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Die Reform des öffentlichen Rechnungswesens in der Schweiz – mehr als die Einführung eines Rechnungsstils

Zweistufige Haushaltsreform in der Schweiz Auslöser der Haushaltsharmonisierung war vor al-lem der bundesstaatliche Finanzausgleich. Vorab die

„Zahler-Kantone“ forderten mehr Transparenz der Haushaltsdaten. Dabei ist zu unterstreichen, dass die Rahmenbedingungen für eine nationale Haushaltsre-form teilweise anders als in Deutschland sind. Der Bund besitzt keine Kompetenz, das Haushaltswesen der Kantone und Gemeinden zu steuern. Haushalts-recht ist ausschliesslich kantonales Recht. Im Unter-schied etwa zum Bildungswesen wurde auch nicht versucht, durch eine interkantonale Vereinbarung ein verbindliches Rahmenrecht – zumindest für die Ver-tragskantone – zu schaffen. Die zuständlge interkan-tonale Fachkonferenz, die Konferenz der Kaninterkan-tonalen Finanzdirektoren entschied daher schon in den acht-ziger Jahren, sich auf eine Empfehlung zu beschrän-ken. Diese Empfehlung wurde in der Folge auch weit-gehend auf kantonaler und kommunaler Stufe be-folgt. Die meisten Kantone sehen aber vor, dass das kommunale Rechnungswesen kantonalrechtlich be-schlossen wird. An dieser Regelung wurde in beiden Phasen der Haushaltsreform festgehalten.

Die Schweizer Haushaltsreformen liefen in zwei Pha-sen ab:

• Einführung der Doppik und Haushaltsrechtshar-monisierung der Kantone und Gemeinden (NRM) und

• Anpassung an IPSAS, Ausbau der Kostenrechnun-gen (KOLIBRI) und Weiterentwicklung des NRM Haushaltsrechts für die wirkungsorientierte Ver-waltungsführung (WOV)

Haushaltsharmonisierung 1978 der Kantone und Ge-meinden:

• Einführung der Doppik und

te über die Notwendigkeit dieses Schrittes voraus.

Die Doppik setzte sich vor allem aus fünf Gründen durch:

1. Schwer erklärbare Kameralistik im Vergleich zur bekannten kaufmännischen Doppik

2. Bessere Vergleichbarkeit mit bereits doppischen Buchführungssystemen der staatlichen und kom-munalen Anstalten

3. Bessere Vergleichbarkeit der Rechnungen als Grundlage für den Finanzausgleich

4. Erhöhung der Kostentransparenz durch Systema-tische Integration der internen Verrechnungen (interne Verrechnung von Kapitalkosten und Personalversicherungsbeiträgen usw.)

5. Einsparungen durch doppische Standardsoft-ware

Das NRM weist folgende Hauptmerkmale auf:

1. Einheitlicher Ausgaben- und Investitionsbegriff 2. Einführung der Doppik mit einheitlichem

Kontenrahmen

3. Förderung des Kostendenkens durch interne Verrechnungen

4. Modellgesetz für das Haushaltswesen

Das Rechnungsmodell enthält eine Laufende Rech-nung (ErfolgsrechRech-nung) und eine Investitionsrech-nung (vgl. Abbildung 1). Die Laufende RechInvestitionsrech-nung ist praktisch eine Erfolgsrechnung im kaufmänni-schen Sinne. Die Investitionsrechnung umfasst die jährlichen bilanzwirksamen Investitionen. Sie

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Die Doppik in den verschiedenen Verwaltungsebenen 82

• Weiterentwicklung des NRM Haushaltsrechts für die wirkungsorientierte Verwaltungsführung (WOV)

• Anlehnung an und Übernahme von IPSAS

• Einführung von IPSAS beim Bund

Mit dem Übergang zum HRM sollen neu auch die Be-wertungsvorschriften im Sinne von IPSAS harmoni-siert werden. Wichtig ist auch, dass der Bund IPSAS eingeführt hat, das in „Reinform“ heute vom Bund und den Kantonen Zürich und Genf angewandt wird.

Weitere Kantone werden folgen.

