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Die Rückwirkung der Yocale

Im Dokument NÖRDLICHEN TÜRKSPRACHEN . (Seite 115-120)

81 . Die durch die Palatal - und Labial -Affinität der Vocale ver¬

ursachte Vocal -Attraction , deren Wirkungskreis und Bedeutung ich in den vorhergehenden Capiteln dargelegt habe , übt ihren Einfluss , ihrer morphologischen Bedeutung gemäss , stets in der Richtung von der ersten (Stamm -) Silbe auf die folgenden Silben aus . Ich muss aber in den verschiedenen Dialecten noch eine andere Wirkungsrichtung der Vocal -Attraction constatiren , die , ähnlich wie die Assimilation der

Vocale in den indo -europäischen Sprachen , darin besteht , dass der Vocal einer Silbe im Innern eines Wortes den Vocal der vorher¬

gehenden Silbe afficirt , indem er ihn in eine , den Grenzen des An¬

satzrohres nach ,verwandte Vocal-Klasse hinüberzieht. Diese Wirkungs

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I. Abschn. Vocale . Cap .IV. C.

richtung der Vocal -Attraction will ich kurz Rückwirkung der Vocale nennen . Aus Obengesagtem geht hervor , dass die Rück¬

wirkung der Vocale eine dreifache sein kann : 1. eine palatali -sirende (indem sie einen gutturalen Vocal in einen palatalen ver¬

wandelt ); 2. eine labialisirende (indem sie einen dentalen Vocal in einen labialen verwandelt); 3. eine verengende (indem sie einen weiten Vocal in einen engen verwandelt).

82. Die palatalisirende Rückwirkung tritt als ein phonetisches Gesetz nur im Tarantschi-Dialecte auf, d. h. in demjenigen Dialecte , der die geringste Intensivität der Vocalharmonie zeigt , und lässt sich in Folgendem zusammenfassen : Folgt auf eine , das weite gutturale a ent¬

haltende Silbe eine Affix-Silbe, die den scharf palatal gesprochenen Vocal i enthält , so geht das a stets in ein energisch palatal ge¬

sprochenes e über , sobald zwischen ihm und dem i nur ein Consonant sich befindet , z. B. at (Pferd ), eti (sein Pferd ), al (nehmen ), elip

(nehmend ), atla (zu Pferde steigen ), atledl (er stieg zu Pferde ), ata (Vater ), atesl (sein Vater ), saman (Spreu ), sameni (seine Spreu), tas (Stein ) , tesi (sein Stein ). Dieselbe Rückwirkung des i zeigt sich auch in amorphen Bildungen: jeni (neu ) = jahy , beyir

(Leber) = bayyr , eyir (schwer) = ayyr , jeqi (Krieg) = jau , eyil (Stall ) = ayyi . Tritt an ein auslautendes ai ein mit i anlauten¬

des Affix , so wird das i des Diphthongs zu j und das a geht in e über, z. B. tai (ausgleiten ), tejip , sai (stechen ), = sejip .

Hingegen bleibt das a stets unverändert : 1. wenn zwei Con -sonanten es vom nachfolgenden i trennen , z . B. at-lan -dl (er stieg zu Pferde ), at -tin (vom Pferde ), at -ni (den Namen ); 2. wenn auf den Diphthong ai ein Consonant und dann ein i folgt , (i - f - Consonant gilt also hier als Doppelconsonant), z. B. jail (Mähne), jaill (seine Mähne), tai (ausgleichen ), taidi (er glitt aus ); 3. wenn es lang ist ,

z. B. padisä (Herrschen), padisäji , y &r (Höhle) = yäri ); 4. in Fremdwörtern , z. B. yarip , padisä ". (Es scheint aber , als ob hier das a vor i stets gedehnt gesprochen wird , um den Uebergang a in e zu vermeiden ).

83. Die Abtönung des a in e durch die palatalisirende Rück¬

wirkung des i ist eine vollständig dem deutschen Umlaute entsprechende Erscheinung . Grimm (Deutsche Grammatik , Theil I, p. 77 ) führt bei Besprechung des schwankenden Auftretens des Umlautes ä drei Stufen der Einwirkung eines nachfolgenden i auf:

1. Wurzeln , deren a bloss ein einfacher Consonant folgt , mögen höchstens noch im siebenten oder Anfang des achten Jahrhunderts

Rückwirkung der Vocale§§ 81 — 85. 65 den Vocal a vor dem Umlaut geschützt haben, z . B. hari (das Heer ), halid (der Held ), später hiess es : heri , helid .

2. Ist hingegen Position in der Wurzel , so hegt sie den reinen Laut noch im neunten Jahrhundert , z . B. angil (Engel ), später engil , paldida (Kühnheit), später beldida .

