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Gesellschaftliche und politische Ereignisse, die Radikalisierung auslösen

4 Terrorismus heute und aktuelle Herausforderungen

5.1 Gesellschaftliche und politische Ereignisse, die Radikalisierung auslösen

In der Zeitgeschichte gab es gesellschaftliche bzw. politische Ereignisse, die eine Radi-kalisierung vieler Protestierender begünstigten. „Nicht Einstellungen produzieren Ge-walt, sondern Gewalt erzeugt Einstellungswandel“ (Eckert 2012, S. 265). Die Gewalt-anwendung der Polizei und der persischen privaten Schlägertrupps des Schahs, der am 2. Juni 1967 in Berlin weilte, führten zu einer zunehmenden Radikalisierung der Kund-gebungsteilnehmer/innen. Dieser Radikalisierungskreislauf, der durch die Rigidität des ursprünglichen Konflikts ausgelöst wurde, wird durch zusätzliche Bedingungen wie der Identifikation mit einer Gruppe oder dem weiteren Verlauf der Ereignisse und ihrer me-dialen Darstellung in Gang gesetzt, wie sich an der Berichterstattung über diesen Tag zeigt. Gewaltereignisse erhöhen die Geschwindigkeit des Ablaufs der Vorgänge im Kreislauf (vgl. ebd., S. 265). Die marxistisch-leninistische Bewegung des SDS sah sich in ihrer Theorie, „der zufolge der Kapitalismus unausweichlich zum Faschismus führe“

(Eckert 2012, S. 269), bestätigt.

In Deutschland driftete die sich langsam auflösende Student/innenbewegung Anfang der 1970er-Jahre in drei verschiedene Richtungen ab. Die Gruppe der Reformist/innen ver-suchte, die kapitalistischen Auswüchse mithilfe der Institutionen, in die sie drängten, zu mildern. Die Revolutionär/innen waren für die Infrastruktur für eine bevorstehende Re-volution zuständig und rekrutierten das terroristische Personal. Die Terrorist/innen soll-ten schließlich die Revolution durchführen. Ihnen fehlte es aber an einer revolutionären Situation, an einer handfesten Krise des Kapitalismus, die laut Marx aber Vorausset-zung für eine gelingende Revolution ist. Vielmehr versuchten die Untergrund-kämpfer/innen, eine solche Situation herbeizuführen (vgl. Eckert 2012, S. 239-240).

Dies führt in der Regel allerdings zu einem gegenteiligen Effekt, der Solidarisierung mit den staatlichen Institutionen, weshalb Terrorismus als revolutionäre Strategie in Deutschland gescheitert ist (vgl. ebd., S. 242).

In Italien sind zwei gesellschaftspolitische Ereignisse entscheidend für die Entstehung der Terrororganisation Brigate Rosse. Einerseits arbeiteten und agierten die radikale Ar-beiterbewegung und die Student/innenbewegung in den Jahren 1968 und 1969

zusam-men. Die Arbeiter/innen protestierten gegen die desolaten Arbeitsbedingungen im in-dustriell geprägten Norden Italiens, die Student/innen wurden aufgrund der vielen nicht ihrem Ausbildungsniveau entsprechenden Arbeitsverhältnissen zu intellektuellem Prole-tariat (vgl. Holzmeier/Mayer 2008, S. 277-278). Andererseits war die Gründung der BR eine Reaktion auf das erste große Attentat neofaschistischer Gruppen im Dezember 1969 auf der Piazza Fontana in Mailand, bei der 16 Menschen ihr Leben verloren und 88 verletzt wurden. Auf den rechtsextremen Gewaltakt folgten restriktive Maßnahmen der ermittelnden Polizei, die auch die Arbeiter- und Student/innenbewegung trafen. All-mählich zerfiel die Bewegung aufgrund des zurückgehenden Protestpotentials. Eine Gruppe spaltete sich ab und radikalisierte sich: Die Brigate Rosse. Die Radikalisierung der Mitglieder äußerte sich in einem 1969 verkündeten Gebot, dass der bewaffnete Kampf und ein militärisches Vorgehen die Lösung der Probleme der Arbeiterklasse sei-en (vgl. Holzmeier/Mayer 2008, S. 279-280). Der „Imperialistische Staat der Multinati-onalen Konzerne/Stato Imperialista Multinazionale (SIM)“ wurde immer mehr zum Feindbild. Damit waren Bedingungen gemeint, die die USA, die BRD und der Internati-onale Währungsfonds dem Staat Italien im Umgang mit der Kommunistischen Partei auferlegten sowie die Finanzierung der Christdemokraten durch die USA. Wie auch die RAF rechtfertigten die Brigate Rosse Banküberfälle zur Geldbeschaffung mit Enteig-nungen durch das Proletariat (vgl. ebd., S. 286).

