• Keine Ergebnisse gefunden

Die naturwissenschaftliche Perspektive: Der Mensch in den

II. Was ist der Mensch

2. Die naturwissenschaftliche Perspektive: Der Mensch in den

Das Sein und der Aufbau der realen Welt Was ist "Sein" überhaupt?

Dies heißt u.a. zu fragen, warum ist überhaupt etwas?

Es heißt auch zu fragen, wie ist es möglich, daß etwas, das in sich selbst aus verschiedenen Teilen besteht, als Ganzes es selbst bleibt, also über längere Zeit als dasselbe Eine in wechselnden Räumen, Zei-ten und anderen Bedingungen sich bewegt.

Und es heißt zu fragen, was dieses "Sein" subjektiv, für das jeweilige Seiende bedeutet.

Die erste Frage fragt nach einem über das einzelne Dasein hinausge-henden allgemeinen Seinsgrund und Sinn. Dieser ist nur intuitiv zu ent-scheiden, und es hängt offenbar von der Wahrnehmung und der Le-bensentscheidung des Individuums ab, ob sich ihm das Ganze als zu-fälliges Geschehen, als naturgesetzliche Evolution oder als göttliches Spiel darstellt.

Die dritte Frage bedarf ähnlich der ersteren einer inneren Haltung, ob ich mich für ein gleichsam tierhaftes Dahinleben im Alltag und Dunkel meiner Triebe und Bedürftigkeiten oder für einen Versuch des Mit-schöpfertums in Verantwortung und Liebe für mich und anderes ent-scheide bzw. nicht entent-scheide. Es sind sogenannte metaphysische Fra-gen und EntscheidunFra-gen, die über die mit unseren Sinnen beobachtba-ren Phänomene hinausgehen und für die wir besondere übersinnliche Wahrnehmungen entwickeln können oder auch nicht. Dazu bedarf es meist besonderer Übungen, die je nach Tradition als Gebet, Kontem-plation oder Meditation erscheinen, deren Gehalt aber derselbe ist: Es sind Wege und Formen für die Vergegenwärtigung und Vollbringung des Bezugs des Menschen zum Wesen des Seins als Ganzem.

Auf die zweite Frage gibt es konkretere Antworten, die uns helfen kön-nen, relativ unabhängig von den Antworten auf die anderen Fragen Grundlagen menschlichen Handelns und Hinweise für seine Stellung im Ganzen zu erkennen.

Wie oben begründet, ergeben sich die besten Antworten dabei im Zu-sammendenken der menschheitsgeschichtlichen Weisheit mit den kon-kreten Wissenschaften der Gegenwart.

Seinsschichten und Hierarchien

Es gibt von den Wissenschaften erfaßte und mehr oder weniger konkret begriffene Erscheinungen wie Quarks, Atome, Moleküle, Planeten, Zel-len, Organe, Lebewesen, Horden, Gesellschaften etc. Diese Gebilde sind auch unseren Sinneswahrnehmungen mehr oder weniger zugäng-lich. Zu erkennen, daß alle diese Gebilde nicht beziehungslos neben-einander existieren, sondern in- und überneben-einander geordnet und ver-schachtelt sind, bedarf eines hinter die Oberfläche der Erscheinungen dringenden Gedankens. Und noch mehr Gedankenarbeit ist erforder-lich, wenn man verstehen will, wie dieses Zusammenspiel funktioniert.