3. Ueber eine mittlere Silbe wirkte das i früher nicht ; der Um¬

laut in der Wurzel garawet wird erst Mittelhochdeutsch gerwet . Wir sehen also, dass der Tarantschi-Dialect in Bezugauf den Um¬

laut , (wenn wir die Palatalisirung des a dem Deutschen entsprechend so nennen ) in der ersten Periode steht , ( d . h. wie das Althochdeutsche von Anfang des achten bis Ende des neunten Jahrhunderts ). Wie im Althochdeutschen , ist in dieser Periode im Tarantschi-Dialecte die Palatalisirung des u in ü und des o in ö noch nicht eingetreten . Hier ist der Grund deutlich : die Labial -Attraction .des o und u ist stärker als die palatalisirende Rückwirkung des i, dies zeigen uns Formen , wie bol-üp , tol -üp (vergleiche el -ip statt al -ip ).

84 . Eine ganz ähnliche palatalisirende Rückwirkung eines langen I sehen wir in einzelnen Fällen in den Wolga -Dialecten , und zwar wenn das Affix I (das aus ai entstanden ist ) an Verwandtschaftsnamen tritt , um eine Deminutiv (zärtliches Liebeswort ) zu bilden, z.B. ata + I = äti (Väterchen), aba -f- I äbi (Grossmütterchen), ana + I = äni (Mütterchen ), tuta -f- i = tüti (Schwesterchen), aya -f- I = äwi (Brüderchen ) [hier ist der Uebergang aya -f- i = ayi = awl = äwi ], gewöhnlich wird statt äwi das Wort abzi gebraucht , [abzi =

aby s - f - aya + 1], welches deutlich beweist, dass I , wie im Tarantschi

-Dialecte, nicht über zwei Consonanten auf a einen palatasirenden rück¬

wirkenden Einfluss auszuüben vermochte .

In den Wolga -Dialecten zeigt sich der rückwirkende Einfluss eines i in der Palatalisirung einer Anzahl von Stammvocalen , denen in allen Dialecten gutturale Vocale entsprechen : äilän (drehen ) = aitan [ajylan ? ], äit (sagen ) = ait [ajyt ? ], bäilä (binden ) = baila

[bayyla ], jästr (verbergen ) = jasyr , jäsin (sich verbergen ) = jasyn , cänc (stechen ) == sans [gewiss aus canyc entstanden].

85 . Die labialisirende Rückwirkung der Vocale tritt in keinem Dialecte als phonetisches Gesetz auf , am häufigsten finden wir sie ebenfalls im Tarantschi-Dialecte , weil in diesem Dialecte der Stamm -vocal die geringste Einwirkung auf die folgenden Vocale ausübt .

Im Tarantschi -Dialecte finden sich eine Menge zweisilbiger Wörter mit den Vocalen ou, die in ;allen andern Dialecten die Vocale a —y aufweisen , z. B. oruq (mager) — aryq , joruq (Spalte ) =

RADLorr , Phonetik der nördlichen Türkspracl ... 5

66 I. Abschn . Vocale . Cap . IV. C.

jaryq , jopuq (Decke ) = jabyq , qozuq (Pfahl ) = qazyq , qosuq

(Löffel ) = qasyq , qomus (Schilf) = qamys , osuq (Knöchel) — asyq , xotun (Frau ) = qatyn ; ebenso das dreisilbige Wort qoburya

(Rippe ) = qabyrya . Die auch im Tarantschi-Dialecte mit a in der Stammsilbe auftretenden Verba jar (spalten ), jap (bedecken ), qaz

(graben ) beweisen , dass die Fortbildungen joruq ,jopuq , qozuq erst innerhalb des Tarantschi-Dialectes entstanden sind . Ich bin nun der Ansicht , dass der Vocal o in diesen Wörtern durch den Labial -Ein -fluss des u der Endsilbe uq aus a sich entwickelt hat . Dieser Endsilbe uq steht in den übrigen Dialecten yq gegenüber , z. B. qarma - q, tyrma - q, jügür -uk von jügür . Ursprünglich mag man dieses Nomina bildende Affix uq oder oq gelautet haben , dafür spricht die Schreibweise alter Schriftwerke ^i'jjU , oder uigur :

j ' rnj ^ jj . (artuqluq ), j^ m^. (qaruq ) und das altaische Wort qonoq

ii

(Tag und Nacht ) von qon (übernachten ) = mong. ; ferner das mong. | | xamuq , das im Altaischen qamyq lautet . Ebenso scheint in den Wörtern xotun und qomus die Endung un und us ursprüng¬

lich einen labialen Vocal gehabt zu haben , der auch hier rückwirkend das a der vorhergehenden Silbe in o verwandelt hat . Dafür spricht das Schriftwort mong. ^ . Merkwürdigerweise lautet das entsprechende jakutische Wort auch xOTyu . Dem qomus entspricht das jak . xoMyc = mong. . Für den rückwirkenden Einfluss des u auf vorhergehendes a spricht auch das Tarantschi-Wort qobul , das aus dem Arabischen Jy ~> entstanden ist .

