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Erkenntnisse für eine freiheitliche Wirtschafts- und

III. Gesellschaftliche Selbstorganisation im Übergang

4. Erkenntnisse für eine freiheitliche Wirtschafts- und

Die unbewußt evolvierte gesellschaftliche Komplexität, die sich uns in den oben dargestellten Subsystemen von Wirtschaft, Recht, Bildung etc. darstellt, orientierte sich nicht an der einfacheren Ordnung der schichtenspezifischen Erfordernisse und erzeugte so nicht nur komplex-integrierte Formen, sondern immer wieder auch komplizierte, für das gesellschaftliche Ganze eher destruktive denn integrative, so freiheits-hindernde Zwischengebilde. Diese zwar immer wieder von neuen krea-tiv-integrativen Impulsen fortbewegte, doch insgesamt blinde Form ge-sellschaftlicher Selbstorganisation und Evolution war bisher dominie-rend. Sie wird aber heute, da die erreichte materielle Potenz und soziale Differenzierung in dieser affektiv-blinden Form das irdische Ganze be-droht, zum Problem der weiteren gesellschaftlichen Evolution und menschlichen Existenz überhaupt. Das notwendige Pendant einer das Ganze berührenden Dimension gesellschaftlichen Stoffwechsels und Verkehrs ist eine dies Ganze integrierende, d.h. eine übergreifend menschliche bzw. menschheitlich geordnete Selbstorganisation. Des-halb werden im folgenden einige mit den obigen Einsichten in die all-gemeinen ontologischen Grundlagen des gesellschaftlichen Seins ver-einbare Hinweise auf klarer geordnete und dennoch komplexere und integrierte - so freiheitsfreundliche - gesellschaftliche Selbstorganisati-onsformen dargestellt. Als deren entscheidende Bedingung wird dabei immer wieder, neben den für menschliche Entfaltung aller Individuen

erforderlichen materiellen Voraussetzungen, die Erkenntnis und darauf beruhende Neuordnung des Gesamtzusammenhangs betont.

Bereits zu Anfang des Jahrhunderts gab Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, einige, aus der oben eingenommenen ontologi-schen Sicht interessante Hinweise für die Zukunft menschheitlicher Entwicklung. Ausgangspunkt für ihn war die Klarheit, daß es um eine Neuintegration von Innen und Außen geht; daß es darum geht: "die Le-bensfrage der Gegenwart und der nächsten Zukunft in dem umfassen-den Sinne einer Frage der äußeren Einrichtung und der inneren Er-neuerung zu sehen". Dazu bedürfe es mehr als nur "engherziger Routi-ne", sondern eines Gedankens vom Zusammenhang des Ganzen. Aus der Erkenntnis dieses Zusammenhanges ergab sich ihm die Logik der Dreigliederung des gesellschaftlichen Organismus.

Gesellschaft hat drei grundlegende Bereiche: Wirtschaft, Soziales und Geistiges. Diese haben jeweils ihre eigenen Grundlagen und Gesetz-mäßigkeiten. Deshalb ist es für ein möglichst harmonisches Ganzes wichtig, diese Eigengesetzlichkeiten zu beachten und keinen Bereich mehr als notwendig mit dem anderen zu verquicken. "Nicht darum kann es sich in dem gegenwärtigen Augenblicke weltgeschichtlicher Ent-wicklung handeln, eine andere Art der Abhängigkeit des Rechts- und Geisteslebens vom Wirtschaftsleben anzustreben, sondern darum, ein solches Wirtschaftsleben zu gestalten, in dem nur Gütererzeugung und Güterzirkulation sachgemäß verwaltet werden, in dem aber aus der Stellung des Menschen in dem Wirtschaftskreislauf nichts bewirkt wird für seine rechtliche Stellung zu andern Menschen und für die Möglich-keit, die in ihm veranlagten Fähigkeiten durch Erziehung und Schule zur Entfaltung zu bringen...Dieselben Menschen, welche dieser Wirt-schaftsorganisation angehören, bilden eine in bezug auf Verwaltung und Vertretung selbständige Rechtsgemeinschaft, in der alles dasjenige geregelt wird, das in den Urteilsbereich jedes mündig gewordenen Men-schen fällt. Da wird auf demokratischer Grundlage alles dasjenige ge-staltet, was jeden Menschen zum gleichen gegenüber jedem anderen Menschen macht...Wie das Rechtsleben (die Staatsverwaltung) im selbständigen, vom Wirtschaftsleben unabhängigen Rechtsgliede des sozialen Organismus geregelt wird, so das Geistesleben (das Erzie-hungs- und Schulwesen) in völliger Freiheit in dem selbständigen