Wichtige Grundlagen für eine solche Synthese finden sich bei Nicolai Hartmann in seinem Versuch einer neuen Ontologie, die wesentliche Kategorien eines konkret-differenzierenden und doch zugleich ganzheit-lichen Verständnises der menschganzheit-lichen Wirklichkeit bereitstellt. Er inte-grierte die seinerzeit, d.h. bis zur Mitte unseres Jahrhunderts, verfügba-ren Ergebnisse aller Wissenschaftsgebiete, um jenseits der traditionel-len philosophischen Einseitigkeiten von Materialismus und Idealismus einen "Neuen Begriff der Realität" zu finden und damit ein sich im Gan-zen verankert wissendes Selbstbewußtsein des Menschen und seiner Möglichkeiten zu begründen. Hartmanns Wirklichkeitsbegriffe bieten die Voraussetzungen, um die besonderen menschlichen Möglichkeiten nicht nur intuitiv zu ahnen, sondern auf der Grundlage einer mit den konkreten Wissenschaften harmonierenden Ontologie, d.h. einer Lehre vom Sein, auch denkend zu begründen. Da ein solches ganzheitliches Selbstverständnis für die menschliche Zukunft entscheidend ist, seien die wichtigsten Erkenntnisse Hartmanns hier kurz erfaßt.

Ähnlich wie vor und nach ihm entscheidende Denker - von Aristoteles, über Spinoza, Fourier bis hin zu Rupert Riedl oder Ken Wilber - sah er, daß die Vielfalt der Wirklichkeit kein bloßes Nebeneinander unendlicher einzelner Dinge oder Erscheinungen ist. Sie sind vielfältig miteinander

vernetzt, ineinander geordnet, und dies nicht nur auf horizontaler Ebene sondern ebenso in vertikaler Hinsicht. Atome sind Teile von Molekülen, diese von Zellen, diese von Lebewesen, diese von Gruppen etc. Und damit der Mensch verstehen kann, was er selber in dieser Vielfalt ist, braucht er das Wissen vom inneren, unseren Sinnen verborgenen Sein der Dinge und darüber, welche grundlegenden Zusammenhänge die Dinge durchziehen.

Hartmann erkannte und beschrieb die horizontale und vertikale Vielfalt nicht nur als Vielfalt sondern auch als von fundamentalen Wirkungszu-sammenhängen durchzogen.

Die Vielfalt des Seins ist aus verschiedenen, sich im jeweiligen Aufbau stark voneinander unterscheidenden Schichten aufgebaut. Er hob dabei vier fundamentale Schichten, die er auch als Seinsstufen bezeichnete, heraus: Materielles, Lebendiges, Seelisches und Geistiges. Diese be-stehen nicht nebeneinander sondern in- und aufeinander, sie bilden einen hintergründigen Überbauungs- und Überformungszusammenhang nicht aufeinander reduzierbarer Seinsschichten. Wichtig dabei ist, diese nur gedanklich heraushebbaren Stufen zu unterscheiden von den ein-zelnen Seinsgebilden. Diese sind nicht Gebilde einer Schicht, sondern enthalten, je nach Höhe ihrer selbst, auch alle niederen Schichten in sich.

Diese fundamentalen Weltbegriffe werden im Wissen der Gegenwart konkreter verständlich als evolutiv entstandene und unendlich vernetzte Relationsgefüge von selbstorganisierenden Systemen verschiedener Komplexitätsniveaus. Die in vielen Wissenschaftszweigen aufkommen-de Iaufkommen-dee aufkommen-der Selbstorganisation ermöglicht erstmals eine Schließung aufkommen-der bisherigen Lücke zwischen dem Denken des Ganzen und dem Ver-ständnis konkreter Zusammenhänge. Eine Liaison der Selbstorganisati-onswissenschaft mit den Kategorien Hartmanns führt zu einem Begriff des Menschen, der seine besonderen Möglichkeiten als weltimmanente und doch erst durch individuell-menschliche Einsätze verwirklichbare Möglichkeit klärt.

