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Dorothée de Nève / Tina Olteanu

Im Dokument rls Die Linke in Europa (Seite 148-155)

Die bulgarischen Kommunisten pflegten bereits seit Gründung der Bulgarischen Arbeiterpartei 1903 enge Kontakte zu Russland, sympathisierten mit den kommunistischen Revolutionären der Sowjetunion und gehörten zu den Gründungsmitgliedern der Kommunistischen Internationale (1919). Die Vaterlandsfront übernahm am Ende des 2. Weltkrieges mit Unterstützung der Roten Armee die Macht im Lande. 1948 wurde die Bulgarische Sozialdemokratische Partei (BSDP) mit der Bulgarischen Arbeiterpartei (K) vereinigt und die neue Bulgarische Kommunistische Partei gegründet (BKP), die über vier Jahrzehnte als Staatspartei agierte. Am 10. November 1989 trat schließlich Todor Živkov (1954-1989) als Staatschef und Generalsekretär der BKP zu-rück. Auf einem außerordentlichen Kongress der BKP, die im Zuge von Glasnost und Perestroi-ka seit Mitte der 1980er auch in Bulgarien wesentliche Reformprozesse vollzog, wurden ein neues Manifest und neue Parteistatuten beschlossen. Im März 1990 schließlich änderte sie ihren Namen und heißt seither Bulgarische Sozialistische Partei (BSP). Die BSP versteht sich als die legitime Nachfolgepartei der BKP, übernahm politisch die Verantwortung für die Vergangenheit und suchte seit Beginn der 1990er den gesellschaftlichen Dialog. Mit Beginn der postsozialisti-schen Transformation entstand auch in Bulgarien ein neues pluralistisches Parteiensystem mit einer Vielzahl linker Parteien. Dabei war die Entstehung eines linken und rechten politischen Lagers für den politischen Wettbewerb prägend.

Diese Lagerbildung einerseits und das Selbstverständnis der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) andererseits führten dazu, dass 2001 nunmehr eine breite und zugleich heterogene politische Koalition für Bulgarien (KB) entstand. Dieses Bündnis verhalf neben der BSP zahl-reichen kleinen Parteien zum Einzug ins Parlament: So ist beispielsweise die zunächst in Kon-kurrenz zur BSP wieder gegründete Kommunistische Partei Bulgariens (KPB), die bei den Par-lamentswahlen 1994 und 1997 jeweils nur knapp ein Prozent der WählerInnenstimmen erzielte, nun Teil der Koalition. Andere Koalitionspartner entstammen eher dem konservativen bäuerli-chen Milieu (Bulgarischer Bauernvolksbund, Alexander Stamboliiski, BZNS-AS)1 oder ökolo-gischen Bewegungen wie die Grüne Partei Bulgariens (ZP). Zu dem aktuellen Bündnis „Koali-tion für Bulgarien“ (KB) gehört auch die Partei der Bulgarischen Sozialdemokraten (PBSD), die sich nach mehreren Parteispaltungen herausgebildet hat und sich als historische Wiederbegrün-dung der Bulgarischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei von 1891 versteht. Zuvor, bis

ein-1 Der Bulgarische Bauernvolksbund (BZNS) agierte bis 1989 als Blockpartei, nach 1990 kam es zu mehreren Par-teispaltungen bzw. Neugründungen unter diesem Namen.

schließlich der Wahlen 19972, war die Bulgarische Sozialdemokratische Partei (BSDP) Teil der antikommunistischen Union der Demokratischen Kräfte (SDS).

Jenseits dieses aktuell bestehenden Bündnisses existierten in den vergangenen Jahren weitere linke und sozialdemokratische Parteien, wie beispielsweise die Union „Sozialdemokratie“3, die Marxistische Bulgarische Kommunistische Partei4, die Alternative Sozialistische Partei sowie die Bulgarische Sozialdemokratische Union (BSS) und andere. Hinzu kommen einige kommu-nistische Gruppierungen wie der politische Kreis Zora oder die Nationale Patriotische Union Vaterland, die den Prozess der Sozialdemokratisierung der BSP kritisieren. Sie vertreten teilwei-se nationalistische Positionen und sind dem späten bulgarischen Staatssozialismus verbunden.