In einzelnen Verbalstämmen des Tarantschi-Dialectes treffen wir dieselben labialisirenden Rückwirkungserscheinungen , z. B. josun , josur (verbergen), denen in allen Dialecten jasyr ,jasyn entspricht , und in den Wolga -Dialecten jäsin , jäsir (durch Rückwirkung des i entstanden). Hier müssten , wenn meine Ansicht richtig ist , die Genuscharaktere ursprünglich ur , un gelautet haben . Dafür spricht auch die alte Schriftsprache , die (jj ^ U , ^j-^ U schreibt . Unterstützt wird diese Ansicht durch Böhtlingk (Die Sprache der Jakuten , p. 192 ), der den Genuscharakter des Reflexiv vom Pronomen der dritten Person

Rückwirkung der Vocale §§86 — 88.

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herleitet , das ursprünglich sun gelautet hat . Der Genuscharakter des Factitivs ur ist auch aus tur entstanden . Das dreisilbige Wort qoburj /a ist gewiss aus einem Verbum qobur entstanden , das in den übrigen Dialecten qabyr lautet .

86 . Im altaischen Dialecte treffen wir die Adjectiva üzü (heiss ), kücü (klein ), jolü (warm ), türü (lebendig ). Während die Verba , aus denen diese Adjectiva unbedingt entstanden sind , in demselben Dialecte izi (heiss sein ), jyly (wärmen ), tiril (lebendig werden) lauten , und ausserdem neben kücü das Deminutiv kickinäk im Ge¬

brauch ist . In den Abakan -Dialecten lauten dieselben Adjectiva : izig , kijig , tirig oder tirik und jylyg . Stellen wir diese Formen mit den altaischen zusammen , so sehen wir deutlich , dass die Endsilbe

ik , ig im altaischen Dialecte zu ü, ü verschmolzen ist (vgl . Cap . V.

B. die langen Vocale). Dieses ü, ü, das durch seine Länge stark hervortrat , hat nun einen rückwirkenden labialisirenden Einfluss auf die dentalen Vocale der Stammsilbe ausgeübt , so dass folgender Ueber -gang stattgefunden hat :

izig , izü , üzü ; kicig , kicü , kücü ; tirig , tirü , türü ; jylyg , jyhl , jöifl .

87 . Eine ähnliche Rückwirkung langer labialer Vocale sehen wir in den kara-kirgisischen Sammelzahlen öko (alle beide ), bürö (nur

einer ). Hier ist die Endung öaus ägü , äü entstanden . Somit haben sich entwickelt :

eki + ägü = ekäü = ekö, Öko ; bir - f -ägü = biräü , birö , bürö . Spuren solcher Rückwirkung finden wir auch im Jakutischen . So ist z. B. aus dem Mongolischen ^ das Altaische särün entstanden , aus diesem hat sich wiederum durch Rückwirkung des langen labialen ü im Jakutischen wie auch im Tarantschi-Dialecte sörün gebildet . Aehnlich sind im Jakutischen cypyic ans | ^ (Schrift) und cojiyp

(Kessel ) aus caaöp gebildet .

88 . Einen verengenden Rückwirkungseinfluss finden wir als ein phonetisches Gesetz nur im Tarantschi -Dialecte. Tritt nämlich hier

aü einen mehr als einsilbigen Stamm, dessen letzte Silbe den Vocal a enthält , ein Affix mit den Vocalen a, ü, so wird das a zu i verengt , sobald zwischen beiden Vocalen nur ein Consonant sich befindet , z . B. atlan — atlin - a, tajan tajln - a, ata — ati -lar — atilerl , ala — ali -(er nimmt ), sura suri -sa (wenn er fragt), bara baridü

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I, Absehn . Vocale . Cap . IV. C.

(er geht ). Geht dem a ein o voraus , so wird im Falle einer durch den Affix-Vocal verursachten Verengung das a nicht in 1, sondern in ü verwandelt , z. B. olan (sich im Kreise drehen) wird zu olüna , bol (sein) zu bolüna , bolüdü ; tolyat zu tolyüta ; solas zu solüsa (welken). Manchmal findet dies auch nach u statt , jedoch ist hier der Gebrauch schwankend . Eine durch Rückwirkung des

Affix-Vocals verursachte Verengung des a findet nicht statt : 1) Wenn a in der Stammsilbe steht z . B. al (nehmen ), al - a ; bar (gehen ) bar - a.

2) Wenn der Affix -Vocal durch einen Doppelconsonanten von a ge¬

getrennt ist , z. B. atlan -yan , atlan -sa , kola -ptü . 3) Wenn es ein langes ä ist . 4) Das a des auslautenden Diphthongs ai , wenn ein Consonant dasselbe vom Affix-Vocale trennt , z. B. talai (Schick¬

sal ), talaida , talai -ya . Tritt der Affix-Vocal unmittelbar an den Diphthong , so wird das a desselben verengert , saryai (gelb werden ), saryi -ja . Einigemal ist mir ausser der Verengung des a auf eine Verengung des ä aufgestossen , z. B. kälidü statt kalädü , tiligän

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