Vor allem mit dem Teilprojekt KOLIBRI (Kosten-, Leistungs- und integrierte Berichterstattung mit In-dikatoren) sowie Ansätzen zu einem nationalen Pro-duktekatalog soll die Vergleichbarkeit der öffentli-chen Haushalte nochmals erheblich erhöht werden;

allerdings ist das System noch teilweise kontrovers und für umfassende Vergleiche ungenügend geregelt.

betrag im jeweiligen Konto. Diese Zweiteilung ist in-sofern wichtig, als Investitionen in der Schweiz teil-weise auf dem Budgetweg bewilligt werden. Zudem befindet das Parlament oder die Gemeindeversamm-lung die Jahrestranchen und Prioritäten für einzelne Vorhaben.

Die internen Verrechnungen sind eine Besonder-heit des NRM. Mit ihnen werden Aufwendungen z.B.

von Sammelkonten auf einzelne „Produkte“ über-tragen. Da sich die Soll- und Haben- Beträge stets ausgleichen müssen, sind Verrechnungen nicht di-rekt bilanzwirksam. Sie reduzieren oder lösen aber das Sammelkonto praktisch auf, weil die Wertberich-tigungen gemäss Verrechnungskonten in die Bilanz übertragen werden.

Die folgende Abbildung illustriert diesen Mechanis-mus. Im kameralen Modell wurden jeweils in einem

„Produkt“ nur die direkt anfallenden Zahlungen ver-bucht (z.B. Löhne). Im NRM werden über Verrech-nungen den „Produkten“ auch Lohnnebenkosten wie Rückstellungen für Renten,

Zin-sen auf dem investierten Kapital oder Abschreibungen zugerechnet, sodass sich der Aufwand den Kosten des Pro-dukts annähert. Damit können auf-wändigere Kostenrechnungen vermie-den wervermie-den, deren Verbreitung in vermie-den 80-er Jahren noch gering war. Dieser Modellteil hat massgeblich zur Stei-gerung des Kostenbewusstseins bei-getragen.

Haushaltsharmonisierung 1998 (HRM)

• Ausbau und Harmonisierung der Kostenrechnungen (KOLIBRI)

Abb. 1: Neues Rechnungsmodell (NRM) – Ablösung Kameralisitik durch Doppik (Kantone und Gemeinden)

Abb. 2: Förderung des Kostendenkens

Dritter Sektor und Europa 83

Integration der Haushalts- und Verwaltungsführung

Da mit der Umsetzung dieser Ziele nicht nur eine Haushaltsreform sondern eine Reform des Füh-rungssystems der öffentlichen Verwaltungen verbun-den ist, sind die Ansprüche wesentlich komplexer.

Deshalb wurde von Bund und Kantonen ein Rech-nungslegungsgremium eingesetzt, das laufend Prä-zisierungen und ergänzende Empfehlungen veröf-fentlicht. Es ist aus Fachleuten des Bundes, der Kantone und der Wissenschaft zusammengesetzt (Conseil Suisse de présentation des comptes pub-lics, vgl. www.SRS CSPCP). Dieses Gremium hat be-reits über 20 Empfehlungen und Ergänzungen er-lassen.

Soweit die inhaltliche Modernisierung der Haus-haltsführung betroffen ist, lehnen sich das überar-beitete Haushaltsrecht und die Umsetzungsempfeh-lungen an das New Public Management (in Deutsch-land „Neues Steuerungsmodell“ und in der Schweiz

„Wirkungsorientierte Verwaltungsführung“ [WOV]) an. Hier liegen denn auch Schwierigkeiten. Eine kon-sequente Umsetzung beschränkt in starkem Masse die Organisationsautonomie der öffentlichen Körper-schaften, wogegen sich diese teilweise wehren. Ein weiteres Problem stellen die laufenden Anpassungen an die Empfehlungen des SRS-CSPCP dar, die teil-weise den Beizug externer Experten erfordern. Die Folge ist, dass eine sinkende Zahl von Gemeinwesen die laufenden Anpassungen vornimmt und auf den

„Abschluss“ des Modells wartet. Damit wird der na-tionale Harmonisierungsstand unübersichtlich, zu-mal das System wegen des Fehlens einer Bundes-kompetenz vom zwar grossen, aber begrenzten Good-will der Kantone und Gemeinden abhängt.