Gei-stesgliede der sozialen Gemeinschaft. Denn so wenig ein gesundes Wirtschaftsleben in eins verschmolzen sein kann mit dem Rechtsgliede des sozialen Organismus, in dem alles erfolgen muß durch die Urteile aller einander gleichstehenden mündig gewordenen Menschen, so we-nig kann die Verwaltung des Geisteslebens auf Gesetze, Verordnun-gen, eine Aufsicht oder dergleichen gestellt sein, die sich aus den Ur-teilen der mündig gewordenen Menschen ergeben. Das Geistesleben bedarf der Selbstverwaltung, die nur aus menschheitspädagogischen Gesichtspunkten heraus sich gestalten darf...Wer in wirklicher Leben-spraxis die Daseinsbedingungen des sozialen Organismus auf der ge-genwärtigen Stufe der Menschheitsentwicklung unbefangen zu prüfen in der Lage ist, kann wohl zu keinem anderen Ergebnis kommen als dem, daß zur Gesundung dieses Organismus dessen Dreigliederung in einen selbständigen Geistes-, einen solchen Rechts- und einen ebensolchen Wirtschaftsorganismus notwendig ist. Die Einheit des ganzen Organis-mus wird dadurch gewiß nicht gefährdet; denn diese Einheit ist in der Wirklichkeit dadurch begründet, daß jeder Mensch mit seinen Interes-sen allen drei Teilorganismen angehört und daß die Zentralverwaltun-gen trotz ihrer Unabhängigkeit voneinander die Harmonisierung ihrer Maßnahmen bewirken können." 185

Die Tendenz der Internationalisierung alles gesellschaftlichen Lebens steht dem nicht nur nicht im Wege, sondern befördert die Notwendigkeit dieser drei Eigenlogiken. "In dem dreigliedrigen sozialen Organismus bildet das Rechtsleben auf demokratischer Grundlage das Band zwi-schen dem Wirtschaftsleben, das aus seinen Bedürfnissen heraus in-ternationale Beziehungen herstellt, und dem Geistesleben, das solche aus seinen Kräften gestaltet." Die sich daraus ergebende Auflösung der Staatsgegnerschaften, die sich bisher aus der Verquickung von Staats-verwaltung mit wirtschaftlichen und geistig-kulturellen Interessen erga-ben, sieht Steiner als einen wichtigen Garant zur Vermeidung von Krie-gen und zur Beförderung von Frieden und Freiheit.186

185 Steiner, R., Die Dreigliederung des sozialen Organismus, eine Notwendigkeit der Zeit, in: ders., Staatspolitik und Menschheitspolitik, Dornach 1988, S. 15ff.

186 Steiner, R., Internationale Lebensnotwendigkeiten und soziale Dreigliederung, in:

ebenda, S. 21ff.

Die Freiheit der Entwicklung menschlicher Individuen bestimmt auch Karl Homann als letztlich übergreifende Zielbestimmung aller gesell-schaftlichen Ordnung. Er benennt keine explizite Ontologie oder Dreig-liederung gesellschaftlicher Selbstorganisation, das entsprechende Prinzip jedoch zieht sich durch seine geistvollen Darstellungen der inne-ren Zusammenhänge und entsprechenden Korrekturvorschläge gesell-schaftlicher Organisation.

Seine als "Wirtschaftsethik" entwickelte Theorie macht sowohl die Hier-archie als auch die Selbständigkeit der Ebenen deutlich. So verdeutlicht er, in Anknüpfung an den diesen Zusammenhang ursprünglich begrün-denden Philosophen Adam Smith und an die modernere Theorietraditi-on des "Ordo", daß die Ausdifferenzierung moderner Marktwirtschaft kein spontanes Ergebnis zufälliger gesellschaftlicher Entwicklung ist, vielmehr ein von tiefen moralischen Intentionen über die bestmöglichen Wege zu menschlicher Freiheit inspiriertes Geschehen. Ihre primär ef-fektiver Produktivität und Verbraucherinteressen unterliegende Logik gestattet tendenziell allen Menschen die materiellen Grundlagen für ei-nes menschenwürdigen Lebens und die schöpferische Beteiligung dar-an. Im Unterschied zu allen anderen, mehr oder weniger von Macht-oder anderen affektiv-beschränkenden Energien durchdrungenen und beeinträchtigten Wirtschaftsformen, ist sie so die für freie menschliche Entwicklung möglichst aller menschlichen Individuen adäquate Organi-sationsform. "Die moralische Vorzugswürdigkeit der Markwirtschaft liegt darin, daß sie das beste bisher bekannte Mittel zur Verwirklichung der Solidarität aller Menschen darstellt."187

