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Die Bedeutung der Doppik für die Planung und Steuerung einer großen kommunalen Verwaltung

am Beispiel der kreisfreien Stadt Kassel

Die doppelte Buchführung bei der Stadt Kassel:

Am 1. Januar 2006 hat die Stadt Kassel ihre Haus-haltswirtschaft vollständig auf Doppik umgestellt. Zu diesem Zeitpunkt lagen die GemHVO-Doppik und die Verwaltungsvorschriftgen noch nicht vor, deshalb er-folgte in 2009 eine erste Umstellung des Konten-plans. Mit dem Haushalt 2014 wurde nun schon zum neunten Mal ein Haushalt in Form der kaufmänni-schen Buchführung aufgestellt.

Wesentliche Vorteile der doppelten Buchführung:

• Abbildung des gesamten Ressourcenverbrauchs und -aufkommens

• Dezentrale Ressourcenverantwortung

• Nachweis des vollständigen kommunalen Vermögensbestandes – kritische Anmerkungen dazu folgen im weiteren Verlauf des Vortrags

• Erfassung von Aufwand und Ertrag (und damit von Gewinn und Verlust)

• Ermittlung der Abschreibungen

• Periodengerechte Erfassung von Geschäfts- vorfällen

• Erfassung von Kosten und Leistungen

• Schaffung von (Kosten-)Transparenz

Außerdem wird der Generationengerechtigkeit Rech-nung getragen, weil der Werteverzehr des Anlagevermö-gens als Abschreibung gebucht und damit über die ge-samte Nutzungsdauer verteilt wird. Der Werteverzehr wird durch die Doppik nicht verhindert, aber sichtbar gemacht.

Durch die Bildung von Rückstellungen wird die Belas-tung durch die Altersbezüge für spätere Generationen deutlich.

Weitere Argumente für die Einführung der

• Der wirtschaftliche Sachverstand ehrenamtlich Tätiger kann leichter mobilisiert werden.

• Der Ressourcenverbrauch wird wirklichkeits- näher abgebildet.

• Vermögen, Verschuldung und Eigenkapital wer-den als entscheidungsrelevant einbezogen.

Dennoch: Überzogene Erwartungen, wie z. B.

• Steuerung sei über Bilanz und GuV möglich,

• entscheidungsrelevante Informationen führten automatisch zu rationalen Entscheid- ungen oder

• produktorientierte Budgetierung eröffne neue Handlungsspielräume

können zu Frustration und Ablehnung führen:

• In großen Städten eignen sich Bilanz

und GuV nur zu hoch abstrahierten Strategien.

Abb. 1: Bilanzsummen zum 31.12.2011 – Stadt Kassel, Gesund-heit Nordhessen Holding AG, Kasseler Verkehrs- und Versorgungs-GmbH Konzern KVV, Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Kassel mbH

Die Doppik in den verschiedenen Verwaltungsebenen 46

AWV-INFORMATIONEN Spezial 4/2016 Problematik bei der Eröffnungsbilanz:

• stark divergierende Begrifflichkeiten

• uneinheitliche Bewertungsvorschriften

• übertriebener Perfektionsanspruch führt zu aus-uferndem Aufwand bei nur scheinbar steigender Genauigkeit

Problematik bei GuV:

• abweichende Begrifflichkeiten,

• tatsächlicher Ressourcenverbrauch durch politi-sche Vorgaben nicht wirklichkeitsgerecht abgebil-det (z. B. Abzinsungsfaktor bei Pensionsrückstel-lungen),

• Zielvorgaben divergieren

Bestandteile des doppischen Haushalts- und Rechnungswesens:

• Erfolgs- und Ergebnisrechnung/Ergebnishaus-halt a entspricht der kaufmännischen GuV, Er-träge werden Aufwendungen der Kommune ge-genüber gestellt

• Finanzrechnung/Finanzhaushalt a Darstellung des Geldverbrauchs (Finanzmittelströme = Ein-zahlungen und AusEin-zahlungen) während der be-trachteten Haushaltsperiode

• Bilanz/Vermögensrechnung a Darstellung von Vermögen, Schulden und Eigenkapital

Im Zuge der Einführung der Doppik wurden bei der Stadt Kassel Budgets eingeführt. Diese Bud-gets umfassen einen vorgegebenen

Finanzrah-men, der einer Organisationseinheit (Fachamt/De-zernat) zur selbständigen und eigenverantwortlichen Mittelbewirtschaftung zugeordnet ist.

Produkthaushalt:

• In Kassel gibt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keinen Produkthaushalt.

• Um einen Produkthaushalt nach seiner Einfüh-rung mit den entsprechenden erforderlichen In-formationen ausstatten zu können, werden Pro-duktbeschreibungen, Ziele und Kennzahlen er-forderlich. Dieser Prozess ist bei der Stadtverwal-tung Kassel noch nicht abgeschlossen.

