In der Mandschusprache giebt es sieben Vocale a, o, e (ein dem tatarischen y sehr naheliegender unvollkommen gebil¬
deter enger Vocal), u, i, ü. Von diesen sind zwei weite Vocale a, o, zwei' enge Vocale e, u und zwei mittlere Vocale i, ü.
Meistenteils treten in Wörtern der Mandschusprache weite und mittlere (indifferente ) oder enge und mittlere Vocale auf. Dabei ist zu bemerken , dass von weiten nur a auf a und nur o auf o folgen kann, auf mittlere hingegen folgt von weiten Vocalen nur a.
Beispiele : adali , adalihü aj/anibi , jilan , xüaran , oriolo omimbi , omiya , ere , edun , gizun , guye . Dass dieseVocal -Attrac -tion schon zu morphologischen Zwecken benutzt wird , beweisen uns Formen wie : ara -ya , omi -ya , amba -za , mori -la -ya und gene -ye , gizu -re -ye , gu- ze . Dabei ist auch zu bemerken , dass die Weitheit des Vocales auch über einen mittleren Vocal wirkt , z . B. mori -laya , ali -ya .
Jedoch treten auch viele Endungen , die einen engen Vocal e enthalten , an alle Stämme , ohne ihren Vocal dem Stamme an¬
zupassen : amba -be , nalma -be, mama -deri , doro -deri . Ueber -haupt sind die Gesetze der Vocalfolge der Mandschusprache sehr schwankend und bedürfen einer eingehenderen Behandlung . Das ein¬
zige, überall ohne Ausnahme beobachtete Gesetz der Vocalharmonie ist die Labial -Attraction , die o der ersten Silbe auf die ihm folgen¬
den weiten Vocale ausübt . Dies zeigen Formen wie oho -yo, oiio-ro , gobo -ro , morolo -yo . Diese Attraction wird durch Auftreten des mittleren Vocales i stets aufgehoben ; z. B. mori -lambi , omi -ya. In den übrigen tungusischen Sprachen scheint die Labial-Attrac¬
tion eine ähnliche Rolle zu spielen ; dies beweisen mir unter andern folgende Wörter , die ich bei Ongkor -Solonen aufgezeichnet habe . hokoh (ältere Schwester ), uoiiokoh (Füllen ), Mojo (Affe ) , okco (Tisch ), koiöo (Bars ), ropryitTa (Bart ), OHyxa (Finger ), xom /i,o (wenig),
cokop
(blind ),
ji,0 .160
(Nacht ).
III
.
Sprachen, die in
Stämmenund Endungen eine streng geregelte Vocalharmonie
zeigen.
a
)
Sprachen, in
denennur die
Palatal -Affinität
allgemeindurch¬
geführt ist
, und
ausserdem nochin
einzelnenFällen vollständige
Vocal-
Attraction des Endungsvocals
eintritt.
[Die Finnischen
Sprachen .
]
Im Finnischen treten
(Kellgren , die Grundzüge der finnischen
58 I. Abschn . Vocale . Cap . III. C.
Sprache . 1847 , p. 22 ) acht Vocale auf : a, o, u, e, i, II, ö, y; von diesen sind drei gutturale a, o, u, drei palatale ä, ö, y und zwei palato -indifferente e, i. Die Palatal-Affinität verursacht im Finnischen folgende Gesetze der Vocalharmonie :
1. In einem Worte können nur palatale und palato -indifferente oder gutturale und palato -indifferente Vocale auftreten .
2. Die Palatalklasse des Stammvocales wirkt stets über indiffe¬
rente Vocale auf die Vocale der antretenden Affixe .
3. Enthält der Stamm nur indifferente Vocale , so können in den Endungen nur palatale Vocale auftreten .
Ausser diesen durchaus streng durchgeführten Gesetzen der Vocal -folge tritt noch eine vollkommene Vocal-Attraction der Endung an den Auslautsvocal des Stammes ein, wenn beide Vocale nur durch h von einander getrennt sind (Kellgren p .51 ) , z . B . tukka -han , kolme -hen , tappi -hin , talo -hon , kalu -hun , pyssy -hyu , künä -hän , tyttö -hön .
b) Sprachen,in denen die Palatal-Attraction streng durchgeführtwird , ausserdem aber auch Spuren der Labial -Attraction auftreten . (Die magyarische Sprache .)
Die magyarische Sprache (Bloch , ungarische Grammatik ) hat 14 Vocale, sieben einfache oder kurze a, e, i, o, ö, u , ü und sieben doppelte oder lange ; ä, e, f, o, ü, ü. Nach der Palatal -Affinität zer¬
fallen diese Vocale in
gutturale a, ä, o, 6, u, ü, palatale e, ö, o, ü, ü, palato -indifferente e, i, f.
