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Riß und Integration von Geist und Sinnlichkeit:

IV. Integrative Pfade zu einer nachhaltigen Entwicklung

3. Riß und Integration von Geist und Sinnlichkeit:

Sozialökologie, lebendiger Reichtum und Integrated Art Das Zusammenspiel von physikalisch-energetischer und geistig-kultureller Ebene vollzieht sich ebenso wie bei Trieb und Geist in sub-jektiver Innenwelt und im objektiven gesellschaftlichen Außenraum.

Nicht nur die affektiven Triebe, auch der Körper des Menschen wurde in vielen Erlösungstraditionen durch die höhere Potenz des Geistes mas-kiert. Wie die Neurotisierung der Triebe ist auch diese Verdrängung des Körpers verständlich, als Gegenreaktion des Geistes im ersten Erwa-chen und Erschrecken über die naturhafte Beschränktheit des Leibes.

Eine selbstbewußte, der Mitgeschöpflichkeit und ihrem Mitschöpfertum entsprechende geistige Entwicklungsform des Menschlichen wird eine freiere und integrative Organisationsform von menschlicher Körperlich-keit und SinnlichKörperlich-keit finden, wie sie in diesbezüglich hochentwickelten Kulturen des Ostens bereits ausgeprägt war. Die "Bezähmung der Sinn-lichkeit" wird aufgehoben in einer "Kultivierung der SinnSinn-lichkeit" (Fichte).

Eine innere Neuintegration von sinnlich-materieller und geistig-kultureller Ebene ermöglicht nicht nur eine neue, von den Neurosen der Übergangs-epochen freie Gesundheit und Schönheit. Diese innere Be-freiung der Sinnlichkeit ist zugleich eine notwendige Voraussetzung für die äußere Befreiung von der "Überflußgesellschaft"207, eine notwendi-ge Vorausset-zung für eine zukunftsfähinotwendi-ge, d.h. nachhaltinotwendi-ge Entwick-lung. Dazu ist es wesentlich, den inneren, im äußeren Geschehen der Vernutzung materieller Güter und Umwelten nicht sichtbaren Zusam-menhang sozioökonomischer und soziokultureller Selbstorganisation moderner Industriegesellschaften zu erkennen.

Deshalb sei noch einmal kurz die oben ausgeführte Ontologie gesell-schaftlicher Organisation zu vergegenwärtigt: Gesellschaft ist ein selbstorganisierender Komplex aller drei Seinsebenen. Deren Zusam-menspiel unterliegt den ontologischen Grundgesetzen, d.h. die unteren, die weniger komplexen materiell-energetischen bzw. körperlich-sinnlichen Strukturen bilden die unauflösbare Grundlage für die höher-komplexen affektiven Strukturen, und diese organisieren selbst diese Grundlage entsprechend ihren komplexeren Erfordernissen. Die affekti-ven Formen wiederum sind die Grundlage für die noch höherkomple-xen, alle unteren neu integrierenden geistig-kulturellen Strukturen.

Zur Selbstorganisation und Reproduktion dieser Ebenen bilden sich be-sondere gesellschaftliche Funktionssysteme: die Wirtschaft, die sozia-len Institutionen und das Geistesleben. Die innere Organisationsstruktur dieser Funktionssysteme ist jedoch jeweils ganzheitlich, deshalb von ihren Funktionen selbst zu unterscheiden.

