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Respect und die außerparlamentarische Linke – Scheidung und neues Glück?

Im Dokument rls Die Linke in Europa (Seite 76-79)

Thomas Kachel

4. Respect und die außerparlamentarische Linke – Scheidung und neues Glück?

Die Gründung der Respect-Koalition kann als die wichtigste Entwicklung innerhalb der briti-schen Linken unter New Labour bewertet werden. Weil im Prozess der Bildung dieses Wahl-bündnisses viele der Stärken und Grenzen der britischen außerparlamentarischen Far Left auf-scheinen, soll dieses Projekt hier beispielhaft beschrieben werden. Der Impuls, der zur Grün-dung von Respect führte, war die erfolgreiche Kampagne der Anti-War-Coalition gegen den I-rak-Krieg im Jahr 2003. Deren Erfolgsrezept, die Pluralität, sollte auch das Erfolgsrezept der 2004 gegründeten Partei werden. Die wichtigsten konstituierenden Teile des Bündnisses waren die trotzkistische, aber hoch öffentlichkeitswirksame Socialist Workers Party (SWP), einige Pro-tagonisten der Muslim League of Britain (MAB) und die Vertrauten um George Galloway.19 Der Ex-Labour-Abgeordnete, der über seine Anti-Irakkriegs-Haltung aus der Labour Party ausge-schlossen worden war, konnte 2005 seinen größten Sieg feiern, als er als erster Abgeordneter links von Labour seit 1945 ins Unterhaus gewählt wurde. Weitere Achtungserfolge der Respect

15 Einer der ersten, die sich diesem Thema zuwandten, ist der SWP-Aktivist und Regisseur Ken Loach. Sein Film

‚It's a free world’ zeigt ungeschminkt, wie die viel gepriesene Freiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Großbri-tannien zu grenzenloser Erpressbarkeit und erbärmlichen Lebensverhältnissen der Migranten geführt. Ein Thema, dem sich auch die außerparlamentarische Linke bis vor kurzem – wohl aus einer falsch verstandenen political cor-rectness heraus – nicht zuwenden wollte.

16 V g l . O rg a n i s i n g M i g r a n t w o r k e r s : e v i d e n c e f r o m T U C f u n d e d w o r k , i n : http://uin.org.uk/component/option.com_alphacontent/section,14/cat,38/task,view/id,79/ltemid,87/, abgerufen am 10.2.2009.

17 Vgl. Thomas Kachel / Joanna Lucyszyn: Sprachkurse zum Mitgliederfang, in: Neues Deutschland, 7.11.2008.

18 Die GMB, die maßgeblich handwerkliche Berufe vertritt, ist die größte Gewerkschaft, die Billy Braggs neue antifaschistische Kampagne ‚Hope not Hate’ unterstützt. Vgl. Daily Telegraph, 1. Februar 2009.

19 Die GMB, die maßgeblich handwerkliche Berufe vertritt, ist die größte Gewerkschaft, die Billy Braggs neue antifaschistische Kampagne ‚Hope not Hate’ unterstützt. Vgl. Daily Telegraph, 1. Februar 2009.

folgten auf kommunaler Ebene, so vor allem in Wohnbezirken mit hohem muslimischen Anteil oder Migrantenanteil wie Tower Hamlets (Ost-London) und Birmingham, wo Selma Yacoob in den Kommunalwahlen 2006 in ihrem Wahlbezirk 49 Prozent der Stimmen erreichte. Ein großer Durchbruch jedoch blieb aus. Bereits bei den Europa-Wahlen 2004, noch unter dem Eindruck des Irak-Krieges, erreichte die Partei aber nur enttäuschende 1,5 Prozent der Stimmen. 20

In der Folge kam es 2007 zu einer internen Auseinandersetzung, die zwar einen personalpoli-tischen Anlass hatte, aber sehr klare politisch-strategische Differenzen symbolisierte. George Galloway bemühte sich, vor allem von wahlstrategischen Gesichtspunkten geleitet, gezielt um die Gruppe der islamischen Einwanderer. Daraus ergab sich eine andere Gewichtung der strate-gischen Ausrichtung der Partei als z.B. für John Rees und die meisten seiner SWP-Genossen.

Diese hielten mit Schwerpunkt auf den Widerstand gegen weitere Privatisierungen und die Un-terstützung von Arbeitskämpfen an einer oft recht militant verstandenen sozialistischen Ausrich-tung fest. In der straff geführten Kaderpartei SWP, in der immer noch das Prinzip des demokra-tischen Zentralismus herrscht, ist angesichts des Ausgangs dieses Konflikts inzwischen Selbst-kritik angesagt. Drei Mitglieder wurden wegen Verstoßes gegen das Parteiprogramm ausge-schlossen und John Rees trat als oberster Parteisekretär zurück.

