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AWV-INFORMATIONEN-Spezial 4/2016

Die Doppik in den verschiedenen Verwaltungsebenen 62

sowie der bewährten Geschlossenheit des HGB kei-nen Korrekturbedarf.

Die im Rahmen der Anwendung des HGB als Rech-nungslegungsstandard zu erstellenden und festzule-genden Buchführungs-, Bilanzierungs- und Bewer-tungsrichtlinien wurden unter Hilfe auch externer Dritter im engen fachlichen Dialog zwischen Finanz-ministerium und dem Hessischen Rechnungshof er-arbeitet, zugleich wurde mit dem Aufbau des Hessi-schen Competence Centers (HCC) eine Service Ein-heit für die neuen fachlichen und organisatorischen Anforderungen geschaffen. Auf Basis implementier-ter SAP.Software wurden sodann etwa 800 Dienst-stellen mit circa 160 000 Beschäftigten in einem mehrjährigen gestaffelten Vorgehen in das neue Sys-tem eingebunden und dabei rund 90 bilanzierende Einheiten innerhalb der Landesverwaltung geschaf-fen. Damit war zugleich die Voraussetzung dafür ge-geben, übergeordnete, im Wesentlichen dem Res-sortprinzip verhafteten Teilkonzerne innerhalb der Landesregierung zu bilden und zum 1. Januar 2009 eine von einem Wirtschaftsprüfer testierte Konzer-neröffnungsbilanz vorzustellen. Prägend für diese Er-öffnungsbilanz waren vorrangig drei Fakten, die alle drei ebenso neu wie grundlegend waren: der erstma-lige vollständige Ausweis des Vermögens des Lan-des Hessen führte auf der Aktivseite zu einem Wert von ca. 30 Mrd. Euro; diesem Vermögen standen auf der Passivseite der Bilanz Verbindlichkeiten in Höhe von ca. 88 Mrd. Euro gegenüber; diese spie-gelten eben nicht nur diejenigen gegenüber Kredit-instituten wider, sondern umfassten darüber hinaus erstmals auch den Rückstellungsbedarf des Landes (ca. 47 Mrd. Euro), der zum damaligen Zeitpunkt zur Abdeckung absehbarer künftiger Finanzierungs-risiken und -lasten (insbesondere für Pensions- und Beihilfezahlungen an Beamte) erforderlich war. Die mit der Eröffnungsbilanz erstmals regelgebundene und transparente Offenlegung dieser Zukunftslasten und der damit einhergehenden impliziten Verschul-dung hatte im Ergebnis den Ausweis eines negati-ven Eigenkapitals, d.h. einen nicht durch Eigenka-pital gedeckten Fehlbetrag von ca. 58 Mrd. Euro zu Folge. Die seitdem turnusmäßig jährlich praktizier-te Fortschreibung der Vermögens-, Finanz- und Er-tragslage des Landes nach kaufmännischen Grund-sätzen dokumentiert einen Anstieg des Fehlbetra-ges.

Produkthaushalt

Wenige Jahre zeitversetzt nach der Einführung des kaufmännischen Rechnungswesens und auf doppi-scher Grundlage fußend erfolgte die ebenfalls

schritt-weise vorgenommene Umstellung des traditionell streng titelbezogenen Haushalts hin zu einem Pro-dukthaushalt; in Abkehr von der einfachen titelbe-zogenen Darstellung der vom Parlament beschlosse-nen öffentlichen Finanzmittel im Haushaltsplan setzt der Produkthaushalt diese Mittel mit den damit zu erzielenden Ergebnissen und Wirkungen in eine Be-ziehung und eröffnet so die Möglichkeit einer mehr ergebnisbezogenen Betrachtung öffentlichen Wirt-schaftens („Was leistet die öffentliche Hand konkret mit welchem Mitteleinsatz?“). Im Rahmen dieses Re-formstranges hat die Landesregierung in einem in-tensiven Abstimmungsprozess für jeden Geschäfts-bereich politische Ziele formuliert, zur Erreichung dieser Ziele notwendige Produkte definiert, diese Produkte mit einer Kosten- und Leistungsrechnung unterlegt sowie ein institutionalisiertes Controllings-system und Berichtswesen aufgebaut. Mit der Imple-mentierung von Wirkungs- und Leistungskennziffern, mit denen zusätzliche Informationen und Leistungen für Parlament, Bürger und Verwaltung bereitgestellt werden, ist der Produkthaushalt abgerundet worden und kennzeichnet seit dem Haushaltsjahr 2008 die Haushaltswirtschaft des Landes.

