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Radikalisierungsprävention durch die Erwachsenen- und Weiterbildung

6 Bildung und Terrorismus

6.3 Radikalisierungsprävention durch die Erwachsenen- und Weiterbildung

Radikalisierungsprävention strebt das Verhindern von Radikalisierungsprozessen an. Ist es dafür schon zu spät, wird darauf abgezielt, den Verlauf zumindest zu unterbrechen oder – wie bei Straffälligen – umzukehren. Hierbei spricht man von Deradikalisierung (vgl. Ceylan/Kiefer 2018, S. 8).

Allgemein kann die Radikalisierungsprävention aus drei Teilen bestehend angesehen werden:

„Primärprävention zielte dann auf die Vorsorge gegen die Entstehung von Extre-mismus, und ihre Zielgruppe wäre generell die Gesellschaft, besonders natürlich die bevorzugten Rekrutierungsobjekte von Extremismus, also im weitesten Sinne junge Menschen mit einer gewissen Affinität für antidemokratisches Ideengut. Se-kundärprävention wäre demnach die Fokussierung der Arbeit auf extremismusaf-fine Milieus und Zielgruppen;Tertiärprävention entspräche übertragen auf die Arbeit gegen Extremismus am ehesten den Aussteigerprogrammen und der Arbeit mit weltanschaulich gefestigten und organisatorisch gebundenen Extremisten“

(van Hüllen 2017, S. 77-78).

Dieprimäre oderuniverselle Radikalisierungsprävention „[...] will erwünschte Haltun-gen stärken, zur Ausbildung individueller Ressourcen beitraHaltun-gen und Lebensbedingun-gen in allen Bereichen stabilisieren“ (Ceylan/Kiefer 2018, S. 9). Ein in Deutschland eta-bliertes Projekt, das diesem Bereich zugeordnet werden kann, ist das Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, an dem 2000 Schulen teilnehmen. Die sekun-däre oderselektive Radikalisierungsprävention kann zielgruppenspezifisch und sozial-raumorientiert agieren, beispielsweise in Brüssel-Molenbeek, da in diesem begrenzten Lebensraum vermehrt Radikalisierungsprozesse festzustellen sind (vgl. ebd., S. 9).

„Eine individuelle Gefährdung ist dann gegeben, wenn Jugendliche mehrere indizierte Faktoren (Diskriminierung, prekäre Lebenslage usw.) aufweisen und mit Meinungsäu-ßerungen z.B. Verständnis oder Sympathie für neosalafistische Positionen zum Aus-druck bringen“ (ebd., S. 10).Tertiäre oderindizierte Prävention hat vor allem Gewalt-unterbrechung und Deradikalisierung zum Ziel (vgl. ebd., S. 10).

Problematisch ist die Frage, wann Prävention zu Gesinnungskontrolle wird. Wo hört Meinungsfreiheit auf? Schließlich liegen bei Primär- und Sekundärprävention (noch) keine strafrechtlich relevanten Handlungen vor (vgl. van Hüllen 2017, S. 84). Die Ex-tremismusprävention kann nicht nur in die drei oben erwähnten Schritte eingeteilt wer-den, sondern auch in drei Ebenen: EineMakroebene, die Fernziele und Grundsatzfragen im Sinne einer ideologischen Verortung und Weltbilder wie Kommunismus oder eine ethnisch homogene Volksgemeinschaft einschließt; eineMesoebene, die betroffene Zielgruppen und Organisationsformen wie Kader oder terroristische Zellen direkt an-spricht sowie eineMikroebene, bei des es um einzelne Extremist/innen geht, um indivi-duelle Biographien und die Prävention als Ausstiegshilfe sowie als Deradikalisierungs-programm (vgl. van Hüllen 2017, S. 89).

Auf derMakroebene bietet sich Extremismusprävention besonders im Sinne von politi-scher Aufklärung an. Sie ist an breite Bevölkerungsschichten gerichtet, die in der Regel aber nicht unmittelbar von Radikalisierung betroffen sind. Prävention auf der Mesoebe-ne spricht extremismusaffiMesoebe-ne Jugendliche und junge ErwachseMesoebe-ne direkt an, die abzudrif-ten drohen, jedoch noch nicht strukturell in terroristischen Organisationen verankert sind. Methodisch ist die Anwendung des Lernens aus der Geschichte vorteilhaft. Es geht um Widersprüche zwischen den angestrebten Utopien und dem Handeln der Ak-teur/innen. Darüber hinaus sind die Mittel zur Zielerreichung sowie die dafür notwendi-gen Strategien und Taktiken relevant (vgl. ebd., S. 90-93). Viele marxistisch-leninisti-sche Gruppierungen sehnen sich nach einer Wiedergeburt des Kommunismus, einem Wiederaufflammen sozialistischer Ideologien in Europa. Hierzu ließe sich ein histori-scher Vergleich aufstellen, der die Utopien mit dem real existierenden Sozialismus in Form der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) oder der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik (ČSSR) mit all den Nachteilen der Regime wie der eingeschränkten Reise- und Mei-nungsfreiheit vergleicht. Schließlich versucht man auf der Mikroebene, sich dem Einzel-schicksal zu widmen und die höchste Radikalisierungsstufe in Form eines Terroraktes zu verhindern. Man bemüht sich, Individuen von der konkreten Tat abzubringen. Bera-tungsstellen unterstützen Familien, deren Mitglieder extremistische Tendenzen, vor al-lem islamistischer Art, aufweisen und agieren so als Präventionsinstitutionen. Vor alal-lem

für Rechts- und Linksextremismusprävention gibt es Aussteigerprogramme (vgl. van Hüllen 2017, S. 97).