Keine dieser Parteien erzielte je nennenswerte Wahlerfolge, auch nicht als sie sich 2001 zu der Koalition Nationalpatriotische Union Vaterland und Linke (Koalicija Nacionalen Patriotičen Săjuz Otečestvo i Levica) zusammenschlossen. Sie erreichten nur 0,5 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Diese politischen Gruppierungen stehen inzwischen teilweise auch der populistischen, rechts-radikalen ATAKA nahe. All diese Splittergruppen erzielten keine eigenständigen Wahlerfolge und konnten auch als außerparlamentarische Opposition keinen Einfluss ausüben. Die einzige Ausnahme stellt in diesem Kontext die Eurolinke dar. Sie wurde im Kontext der Unruhen 1997 und dem Sturz der Regierung von ehemaligen Mitgliedern der Bulgarischen Sozialistischen Par-tei gegründet, die dem sozialdemokratischen Flügel der ParPar-tei nahe standen. Bei den Parla-mentswahlen 1997 erzielten die Eurolinken mit 5,5 Prozent einen einmaligen relativen Wahler-folg. Doch schon drei Jahre später kam es zu weiteren Abspaltungen, und auch diese Partei(en) blieben künftig so erfolglos wie die anderen Splittergruppen auch.

Aus der linksorientierten, ökologischen Bewegung ist 2008 eine neue Grüne Partei (Zelenite) entstanden. Neben den sozialen Fragen, die in dem Programm thematisiert werden, engagieren sich die AktivistInnen primär für spezifische Umweltprobleme (beispielsweise für den Baustopp neuer Skianlagen im Naturschutzgebiet Pirin), die nicht zuletzt durch wirtschaftliche Interessen immer wieder in Gefahr geraten. Die Grüne Partei hat 2008/09 verschiedene Demonstrationen gegen die aktuelle Regierungspolitik und die damit verbundenen sozialen Härten und Korrupti-on initiiert bzw. mit organisiert. Die DemKorrupti-onstrantInnen stellten eine heterogene Gruppe aus Leh-rerInnen, Studierenden, RentnerInnen und ÖkoaktivistInnen dar. Globalisierungskritische Orga-nisationen sind in Bulgarien bislang nicht etabliert. Seit Beginn der 1990er existiert eine aktive anarchistische Bewegung, die Föderation der Anarchisten in Bulgarien. Neben der revolutionä-ren Umgestaltung der Gesellschaft engagierevolutionä-ren sie sich in sozialen Fragen wie etwa Lohnniveau und schlechte Arbeitsverhältnisse.

Es gibt eine Vielzahl von Frauenorganisationen (zum Beispiel Bulgarian Gender Research Foundation oder Center of Women’s Studies and Policies), die sich schwerpunktmäßig mit Ge-walt gegen Frauen, Menschenhandel und Prostitution beschäftigen. Einige dieser Organisatio-nen fokussieren zudem auf soziale Belange wie Armutsentwicklung bei Frauen oder ethnische Diskriminierung von Roma sowie auf politische Partizipation von Frauen. Die meisten dieser Organisationen sind innerhalb und außerhalb von Bulgarien gut vernetzt. Politische Parteien

ge-2 Vor den Wahlen 1991 spaltete sich die SDS in drei Parteien auf. Die BSDP gehörte der SDS-Mitte an und schaffte den Einzug ins Parlament nicht.

3 Diese wurde 1997 aus dem sogenannten Vereinigten Block für Arbeit (OBT) und Teilen der BSDP gegründet

4 Abspaltung von der BSDP 1998, gehörte zur Koalition der Vereinigten Demokratischen Kräfte (ODS).

hören weniger zu ihren Bündnispartnern, dennoch versuchen diese Organisationen durch Lob-bying Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess zu nehmen.

Die beiden zentralen bulgarischen Gewerkschaften Podkrepa und die Konföderation der Un-abhängigen Gewerkschaften Bulgariens (KNSB) sind nicht parteipolitisch gebunden oder orga-nisiert. Vielmehr hat sich schon früh der Nationale Rat für sozialpartnerschaftliche Zusammen-arbeit (Tripartite) herausgebildet, in dem die Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen gemeinsam mit der jeweiligen Regierung verhandeln.

Abbildung 1: Wahlergebnisse linker Parteien bei Parlamentswahlen seit 1990

Quelle: Autengruber 2006, Baeva/Kalinova 2009.

