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Dag Seierstad

Im Dokument rls Die Linke in Europa (Seite 57-62)

Die Linke im nationalen Parteisystem

Seit den 1920ern steht eine relativ starke Arbeiterpartei einem in vier oder fünf Parteien zerstü-ckelten bürgerlichen Lager gegenüber, das stets Mühe hatte, einen gemeinsamen politischen Nenner zu finden. Mitten in der Krise der 30er Jahre bildete die Norwegische Arbeiterpartei (norske Arbeiderparti) 1935 eine Minderheitsregierung aufgrund eines Abkommens mit der Bauernpartei. Im selben Jahr einigten sich der Gewerkschaftsbund und die Arbeitgebervereini-gung auf einen sozialen Ausgleich zwischen Arbeit und Kapital: Es wurden Verfahren für Tarif-verhandlungen auf nationaler, Branchen- und Betriebsebene eingeführt, einschließlich Regeln für Arbeitskämpfe.

Zwischen 1945 und 1961 hatte die Arbeiterpartei die Mehrheit im Parlament. Die Sozialisti-sche Volkspartei (SF) wurde 1961 hauptsächlich von Arbeiterparteimitgliedern gegründet, die gegen die norwegische Mitgliedschaft in der NATO und das Atomwettrüsten waren. 1975, nach der Volksabstimmung zum EG-Beitritt, schloss sie sich mit EG-kritischen Mitgliedern der Ar-beiterpartei, einer Minderheitenfraktion der KP sowie mit Aktivist/innen aus den Umwelt- und Frauenbewegungen zur Linkssozialistischen Partei (Sosialistisk Venstreparti/ SV) zusammen.

Von 1961 bis 2005 gab es mehrere Minderheitsregierungen der Arbeiterpartei mit Duldung der SF- bzw. SV-Fraktion, doch keine formale Koalitionsabkommen zwischen den beiden Parteien.

Das Rote Wahlbündnis (Rød Valgallianse/ RV) wurde in den 1970er Jahren als Wahlverein einer äußerst disziplinierten Maoistenpartei gegründet, unlängst benannte es sich in „Rot“

(Rødt) um. Seine politischen Ziele unterscheiden sich mit wenigen Ausnahmen kaum, wenn ü-berhaupt, von jenen der SV. „Hauptguthaben“ der Partei sind mehrere bekannte Arbeitervertreter in großen Industrieanlagen sowie eine Tageszeitung, die in den letzten fünfzehn Jahren zum nichtsektiererischen Blatt der gesamten norwegischen Linken, einschließlich des eher linken Teils der Arbeiterpartei, geworden ist. Heute ist die Partei immer noch Minderheitseigentümerin der Zeitung. Norwegens Kommunistische Partei (NKP) ist hingegen praktisch verschieden, bei den letzten Parlamentswahlen 2005 erhielt sie nur noch 1070 Stimmen.

Norwegen hat auch eine kleine grüne Partei, die in den Parlamentswahlen 2005 3700 Stim-men (0,23 Prozent) und in den Kommunalwahlen 2007 12.000 StimStim-men (0,6 Prozent) erhielt.

Der Hauptgrund für das Fehlen einer mit jenen im restlichen Europa vergleichbaren grünen Par-tei ist, dass die SV – wie auch die Sozialistische VolksparPar-tei in Dänemark – seit den frühen 1970er Jahre die Umweltpolitik im Schilde geführt hat. Beide Parteien haben sich stets als so-wohl rote als auch grüne Parteien profiliert.