Was haben wir erreicht?

Zieht man eine Zwischenbilanz zum bisher Erreich-ten, lässt sich festhalErreich-ten, dass der Gesamtreform-prozess sicherlich noch nicht als abgeschlossen be-trachtet werden kann. So etwa ist im Lichte der Er-fahrungen des Regelbetriebs die aktuelle konzepti-onelle Ausprägung des Produkthaushalts durchaus noch offen für Anpassungen und Ergänzungen ein-schließlich weiterer Reduzierung von Komplexitäten.

Auch die notwendige Neuformulierung der Landes-haushaltsordnung, die die Neuausrichtung der Haus-haltswirtschaft auf eine breitere und gesichertere rechtliche Grundlage stellt, ist zwar in Vorbereitung, steht im Ergebnis aber noch aus. Weitgehend abge-schlossen hingegen nicht nur in formeller, sondern auch materieller Hinsicht ist die Umstellung auf ein kaufmännisches Rechnungswesens nebst Bilanzer-stellung. Die neue Form der Abbildung und Darstel-lung öffentlicher Ressourcen und öffentlichen Wirt-schaftens stellt einen Paradigmenwechsel dar. Sie sorgt für umfassende Transparenz, eine vollumfängli-che Aussage über Vermögen und Schulden des Lands sowie die periodengerechte Zuordnung von Lasten.

Finanzwirtschaftliche und politische Probleme und Entscheidungen können so auf substanziellere Art diskutiert und gelöst werden und werden dies auch zunehmend. Der in der Vergangenheit häufig zu be-obachtende Reflex, Entscheidungen zu treffen, die zu Lasten der Zukunft und kommender Generationen

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gehen, wird auf diese Weise merklich und nachhal-tig erschwert: Auf fehlende Informationen über die Konsequenzen staatlichen Handels oder Unterlas-sens werden sich in Hessen sowohl Entscheidungs-träger als auch Entscheidungsvorbereiter jedenfalls nicht mehr berufen können.

Erfolgsfaktoren

Fragt man rückblickend nach den Erfolgsfaktoren für das Gelingen des Gesamtvorhabens in Hessen sind vor allem die folgenden zu nennen: Zunächst setzt das Gelingen eine klare Zielbestimmung und einen klaren politischen Auftrag voraus; dabei darf sich die Promotion eines solchen Vorhabens durch die Politik nicht nur auf den Startschuss beschränken, vielmehr bedarf die Umsetzung des dauerhaften, nachhal-tigen Interesses und Engagements auch des politi-schen Spitzenpersonals. Ohne Führung und Rücken-deckung von oben verlaufen Veränderungsprozesse in dieser Dimension mit Blick auf das quasi natur-gegebene Trägheitsmoment großer Organisationein-heiten nur allzu schnell im Sande. Hessen hat dem Gesamtprojekt einen Stellenwert mit höchster poli-tischer Priorität eingeräumt („Leuchtturmprojekt“), nicht nur der Finanzminister, auch der Ministerprä-sident des Landes selbst hat das Projekt immer wie-der forciert und beide haben so dafür gesorgt, dass zu keiner Zeit Zweifel an der Unbedingtheit des po-litischen Umsetzungswillen sich haben einstellen können.

