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4 Terrorismus heute und aktuelle Herausforderungen

5.8 Radikalisierung heute: Internet und soziale Medien

Die Radikalisierungsprozesse sind durch die neuen Medien, die dafür zur Verfügung stehen, nicht mehr einwandfrei mit jenen der 1970er- oder 1980er-Jahre zu vergleichen.

Radikalisierung findet heute oft durch das Internet, soziale Medien und diverse Apps statt. Obwohl eine Selbstradikalisierung ausschließlich durch das Internet eher unwahr-scheinlich ist, spielen soziale Medien bei der Begleitung und Intensivierung radikalen Gedankenguts eine große Rolle (vgl. Schmitt et al. 2017, S. 196).

Die sozialen Medien üben allerdings eher eine Begleitfunktion bei der Radikalisierung aus. Der Gruppendruck ist auch heute noch von Bedeutung. „Der Übergang vom tatwil-ligen Extremisten zum Terroristen [erfolgte] ungeplant und unvorhersehbar. Als zentra-le, treibende Kräfte wirkten gruppendynamische Prozesse […] oder aber unvorherseh-bare Ereignisse […]“, so Lützinger (2010, S. 72) in ihrer qualitativen Studie zu Biogra-phien von Extremist/innen und Terrorist/innen. Demnach liegen eine schwierige persön-liche Lebenssituation sowie der Einstieg in eine radikale Gruppe und die dort stattfin-dende Ideologisierung zeitlich eng beieinander, was auf einen dynamischen Radikalisie-rungsprozess hindeutet. Bis zum nächsten Schritt, dem Herbeiführen eines

Terroran-schlags, vergeht dann allerdings wiederum viel Zeit. Nicht alle untersuchten Gruppen-mitglieder unterstützten das Planen von Attentaten, viele machten aus Loyalität mit an-deren Mitgliedern, zu denen sie eine persönliche Beziehung aufgebaut hatten, mit (vgl.

Lützinger 2010, S. 72).

Die forensische Psychiaterin Nahlah Saimeh (2019) sagt in einem Interview für eine Dokumentation des ZDF: „Es gibt einen Anlass, den nimmt man sich selber als Recht-fertigungsstrategie, um seine eigenen Hemmungen, die man noch hat gegen eine ge-walttätige kriminelle Handlungsbereitschaft im Grunde zu überwinden und zu sagen 'Na wenn das so ist, dann breche ich mit einem bürgerlichen Konsens und dann schließe ich mich einem gewalttätigen Kampf an'“.

Im 21. Jahrhundert spielt das Internet eine besonders große Rolle bei der Radikalisie-rung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Hier können verfassungsfeindliche Botschaften gesendet, extremistische Ideologien verbreitet und zu Straftaten aufgerufen werden. Im deutschsprachigen Raum sind insbesondere rechtsextreme und islamistische Botschaften häufig. Die Sender/innen versuchen, unabhängig von ihrer ideologischen Ausrichtung, eine emotionale Verbindung mit den Inhalten herzustellen und die Grup-penidentität zu stärken. Mit Abstiegsängsten der Adressat/innen wird gespielt und Ge-walt verharmlost. Dank des Internets können große Personengruppen ohne viel Auf-wand erreicht werden, die Sender/innen können anonym agieren. In unserem Zeitalter wachsen Jugendliche und junge Erwachsene mit dem Internet auf. Zusammen mit den Unsicherheiten und den erst in der Entwicklung befindlichen Identitäten und Werten macht sie das für Propaganda jeglicher Richtung empfänglich. Die Überzeugungen von Extremist/innen werden dabei als sinnstiftend und strukturgebend vermittelt. Vor allem die (vermeintlich) sozialen Netzwerke wie Facebook, Youtube oder Instagram sind im Nutzungsverhalten Jugendlicher und junger Erwachsener omnipräsent und eignen sich daher ausdrücklich für die Verbreitung extremistischer Propaganda. Diese wird nicht nur empfangen, sondern auch geteilt und damit weiterverbreitet (vgl. Schmitt/Ernst/

Frischlich/Rieger 2017, S. 171-174).