Das Gesetz der Stärke und das Gesetz der Freiheit

Hartmann zeigte, daß die Wirklichkeit weder allein von unten, von einer mehr oder weniger substantiellen Materie, noch allein von oben, von einem völlig losgelöst die Welt schaffenden und gestaltenden Prinzip oder Geist her erklärbar ist. Vielmehr gilt es, die Determination realer Gebilde sowohl durch Zwänge von unten als auch durch Wirkungen höherer, freierer Wirklichkeiten zusammenzudenken. Dazu hob er aus der vielgestaltig-konkreten Realität fundamentale Seinsschichten her-aus, die sich durch je eigene Prinzipien oder Gesetze ihres Seins von-einander unterscheiden. Deren ontologischer Erklärungswert besteht im Verständnis ihres Zusammenwirkens, das er als Überbauung oder Überformung der weniger komplexen, "niederen", durch komplexere und damit freiere, "höhere" Seinsweisen sah. Die "niederen" Schichten sind Voraussetzungen "höherer" Strukturen, die sich erst auf deren Grundlage als komplexere Systeme organisieren und erhalten können.

Die komplexere, energetisch differenziertere und so "weichere" Realität kann ihre jeweilige Grundlage nicht verlasssen, sie kann sich nicht selbständigen, ihre vorausgesetzten Existenzbedingungen nicht ver-nachlässigen. Sie kann und muß aber deren Wirkungen für sich, durch selbstorganisiert-selektive Nutzung relevanter Effekte, effizieren. Die niedere Struktur bildet somit die Grundlage, sie ist von der höheren nicht außer Kraft zu setzen, ohne daß letztere sich damit selbst auflö-ste. Dieses unaussetzbare Getragensein der höheren Schichten von den niederen ist ein Grundgesetz der Wirklichkeit, das Grundgesetz der Dependenz oder das "Gesetz der Stärke".

Es wird ergänzt durch das "Gesetz der Freiheit". Die Abhängigkeit der höheren Seinsschicht beeinträchtigt nicht ihre Autonomie. Die niedere ist für sie nur der Boden, auf dem sie ihren Spielraum für eigene Ge-staltungen, Formen und Gehalte eröffnet. Sie gestaltet durch eigene Qualitäten und nach eigenen Gesetzen eine besondere, nicht auf die niederen Wirkungen reduzierbare Wirklichkeit. So ist das biotische Le-ben zwar getragen vom Physikochemischen, aber sein Artenreichtum und das "Wunder der Lebendigkeit" stammen nicht daher. Ebenso ist das Seelisch-Geistige gegenüber dem Leben ein Novum. "Dieses No-vum, das mit jeder Schicht neu einsetzt, ist nichts anderes als die Selb-ständigkeit oder ‘Freiheit’ der höheren Kategorien über den niederen.

Es ist eine Freiheit, welche die Abhängigkeit auf ihr natürliches Maß einschränkt“114.

Selbstorganisation, Selbstreferenz und Selbstsein

Das Eigentliche, das Erstaunliche und das zu Verstehende ist, mit Ari-stoteles gesprochen, nicht das, wovon etwas abhängt sondern das ist

"das Seiende, insofern es ist, - ...das, was an ihm von ihm selbst her besteht".115 Hier ergibt sich das Problem des Durch-sich-selbst-Seins der Wirklichkeit, welches modern Selbstorganisation heißt.

Um die in dieser Abstraktheit schwer vorstellbaren Zusammenhänge zu verdeutlichen, illustrieren wir sie im folgenden durch konkrete Beispiele;

Planetensystem, Katze und Liebesbeziehung sollen dabei die drei fun-damentalen Seinsebenen repräsentieren.

Etwas, ein Besonderes - wie z.B. ein Planetensystem, eine Katze oder eine Liebesbeziehung - existiert nur, indem es sich unterscheidet von anderem Bestehenden, sich abgrenzt von der Umgebung und sich als dies besondere und abgegrenzte Etwas selbst erhält; d.h. indem es sich beständig als dasselbe, besondere, abgegrenzte Etwas neu erzeugt.