Das Mobilisierungspotential linker Parteien stellt sich in Bulgarien sehr ambivalent dar. Wäh-rend kurz nach dem Systemwandel die BSP mehr als die Hälfte der WählerInnenstimmen ge-wann (52,7 Prozent), erreichte sie trotz zahlreicher Bündnispartner 2001 letztlich nur noch 17,2 Prozent. Dieser Stimmenverlust hängt insbesondere mit der starken Wählervolatilität zusam-men, die den beiden politischen Lagern jeweils zu unterschiedlichen Zeiten Wahlerfolge bzw.

-misserfolge bescherte. Insgesamt betrachtet ist für die Entwicklung des postsozialistischen Par-teiensystems in Bulgarien bis 2001 die Bildung zweier konkurrierender Lager charakteristisch.

Der Wettbewerb zwischen diesen beiden Blöcken, der im Wesentlichen auf strategischen Moti-ven und historischen Vorbehalten und weniger auf unüberwindbaren programmatischen Diffe-renzen beruhte, begünstigte die Entstehung von Wahlbündnissen und Regierungskoalitionen.

Innerhalb dieser Bündnisse gelang es wiederum kleinen Parteien wie der Politischen Bewegung Sozialdemokraten, oder auch der bäuerlichen Partei Bulgarischer Bauernvolksbund unter Alek-sander Stamboliiski (BZNS-AS) Parlamentsmandate zu erringen, die de factoals einzelne Par-teien erfolglos geblieben wären.

Die Regierungen im Bulgarien der 1990er zeichneten sich durch große Instabilität aus, ausgelöst durch das bipolare Kräfteverhältnis der Parteienlandschaft. Besonders die sich als antikommu-nistische Alternative definierende Union der Demokratischen Kräfte (SDS) verweigerte jegliche Zusammenarbeit mit der BSP, die trotz ihres Wahlsiegs 1990 ein breites Regierungsbündnis an-strebte. Zwei Mal (1994 und 1997) kam es zu vorgezogenen Neuwahlen sowie Regierungsum-bildungen während der Legislaturperiode (1992), wobei sich nicht selten unterschiedliche Strö-mungen innerhalb der beiden großen Parteiblöcke BSP und SDS abspalteten und die Regie-rungsverantwortung als technische Koalition übernahmen (1992-1994; 1994-1995). Die Partei der türkischen Minderheit Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS) spielte dabei das Züng-lein an der Waage.

Die BSP übernahm von 1990-1991 und von 1995-1997 die Regierungsverantwortung und lavierte besonders bei der zweiten Regierungsübernahme zwischen wirtschaftlichen Reformen und Stagnation und einer schleppenden Privatisierung, welche in einer Finanzkrise 1997 münde-te und die BSP nach (gewaltsamen) gesellschaftlichen Promünde-tesmünde-ten zum Rücktritt zwang. Die BSP verharrte bis 2005 in der Opposition. Die Regierungskoalition aus BSP, der Nationalen Bewe-gung Simeon II. (NBSII)5 und DPS verdeutlicht, dass die bipolare Lagerbildung nach 2001 an Bedeutung verloren hat und die BSP nunmehr als Koalitionspartner für ein Mitte-Rechts Bünd-nis akzeptabel ist. Diese Entwicklung wurde erst möglich, als sich die Parteienlandschaft durch die Wahlerfolge der Nationalen Bewegung Simeon II. (NBSII) im Jahre 2001 und 2005 durch den Einzug der rechtsradikalen ATAKA änderte. Jedenfalls waren die langjährigen Bemühungen der BSP um Bündnisse mit Parteien des anderen Lagers nun erstmals erfolgreich.

Im bulgarischen Parteiensystem sind also in den vergangenen zwanzig Jahren Anzeichen für Stabilität wie auch Instabilität erkennbar: Einerseits ist die Wählervolatilität sehr hoch und die Parteiorganisationen, insbesondere jene der kleinen Parteien, instabil. Es wurden zahlreiche neue Parteien gegründet bzw. bestehende Parteien gespalten. Politische Allianzen, die in Zeiten des Wahlkampfes gegründet wurden, hielten oft nicht lange und waren – nach einer verlorenen Wahl – nie eine Basis für gemeinsame Oppositionsarbeit. Außerdem kam es mehrfach zu früh-zeitigen Regierungsrücktritten sowie vorgezogenen Neuwahlen. Die Stabilität hingegen bestand einerseits in der organisatorischen und wahlpolitischen Stärke der Sozialistischen Partei Bulga-rien (BSP) sowie in der Bipolarität des Parteiensystems, die bis 2001 den Parteienwettbewerb dominierte und zuweilen allerdings auch relevante Entscheidungsprozesse lähmte.