Die Palatal-Affinität bedingt im Magyarischen folgende streng durchgeführte Gesetze der Vocalharmonie .
1. In einem Worte können nur gutturale und indifferente , oder palatale und indifferente Vocale auftreten .
2. Die Palatal-Affinität wirkt über indifferente Vocale fort , z . B. Nagymeltösagod , mozdithat .
3. Steht in der Stammsilbe der indifferente Vocal e, so folgen auf ihn immer palatale Vocale ; steht in der Stammsilbe i, so folgen gewöhnlich palatale ; tritt aber daselbst i auf, so folgen meist gutturale Vocale.
Eine Labial -Affinität zeigen nur die Vocale ö und ü, alle übrigen Vocale müssen als labio-indifferent betrachtet werden . Es findet somit in den Endungen meist ein doppelter Vocalwechsel statt . Solche , durch Palatal-Attraction in den Endungen auftretenden
Das Wesen der Vocalharmonie § 79.
59
Vocalpaare sind: a — e (olvas -tat —vet -tet ), u — ü (var -unk — ker -ünk) , a —6 (tanit -vany — tör -veny) ,6 — ö (£ar -lö —hini -lö ).
Die Labial -Attraction macht sich geltend :
1) In Endungen , die einem dreifachen Vocalwechsel unter¬
worfen sind , z. B.
o — e — ö. Wobei o auf gutturale Vocale , e auf labio -indifi'erente palatale Vocale, aber ö auf die labio -palatalen Vocale ö und ü
folgt .
2) In Endungen , die einem vierfachen Vocalwechsel unterworfen
sind, z. B.
a — o — e —ö. Wobei 1) a und o unregelmiissig nach gutturalen Vocalen auftritt; 2 ) e nach labio -indifferenten palatalen Vocalen undö ; 3) ö nach den labio -palatalen ö und ü , z . B . barät -ok , gyors -ak , hat -ok, kut -ak , kep-ek , hölgy -ek , török -ök , sür -göny
.
c) Sprachen , in denen die Palatal -Attraction streng durchgeführt ist und ausserdem eine regelmässige, durch den Stammvocal ver¬
ursachte Labial-Attraction stattfindet. (Mongolische und Türk -Sprachen ).
«) Die mongolische Sprache .
Im Mongolischen giebt es sieben Vocale : a, o, u, ä, ö, ü , i. An Stelle des ü tritt im Burätischen nach Castren (Versuch einer Burjatischen Sprachlehre . St . Petersburg . 1857 ) ein ihm ähnlicher Laut u auf. Der Palatal-Affinität nach zerfallen diese Vocale in gutturale a, o, u und in palatale : ä, ö, ü ( u ), während i ebenso wie im Tarantschi-Dialecte als palato -indiff'erent erscheint . Wenn Castren
(ebend. p. 3) ausserdem e als palato -indifferenten Vocal aufführt , so ist dies wohl nur eine ungenaue Transcription eines nach 3 hinklingenden H ( y ), das stets für a des Schriftmongolischen auftritt . Die Palatal-Attraetion ruft im Mongolischen folgende Gesetze der Vocalharmonie hervor :
1. In einem Worte können nur palatale und indifferente , oder nur gutturale und indifferente Vocale auftreten .
2. Die Palatalität des Vocals der Stammsilbe wirkt über in¬
differente Vocale hinweg , z. B. orxixu , barxiraxu , ortil -gan , xabiralga .
3. Auf einen Stamm mit palato -indifferenten Vocale können nur palatale Vocale folgen.
Der Labial -Affinität nach zerfallen die mongolischen Vocale
60
I.Abschn. Vocale. Cap .III . C.in labiale : o, ö, u, ü und dentale : a, ä, i. Die durch die La
-bial -Attraction bedingten Gesetze der Vocalharmonie sind natürlich in den verschiedenen Dialecten verschiedene , und es mangelt in dieser Beziehung noch ein genaueres Studium der Dialecte . Die ost¬
mongolische Schriftsprache kennt fast gar keine Labial -Attraction ,
wie die Wörter ° ^ ° ^ ^ | beweisen .
In der westmongolischen Schriftsprache hingegen ist der Einfluss der Labial -Attraction deutlich zu erkennen , z, B, | i ° ^
Ebenso im Burjatischen , wo die Labial -Attraction sehr streng durch¬
geführt ist . Hier folgt
auf o stets in der folgenden Silbe o
» 0 » » » » » 0
}■> ö ,, ,, „ „ „ ü ( i)
„ ü „ „ „ „ „ ü ( i ), d. h.
1) der weite labiale Vocal fordert stets weite labiale Vocale nach sich ;
2) dem weiten labio-palatalen ö folgt meist ein enges labio -palatales ü ;
3) dem engen labio -palatalen ü folgt meist derselbe enge Vocalü. Beispiele : zobolondo , nomloxoin , nomlobo , oktorgoin , ökörö , mürgügüi , sütxäri , nügül , xüdülgüzi .
