Viele Gleichungen der mathematischen Physik, insbesondere die REISSNER-MINDLIN -Platten-gleichungen, lassen sich auf die Form eines symmetisch-hyperbolischen Systems erster Ord-nung bringen. Nachstehend pr¨asentieren wir eine allgemeine L ¨osungstheorie f ¨ur symmetrisch-hyperbolische Systeme nach [75], welche auch den ,,charakteristischen“ Fall ber ¨ucksichtigt, welcher z. B. bei dem CATTANEO-System, der Wellengleichung, den Elastizit¨atsgleichungen,
den REISSNER-MINDLIN-Gleichungen im Mehrdimensionalen usw. auftritt und somit eine Ver-allgemeinerung von [74] (s. auch [31]) sowie der klassischen Arbeiten von Friedrichs [20] u.a.
darstellt. In diesem Kapitel betrachten wir also quasilineare symmetrisch-hyperbolische Sy-steme erster Ordnung in beschr¨ankten, glatt berandeten Gebieten mit geeigneten Rand- und Anfangsbedingungen. Folgende Resultate werden nach [75] zitiert.
SeiΩ⊂Rn,n≥2, ein beschr¨anktes Gebiet mit glattem RandΓund seiT>0. Wir betrach-ten das Anfangsrandwertproblem
L(u)u= Fin[0,T]×Ω, u(0,·) = f inΩ,
Mu=0 in[0,T]×∂Ω,
(A.5)
wobei
L(u)u:= A0(u)∂t+
n
∑
j=1
Aj(u)∂j+B(u)f ¨ur(t,x)∈[0,T]×Ω,
∂t = ∂t∂ und ∂j = ∂x∂
j. Ferner seien A0,A1, . . . ,An,B: RN → RN×N Matrixfunktionen. Die Matrizen A0,A1, . . . ,An seien symmetrisch und A0 sei positiv definit. F: [0,T]×Ω¯ → RN und f: ¯Ω → RN seien vorgegebene Funktionen. M: Γ → Rd×N sei eine Matrixfunktion mit konstantem Rang rangM(x) =d< Nf ¨urx∈ Γ.
Seiν: Γ→Rnder ¨außere Einheitsnormalenvektor anΩinx ∈∂Ω. Die durch Aν(u) =
n
∑
j=1
νj(x)Aj(u)f ¨uru∈RN gegebene Funktion heißt die zum OperatorLgeh ¨orige Randmatrix.
Die Randbedingung sei maximal nichtnegativ, d. h. kerMsei ein maximaler Untervektor-raum vonRN, auf welchem Aν positiv semidefinit ist. Gilt rangAν = Nkonstant aufΓ, d. h.
Aνist invertierbar, so heißtΓnicht charakteristisch. Ist rangAν <Nkonstant aufΓ, so heißtΓ charakteristisch mit konstanter Vielfachheit. Sonst heißtΓcharakteristisch mit nicht konstanter Vielfachheit.
Im nicht charakteristischen Fall kann von der L ¨osung volle Regularit¨at erwartet werden:
Liegen die Anfangsdaten in einem SOBOLEVraum Hs(Ω)f ¨urs ≥ ⌊n2⌋+2, so besitzt auch die L ¨osung unter zus¨atzlichen Voraussetzungen eine Hs(Ω)-Regularit¨at in der Ortsvariablen (s.
[74]). IstΓcharakteristisch mit konstanter Vielfachheit, so kann man im Allgemeinen nicht er-warten, dass die L ¨osung die volle Regularit¨at besitzt. Die Regularit¨at wird mit Hilfe der aniso-tropischen gewichteten SOBOLEVr¨aumen H∗s beschrieben, welche wir nachstehend definieren.
Wird an die RandmatrixAνeine zus¨atzliche Bedingung vom KREISS-Typ gestellt, so kann man auch in diesem charakteristischen Fall die volle Regularit¨at bekommen (s. z. B. [63]). F ¨ur die meisten Anwendungen ist diese hinreichende Bedingung aber zu einschr¨ankend. Schlimm-stensfalls kann das Problem nicht einmal wohlgestellt sein, wennΓcharakteristisch mit nicht konstanter Vielfachheit ist (s. Referenzen in [75]).
Definition A.2.1. F ¨urs ∈ Ndefinieren wir den anisotropischen SOBOLEVraum f ¨ur den Halb-raumfall
H∗s(Rn+) ={u∈L2(Rn+)|(x1∂1,∂2, . . . ,∂n)α∂k1u∈ L2(Rn+)f ¨ur|α|+2k ≤s}
versehen mit der Norm
kuk2Hs∗(Rn+) :=
∑
|α|+2k≤s
k(x1∂1,∂2, . . . ,∂n)α∂1kuk2L2(Rn+)f ¨uru∈ H∗s(Rn+). Diese Definition l¨asst sich auf kompakte Gebiete erweitern.
Definition A.2.2. SeiΩein beschr¨anktes Gebiet, welches lokal auf einer Seite seinesC∞-glatten RandesΓliegt. Sei{Uk}mk=0eine offene ¨Uberdeckung von ¯Ω, f ¨ur welche Folgendes gilt:
i) U¯0⊂ Ω.
ii) F ¨ur jedesk=1, . . . ,ngibt es einenCs-DiffeomorphismusΦk: ¯Ω∩Uk → B+(0, 1):={x∈ B(0, 1)|x1≥0}mitΦk(Γ∩Uk) ={x∈ B(0, 1)|x1 =0}.
