, dass einige Inhalte noch im Laufe des ersten Studienjahres behandelt werden müssen. Zu den genannten Inhalten, welche auch in den Kernlehrplänen für das deutsche Abitur enthalten sind, zählen zum Beispiel lineare, quadrati-sche und kubiquadrati-sche Gleichungen, Ableitungen und Integrale (vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2013a). Das Thema Komplexe Zahlen wird ebenfalls dem Core Zero zugeordnet (Mustoe &

Lawson, 2002), ist jedoch kein verpflichtender Inhalt der deutschen Schulaus-bildung (vgl. Kultusministerkonferenz, 2012).

Core Level 1 enthält Inhalte, die alle Ingenieurstudierende in unterschiedlicher Tiefe in ihrem Studium erlernen müssen. Hierzu zählen unter anderem Themen wie Vektoralgebra, Matrizen und hyperbolische Funktionen.

Core Level 2 – Electives umfasst Themen, welche nicht mehr Studieninhalte für alle Studierende darstellen, sondern solche, die je nach Spezialisierung (zum Beispiel Elektrotechnik) häufiger oder seltener im Studium behandelt werden.

Hierzu zählen unter anderem Differentialgleichungen, Fourierreihen, Graphen oder Eigenwertprobleme. Zudem werden diese Themen vermehrt auch außer-halb von Mathematikveranstaltungen behandelt: „The material is now advan-ced enough for simple real engineering problems to be addressed (Mustoe &

Lawson, 2002, S. 32).

In Core Level 3 – Specialist Modules sind schließlich Inhaltsbereiche beschrie-ben, die nicht mehr in Mathematikveranstaltungen, sondern im Kontext von Problemstellungen aus dem Ingenieurbereich gelehrt werden. Zu den Inhalten zählen Graphentheorie, Nicht-Euklidische Geometrie oder Chaos-Theorie.

Die Entwicklung von einer Input- hin zu einer Outputorientierung mit Lear-ning Outcomes zeigt sich insbesondere in den Formulierungen der Inhalte.

Während im Curriculum von Barry und Steele (1992) Inhalte in Form von Listen präsentiert werden, benennen Mustoe und Lawson (2002) Fähigkeiten und Handlungen, welche die Studierenden nach dem Bearbeiten der Themen beherrschen sollen. Ein Beispiel ist die folgende Formulierung: „As a result of learning this material you should be able to define and sketch the functions sinh,cosh,tanh“ (Mustoe & Lawson, 2002, S. 22). Eine Ausnahme bilden die Inhalte des Core 3, die in Form einer Liste beschrieben werden.

3.2.2 Entwicklung der Kompetenzorientierung

In den beiden ersten Versionen des Curriculums wird noch kein Bezug auf Kom-petenzen genommen. Dies geschieht erst in der Überarbeitung des Curriculums von Alpers et al. (2013). Dort findet eine Orientierung am Kompetenzbegriff des dänischen KOM Projekts (Niss & Højgaard, 2011) statt. Dieser Begriff wird von Niss (2003) wie folgt definiert:

Mathematical competence then means the ability to understand, judge, do and use mathematics in a variety of intra- and extra-mathematical contexts and situations in which mathematics plays or could play a role. Necessary, but certainly not sufficient, prere-quisites for mathematical competence are lots of factual knowledge and technical skills [...]. (S. 6–7)

Diese Definition umfasst die beiden Komponenten knowledge in action (un-derstand, judge, do and use mathematics) und knowledge of action (factual knowledge and technical skills). Niss stellt so die Bedeutung des Handlungs-wissens heraus und verdeutlicht zugleich die Rolle des FaktenHandlungs-wissens als Basis des Handlungswissens, indem er dieses als „necessary, but certainly not suffi-cient“ charakterisiert.

Im KOM Projekt werden acht Kompetenzen identifiziert, die auch für das SEFI Curriculum grundlegend sind (Alpers et al., 2013, S. 13–14):

• Thinking mathematically

• Reasoning mathematically

• Posing and solving mathematical problems

• Modelling mathematically

• Representing mathematical entities

• Handling mathematical symbols and formalism

• Communicating in, with, and about mathematics

• Making use of aids and tools

Aufgegriffen wird die Definition von Mathematical competence insofern, als sie sowohl knowledge in action als auch knowledge of action adressieren. So wird zum Beispiel die Kompetenz Handling mathematical symbols and formalism wie folgt beschrieben:

This competency includes the ability to understand symbolic and formal mathematical language and its relation to natural language as well as the translation between both. It also includes the rules of formal mathematical systems and the ability to use and manipulate symbolic statements and expressions according to the rules. (Alpers et al., 2013, S. 14)

Sowohl die Fähigkeit, Symbole und die formale mathematische Sprache zu ver-stehen (knowledge in action), als auch die Fähigkeit, symbolische Ausdrücke gemäß den Regeln zu verändern (knowledge of action), werden in dieser Defi-nition aufgegriffen. Auf vergleichbare Weise werden auch die weiteren sieben Kompetenzen im SEFI-Curriculum beschrieben.

Auch Cardella (2008) fordert eine Mathematikausbildung, die über die alleinige Vermittlung von Inhalten hinaus Facetten mathematischer Kompetenz berück-sichtigt und macht zusätzlich auf die Bedeutung von affektiv-motivationalen Variablen aufmerksam. Sie verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Arbeit von Schoenfeld (1992). Als eine Aufgabe der mathematischen Com-munity sieht sie, eine breite Auffassung von Mathematik, das mathematical thinking, für die Lehre zu berücksichtigen: „Schoenfeld [...] describes mathe-matical thinking as not only involving the mathematics content knowledge we [the mathematics education community] want engineering students to learn, but also problem-solving strategies, metacognitive processes, beliefs and affects and practices“ (Cardella, 2008, S. 151).

Diese Darstellung verdeutlicht den Wandel der Curricula in der Ingenieuraus-bildung und zeigt den Weg zur Kompetenzorientierung im Studium auf. Eine ähnliche Verwendung des Kompetenzbegriffes in den Bildungsstandards und im SEFI Curriculum ermöglicht eine Anschlussfähigkeit, wie sie von einigen Autoren (vgl. A. Fischer & Wagner, 2009; Heinze & Grüßing, 2009) im Zu-sammenhang mit der Übergangsproblematik von der Schule zur Hochschule gefordert wird (vgl. Abschnitt 3.1). Alpers (2016) weist darauf hin, dass bei der Formulierung von mathematischen Hochschul-Curricula die Nutzung des

Konzepts der mathematischen Kompetenz, wie sie im KOM-Projekt entwickelt wurde (vgl. Niss, 2003; Niss & Højgaard, 2011), „die Kommunikation an der Schnittstelle Schule/Hochschule“ (S. 647) erleichtern würde. Als Grund nennt Alpers (2016): „Da Niss auch wesentlichen Einfluss auf die Pisa-Studie hatte, hat das Konzept starken Einfluss auf die Entwicklung von Schul-Curricula ge-habt, die das Kompetenzkonzept nutzen“ (S. 647).

Eine umfassende Mathematikausbildung im Ingenieurstudium ist jedoch kein Selbstzweck. Auch in anderen Bereichen des Studiums hat die Mathematik eine hohe Bedeutung. So bildet sie auch für die physikalisch-technischen Ver-anstaltungen eine wichtige Grundlage. Aus diesem Grund wird im nächsten Abschnitt die Rolle der Mathematik in der Physik näher betrachtet.