• Die Stadt Kassel hat jedoch im Jahr 2013 begon-nen, diese Bestandteile zu erstellen und zu defi-nieren, um alle erforderlichen Vorarbeiten mög-lichst gebündelt abschließen zu können.

• Einzelne Produkte finden sich jedoch bereits jetzt in den (ämterbezogenen) Teilhaushalten wieder (s. Abbildung 2).

• Für die Erstellung eines Produkthaushalts sind grundsätzlich die gleichen Vorarbeiten und Erfas-sungsarbeiten wie für den – vorhandenen – organi-sationsbezogenen Haushalt notwendig. Aufgrund der nochmaligen Umstellung des Kontenrahmens und den damit einhergehenden technischen Vor-gängen, Bindung von personellen Ressourcen so-wie entstehenden Kosten hat sich die Stadt Kas-sel auf Empfehlung der ekom 21 entschieden, die Umsetzung des Produkthaushalts erst nach Umstellung des Kontenrahmens vorzunehmen.

Andernfalls wären die bereits durchgeführten Maßnahmen noch einmal erforderlich und auch die Kosten würden doppelt anfallen.

Abb. 2: Produkte in Teilhaushalten der Stadt Kassel.

Kommunale Ebene 47

Kosten- und Leistungsrechnung (KLR):

• dient der Unterstützung der Verwaltungssteuerung und der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit bei der Aufgabenerfüllung

• Bestandteile sind

– Kostenartenrechnung (Welche Kosten ent- stehen? Z. B. Personal- oder Sachkosten) – Kostenstellenrechnung (Wo sind die Kosten

angefallen? Z. B. in welcher Kita?)

– Kostenträgerrechnung (Wofür sind die Kosten angefallen? Z. B. konkrete Kosten eines Kita- Platzes in Kita XY)

• Kosten und Leistungsrechnung ist nach den ört-lichen Bedürfnissen zu entwickeln und somit an unterschiedlichen Strukturen und Informationsbe-dürfnissen auszurichten.

Besondere Rolle der KLR im Rahmen des neuen Haushaltsrechts:

• Bestandteile des externen Rechnungswesens (Bi-lanz, Ergebnisrechnung, Finanzrechnung) richten sich nach Zielgruppen innerhalb und außerhalb der Kommune, z. B. Stadtverordnete, Verwaltung oder Bürger. Sie liefern Informationen über die Struktur des Vermögens sowie über Finanzströme und das Jahresergebnis.

• Die KLR ist ausschließlich ein internes Instru-ment, das sich primär an den Informationsbedürf-nissen der politischen Gremien und der Führungs-kräfte der Verwaltung orientiert.

• KLR setzt wichtiges Ziel des neuen Haushalts-rechts, nämlich die Ermittlung des Ressourcen-verbrauchs der Kommune, um.

• Außerdem stellt sie den Ressourcenverbrauch (Input) in Relation zu den

er-stellten Leistungen (Output) dar.

Aufgaben und Ziele der KLR innerhalb der Verwaltung:

• Genaue Erfassung der Kos-ten und Leistungen nach Ar-ten (also z.B. Personalkos-ten) und ihre Zuordnung zu den Kostenstellen/-trägern in der Verwaltung oder für einen Verwaltungsbereich

• verursachungsgerechte Verteilung der Kosten auf die jeweils zu definierenden Leistungseinheiten (Kostenträger) als Basis für die Kalkulation und die Ermittlung von Preisen oder Gebühren

• Ermittlung von Kostensätzen für die Wirtschaft-lichkeitskontrolle

• Steuerung der betrieblichen Abläufe sowie der übergeordneten Verwaltungsebenen

Wie differenziert die KLR in der jeweiligen Kommune eingesetzt wird, muss sie unter Berücksichtigung der örtlichen Erfordernisse festlegen. In diesem Rahmen können durch eine komfortable KLR über Kostenstel-len und Kostenträger aussagefähige Informationen über das Verwaltungshandeln erlangt und somit eine wirtschaftliche Steuerung der Verwaltungsabläufe er-reicht werden.

Diese Informationen können jedoch nur bedingt Aus-wirkungen auf die kommunalen Dienstleistungen und die Preisgestaltung haben:

• Auch wenn bekannt ist, dass die Stückkosten für das Ausstellen eines Bundespersonalausweises in einer Zweigstelle höher sind als im Zentralen Bürgerbüro, kostet die Dienstleistung den Bürger überall das gleiche, weil die „Preise“ vorgeschrie-ben sind.

• Auch wenn neue Gewerbeflächen ausgewiesen und vermarktet werden, hat dies nur bedingt Ein-fluss auf die Höhe des Gewerbesteuerertrags (ab-hängig von Struktur der angesiedelten Unterneh-men, politischen Entscheidungen auf Bundes- oder EU-Ebene etc., s. Abbildung 3).