Dabei müssen die internen Prozesse und Wirkungen - zwischen den Elementarteilchen des Planeten, zwischen den Organen der Katze oder zwischen den Gefährten der Liebe - so aufeinander abgestimmt sein, sich selbst so koordinieren, daß eine relative Stabilität der Wechselwir-kungen besteht und so das besondere Etwas sich nicht auflöst.116

Eine Neubildung, die infolge zufälliger, eigen- oder außenbedingter Fluktuationen in einem System entsteht, stört, bevor sie sich für die Fortexistenz des Ganzen als sinnvoll erweisen kann, zuerst einmal die bestehende Harmonie der Wirkungen. Sie erzeugt ein momentanes Ungleichgewicht, das erst später - sofern es nicht von der stärkeren

114 Hartmann, N., Das Problem des geistigen Seins, Berlin 1962, S. 17 ff. Siehe auch seine Spätschrift: Hartmann, N., Neue Wege der Ontologie, 1947.

115 Aristoteles, Metaphysik, 1003a.

116 Dieses eingepegelte interne Gleichgewicht der Systemerhaltung ist zu unterschei-den von unterschei-den notwendig instabilen Phasen der Entstehung diese Systeme. Entstehen können neue Dinge nur fern vom Gleichgewicht des vorher Bestehenden. Vgl. dazu Prigogine, I., Vom Sein zum Werden, München 1987.

Harmonie zerstört wird oder seinerseits das Ganze zerstört - integriert und als Moment eines neuen, komplexeren Zustandes eingepegelt wer-den kann. Das entscheiwer-dende Problem jeder Mutation oder Verände-rung ist so nicht in erster Linie der mögliche Nutzen für die Reprodukti-on des Ausgangssystems, sReprodukti-ondern der besReprodukti-ondere Integrator oder "At-traktor", der das neue, das jetzt komplexere System als komplexeres erhält; der dessen Bestehenbleiben organisiert, indem er die Wechsel-wirkung der einzelnen Komponenten unter Einbeziehung der neuen Momente neu integriert, neu aufeinander ab- oder einstimmt. Maßge-bend für die Existenz jedes selbstorganisierenden Seienden oder Sy-stems ist so die Art und Weise seiner Integration, seiner inneren Ab-stimmung oder, in der Sprache der Wissenschaft, seiner Selbstreferenz.

Jedes selbstorganisierende Gebilde ist referentiell geschlossen. Kein äußeres Ereignis, nur es selbst kann durch seine besondere referenti-elle Integration die Zugehörigkeit und die Zustände seiner Komponen-ten bestimmen; nur es selbst kann die internen und externen Gegeben-heiten in seinem Sinn, entsprechend seiner momentanen Gesamtsitua-tion, selbsterhaltend miteinander harmonisieren.117 Ein einmal einge-spieltes Planetensystem koordiniert als Ganzes die Bewegungen der einzelnen Körper, ein Katzenorganismus lebt nur beim Aufeinanderab-gestimmtsein aller inneren und äußeren Organe, und eine Liebe zweier Menschen stimmt deren Gefühle und Gedanken in einer übergreifenden Melodie.

Selbstreferenz ist das eigentliche Problem jedes selbstorganisierenden Systems, jedes durch-sich-seienden Gebildes - und damit auch das entscheidende Problem jeder Veränderung oder Evolution. Ein komple-xeres System kann entstehen nur durch integrativere Referenzmodi, durch Modi, die in der Lage sind, stets den Zustand des Ganzen als Gesamtheit der komplexeren Funktionen im Moment präsent zu halten.

117 Diese referentielle Geschlossenheit ist zu unterscheiden von der zuvor ausgeführ-ten Umweltoffenheit, der Durchlässigkeit der selbsterzeugausgeführ-ten Grenzen für systemun-terhalten-de Syntropie. Der gegebene kurze Abriß der Theorie der Selbstorganisation ist mein Fazit vieler konkreterer Darstellungen, insbesondere bei: Prigogine, I., Natur, Wissenschaft und neue Rationalität, in: Kröber, G., H.J. Sandkühler (Hrsg.), Die Dia-lektik und die Wissenschaften, Köln 1986; und die verschiedenen Aufsätze in: Krohn, W., Küppers, G. (Hrsg.), Selbstorganisation - Aspekte einer wissenschaftlichen Revo-lution, Braunschweig 1990.