Darüber hinaus bedurfte es eines breit angelegten Akzeptanzmanagements, das zunächst sämtliche Ebenen der Verwaltung umfassen muss. Dies be-deutete nicht nur die intensive Einbindung der Füh-rungskräfte, die man für eine solche Reform gewin-nen muss, mindestens gleichermaßen wichtig war und ist die Mitnahme der Mitarbeiterschaft, die das neue System „leben“ soll. Eine Vielzahl von Schu-lungs- und Fortbildungsveranstaltungen für die un-terschiedlichen Ebenen, Workshops, Veranstaltungs-reihen, eine eigens ins Leben gerufene Reformzeit-schrift, Intra- und Internetauftritte der Ressorts, ressortübergreifende und ressortinterne Koordinie-rungskreise, aber auch außenwirksame Aktivitäten (Messeauftritte, Fachkongresse, Fachliteraturbeiträ-ge) sind hier zu nennen. Als Erfolgsfaktor in diesem Zusammenhang erwies sich aber vor allem die kon-tinuierlich sich entwickelnde Kompetenz der

Ver-Neben der Verwaltung mussten aber auch die wei-teren am Budgetprozess Beteiligten in den Moder-nisierungsprozess angemessen einbezogen werden.

Dies galt vor allem für das Parlament, tangierten die ins Werk gesetzten Reformen doch die Budgetho-heit und damit das „Königsrecht“ der Legislative.

Dank der bereits oben erwähnten Empfehlungen der Enquete-Kommission konnte sich die Haushaltsre-form auf einen breit angelegten, fraktionsübergrei-fenden politischen Grundkonsens stützen, alle we-sentlichen Reformschritte wurden im Haushaltsaus-schuss sowie im – eigens umbenannten – Unteraus-schuss „Finanzcontrolling und Verwaltungsreform“

vorgestellt und erörtert. Als förderlich erwies sich hierbei auch die Einrichtung eines mit vier Mitarbei-tern besetzten Budgetbüros im Hessischen Landtag mit dem Auftrag, das Parlament in allen Fragen der Reformen zu beraten und es beim Einfinden in die neue Systematik zu unterstützen. Eine maßgebli-che Rolle unter Akzeptanzgesichtspunkten spielte schließlich auch der Hessische Rechnungshof, der sich intensiv in das Vorhaben eingebracht hat und – gerade in der Person seines Präsidenten – nie einen Zweifel hat aufkommen lassen, dass insbesondere die Einführung der kaufmännischen Buchführung in Hessen ein „must“ darstellt, das politischem und administrativem Handeln wichtige neue Perspekti-ven eröffnen kann.

Kommt einem Land wie Hessen bei einem derart um-fassenden Vorhaben mangels vorhandener Blaupau-sen im öffentlichen Bereich eine Vorreiterrolle zu, ist der Konzeptions- und Einführungsaufwand erheblich und auch Irrwege an der einen oder anderen Stel-le mit entsprechenden Lernkurven bStel-leiben nicht aus.

So hat sich manch konzeptionelle Vorstellung der An-fangsjahre als zu kleinteilig und detailverliebt erwie-sen, führte zu unnötigen Komplexitäten oder stieß sich im Praxistest an den realen Verhältnissen in Po-litik und Verwaltung. Dies betraf etwa die Buchungs-struktur (Umfang Kontenplan), die Produktdefinition, die budgetrelevante Verbindlichkeit der Mengenvor-gabe oder auch das Kennzahlen-Sets. Die in diesem Bereichen im Prozessverlauf vorgenommen Adjustie-rungen haben das System vereinfacht und handhab-barer gemacht.

Fazit

Zusammenfassend kann die Haushaltmodernisierung

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gen und Konzepte eines Vorreiters zurückgegriffen werden kann. Für Hessen selbst steht die langfris-tige Rentabilität der getätigten Investitionen in ein neues Haushaltssystem nicht in Frage. Speziell was die Einführung der kaufmännischen Buchführung angeht, wird dies spätestens dann augenfällig wer-den, wenn sich die aktuellen Überlegungen auf

eu-ropäischer Ebene zur Schaffung eines harmonisier-ten, doppischen Rechnungswesens (EPSAS) für die europäischen Mitgliedstaaten konkretisieren. Hessen sieht dieser Entwicklung, die für den Bund und die Mehrzahl der Bundesländer große Herausforderun-gen mit sich brinHerausforderun-gen wird, mit großer Gelassenheit

entgegen.

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