Die Wirtschaft, das in äußerer Sichtweise der Umweltprobleme proble-matischste Subsystem der Moderne, dient zwar der Reproduktion der materiell-energetischen Negentropien, deren moderner Bedarf geht je-doch weit über das zur Reproduktion des körperlichen Lebens notwen-dige Maß hinaus. Dies allein ist kein besonderes Phänomen der Moder-ne, alle Gesellschaftsformen benötigen und erzeugen materielle Arte-fakte als Vermittler der höheren Strukturen. Zur sozial-affektiven Selbstorganisation bedarf es affizierender Instrumente, vom Zwangsin-strument Waffe oder Gefängnis bis hin zum affektsteigernden

207 Den Begriff der "Befreiung von der Überflußgesellschaft" prägte Herbert Marcus.

Siehe dazu Marcuse, H., Befreiung von der Überflußgesellschaft, in: Cooper, D., Dia-lektik der Befreiung, Hamburg 1969.

nungs-, Status- und Machtsymbol, wie früher große Federn oder Palä-ste und heute luxuriöse Autos und Flug-reisen. Demgegenüber ist der Artefaktbedarf des Geisteslebens eher gering, es erzeugt Schriftstücke, religiöse Symbole und Kunstwerke.

Alle früheren Zivilisationen gingen daran zugrunde, daß es nicht gelang, den verselbständigten, über die körperliche Befriedigung weit hinausge-henden Affektkonsum zu integrieren. Die moderne Zivilisation hat die-ses Problem potenziert. Sowohl die Anzahl der Menschen als auch die hervorgebrachten Techniken sorgen für einen trotz allen besseren Wis-sens wachsenden Konsum. Moderner Umweltschutz und Umwelttechnik dienen weniger der Verringerung dieser Fehlsteuerung, als dazu, diese durch kosmetische Projekte und durch Beruhigung des Gewissens so-weit als möglich auszureizen.

Die tierhafte Blindheit der unintegrierten Affekte, die in den eigentlichen Problemzonen nicht Hunger oder Kälte sondern Macht- und Anerken-nungstriebe208 sind, treibt das Rad der Selbstzerstörung bisher energi-scher als alle geistigen Gegenimpulse; dies auch deshalb, weil bisher kaum erkannt bzw. immer wieder verdrängt wurde, daß hier, im geisti-gen Raum des eigeisti-genen Inneren, das Problem zuerst zu lösen ist. Die Moderne verfügt zwar über das anthropologische und psychologische Wissen, welches Voraussetzung einer anderen, geistig-kulturell inte-grierten Bewegungsform der sonst blind nach außen wirkenden Affekte ist. Der modern auf die Spitze getriebene und institutionell noch fest verankerte Riß zwischen Innen- und Außen, zwischen Subjekt und Ob-jekt verhindert jedoch sowohl Theorie wie Praxis einer kulturellen Inte-gration. Das medizinische, anthropologische und psychologische Wis-sen bemüht sich um Beruhigung dieser oder jener der vielen individuel-len Psychen oder Psychosomatiken, die angesichts der wachsenden Sinnleere verzweifeln bzw. ausscheren. Statt dessen notwendig wäre eine von diesem modernen Wissen geleitete Kultivierung der Affekte und Sinnlichkeit.

Dazu bedürfte es einer neuen, bisher erst in Ansätzen entwickelten Wissenschaft und praktisch-gesellschaftlichen Organisation, deren Fo-kus genau diese inneren, individual- und sozialpsychischen Blindstellen

208 Eine gute Darstellung dieser Problemzone gibt Honneth, A., Kampf um Anerken-nung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Frankfurt/Main 1992.

der Moderne sind. Um diese Schnittstelle von unbewältigten sozialen Affekten und unbewältigter Naturzerstörung zu treffen, nannte Rudolf Bahro seinen Ansatz "Sozialökologie".209

Den Finger auf den wunden Punkt zu legen ist noch keine Lösung. Der Strom der Evolution sucht nach positiven Möglichkeiten höherer Kom-plexität und intensiverer Integration. Zur wirklichen Befreiung von der Überflußgesellschaft braucht es deshalb Konzepte und Lebensräume einer anderen, doch nicht weniger, sondern höher komplexen und inte-grierter-intensiveren Wirklichkeit. Bevor unten dafür einige allgemein-strukturelle Gedanken entwickelt werden, folgt an dieser Stelle das Konzept einer neuen, reflux und efflux beachtenden Integration von Geist, Affekt und materiell-sinnlichen Produkten/Artefakten, das Kon-zept eines lebendigen statt toten Reichtums.