Da steigende interne Komplexität auch differenzierterer Negentropien bedarf und dazu die Außenwelt differenzierter filtert bzw. beeinflußt, geht sie außerdem einher mit zunehmender Umweltrepräsentanz. Die universelle Evolution ist so zugleich Inversion: je komplexer das Gebil-de, desto integrierter referiert es sich und seine Außenwelt im Moment.

So ereignet sich eine sich potenzierende Verinnerlichung der Wirklich-keit: "ein Weg, der zu einer gesteigerten Ur-Sprünglichkeit des Seins von Seiendem führt. ‘Von-selbst-Sein’ metamorphosiert sich in Richtung

‘Selbstsein’"118. Die intuitive Ahnung "eines Zu-sich-selbst-Kommens des Seins im menschlichen Subjekt" begreift sich im Spiegel des Selbstorganisationswissens als im Sinn der Evolution liegende Realität.

Sternstunden der Evolution

Die Evolution schöpft neue Gebilde im Normalfall durch mehr oder we-niger starke Modifikationen bisheriger Formen. Gelegentlich ergibt sich aus dem Zusammenspiel bisher getrennter Momente eine neue Emgenz, eine besondere, nicht einfach aus den Ausgangsmomenten er-klärbare Qualität. Dies illustriert sich sehr gut am Beispiel der Evolution der Urvögel, trifft aber vermutlich ebenso für alle evolutiven Sprünge, so auch für die Entstehung des Menschen, zu. Die hierfür notwendige Gleichzeitigkeit von Tausenden von Mutationen und Selektionen ist al-lein von unten, durch Versuch und Irrtum der Natur, nicht erklärbar. Hier wirkte offenbar ein vom Universum - ob von uns Idee, Tao, Gott, Ur-grund oder wie auch immer genannt - einströmendes übergreifendes Evolutionsprinzip.119 Relativ selten aber geschah und geschieht dabei folgendes:

Die neugebildete und zuerst auf alte Weise integrierte Funktion birgt selbst ein besonderes, ein noch integraleres Potential für Selbstreferen-zen. Zuerst zufällig entstanden, wird sie zum Ausgangspunkt einer völlig

118 Blankenburg, W., Zur Subjektivität des Subjekts aus psychopathologischer Sicht, in: Nagl-Dozekal, K.v. (Hrsg.), Tod des Subjekts, Oldenburg 1987, S. 167.

119 Zum Einfluß der nicht von "unten", sondern von "oben" wirkenden Momente der Evolution siehe die naturwissenschaftliche Begründung bei: Lewin, R., Die Komplexi-tätstheorie. Wissenschaft nach der Chaosforschung, Hamburg 1993, S. 124ff.

neuen Seinsschicht, einer unendlich komplexeren Qualität von Selbst-organisation. Durch ihr besonderes Potential ist die neue Funktion in der Lage, unendlich weitere, der vorhergehenden Seinsweise unmögli-che interne Strukturen und Außenweltwirkungen zu integrieren. Die vor-herige entscheidende Referenzform sinkt dabei - im Maß der Entfaltung des neuen Potentials - zum untergeordneten, nur noch als Grundlage relevanten, durch das höhere Sein überformten Funktionsmoment. Sol-che fundamentalen Evolutionssprünge, in denen neue Seinsschichten entstanden, scheinen sich in der dem Menschen zugänglichen Realität mindestens dreimal ereignet zu haben, bzw. noch zu ereignen, da der letztere, die Verwirklichung freien Menschseins durch Befreiung aus dem Tierreich, bisher noch nicht gelungen ist:

A - Die Entstehung des physikalischen Universums; darin dann der Quarkstrukturen, Atome, Sonnensysteme und Erdatmosphären, in de-nen sich schließlich präbiotische Ursuppe bildete. All diese Gebilde re-ferieren, integrieren, organisieren sich durch elementare Wechselwir-kungen, wobei anfangs die Kern-, dann die gravitativen und im chemi-schen Bereich die elektromagnetichemi-schen Wirkungen dominieren.120