ß) Die türkischen Sprachen . (Siehe Cap. I und II ).
80 . Wir sehen somit wie in den Sprachen der ural -altaischen Sprachenfamilie viererlei Mittel der Vocalverkettung angewendet wer¬
den , 1. volle Vocal -Attraction zweier anstossender Silben ; 2. Pa¬
latal -Attraction ; 3. Labial -Attraction ; 4. Verwandschaft nach den Stufen der Verengung. — Diese Mittel der Vocalverkettung sind aller Wahrscheinlichkeit nach erst ganz allmählich zu der phonetischen und morphologischen Geltung gelangt , die sie jetzt in den türkischen , mongolischen , finnischen Sprachen , wie auch im Magyarischen auf¬
weisen.
In den tungusischen Sprachen ebenso wie in den ugrischen und samojedischen Sprachen hat gewiss die Vocalharmonie sich nie zu einem die Sprachbildung beherrschenden Principe erhoben , so dass diese Sprachen sich gleichsam als Vertreter früherer Perioden der ural -altaischen Sprachentwicklung darstellen . Ich will damit keines
-Das Wesen der Vocalharmonie §§79 — 80. 61 wegs behaupten , dass die Stufe der Entwicklung der Vocalharmonie in ihnen immer dieselbe war , wie sie jetzt in ihnen sich uns dar¬
stellt , ich meine nur , dass es stets in irgend einer ural -altaischen Sprache solche Perioden der Entwicklung der Vocalharmonie gab , wie die verschiedenen Sprachen -Gruppen jetzt noch darbieten . Wir sehen somit im Anfang der Entwicklung der Vocalfolge ein durch uns un¬
bekannte Gründe hie und da auftretendes Sichanschliessen der Vocale der Endsilben an den letzten Stammvocal , und zwar erscheint diese Assimilation als eine reine phonetische Erscheinung (wie z . B. in den samojedischen Sprachen ). Darauf zeigen sich Spuren der morpholo¬
gischen Verwendung dieser Assimilation unter einer regelmässigeren Spaltung der Vocale . (Ugrische Sprachen ). Die Vocalspaltung erstreckt sich über das ganze Wort , hat aber noch keine feste Grundlage ge¬
wonnen , daher sind es nur einzelne Laute , die eine bestimmtere An¬
ziehung ausüben , ( z . B. die tungusischen Sprachen ). Zuletzt erscheint eine streng durchgeführte Vocalharmonie nach ganz bestimmten Kate¬
gorien der Palatalität (finnische Sprachen ) und der Palatalität und Labialität (mongolische und türkische Sprachen ).
Ich bin ferner der Ansicht , dass die Anwendung der verschie¬
denen Mittel der Vocalverkettung von gleichem Alter ist , denn überall , selbst auf der niedrigsten Stufe der Vocal-Assimilation , sehen wir so¬
wohl volle Vocal -Attraction , wie auch Spaltung nach den Stufen der Verengung , Labial - und Palatal-Affinität auftreten . (Vergleiche die von Castren aufgeführten Spuren der Vocalharmonie in den samo¬
jedischen Sprachen ). Wenn die Durchführung der Labial -Attrac -tion keine so allgemeine ist, wie die Durchführung der Palatal -Attraction , so hat dies einen anthropo-phonetischen Grund , wie ich schon in § 34 auseinander gesetzt habe .
Böhtlingk ist in dieser Beziehung anderer Ansicht und meint
(Die Sprache der Jakuten p. 12 ), dass die im Jakutischen so aus¬
geprägt auftretende Labial -Attraction der labialen Vocale eine ver -hältnissmässig späte Erscheinung ist . „Ich schliesse dies , fährt Böhtlingk fort , aus den nahe verwandten türkisch -tatarischen Sprachen und aus der mongolischen Schriftsprache , die in ihrer ältesten , mit der sogenannten Quadratschrift geschriebenen Denkmälern a nach o und ä nach ö zeigt . Im Kalmückischen haben wir dieselbe Erschei¬
nung , dass das Volk die Assimilation da hat eintreten lassen , wo sie die Schriftsprache noch nicht kennt . Ja , man könnte vielleicht noch weiter gehen und annehmen , dass y ( u) und y ( ü) ursprünglich nur in der Stammsilbe ihren Platz gehabt hätten und in den Endungen erst
62
I. Abschn . Vocale . Cap . III. C.später durch Assimilation eines h ( y) undi entstanden wären." Betrach¬
ten wir zuerst Böhtlingk's Angaben über das Mongolische , bei denen er sich auf Bobrownikoff ( MoRT .-Ka.ra . FpaMMaTHica§ 31 — 60 ) stützt , so sehen wir, dass letzterer Gelehrter später selbst seine Ansicht über die Vocale der Quadratschrift zum Theil geändert hat . In seiner trefflichen Schrift „die Denkmäler der mongolischen Quadratschrift "
(IlaiMTHHKH M0HT. KBfyrpaTIiarO IIHCIiMa , Ct ÄOHOJIHeHttlMH B. B. TpH -ropLeBa,HeTep6ypri>. 1870 ) führt er p. 66 Folgendes selbst an . „In der vierten Zeile unseres Schriftdenkmales finden wir das weiche ö in den ersten beiden Silben des Wortes ö - TÖ -rä - C9. Hier tritt ö sowohl in dem als Silbenanfang bezeichneten Zeichen , als auch in dem Zeichen von ö nach Consonanten auf."