Grafik 1: Wahlergebnisse in den letzten drei Parlamentswahlen

Partei Stimmen in Prozent Sitze im Storting

1997 2001 2005 1997 2001 2005

Linke: 42,7 38 41,5 74 66 76

Norwegische Arbeiterpartei 35 24,3 32,7 65 43 61

Sozialistische Linkspartei (SV) 6 12,5 8,8 9 23 15

Rotes Wahlbündnis 1,7 1,2 1,2 - -

-Mitte: 26,1 21,9 19,2 42 34 32

Zentrumspartei 7,9 5,6 6,5 11 10 11

Christliche Volkspartei (CF) 13,7 12,4 6,8 25 22 11

„Die Linke“ (liberale Partei

Norwegens) 4,5 3,9 5,9 6 2 10

Rechte: 29,6 35,8 36,2 48 64 61

Die Rechte (konservative Partei) 14,3 21,2 14,1 23 38 23

Fortschrittspartei (populistische

Rechte) 15,3 14,6 22,1 25 26 38

Splitterparteien: 1,6 4,3 3,1 1 1 0

Dimensionen des Parteiwettbewerbs

Die norwegische Parteienlandschaft ist durch Trennungslinien gekennzeichnet, die nicht nur vie-len ausländischen Beobachtern, sondern auch der norwegischen Wählerschaft selbst verwirrend erscheinen.

‣In sozialen Fragen,zum Beispiel Steuern, Soziales und Gesundheitswesen, Arbeitsrecht usw., dominiert die übliche rechtsgerichtete Sichtweise. Dabei ist allerdings die Zentrumspartei in vie-len Fälvie-len nahe bei den Parteien der Linken, auch die rechtspopulistische Fortschrittspartei un-terstützt bisweilen linke Positionen in diesem Bereich.

‣Bei Fragen der strukturellen Änderungen in der Wirtschaft, zur Privatisierung, zur Deregulie-rung bzw. zur EU-Mitgliedschaft, besteht der neoliberale Pol in der norwegischen Politik aus der Partei Die Rechte (Høyre, die konservative Partei Norwegens) und dem Hauptteil der Arbei-terpartei.

‣Die Zentrumspartei (Senterparti), die sich bis 1959 „Bauernpartei“ nannte, hat sich seit Anfang der 1990er Jahre zur zuverlässigen Stütze des öffentlichen Sektors gegen die Privatisierung und

die marktwirtschaftliche Orientierung der Kommunalpolitik entwickelt. In Bezug auf die vor-herrschende neoliberale Politik hat sie die Arbeiterpartei eindeutig links überholt.

‣In Fragen der Umweltpolitik . der internationalen Solidarität(Entwicklungshilfe, Flüchtlingspo-litik) besteht eine Einheit der drei Parteien der Mitte und der SV, die für die Umwelt sowie für größere Solidarität mit bedürftigen Menschen außerhalb Norwegens eintreten. Diese vier Partei-en sind es auch, die die GegnerinnPartei-en einer norwegischPartei-en EU-Mitgliedschaft sind.

Die Wahlen von 2001: Eine historische Niederlage für die Arbeiterpartei

Die Parlamentswahlen im September 2001 ergaben eine historische Niederlage für die regieren-de Arbeiterpartei und eine Verdopplung regieren-der Stimmen regieren-der SV. Unter regieren-dem Strich kam aber ein all-gemeiner Rechtsruck heraus, da die Arbeiterpartei fast zweimal so viele Stimmen verlor, wie die SV gewann. Das Ergebnis war eine schwache Mitte-Rechts-Minderheitsregierung aus den Par-teien die Rechte, Christlichen Volkspartei und die „Linke“ (die liberale Partei), mit zusammen nur 62 von 165 Sitzen. So musste sich die Mitte-Rechts-Regierung auf eine Tolerierung durch die unzuverlässige und einigermaßen fremdenfeindliche Fortschrittspartei (Fremskrittsparti) ver-lassen. Diese Partei speist sich aus „Recht-und-Ordnung“-Populismus und Ressentiments in der Wählerschaft gegen Einwanderer. Sie gewinnt die meisten Stimmen durch ihr populistisch-sozi-ales Profil, wobei sie üppige Verbesserungen der sozialen Dienstleistungen für alle verspricht, die diese brauchen, insbesondere die Alten und Kranken.

Die Wahlen von 2005: Ein knapper Sieg für Mitte-Links

Die katastrophalen Ergebnisse der Wahlen von 2001 und der Druck von verschiedenen Teilen der Gewerkschaftsbewegung zwangen die Führung der Arbeiterpartei, ihre Wahlstrategie zu än-dern.