Inhaltlich könnte die Extremismusprävention darauf fokussieren, dass Lernende Kom-munikations- und Diskurskompetenz sowie politische Analyse- und Beurteilungskom-petenz entwickeln. Zunächst geht es darum, aktuelle politische Themen aufzuarbeiten und zu diskutieren, um sie dann in einem zweiten Schritt mit historischen, ideologi-schen und politiktheoretiideologi-schen Überlegungen in Zusammenhang zu bringen. Dabei gilt es, drei politisch extreme Richtungen zu beleuchten: den Marxismus-Leninismus, den Nationalsozialismus sowie den religiösen Fundamentalismus. So könnte man ein Bei-spiel (einen Zeitungsbericht) linksextremistischer Gewalt heranziehen und diesen mit einer Statistik zu linksextremistisch motivierten Straftaten vergleichen. Genauso könnte man bei der Analyse rechtsextremistischer Gewalt vorgehen. Zusätzlich wäre es noch möglich, die Rede eines/einer FPÖ-Abgeordneten im Nationalrat oder eines/einer AfD-Abgeordneten im Bundestag zu deuten. Bei der Analyse des religiösen Fundamentalis-mus eignet es sich besonders gut, salafistische Aussteigerbiographien zu untersuchen (vgl. Deichmann 2017, S. 148-162).

Der extremistischen Propaganda, die vor allem aus rechtsextremistischen und islamisti-schen Inhalten besteht, kann Einhalt geboten werden. Um dies zu erreichen, gibt es Prä-ventionsmöglichkeiten, von denen Schmitt et al. (vgl. 2017, S. 191-195) drei wesentli-che erarbeitet haben: die Löschung oder Sperrung extremistiswesentli-cher Inhalte, die Verbrei-tung von Gegenbotschaften sowie die Medienkompetenzförderung. Bei der ersten Mög-lichkeit, der Löschung oder Sperrung extremistischer Inhalte, stellt die schiere Masse der Inhalte eine große Herausforderung dar. Trotzdem müssen Plattformbetreiber/innen dafür sorgen, verfassungsfeindliche oder strafrechtlich relevante Inhalte zu löschen. Da-bei ist es aber immer eine Gratwanderung zwischen Meinungsfreiheit und demokrati-scher Diskussionskultur einerseits und dem Schutz vor extremistidemokrati-scher Propaganda an-dererseits. Gegenüber diesem negativen Ansatz der Prävention ist jener der Verbreitung von Gegenbotschaften ein positiver. Dahinter stecken meist zivilgesellschaftliche oder politische Organisationen, die Filme, Musikvideos oder Kampagnen produzieren oder Vorträge halten. Inhaltlich geht es vor allem darum, rechtsextremem und islamistischem Gedankengut ein pluralistisches Gesellschaftsbild entgegenzusetzen. Weitere

Aktivitä-ten sind direkte Auseinandersetzungen mit Propagandamaterialien, mit deren InhalAktivitä-ten die Nutzer/innen konfrontiert und diese entlarvt werden. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob es nicht besser ist, proaktiv zu agieren anstatt nur (auf Hassbotschaften von Extremist/innen) zu reagieren. Der dritte Ansatz ist die Förderung der Medienkompe-tenz. Hierbei wird auf Konfrontation und Auseinandersetzung mit Propagandamateriali-en gesetzt. Zielgruppe sind vor allem Lehrer/innPropagandamateriali-en. Für sie werdPropagandamateriali-en UnterrichtsmethodPropagandamateriali-en und Praxisbeispiele aus der schulischen und außerschulischen politischen Bildung auf-bereitet. Bei dieser Methode besteht der Vorteil darin, dass Lernende nicht mit den Pro-pagandabotschaften alleingelassen werden, sondern sie von Lehrenden bei der kriti-schen Beurteilung der Inhalte begleitet werden.

Das österreichische Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung listet auf seiner Homepage in der Kategorie „Jugend und Extremismen“ Beratungsmöglich-keiten sowie Web- und Literaturtipps auf. So wird auf die Beratungsstelle Extremismus, das Zentrum polis – Politik Lernen in der Schule, die Schulpsychologie Bildungsbera-tung, das Demokratiezentrum Wien oder die deutsche Friedrich-Ebert-Stiftung verwie-sen (vgl. Bundesministerium für Bildung, Wisverwie-senschaft und Forschung 2019). Die ös-terreichische Beratungsstelle Extremismus bietet Vorträge, Workshops und Trainings für Schulen, soziale und arbeitsmarktpolitische Einrichtungen in Form von Basis- und Aufbaumodulen an. Die Ziele des Weiterbildungsangebots sind: „Sensibilisierung durch Information, Reflexion und Dialog; Demokratieförderung; Prävention von Extremis-men; Förderung der eigenen Handlungsfähigkeit in der Praxis; Vermittlung von praxis-orientierten Interventionsmöglichkeiten“ (Beratungsstelle Extremismus 2019). In Deutschland bietet beispielsweise der Deutsche Bildungsserver unter der Kategorie Ter-rorismus Link- und Medientipps für den Unterricht und Hintergrundinformationen an (vgl. Deutscher Bildungsserver 2019).

6.4 Praxis der Radikalisierungsprävention in einer