So sehr ethische Werte die letzten Zielbestimmungen gesellschaftlicher Ordnung darstellen, so wenig dürfen ihre Kriterien unmittelbar mit denen der anderen Ebenen vermischt werden. Freier und als relativ selbstän-diges gesellschaftliches Subsystem ausdifferenzierter wirtschaftlicher Wettbewerb kann auf den ersten Blick als Ausgrenzung von Schwachen oder Nichtachtung Unterlegener erscheinen. Weitblickend betrachtet, dient dies dem bestmöglichen Wohl aller Mitmenschen. Darüber hinaus bändigt er die immer zur Verselbständigung neigenden Machtaffekte, ist

187 Homann, K., Wirtschaftsehtik als Ordnungsethik, in: Homann, K./F. Blome-Dress, Wirtschafts- und Unternehmensethik, Göttingen 1992, S. 49.

so - "nach der berühmten Formulierung von Franz Böhm - das großar-tigste und genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte".188

Entsprechend einer Selbständigkeit der Ebenen bedeutet für ihn freie Marktwirtschaft dabei keineswegs die Dominanz wirtschaftlicher Inter-essen über alle anderen Bereiche. Erforderlich ist eine ebenso optimale Ausprägung der anderen Gesellschaftsbereiche, erst im dann gegebe-nen Gesamtzusammenhang kann sich marktwirtschaftlicher Wettbe-werb frei entfalten. Dies zeigt er deutlich am vergleichsweisen Vorteil sozialer, d.h. die Imperative der anderen Ebenen integrierender Markt-wirtschaft.

Ohne explizite ontologische Begründung benennt Homann dabei die von oben einwirkende Hierarchie der Ebenen. Zum einen geht eine ent-sprechende politisch-rechtliche, d.h. demokratische Ordnung systema-tisch dem Markt voraus. Und zum anderen ist die rechtliche Form der Privatheit, bzw. der rechtsstaatlich geschützten Freiheit individueller Entscheidungen und Engagements, gebunden an vorausgehende und fundierende kollektive Vereinbarungen und kollektive Zuschreibungen.

Übersetzt in die oben verwandte ontologische Sprache heißt dies: Gei-stige, im Gesamtzusammenhang aller Wesen wurzelnde Impulse be-gründen entsprechende rechtlich-soziale Strukturen, und diese wieder-um fundieren adäquate wirtschaftliche Selbstorganisationsformen. Um-gekehrt gesehen sind entsprechend effektive Wirtschaftsformen Bedin-gung für eine solidarisch-soziale und freie geistige Entwicklung der menschlichen Individuen.

Ebenso von der Denktradition des "Ordo" her entwickelt Kurt Bieden-kopf verwandte und für unser Thema in bedeutsamer Hinsicht konkrete Vorschläge einer ganzheitlich-gesellschaftlichen Ordnungspolitik. Ob bewußt gesetzt oder aus spontaner Intuition, jedoch erstaunlich treffend benennt er bereits im Untertitel seiner "Neuen Sicht der Dinge" die drei für jede menschliche Gesellschaft fundamentalen Schichten: „Freiheitli-che...Wirtschafts-... und Sozialordnung“. Ähnlich treffend aus der Sicht dieser Ontologie sind seine Vorschläge zur Neuordnung bzw. Neuklä-rung der gesellschaftlichen Funktionen.189

188 Böhm, F., zitiert nach: Homann, K., ebenda, S. 50.

189 Biedenkopf, K., Die neue Sicht der Dinge, Plädoyer für eine freiheitliche Wirt-schafts- und Sozialordnung, München 1985.

Das Wirtschaftssystem, so führt er aus, entwickelt eine eigene, den Ge-setzen von Bedarf und Angebot entsprechende Organisationslogik. Die-se ist nicht, wie in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder erfolglos versucht, durch Einmischung sozialer oder geistiger Funktionen in deren andere Logik zu zwingen, sondern im Gegenteil sollte in einer bewußten gesellschaftlichen Ordnung dieses in sich logische Spiel des Marktes vor dem immer wieder drohenden Eingriff von Machtinteressen ge-schützt werden. Dafür wiederum genügen nicht moralische Appelle, sondern es bedarf einer entsprechenden Organisation, einer Ausge-staltung des Rechtssystems als Hauptorganisator einer freien Sozialität.

Zur gesellschaftlichen Selbstorganisationsform des Geistes führt Bie-denkopf weniger aus, deutlich wird dennoch die Grundhaltung, daß ein Bezug des Menschen zum Ganzen des Universums, von ihm traditionell als "Gott" begriffen, existiert, und nur aus der Wahrung dieses Bezuges die für menschliches Dasein nötige übergreifende Ermutigung und Ver-antwortung erwächst. Und da dieser Bezug nur als ein jeweils innerlich-individueller lebendig ist, ist für diesen je individuell gestimmten Geist die Freiheit des Individuums grundlegende Bedingung und zu wahren-des Ziel aller gesellschaftlichen Ordnungen.