Während der 1990er haben viele Einzelgewerkschaften und letztlich auch die zentrale Ge-werkschaftsführung erkennen müssen, dass sie sich bei mehreren Kernschwerpunkten, ein-schließlich der marktwirtschaftlichen Orientierung und der Privatisierung von Telekommunika-tion, Post, Eisenbahn und anderen öffentlichen Diensten, nicht mehr auf die Arbeiterpartei ver-lassen konnten. Die Gewerkschaften kamen zum Schluss, dass man die Arbeiterpartei nur wie-der auf einen linksgerichteten politischen Kurs bringen könnte, indem man sie in eine Koalition mit der SV drängte. Sie gelangten darüber hinaus zu der Erkenntnis, dass sie ihre Forderungen gegenüber einer solchen Koalitionsregierung in einer derart markanten Weise würden artikulie-ren müssen, dass letztere würde zuhöartikulie-ren müssen.

Der Wendepunkt kam im Herbst 2004, als der norwegische Gewerkschaftsbund (Landsorga-nisasjonen i Norge, LO) Kampagne mit dem Titel „der lange Wahlkampf“lancierte, mit dem ausdrücklichen Ziel, zum ersten Mal eine linke Mehrheitsregierung auf Basis einer Koalition aus Arbeiterpartei und SV zu bilden. Im Frühjahr 2005 bekannten sich Arbeiterpartei, SV und Zentrumspartei auf ihren Parteitagen zur Absicht, eine gemeinsame Regierung zu bilden, sollten sie gemeinsam eine Mehrheit im Stortinggewinnen.

Dieses Mitte-Links-Bündnis gewann dann tatsächlich die Wahlen im September 2005, doch der Sieg war mit 87 Sitzen gegen 82 für die anderen Parteien knapp. Verglichen mit den Wahlen 2001 erlebte die SV einen Rückschlag, der noch größer erschien, wenn man das Ergebnis mit den Meinungsumfragen verglich. Die meisten Meinungsumfragen zwischen den Wahlen von

2001 und 2005 hatten Ergebnisse für die SV von zwischen 14 und 18 Prozent vorausgesagt. Der Hauptgrund für den Rückschlag war, dass die führenden Politiker/innen der Arbeiterpartei zum ersten Mal einen Wahlkampf führten, in dem sie eine Politik nahe bei der der SV befürworteten.

Die Mitte-Links-Regierung

Die Arbeiterpartei gewann mit 32,7 Prozent zweimal mehr Stimmen, als die beiden kleineren Parteien SV und Zentrumspartei zusammen (15,3 Prozent). Trotz dieser theoretisch starken Po-sition der Arbeiterpartei, kam eine erstaunliche Koalitionsvereinbarung als Ergebnis der Ver-handlungen heraus:

1. Das Regierungsprogramm1 war mit 74 Seiten ein umfangreiches Dokument, in vielen Fra-gen überraschend detailliert und konkret, also ziemlich das GeFra-genteil zum kurzen, allgemein gehaltenen Schriftstück, womit einem dominierenden Partner am besten gedient gewesen wäre

2. Von den 19 Ministern im Kabinett stellte die Arbeiterpartei zehn, die SV fünf (darunter den Finanzminister), und das Zentrum vier, womit die Arbeiterpartei die knappste denkbare Mehrheit im Kabinett erhielt.

3. In vielen Fragen stehen Positionen im Regierungsprogramm, die links von den entsprechen-den Forderungen des Wahlprogramms der Arbeiterpartei2 sind. Das gilt sowohl für internati-onale Fragen als auch für die Wirtschafts-, Regional- und Sozialpolitik.

4. Die Koalition verpflichtete sich, die Deregulierung der öffentlichen Dienste im Staatssektor einzustellen und ihre Politik gegenüber internationalen Institutionen, wie der Weltbank, dem IWF und der WTO, zu harmonisieren.