Was ist "lebendiger Reichtum"? Das gegenwärtig übliche Wohlstands-, Reichtums- und damit Entwicklungsbewußtsein ist eng gebunden an die problemverursachende Überbetonung monetärer oder materieller For-men. Die naturgegebene zeitliche und räumliche Begrenztheit der mate-riellen Formen wird sozial übersteigert zum Gefühl der Knappheit und auf dieser sozialpsychischen Basis wirkt die einander ausschließende und dabei die Natur vernutzende Konkurrenz um diese Ressourcen.

Der gesunde Wettbewerb um innovative und effektive Lösungen wird davon überlagert. Dieses Problem haftet noch an den bisher ange-dachten Auswegen aus der Vernutzungsfalle. Die Begriffe nachhaltiger Wirtschafts- und Lebensstile verweisen zwar auf die materielle Be-grenztheit der Ressourcen, aber sie verkennen die damit nur mittelbar verbundene und in sich notwendig grenzenlose Natur des Geistes.

Der Mensch ist nicht nur ein sich durch Nahrung oder andere Dinge be-friedigendes Tier, sondern in ihm wirkt darüber hinaus ein unstillbarer Unendlichkeitsdrang. Die Negation oder Frustration dieses menschli-chen Transzendenztriebes bewirkt nur eine geistige Depression und damit ein verzweifeltes Festhalten am Bisherigen statt eines durch neue Visionen zu ermunternden Aufbruchs in Richtung ganzheitlicher Lö-sungsformen.

209 Bahro, R., Konzeption eines Institutes für Sozialökologie an der

Humboldt-Universität zu Berlin, in: ders., Rückkehr. Die In-Weltkrise als Ursprung der Weltzerstö-rung, Berlin/Frankfurt/Main, 1991, S. 341ff.

Der Begriff eines neuen Wohlstandsmodells210 geht zwar über den ei-nes nachhaltigen Wirtschaftens hinaus, greift jedoch in seiner Verhaf-tung am wiederum nur materielle und stagnierende Assoziationen er-weckenden ”Wohl-Stand” ebenfalls zu kurz in der Benennung und damit Freisetzung der zur Erneuerung notwendigen Energien.

Der Begriff eines ”lebendigen Reichtums” beseitigt nicht die notwendig zu beachtende Akzentuierung des Materiellen als knappes Gut, befreit jedoch die völlig andere Energie und Triebkraft menschlicher, techni-scher, gesellschaftlicher, kultureller Vision und Evolution aus diesem zu engen Korso. Er verbindet das Bewußtsein materieller Begrenztheit mit den an sich unbegrenzt-überfließenden Reichtumsakzenten von Selbst-Bewußt-Sein, technisch-kreativer und künstlerischer Schöpfung, univer-seller Selbstverwirklichung und Gemeinwohl. Das ist der Gehalt, der dem wörtlich-urspünglichen Sinn des Begriffes „Reich - tun“, d.h. eines auch dem „Reich“ oder dem Ganzen verbundenen Tuns, auf neuer Ebene wieder näherkommt.

Dieser Begriff eines lebendigen Reichtums verkörpert so eine weithende Integration: Die Probleme und notwendigen Lösungen der ge-sellschaftlichen, insbesondere sozio-ökonomischen Ebene werden un-mittelbar rückgebunden an die innermenschliche Befreiung - an die Er-Lösung des Risses zwischen rational-idealistischem Sollen und unter-drückter Sinnlichkeit, als Voraussetzung zur Entwicklung freier und selbstverantwortlicher menschlicher Subjektivität.