• Eine Steuerung über Personalkosten ist im öffent-lichen Dienst in der Regel nicht oder nur schwer möglich.

Die Doppik in den verschiedenen Verwaltungsebenen 48

AWV-INFORMATIONEN Spezial 4/2016

Abb. 4: Gegenüberstellung Kosten-Erträge Verkehrsüberwachung

Abb. 5: Vergleich Zulassungsstellen 2012

Abb. 6: Vergleich der städtischen Kindertagesstätten 2012 (Kosten/Platz in Euro)

Kommunale Ebene 49

Abb. 8: Erträge im Gesamtergebnishaushalt 2014 (Volumen 702,5 Millionen Euro) Abb. 7: Aufwendungen im Gesamtergebnishaushalt 2014 (Volumen 723,6 Millionen Euro)

Die Doppik in den verschiedenen Verwaltungsebenen 50

AWV-INFORMATIONEN Spezial 4/2016

Abb. 10: Entwicklung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer (bis 2012 Ergebnisse)

Abb. 11: Vergleich kreisfreie Städte in Hessen: Steueraufkommen je Einwohner 2012. Quelle: Deutscher Städtetag

Abb. 12: Entwicklung Schlüsselzuweisungen

Kommunale Ebene 51

– Beispiel aus KLR der Stadt Kassel: Gegenüber-stellung Kosten-Erträge Verkehrsüberwachung (s. Abbildung 4).

– Beispiel aus KLR der Stadt Kassel: Vergleich Zulassungsstellen 2012 (s. Abbildung 5).

– Beispiel aus KLR der Stadt Kassel: Vergleich der städtischen Kindertagesstätten 2012 (s. Abbil-dung 6)

Die Einführung der Doppik in einer kommunalen Ver-waltung kann nicht nur positiv, aber auch nicht nur negativ angesehen werden:

Vorteile/positive Aspekte der Doppik:

• der Werteverzehr wird abgebildet (Abschreibungen)

• es werden Rückstellungen gebildet

Nicht eindeutige Position zur Doppik:

• Vermögensbewertung

• unterjährige Steuerung des Ressourcenansatzes

Eher negative Aspekte der Doppik:

• Bilanzierung des städtischen Vermögens/Wirt-schaftsgüter, z. B.

– ist der Aufwuchs von Holz in städtischen Grün-anlagen zu bilanzieren?

– wie sind Kulturgüter in einem Museum (z. B. Handausgabe der Kinder- und Hausmär-chen der Brüder Grimm) zu bewerten?

– wie sind Straßen zu bewerten?

Zu hinterfragen:

• steht der Aufwand für die Bewertung der Wirt-schaftsgüter in einem angemessenen Verhältnis zum Zweck/Nutzen, den eine kommunale Verwal-tung daraus ziehen kann?

• 90 – 95% der kommunalen Aufgaben sind gesetz-lich vorgeschrieben; es gibt keine oder nur geringe Spielräume (s. Abbildungen 7 bis 12).1

– Aufwendungen im Gesamtergebnishaushalt 2014 (s. Abbildung 7)

– Erträge im Gesamtergebnishaushalt (s. Abbil-dung 8)

– Entwicklung der Gewerbesteuer (s. Abbil-dung 9)

– Entwicklung des Gemeindeanteils am der Ein-kommenssteuer (s. Abbildung 10)

– Vergleich kreisfreie Städte in Hessen (Steuer-aufkommen/Einwohner – Gewerbesteuer und Einkommenssteueranteil)

(s. Abbildung 11)

– Entwicklung Schlüsselzuweisungen (s. Abbildung 12)1

Welcher Sinn macht vor diesem Hintergrund eine Bewertung? „Wer kauft eine Straße? Welcher Bür-germeister würde die Handausgabe der Brüder Grimm wirklich verkaufen?“

Dennoch: Der Weg war richtig…

Die einzelne Bilanz sagt möglicherweise wenig aus, aber

• strukturelle Größen lassen sich ermitteln und ein Zeitvergleich liefert aussagekräftige Informationen über die Entwicklung einer einzelnen kommuna-len Gebietskörperschaft

… und muss konsequent weitergegangen werden, also man muss

• Kennziffern definieren und Zeitreihen fokussie-ren,

• die KLR (weiter-)entwickeln, entscheidungsre-levant zuspitzen und deren Informationen nut-zen,

• die Informationen nach Entscheidungsebenen aufbereiten, komprimieren und auswählen.

Und noch zwei Dinge (Thesen von Herrn Stadtkäm-merer Dr. Barthel):

1. Vertraue keiner Bilanz, die du nicht selbst aufgestellt hast!

2. Lasse dich nie durch einige wenige Zahlen täuschen!

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