Die Linksparteien in Norwegen: Die soziale Struktur ihrer Wähler/innen3

Heutzutage haben sowohl die Arbeiterpartei als auch die SV mehr Unterstützung von Frauen als von Männern. Zweimal so viele Frauen wie Männer wählen SV. Dies war nicht immer so: In den 1960er Jahren hatten in den Wählerschaften beider Parteien die Männer die Mehrheit.

1 Vgl. Statsministeren Kontor: Plattform for regjeringssamarbeidet mellom Arbeiderpartiet, Sosialistisk Venstrepar-ti og SenterparVenstrepar-tiet 2005-09, Soria Moria, 13. Oktober 2005, in: http://www.regjeringen.no/upload/ kilde/smk/rap/

2005/0001/ddd/pdfv/260512-regjeringsplatform.pdf, gesichtet am 10.2.2008.

2 Vgl. Office of the Prime Minister: The Soria Moria Declaration on International Policy, 4.2.2007, in:

http://www.regjeringen.no/en/dep/smk/documents/Reports-and-action-plans/Rapporter/2005/The-Soria-Mori a-Declaration-on-Internati.html?id=438515, gesichtet am 10.2.2008

3 Vgl. Valgundersøkelsen 2005, in: SSB Rapport 2007/31.

Grafik 2: Prozente der Stimmen für Arbeiterpartei und SV, nach Geschlecht

Die heutige Mehrheit der Frauen hat sich allmählich seit den frühen 1990er Jahren entwickelt, wahrscheinlich als Folge der Tatsache, dass Frauen überwiegend Arbeit im wachsenden öffentli-chen Sektor fanden, der traditionell von Arbeiterpartei und SV gegen Angriffe vom rechten Teil des politischen Spektrums in Schutz genommen wird.

Die Wählerschaften der beiden Parteien haben eine umgekehrte Altersstruktur. Die Arbeiter-partei ist am beliebtesten unter den Wähler/innen über 50, während die SV nur wenige Wähler/

innen über 60 anspricht, dafür aber eine starke Unterstützung bei denen in ihren Zwanzigern ge-nießt.

Wie aus der Grafik Nummer drei deutlich wird, hat die Arbeiterpartei größeren Zuspruch bei den relativ wenigen Wählern, die nur eine Hauptschulbildung haben, während die Wähler/innen der SV mehrheitlich ein Bildungsniveau jenseits des Oberschulabschlusses haben.

In den 1960er Jahren hatten die beiden Parteien fast identische soziale Profile hinsichtlich der Berufe ihrer Wähler/innen. Heute unterscheiden sich diese Profile deutlich. Die Arbeiterpartei ist immer noch sehr viel mehr eine „Arbeiterpartei“, während die SV eine Partei für Angestellte im öffentlichen Dienst geworden ist. 2005 waren die Hälfte der Wähler und 75 Prozent der Mit-glieder der SV im öffentlichen Dienst beschäftigt, für die werktätige Bevölkerung insgesamt liegt der Anteil bei 28 Prozent.

Männer Frauen

0 5 10 15 20 25 30 35 40

Arbeiterpartei Sozialistische Linkspartei

Grafik 3: Prozente der Stimmen für Arbeiterpartei und SV, nach Bildungsniveau

2005 wurden die Wähler/innen gefragt, welche Partei die beste Politik in bestimmten Bereichen vorweisen könne: Die Arbeiterpartei lag im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit (54 Prozent) so-wie bei der Gesundheits- (39 Prozent) und Seniorenpolitik (38 Prozent) vorne. Bei der Umwelt- (35 Prozent), Bildungs- (22 Prozent) und Familien- und Kinderpolitik (21 Prozent) schnitt die SV am besten ab.4

Grafik 4: Prozente von Wählergruppen, die Arbeiterpartei bzw. SV wählten

Hauptschule Oberschule Höhere Bildung

0 12,5 25,0 37,5 50,0

Im Dokument rls Die Linke in Europa (Seite 57-62)