Diese politische Lagerbildung spiegelt sich in begrenztem Maße auch in den politischen Ein-stellungen der BürgerInnen wider: Generell sind zwar die Anteile der BulgarInnen, die sich in der politischen Mitte verorten, am höchsten, vergleichsweise sind diese Anteile dennoch niedrig, und es zeichnet sich insgesamt eine breite Streuung der Selbsteinordnung der BulgarInnen auf der Links-Rechts-Skala ab.

5 Inzwischen heißt die Partei Nationale Bewegung für Stabilität und Fortschritt (NDSV).

Tabelle 1: Selbstpositionierung der BürgerInnen

links 2 2 4 5 6 7 8 9 rechts

Frauen 7,1 5,7 5,7 3,7 21,6 22,1 7,5 10,6 6,5 8,2 100%

Männer 5,8 3 3 9,1 15,6 19,1 12,2 9 4,6 13 100%

total 6,4 4,3 4,3 6,6 18,4 20,5 10 9,8 5,5 10,7 100%

Quelle: European Values Survey Bulgaria (1999-2004); eigene Berechnungen. N = 673. Angaben in Prozent.

Die Zurückhaltung der BürgerInnen, sich als explizit links zu deklarieren, deckt sich allerdings nicht mit der Zustimmung zu spezifisch linken Projekten. Rund zwei Drittel der BulgarInnen sind der Meinung, dass ein Ausgleich der im Postsozialismus neu entstandenen Einkommensun-terschiede sehr wichtig bzw. wichtig sei (64,6 Prozent).

In Bezug auf die Rolle des Staates in der Wirtschaft ist die Gesellschaft, ähnlich wie die Par-teienlandschaft, polarisiert: Während 19 Prozent der Befragten den Firmen größtmögliche Frei-heiten zugestehen, verlangen 16,5 Prozent eine rigide staatliche Kontrolle.6 Ähnlich gespalten ist die Lage bezüglich der sozialstaatlichen Aufgaben des Staates. Während 10 Prozent hier in erster Linie die BürgerInnen selbst in der Pflicht sehen, sehen 15 Prozent der Befragten hierin eine klassische Aufgabe des Staates.7 Linke Positionen finden also, einer schwankenden Wäh-lerbasis und geringen Selbstpositionierung im linken Spektrum zum Trotz, durchaus die Zu-stimmung der BürgerInnen. Gleichzeitig wird auch in politischen Sachfragen eine gewisse Pola-risierung der Positionen zwischen links und rechts sichtbar.

Auch die programmatische Ausrichtung der Linken war in den vergangenen Jahren von der Konkurrenz der beiden politischen Lager geprägt, in der die Linke insbesondere mit antikom-munistischen Slogans angegriffen wurde. Durch die Bildung von Wahlbündnissen und Koalitio-nen mit der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) sahen sich letztlich auch sozialdemokrati-sche und neue linke Parteien dieser Kritik ausgesetzt, die mit dem sozialistisozialdemokrati-schen Bulgarien in keiner Verbindung bzw. ursprünglich in Opposition zur BKP standen. Diese konfrontative Poli-tik stellte insbesondere für die Sozialdemokratie eine Zerreißprobe dar und führte zur Gründung zahlreicher Splitterparteien, die teils mit der BSP kooperierten, teils mit dem konservativen La-ger gegen die BSP agierten, und letztlich eigene Wahlerfolge jenseits der Koalitionen nachhaltig verhinderten. Prägend waren darüber hinaus die mit der Transformation verbundenen gravieren-den wirtschaftlichen Probleme, die u.a. 1996/97 zu gewalttätigen Ausschreitungen führten sowie der Prozess der europäischen Integration. Insofern besteht die strategische Gemeinsamkeit der Linken insbesondere in der Bündelung der Interessen innerhalb einer – wenn auch in sich hete-rogenen – Kraft.