An diese integrierende Philosophie des lebendigen Reichtums anknüp-fend, ergeben sich auch Hinweise für konkretere Handlungsansätze und Organisationsformen einer nachhaltigen Entwicklung. Eine insbesonde-re die Integration von Wirtschaft und lebendigem Geist bezweckende Idee dafür ist die der Integrated Art.

Die Konzeption der Integrated Art geht aus von der einzigartigen Wert-schöpfung in der lebendigen Natur: Fast aus Nichts entstehen enorme Stoffwechselgefüge ohne jegliche Abfälle oder Schadstoffe; so z.B. aus kleinsten Samen riesige Lindenbäume, die noch dazu die Arten ihrer Umwelt eher vervielfältigen als dezimieren. Der einzige menschliche

210 Siehe dazu Weizsäcker, E. U. v., Erdpolitik. Ökologische Realpolitik an der Schwelle zum Jahrhundert der Umwelt, Darmstadt 1994.

Bereich, der bisher dieser ungeheuren Wertschöpfung nahekommt, ist die Kunst: Einige Pinselstriche eines „van Gogh“ erzeugen ungeheure Werte, weit abgeschlagen im Vergleich dazu ist jegliche rein technische Produktion.Wie ist dies zu integrieren? Es braucht nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Durchbrechen der gewohnten Trennungen:

bisher ist in unseren Gedanken etwas entweder Kapital oder Kunst, entweder profan oder heilig, entweder materieller oder ideeller Wert.

Integrated Art transzendiert diese Trennung: Kapital integriert Kunst, Heiliges integriert Irdisches. Wird dies, wie vom Autor R.S. Tomek kon-zipiert, noch dazu verbunden mit der komplexesten Unternehmensform, der Aktiengesellschaft, ergibt sich folgende Möglichkeit: Aktien sind nicht mehr nur eindimensionale Wertpapiere sondern vieldimensionale, mit der Initiierung nachhaltiger Projekte verbundene Kunstwerke. Infolge der doppelten Orginalität von Kunstwerk und Projekt und der damit auch vieldimensionalen Wertschöpfung von Wirtschaft, Sozialität und Kunst gewinnen die Aktien eine besondere Attraktion. Sie aktivieren Kapital als Aktionsenergie, zugleich erhalten und steigern sie ihren Wert auch unabhängig vom Betriebserfolg. Damit löst sich das engstirnige Interes-se am einInteres-seitig monetären Gewinn. Rendite und Zins bleiben spieleri-sche Ausdrücke erfolgreicher Aktionen, deren materielle Gewinne nicht mehr als alleinig anerkannte Erfolgsbefriedigungen dienen müssen.

Dies erlaubt die Investition in ethische und ökologische Projekte ohne einseitigen, für die höheren Ebenen rücksichtslosen, monetären Ver-wertungszwang.

"Zur Verwirklichung dieses neuen Paradigmas der Ökonomie bedarf es eines weiterentwickelten Managementansatzes (flowManagement, sie-he I.5.), um diese Prinzipien in und durch konkrete Projekte umzuset-zen. Dabei sollte die Führungsinitiative und -verantwortung jeweils bei solchen Persönlichkeiten liegen, die ihr Bewußtsein am weitesten ent-wickelt haben.

Der Sinn der neuen Ökonomie ist die Förderung der kollektiven Evoluti-on des Lebens im allgemeinen und des menschlichen Lebens im be-sonderen. Die wichtigsten Kriterien dafür sind Nachhaltigkeit, Bewußt-seinserweiterung, Wissensoptimierung, Verantwortlichkeit, Effiziens (HighTec) und Effektivität (HighOrg). Management ist somit neben den funktionalen Aspekten auch künstlerische Arbeit an der sozialen

Pla-stik."211Nicht nur das individuelle menschliche Leben (siehe II.2.9.), sondern auch Wirtschaft und Gesellschaft werden somit Kunstwerke, im weitesten und zugleich innersten Sinn einer durch menschliche Kreati-vität in Bezug zur universellen Schöpfung vollbrachten Schönheit.