Über längere Zeit war es zudem zu Unzufriedenheit gekommen, weil die Basis bestimmte Aussagen und Voten Galloways im Unterhaus nicht länger tolerieren wollte. Galloway wurde

„Kommunalismus“ vorgeworfen: Um die muslimische (traditionelle) Wählerschaft anzuspre-chen, sei er bereit, linke Inhalte zurückzustellen. SWP-Papiere kritisierten schon zur Kommu-nalwahl 2006 das „Agieren bestimmter Teile von Respect als klassenübergreifende Partei, nur einer Bevölkerungsgruppe dienend“21 Viele Gay rights activists waren empört über sein (Nicht-)Abstimmungsverhalten bei mehreren Abstimmungen über Gleichstellungsfragen, obwohl Re-spect als Partei hierzu eine klare (positive) programmatische Positionierung hat. Auch seine ein-seitige Konzentration auf den Nahost-Konflikt, und seine Position der bedingungslosen Solidari-tät mit den Palästinensern hat ihm Vorwürfe eingebracht, berechtigte wie unberechtigte.22 Gal-loway ist und bleibt dennoch, durch seine rhetorische Begabung und seine Mediengewandtheit, der derzeit bekannteste und durchsetzungsstärkste Politiker der außerparlamentarischen Linken in Großbritannien.

5. Ausblick

Angesichts der Zustände, in dem sich die drei größten Langer der Linken in Großbritannien be-finden, kann man den Schluss ziehen: Die derzeitige Krisensituation ist günstig für die Linke, aber sie trifft sie unvorbereitet und in einem Stadium intensiver Selbstbeschäftigung. Dies ist auch der Grund, warum z.B. der Impuls, den die Wahlsiege bzw. Erfolge der deutschen und französischen Linken seit 2005 gesetzt haben, nicht wirklich wahrgenommen wird. Die

Europä-20 Vgl. European Election: United Kingdom Result, in: http://news.bbc.co.uk/2/shared/bsp/hi/vote2004/euro_uk/

html/front.stm, abgerufen am 18.2.2009.

21 Siehe dazu ausführlicher: Thomas Kachel: New Labours zweite Legislatur, in: Parteien und Bewegungen. Die Linke im Aufbruch, rls Texte 30, Berlin 2006.

22 Berechtigt sicherlich vom linken Standpunkt aus der Vorwurf des ‘single issuism’ – der Reduzierung auf ein Thema, das auch Galloways Wahl-Opportunismus anzulasten ist. Unberechtigt ist der Vorwurf des Antisemitismus – wer Galloways Reden kennt, weiß, dass ethnische Zuschreibungen in den Begründungszusammenhängen seiner politischen Argumentation nie eine Rolle gespielt haben.

isierung der Linken findet in der britischen Debatte kaum statt.23 Die Krise wäre eine gute Gele-genheit, auch hier neu zu beginnen. Die Ansatzpunkte müssen aber insbesondere nach dem Re-spect-Desaster erst neu erstritten werden: Dazu ist eine neue Betriebsamkeit mit einer Vielzahl von Treffen, Kampagnen und Diskussionen ausgebrochen. Die RMT, die noch im vorigen Jahr Avancen Galloways zu seiner Unterstützung im Londoner Wahlkampf zurückgewiesen hatte, machte vor kurzem den Vorschlag einer sog. People’s Charter: Die Festschreibung von Inhalten wie Anti-Privatisierungskampf, Antirassismus/Antifaschismus, Stärkung der Kommunen und Gemeinschaften soll Gelegenheit zur Schaffung einer Programm-Plattform bieten, um im An-schluss die organisatorischen Hürden anzugehen. Die Plattform Progressive London bietet ein cross-over von Labour-Linken und hauptstädtischen Aktiven an, die vor allem emanzipatorische Inhalte geltend machen.

Konkrete neue Wahlbündnisse sind zur Europawahl 2009 nicht zu erwarten, während die wahrscheinlich im Frühjahr stattfindenden Unterhauswahlen 2010 durchaus zu einer neuen Ko-alition führen könnten. Einig ist man sich bereits in dem, was es zu bekämpfen gilt: Die Sorge, die BNP könnte die Krise zum Sprungbrett für die nächsten Unterhauswahlen machen, vereint alle wesentlichen Kräfte. Die Kampagne Hope not Hate, getragen von dem linken Musiker Billy Bragg und dem antifaschistischen Magazin Searchlight, wird von fast allen Gewerkschaften un-terstützt.

Sicherlich bietet die jetzige Situation der britischen Linken die beste Chance seit Jahrzehnten, den politischen Diskurs und die politischen Kräfteverhältnisse nachhaltig nach links zu ver-schieben und einen neuen institutionellen Kern zu schaffen. Die Frage, inwieweit das Zeitfenster dafür genutzt werden kann, wird die Zukunft beantworten.

23 Eine Ausnahme sind natürlich Andrew Coates, ehemaliger linker Labour-Europaabgeordneter mit seinem Blog http://tendancecoatesy.wordpress.com/ und die Enthusiasten der Initiative for a European Left in England http://eurleft.wordpress.com/.

Radikal linke Politik in Irland -

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