Die programmatische Vielfalt der Linken bildet sich jedoch nicht nur in den unterschiedlichen Ausrichtungen der Parteien ab, sondern auch in verschiedenen Plattformen innerhalb der BSP,

6 World Values Survey 1999: Frage: The state should give more freedom to firms vs The state should control firms more effectively (Skala 1The state should give more freedom to firms – 10 The state should control firms more effectively, im Text nur 1 bzw. 10 angeführt).

7 World Values Survey 1999: Frage: People should take more responsibility to provide for themselves vs The go-vernment should take more responsibility to ensure that everyone is provided for (Skala 1-10, im Text nur 1 bzw. 10 angeführt).

zu denen unter anderem die Bewegung für Vereinigung und Entwicklung, die Alternative Sozi-alistische Vereinigung, die Allianz für Soziale Demokratie, die so genannte „Road to Europe“, die Marxistische Plattform, die Marxistische Alternative, das Offene Forum sowie die Sozial-demokratische Union gehören. Sie ist zudem die einzige Partei, welche in ihren Statuten ideolo-gischen Pluralismus verankert hat und weit reichende Regeln zur internen Demokratie formu-liert.

Demzufolge war die programmatische Neuausrichtung der Partei in den vergangenen zwan-zig Jahren von der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit als Staatspartei einerseits und der zuweilen schwierigen Suche nach einem parteiinternen Konsens andererseits geprägt.

Was die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) von anderen kleinen Parteien der linken Mitte unterscheidet, ist ihr Selbstverständnis als marxistische Partei und Partei des demokratischen Sozialismus sowie ihre antikapitalistische Kritik. Die BSP legt Wert darauf, zivilgesellschaftli-che Kräfte in diese Diskussion mit der Partei einzubinden. Eine so genannte „Bürger-Quote“8 soll dazu dienen, Nicht-Mitglieder über die BSP-Liste in das Parlament wählen zu lassen. Die BSP steht außerdem für soziale Gerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit ein. Allerdings liegt die Koalition für Bulgarien mit 18 Prozent Frauenanteil bei den Abgeordne-ten unter der durchschnittlichen Frauenquote im bulgarischen Parlament (22 Prozent). 2005 wurde eine Frauenorganisation innerhalb der BSP wieder neu gegründet. Im 21-köpfigen Partei-vorstand sitzen derzeit 7 Frauen. Die historische Bulgarische Sozialdemokratische Partei (BSDP) und andere sozialdemokratische Splittergruppen stehen hingegen für soziale Marktwirt-schaft und befürworteten im Gegensatz zur BSP bereits zu Beginn der 1990er einen möglichst schnellen Integrationsprozess in der Europäische Union.

Die Transformation und die europäische Integration verlangten allen politischen Kräften Bulgariens einen neoliberalen Wirtschaftskurs ab, der zu einer Verarmung breiter Schichten so-wie zu einer wachsenden Diskrepanz zwischen Arm und Reich geführt hat. Dies führte u.a. da-zu, dass die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) in Regierungsverantwortung zuweilen im Widerspruch gegen ihre eigenen programmatischen Ziele handelte. So hat sie beispielsweise die Privatisierung und den Abbau des Sozialstaates zwischen 1995 und 1997 maßgeblich vorange-trieben. Gerade dieser Widerspruch löste parteiinterne Konflikte sowie eine Eskalation des poli-tischen Konfliktes in Massendemonstrationen 1996/97 mit aus. Generell zeichnet sich darüber hinaus ein problematisches Verhältnis der BürgerInnen zur politischen Elite in ihrer Gesamtheit ab. Die politische Elite wird nicht selten mit Klientelismus gleichgesetzt und steht unter dem (nicht unbegründeten) Verdacht der Selbstbereicherung und Korruption. So äußerten 72 Prozent der Befragten, dass sie (sehr) wenig Vertrauen in das Parlament haben. Fast drei Viertel der Be-fragten haben (sehr) wenig Vertrauen in das Sozialversicherungssystem.9

Die bulgarische Linke kann einen wichtigen Beitrag zur Vertiefung der Beziehungen zu ande-ren Ländern des postsozialistischen Raumes, insbesondere den Nachfolgestaaten der UdSSR leisten. Die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) versteht sich dabei selbst in einer Brücken-funktion zwischen dem industrialisierten Westen und dem rückständigen Osten Europas. In die-sem Zusammenhang spielen die derzeit engen Beziehungen zu Russland wiederum eine zentrale

8 Diese BürgerInnen müssen Experten oder anerkannte öffentliche Personen sein. Bei den Wahlen 2005 wurden 20 Prozent der BSP-Listenplätze an BürgerInnen vergeben, die nicht BSP-Mitglieder waren.