B - Die Entstehung des "Urgens", der in der Ursuppe gebildeten Hyper-zyklen von RNS und Enzymen; wodurch dann DNS-kernhaltige Zellen, sich homöostatisch und später affektiv-triebhaft verhaltende Organis-men und Arten und schließlich instinktiv organisierte Tiergruppen mög-lich wurden. Bioenzyme oder Hormone und Gene, bzw. die beiden zu-grunde liegenden wenigen Peptide, referieren in ihren Konzentrationen und Wechselwirkungen die Zustände aller beteiligten Organe dieser Lebensformen.121

C - Die Entstehung des Menschen als Individuum und Gemeinschaft;

seiner Soziokulturen, ob ursprüngliche Gemeinschaften, Hochkulturen oder moderne Gesellschaften - sie sind wirklich, lebendig, solange die Interaktionen der Individuen bzw. Teilgruppen untereinander und mit

120 Konkreter zu diesen Evolutionen siehe: Jantsch, E., Die Selbstorganisation des Universums, Wien 1979; und Mayr, E. (Hrsg.), Evolution, Heidelberg 1985.

121 Zur konkreten Evolution und Selbstorganisation dieser Seinsschicht siehe Eigen, M., Das Urgen, Halle 1987; und Ermisch, A., Gehirne und Gefühle, Leipzig 1985.

ihrer Umwelt beseelt sind von einem Geist. Eine Kulturgemeinschaft integriert, referiert oder stimmt sich je besonders in ihrem "Geist der Zeit". Dieser ist kein übernatürliches Wesen, sein Geheimnis sind be-sondere, die Individuen miteinander und zugleich mit dem Ganzen ver-bindende Potenzen.

Bedürfnisse, Affekte und höhere Gefühle

Der Mensch als jüngste und daher vermutlich mit den höchsten Mög-lichkeiten begabte Schöpfung des Universums integriert alle diese drei Seinsebenen. Deren erste ist die energetisch-materielle Grundlage, und der Mensch braucht, um sich nicht entropisch aufzulösen, sondern hö-herwertige Energie zur Unterhaltung aller seiner Lebensvorgänge zu haben, die beständige Zufuhr von Negentropie. Die subjektive Seite dieser Notwendigkeit wird hier und im folgenden erfaßt als "materielle Bedürfnisse". Daß menschliches Sein sich nicht auf dieser Ebene, in der Aufnahme und Verarbeitung von materieller Energie und der Befrie-digung materieller Bedürfnisse, erschöpft, ist leicht verständlich. Schwe-rer, weil beide Wirklichkeiten sich in subjektiv ähnlichen Prozessen von nervaler und hormoneller Selbstreferenz organisieren, fällt die Verge-genwärtigung des Unterschiedes der beiden höheren Ebenen.

Baruch Spinoza, der als einer der ersten Philosophen der Neuzeit die Selbsterkenntnis der inneren Natur des Menschen als entscheidendes Problem des menschlichen Daseins erkannte, sah auch die Wesens-verschiedenheit zweier Arten von Leidenschaften: Die einen, wie Ehr-geiz oder Haß, erzeugen nur inadäquate Ideen der Dinge und sind ihrer Natur nach Leiden; wir erliegen ihnen, sie affizieren uns. Durch die an-deren dagegen sind wir eigentlich tätig, es sind Seelenstärke und Edel-mut, die ein vernunftgemäßes und sich vervollkommnendes eigenes Sein und ein ebensolches der Anderen ermöglichen. Sie beruhen auf wahren Ideen unseres Selbst und der Dinge, ihnen entspringt die "in-tellektuelle Liebe zu Gott" als Teil "der beständigen und ewigen Liebe zu Gott oder der Liebe Gottes zu den Menschen", damit entsteht Glück-seligkeit oder Freiheit. Ähnlich bestimmte in unserem Jahrhundert Lew

Wygotski "höhere Gefühle", als eine im Vergleich zu elementaren Lei-denschaften "grundsätzlich neue Stufe des Seins", durch ihre "Intentio-nalität...in ihrer sinnvollen, verständlichen Verbindung mit ihrem Ob-jekt".122

Der deutliche Unterschied beider Ebenen wird begreiflich, wenn wie oben die Formen ihrer jeweiligen Selbstreferenz vergegenwärtigt wer-den.