Wenn sich Jugendliche und junge Erwachsene im Internet über politische Themen in-formieren, bewegen sie sich in Sphären, die ihre bereits ausgebildeten Überzeugungen bestätigen und festigen. Sie sind in Diskussionsforen unterwegs, deren Inhalte mit ihren

persönlichen Ideologien übereinstimmen bzw. sich ähneln. Abweichende Perspektiven könnten ihre eigene Position bedrohen und Unsicherheit hervorrufen. Das Internet fun-giert dabei als Echokammer und Filterblase. Letztere wird vor allem durch die zuneh-mende Personalisierung des Internets hervorgerufen (vgl. Schmitt et al., S. 184-185).

Die rechtsextremistische Propaganda im Internet ist hochprofessionell. Die Optik wirkt dynamisch, ist auf Jugendliche ausgerichtet und weist Bezüge zu Pop- und Jugendkultur auf. Vor allem seit dem Zuzug hunderttausender Migrant/innen, vorwiegend muslimi-scher Prägung, in den letzten Jahren ist die Agitation gegen Asylwerber/innen und Mi-grant/innen anschlussfähig geworden. Die Angst vor Islamisierung und Überfremdung dominiert die Debatten in einschlägigen Foren ebenso wie Verschwörungstheorien. Dar-über hinaus werden Aufrufe zu Beteiligungen an Freizeitaktivitäten und politischen Schulungen angeboten, die ein Lebensgefühl, Gemeinschaft und Gruppenzugehörigkeit vermitteln sollen. Die rechteIdentitäre Bewegung ist ein Beispiel für die Übernahme linken, alternativen Auftretens und dem damit verbundenen jungen Image. Sie ist zwar rechtsradikal, gibt sich allerdings gemäßigt (vgl. Schmitt et al. 2017, S. 174-177).

Auch im islamistischen Milieu findet Radikalisierung heute meist durch das Internet und soziale Medien statt. Hierbei geht es vorwiegend um die Herausbildung einer kol-lektiven Identität. Die Abgrenzung zur Fremdgruppe wird durch die Schaffung von Feindbildern und das Schüren von Feindseligkeiten gegenüber den Un- oder Anders-gläubigen erwirkt. Diskriminierungserfahrungen werden in den sozialen Medien geteilt und damit drängen sich die islamistischen Extremist/innen selbst in eine Opferrolle, aus der sie durch terroristische Aktivitäten ausbrechen wollen. Überdies existieren jihadisti-sche propagandistijihadisti-sche Onlinemagazine und jene, die vom IS herausgegeben werden – auch auf Deutsch, Englisch oder Türkisch. Die islamistische Propaganda arbeitet mit ähnlichen Mitteln wie die rechtsextreme: Auch sie arbeiten mit Begriffen aus der Ju-gend- und Popkultur und gestalten Aufrufe zur Beteiligung an Freizeitaktivitäten wie bspw. Konzerte für Syrien. Auch Ratgeberformate auf Youtube, betrieben von Influ-encern, zählen zur Propagandamaschine. In diesen Sendungen werden alltäglich rele-vante Fragestellungen der Nutzer/innen beantwortet. Die in diesen Videos zirkulieren-den strengen Verhaltensvorschriften sollen zirkulieren-den Zuschauer/innen Orientierung und Si-cherheit geben. Dies ufert bisweilen ins echte Leben aus. Im Jahr 2014 wurde im

nord-rhein-westfälischen Wuppertal von radikalen Salafisten eine Scharia-Polizei gegründet.

Es werden auch viele Videoreportagen aus den IS-Kampfgebieten hochgeladen und ver-breitet. Zwar verklären diese oft das Alltagsleben in den Kriegsgebieten, trotzdem wer-den Schlachtungen von Menschen triumphierend dargestellt und Selbstmordatten-täter/innen glorifiziert. Darstellungen von Anschlägen gegen Muslime in der westlichen Welt, wie gerade in Christchurch in Neuseeland oder das Anzünden von Flüchtlingshei-men durch Rechtsextremist/innen, bedienen einerseits den muslimischen Opfermythos, andererseits sollen sie den Wunsch nach Vergeltung schüren (vgl. Schmitt et al., S. 178-181).