Bei genauerer Durchsicht der Denkmäler der Quadratschrift zei¬
gen sich aber noch viele andere Spuren der Labial -Attraction . Es ist wahr , dass das Zeichen o nirgends in der zweiten Silbe erscheint , dies beweist aber wenig für den Mangel der Labial -Attraction , denn erstens ist die Wiedergabe der Vocale im Innern der Wörter mehr eine graphische als eine lautliche , wie Bobrownikoff selbst
( p. 62 , 66 und folgende ) angiebt , und zweitens wird in der Quadrat¬
schrift a in der Verbindung mit Consonanten gar nicht bezeichnet ; es trat also in den mit Quadratschrift geschriebenen Denkmälern in der auf o folgenden Silbe nur ein Auslassen des weiten gutturalen Vo -cales ein , aber nirgends eine prägnante Bezeichnung des Vocals a. Für die Attractionskraft der weiten labialen Vocale o und ö, wie auch der engen y ( u) und y ( ü) auf nachfolgende engeVocale, zeigen die Denk¬
mäler der Quadratschrift deutliche Spuren , z. B. joeyrap , öKTyräi , yjyry , es scheint aber auch dem engen labialen y das weite labiale ö zu folgen , wie das Wort yräryi vermuthen lässt ; ferner ist für ryHT -toh wohl rynr -röH zu lesen . Bei dem geringen Umfange der mit Quadratschrift geschriebenen Texte, scheinen mir diese Spuren schon genügend darzulegen , dass schon im XIV . Jahrhundert die Labial -Attraction im Mongolischen ziemlich stark entwickelt war . Dieser Annahme widerspricht durchaus nicht der Umstand , dass in der kalmückischen und burjatischen Volkssprache die Labial -Attraction scharf hervortritt , während die ältere Schriftsprache sie noch nicht kennt . Denn erstens konnte sich die Schriftsprache mit der Be¬
zeichnung des labialen Vocals der ersten Silbe begnügen , wenn das Gesetz der Labial -Attraction ein streng geregeltes war . So sehen wir die Kara -Kirgisen '^ l-*^ = bolyandaundlv \3j != otta schreiben , während sie stets bolyondo und ot-to sprechen . Zweitens aber er
-Das Wesen der Vocalharmonie§§ 80 — 81.
63
halten sich oft in einzelnen Dialecten die alterthümlichsten Laut¬erscheinungen , die in anderen Dialecten ( z. B. zur Zeit der Ent¬
stehung der mongolischen Schrift ) schon vor Jahrhunderten verloren gegangen sein konnten . Es würde daher einer sehr genauen Unter¬
suchung der Lautgesetze aller mongolischen Dialecte bedürfen , um aus dem von Böhtlingk angeführten Umstände einen Schluss auf das Alter der Labial -Attraction im Mongolischen machen zu können .
Was die türkischen Dialecte betrifft , die Böhtlingk als Beleg für das späte Auftreten der Labial -Attraction auffuhrt , so sprechen diese gerade ebenso deutlich für das Alter dieser Lauterscheinung , wie die Labial - Attraction in den tungusischen Sprachen . Die Labial -Attraction dieser drei Sprachgruppen giebt uns das Recht , anzunehmen , dass wenigstens in dem östlichen Zweige des ural -altaischen Sprachstammes diese Attractionskraft schon bedeutend ent¬
wickelt war , ehe eine Trennung zwischen den türkischen , mongo¬
lischen und tungusischen Sprachen eingetreten ist . Ob das Auf¬
treten der Labial -Attraction im Magyarischen ebenfalls auf ein hohes Alter hinweist , oder ob sie hier sich erst selbständig , später von Neuem entwickelt hat , vermag ich nicht zu entscheiden . Dazu be¬
darf es einer genauen Untersuchung der jetzt gesprochenen magya¬
rischen Dialecte und alter Schrifttexte . Jedenfalls ist die Labial -Attraction der jetzigen magyarischen Schriftsprache sehr verschieden von derselben Erscheinung in den östlichen Sprachengruppen .