5.1.1 Der 2. Juni 1967 als Wendepunkt

Ähnlich wie in Italien waren auch in Deutschland Student/innenproteste ausschlagge-bend für die Gründung sozialrevolutionärer Terrororganisationen. Die Geschichte der RAF begann mit der Außerparlamentarischen Opposition (APO) ab Mitte der 1960er-Jahre. Diese wurde vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) gestützt. Ihre Aktivitäten richteten sich vor allem gegen die seit 1966 regierende Große Koalition aus CDU/CSU und SPD. Im Parlament war die FDP die einzige Oppositionspartei, weshalb die beiden Großparteien Notstandsgesetze einfach erlassen konnten. Die APO kritisierte das Hochschulsystem sowie die Vätergeneration, den Nationalsozialismus aus dem Be-wusstsein verbannt zu haben. Die Ausrichtung war sozialistisch-revolutionär, es wurden mehr grundsätzliche gesellschaftliche Reformen in diese Richtung gefordert (vgl. Dietl et al. 2006, S. 70). Am 2. Juni 1967 demonstrierten knapp vierhundert Menschen gegen

den Besuch des Schahs von Persien in Westberlin. Die Demonstrant/innen wurden beim Empfang vor dem Rathaus Schöneberg von Mitgliedern des persischen Geheimdienstes mit Metallstangen und Holzknüppeln niedergeprügelt, während die Polizei tatenlos zu-schaute. Als diese nach mehreren Minuten einschritt, verhaftete sie einige Protestieren-de. Stunden später wurde vor der Deutschen Oper erneut demonstriert. Diesmal ging die Polizei mit Gummiknüppeln gegen die Mitglieder der Student/innenbewegung vor, sie schlug zu. Immer mehr Demonstrant/innen flüchteten vor der gewalttätigen Polizei.

Schließlich wurde in einem Hinterhof der 26-jährige Student Benno Ohnesorg von ei-nem Polizeibeamten erschossen. Der Todesschütze wurde später vom Landgericht Ber-lin freigesprochen. Am nächsten Tag trafen sich die Studierenden an der Freien Univer-sität zu Diskussionen, die voller Wut gegen die Springerpresse, die eine kritische Hal-tung gegenüber den Demonstrant/innen einnahm, und des Westberliner Senats waren.

Auch in anderen Städten der BRD kam es zu Trauerfeierlichkeiten. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) erlebte einen starken Zuwachs an Mitgliedern. Wäh-rend der Diskussionen in den westdeutschen Universitätsstädten berieten die Student/in-nen, ob Gewalt und Widerstand legitime Mittel des Protests wären und wenn ja, in wel-cher Form. Der Vorsitzende des SDS, Rudi Dutschke, regte Provokationen an (vgl.

Peters 2004, S. 89-94).

Die Vorgänge des 2. Juni waren Schlüsselerlebnis für den Linksterrorismus. Ab diesem Zeitpunkt sank die Hemmschwelle für gewaltsame Aktionen gegen den Staat und die Gesellschaft. Die Student/innenbewegung radikalisierte sich und agierte vor allem ge-gen den Springer-Verlag, dem die Bild-Zeitung angehört. Zehn Monate nach dem Tod Benno Ohnesorgs wurde der als charismatisch beschriebene Anführer des SDS und der Student/innenproteste, Rudi Dutschke, von einem Rechtsextremen angeschossen. Dieser überlebte schwerverletzt, allerdings verstarb er 1979 an den Spätfolgen seiner Verlet-zungen. Dies führte zu schwersten Krawallen und Ausschreitungen. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) teilte sich nach 1968 in unterschiedlich ausgerichtete linke Fraktionen auf. Eine davon war die von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ul-rike Meinhof gegründete RAF, die den bewaffneten Kampf zum Ziel erklärt hatte (vgl.

Dietl et al. 2006, S. 71-72). „Auch für Ensslin, Baader und Proll ist dieser 2. Juni ein Wendepunkt in ihrem Leben, der zu einer Radikalisierung führt“ (Peters 2004, S. 94).

Noch am selben Abend forderte Gudrun Ensslin die Bewaffnung der Gruppe. Eine an-dere setzte diese Forderung im Jahr 1972 um – die Bewegung 2. Juni gründete sich in Berlin (vgl. Peters 2004, S. 94-95).

5.2 Radikalisierung gestern: Die Rekrutierung von Terrorist/innen durch