9 Vgl. European Values Survey Bulgaria (1999-2004).

Rolle. Außerdem fordern insbesondere die Regierungsmitglieder der Bulgarischen Sozialisti-schen Partei (BSP) eine neue Donauraumstrategie der EuropäiSozialisti-schen Union.

Quellen und weiterführende Literatur

Autengruber, Christian: Die politischen Parteien in Bulgarien und Rumänien. Eine vergleichende Analyse seit Be-ginn der 90er Jahre, Stuttgart 2006.

Baeva, Iska / Kalinova Evgenia: Bulgarien von Ost nach West, Wien 2009.

Büchsenschütz, Ulrich / Georgiev, Ivo: Nationalismus, nationalistische Parteien und Demokratie in Bulgarien seit 1989, in: Südosteuropa 50/4-6 2001, S. 233-262.

Glass, Christy M.: Gender and Work during transition: Job loss in Bulgaria, Hungary, Poland and Russia, in: East European Politics and Society 22/4 2008, S. 757-783.

Karasimeonov, Georgi: The Crisis of the First Post-communist Party System in Bulgaria. Paper presented at the ECPR 2004 JOINT SESSIONS OF WORKSHOPS April 13-18 2004 Uppsala, Sweden. http://www.essex.ac.uk/

ecpr/events/jointsessions/paperarchive/uppsala/ws2/Karasimeonov.pdf

Karasimeonov, Georgi: Internal Party Democracy. The Case of Four Major Political Parties. In: Friedrich-Ebert-Stiftung / Karasimeonov, Georgi (Hrsg.): Organizational structures and internal party democracy in South Eastern Europe, Sofia 2005, S. 96-113.

Meznik, Michael: Extremismus in Bulgarien. Zwischen verspätetem Rechtsextremismus und verschwundenem Linksextremismus, in: Jesse, Eckhard/Thieme, Tom (Hrsg.): Extremismus im vereinten Europa (im Erscheinen).

de Nève, Dorothée: Koalitionen in Albanien, Bulgarien und Rumänien: Überwindung des régime divide mit Hin-dernissen, in: Kropp, Sabine/Schüttemeyer, Suzanne S./Sturm, Roland (Hrsg.): Koalitionen in West- und Osteuropa.

Opladen 2002. S. 301-342.

de Nève, Dorothée 2002: Sozialdemokratische und sozialistische Parteien in Südosteuropa. Albanien, Bulgarien und Rumänien 1989-1997, Opladen 2002.

Riedel, Sabine: Das politische System Bulgariens, in: Ismayr, Wolfgang (Hrsg.): Die politischen System Osteuro-pas, Opladen 2005, S. 593-636.

Spirova, Maria: Europarties and party development in EU-candidate states: The case of Bulgaria, in: Europe Asia Studies 60/5, 2008, S. 791-808.

Links:

http://www.a-bg.net/ Föderation der Bulgarischen Anarchisten http://www.ataka.bg/ATAKA

http://www.bgrf.org/ Bulgarian Gender Research Foundation http://www.bsp.bg/Bulgarische Sozialistische Partei

http://www.bulgariangreens.org Die Grünen

http://www.bznsas.org/ Bulgarischer Bauernvolksbund Alexander Stamboliiski http://www.cwsp.bg/htmls/home.php Center of Women’s Studies and Policies http://www.dps.bg/Bewegung für Rechte und Freiheiten

http://www.greenparty.bg/ Grüne Partei Bulgariens

http://www.knsb-bg.org/knsb/ Konföderation der Unabhängigen Gewerkschaften Bulgariens (KNSB)

http://www.ndsv.bg/ Partei Nationale Bewegung für Stabilität und Fortschritt, vormals Nationalen Bewegung Si-meon II. (NBSII)

http://www.pbs-d.bg/ Partei der Bulgarischen Sozialdemokratie http://www.podkrepa.org/content/ Gewerkschaft Podkrepa http://www.sds.bg/ Union der Demokratischen Kräfte http://www.socialdemocrati.org Politische Bewegung

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