Zwar hat sich die Wirkungsorientierte Verwaltungs-führung (WOV) eher als Rahmenmodell mit erheb-lichen Abweichungen bei der Umsetzung erfreu-lich durchgesetzt und einen Kulturwandel im fentlichen Sektor bewirkt. Die Transparenz der öf-fentlichen Haushalte, der Leistungsergebnisse und Kosten wurden erhöht. Das Öffentlichkeitsprinzip (Pflicht zur Herausgabe von Akten) wurde massiv ausgeweitet.

Allerdings bestehen teilweise neue Probleme. Die erhöhte operative Autonomie kann zu politisch heik-len Delegationsproblemen führen, weil in der

Po-Kostendaten erreicht. Teilweise wird auch die zu-sätzliche Bürokratisierung der Informationssysteme kritisiert. Handlungsbedarf besteht auch bei der Konsolidierung und Beteiligungsberichterstattung.

Voluminöse Dokumente überfordern die Politik und die Oeffentlichkeit. Viele Gemeinwesen sind noch auf der Suche nach den geeigneten Kommunikati-onsformen.

Im Vergleich zu Deutschland ergeben sich wesentli-che Unterschiede. Die Anlehnung erfolgt an IPSAS und nicht an das HGB. Die Kameralistik und erwei-terte Kameralistik sind in der Schweiz flächende-ckend aufgegeben. In der Schweiz werden die Per-sonalversicherungen ausgegliedert und nicht durch Rückstellungen finanziert. Die Verwaltungsrechnung besteht aus drei Teilen: Laufende Rechnung, Investi-tionsrechnung und Vermögensrechnung. Gemeinsam ist jedoch eine steigende, integrierte Managemento-rientierung des Haushalts- und Berichtswesens. Um-setzungsunterschiede zwischen Ländern und Kom-munen bestehen in beiden Staaten.

Allgemeine Empfehlungen zur Reformstrategie Zum Schluss elf Merksätze, die bei der Reform auf-grund der Schweizer Erfahrungen beachtet werden sollten:

1. Die oberste Verwaltungsbehörde muss die Reformen unterstützen (Machtpromotion).

2. Projektleiter mit interdisziplinärer Kompetenz (Rechnungswesen und Verwaltungsmanagement) einsetzen.

3. Bei Kommunen auf massvolle Regulierung achten (keine dicken Handbücher).

4. Kurze, benutzergerechte Dokumentationen für die Kommunikation bereitstellen.

5. Massgeschneiderte einfache Lösungen (80/20 % Regel!) zulassen.

6. Generelle Inkraftsetzung erst nach Abschluss und Test der Systementwicklung (Widerrufe sind verheerend).

7. Umfassendes Kommunikationskonzept mit realistischen Zeitplänen frühzeitig erstellen

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10. Leicht verständliche Modellrechnungen und Präsentationsbeispiele erstellen.

11. Medien auf die Einführung vorbereiten.

In allen Ländern wird die Haushaltsführung integ-rierter mit der Verwaltungsführung und instrumen-tell breiter (Ergebnisrechnung, Kostenrechnung, Glo-balbudgets, Konsolidierungen der Ausgliederungen, Kapitalflussrechnung usw.) Das erfordert viel Ausbil-dung und Ueberzeugungsarbeit für den Nutzen des Mehraufwandes. Allerdings wurden Einsparungsziele nicht immer erreicht. Einzelne Gemeinwesen haben die Einführung von WOV mit einer

„Autonomiedivi-dende“ verbunden, indem mit der WOV-Einführung die Globalbudgets im einige Prozente gekürzt wur-den. Der Einführungsaufwand lässt sich nur recht-fertigen, wenn mit den neuen Instrumenten tatsäch-lich geführt wird. Dabei sind mehrere Rechtsbereiche wie das Personalrecht, die Ausgestaltung der erhöh-ten Autonomie in den Spezialgesetzgebungen und erhebliche Reformen im Parlamentsrecht Dies erfor-dert eine neue Führungs- und Verwaltungskultur, die nicht über Nacht entsteht, aber die in der Schweiz sichtliche Fortschritte gemacht hat. All diese Lern-prozesse brauchen viel Zeit und Ausbildung. Bis zu einer flächendeckenden Einführung und Umsetzung bleibt noch viel zu tun.

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