Die einen - Angst, Macht etc. - sind organisch-affektiv selbstorganisiert, die anderen - insbesondere Liebe, Wissen und Selbst - sind Momente der geistig-kulturellen Selbstorganisation.

Die Affekte dienen der Aufrechterhaltung des organismischen Lebens;

sie filtern dementsprechend die gesamte Realität in unmittelbarem und engem Bezug zu diesem Leben. Darüber hinaus sind sie blind. Carl Amery nennt sie unser tierisches Erbe, welches 98,8 % des menschli-chen Verhaltenspotentials ausmacht. Als wesentlich für eine mögliche Zukunft begreift er die dem Menschen gegebenen 1,2 Prozent freien Anlagen.123 Diese "freien Anlagen" bergen das Geheimnis, welches den Menschen zum Menschen machte. In ihnen verbirgt sich die Potenz, die in weitgehend unbewußter Wirkung einst die ersten Menschengruppen aus der affektiven Enge von Tierhorden herausführte. Und es ist zu vermuten, daß die bewußte Vergegenwärtigung dieser in der menschli-chen Natur schlummernden, bisher weitgehend unbewußt-spontan wir-kenden Anlagen ein entscheidendes Ereignis ist, um Mensch und Menschheit zukünftig zum wirklichen, d.h. selbstbewußten Wesen zu entwickeln. Nur so könnten die durch hochentwickelte Technologie po-tenzierten Engstirnigkeiten des "geistigen Tierreichs" (Hegel) moderner Zivilisation einen Ausweg aus der sonst fast unvermeidlichen Selbstzer-störung finden. Deshalb ist ein möglichst konkretes wissenschaftliches Verständnis und darauf aufbauendes gesellschaftliches Ausbilden der besonderen, den Menschen in seiner inneren Natur vom inneren Tier-reich abhebenden Qualitäten eine er wichtigsten Aufgaben zukünftigen

sie filtern dementsprechend die gesamte Realität in unmittelbarem und engem Bezug zu diesem Leben. Darüber hinaus sind sie blind. Carl Amery nennt sie unser tierisches Erbe, welches 98,8 % des menschli-chen Verhaltenspotentials ausmacht. Als wesentlich für eine mögliche Zukunft begreift er die dem Menschen gegebenen 1,2 Prozent freien Anlagen.123 Diese "freien Anlagen" bergen das Geheimnis, welches den Menschen zum Menschen machte. In ihnen verbirgt sich die Potenz, die in weitgehend unbewußter Wirkung einst die ersten Menschengruppen aus der affektiven Enge von Tierhorden herausführte. Und es ist zu vermuten, daß die bewußte Vergegenwärtigung dieser in der menschli-chen Natur schlummernden, bisher weitgehend unbewußt-spontan wir-kenden Anlagen ein entscheidendes Ereignis ist, um Mensch und Menschheit zukünftig zum wirklichen, d.h. selbstbewußten Wesen zu entwickeln. Nur so könnten die durch hochentwickelte Technologie po-tenzierten Engstirnigkeiten des "geistigen Tierreichs" (Hegel) moderner Zivilisation einen Ausweg aus der sonst fast unvermeidlichen Selbstzer-störung finden. Deshalb ist ein möglichst konkretes wissenschaftliches Verständnis und darauf aufbauendes gesellschaftliches Ausbilden der besonderen, den Menschen in seiner inneren Natur vom inneren Tier-reich abhebenden Qualitäten eine er wichtigsten Aufgaben zukünftigen