Sei{ψk}k=0,...,m eine zu{Uk}mk=0 geh ¨orige Partition der Eins. Der RaumH∗s(Ω) wird definiert als
H∗s(Ω):={u∈ L2(Ω)|ψ0u∈ Hs(Rn),ψku∈ H∗m(Rn+)f ¨urk=1, . . . ,m} zusammen mit der Norm
kuk2H∗s(Ω) :=kψ0uk2Hs(Rn)+
m
∑
k=1
kψkuk2H∗m(Rn+). Der Bequemlichkeit halber setzen wir
H0∗(Ω):= L2(Ω).
Obwohl der RaumHm∗(Ω)im Hinblick auf symmetrisch-hyperbolische Probleme, vor allem im Halbraum, ein ganz nat ¨uliches Konstrukt ist, l¨asst sichH∗m(Ω)als kein Interpolationsraum auffassen. Trotzdem hat der Raum gute Eigenschaften, welche nachstehend beschrieben wer-den (vgl. [58])
Satz A.2.3. H∗s(Rn+)und H∗s(Ω)sind HILBERTr¨aume, deren Normen zwar abh¨angig von der Wahl der offenen ¨Uberdeckung, aber ¨aquivalent sind. Außerdem gelten die Einbettungen
Hs(Ω)֒→ H∗s(Ω)֒→H⌊2s⌋(Ω), H∗1(Ω) =H1(Ω).
Unter Benutzung der oben definierten anisotropen R¨aume hat Secchi in [75] die folgenden zwei Existenzs¨atze bewiesen.
Satz A.2.4. Seis∈Nmits≥4⌊n2⌋+12. Vorausgesetzt sei:
i) Ω⊂ Rnsei ein beschr¨anktes Gebiet, welches auf einer Seite seinesC∞-glatten RandesΓ liegt.
ii) F ¨ur einε >0 gelteA0, . . . ,An,B∈ Cs(N0,RN×N), wobeiN0 :={v∈RN| kv− fk∞ ≤ε}. A0, . . . ,Anseien symmetrisch in N0und es gebe einaA0 >0 so, dass
a0 ≤ξ′A0(v)ξ ≤ a10 f ¨ur alleξ ∈RN,v∈ N0.
iii) Der Rang von Aν(v) ist konstant mit 0 < rangAν(v) < N f ¨ur alle v ∈ N˜ := {v ∈ N0|Mv =0}.
iv) M∈ C∞(Γ,Rd×N)mit rangM(x) =df ¨urx∈Γ.
v) kerM(x) sei maximal nichtnegativ, d. h. kerAν(v) sei f ¨ur alle v ∈ N0 ein maximaler Untervektorraum von RN bzgl. der Mengeninklusion, auf welchemAν(v)positiv semi-definit ist.
vi) F ∈ Ts
k=0
Hk,∞([0,T],H∗s−k(Ω)), f ∈ H∗s(Ω). ¨Uberdies m ¨ogenFund f die Kompatibilit¨ats-bedingugen von der Ordnung s−1 erf ¨ullen, d. h. uk ∈ H∗s−k(Ω) und Muk = 0 f ¨ur k = 0, . . . ,s, wobeiuk diek-te Zeitableitung vonu an der Stelle t = 0 bezeichnet, wel-che sich iterativ mit Hilfe der Gleichung (A.5) berechnen l¨asst.
Dann existiert eine Zahl T′ ∈ (0,T] so, dass das Problem (A.5) eine eindeutige L ¨osungu ∈
s
T
k=0Ck([0,T′],H∗s−k(Ω))besitzt.
Wenn die Daten ¨uber volle Regularit¨at verf ¨ugen, kann man die Voraussetzung ans etwas ab-schw¨achen.
Satz A.2.5. Sei s ∈ Nmit s ≥ 2⌊n2⌋+6. Es gelten die Voraussetzungeni)–v)von Satz A.2.4.
Zus¨atzlich gelte:
vi’) Seien f ∈ Hs(Ω),F ∈ Ts
k=0Ck([0,T],Hs−k(Ω)). Es gelten die Kompatibilit¨atsbedingungen uk ∈ Hs−k(Ω)f ¨urk=0, . . . ,s.
Dann existiert eine Zahl T′ ∈ (0,T] so, dass das Problem (A.5) eine eindeutige L ¨osungu ∈
Ts
k=0Ck([0,T′],H∗s−k(Ω))besitzt.
Der Vollst¨andigkeit halber zitieren wir nach [63] noch einen Satz, welcher unter der Annah-me der G ¨ultigkeit der nachstehend definierten KREISS-Bedingung eine volle L ¨osungsregula-rit¨at garantiert.
Definition A.2.6. Ist rangAν(u)< Nkonstant f ¨urv ∈ N, so folgt wegen der Symmetrie und˜ der positiven Semidefinitheit vonAνdie Existenz einer N×N-TransformationsmatrixWund positiver Zahlena0,a1>0 so, dass
(W−1AνW)(v;ν(x)) =
AI 0 0 AI I
(v;ν(x)), detAI(v;ν(x))6=0, AI I(v;ν(x)) =0,
|A±I 1| ≤ a1, |W±1| ≤√ a0
f ¨urv∈ N˜ gilt. Dabei istAI ∈Rd×d, AI I ∈R(N−d)×(N−d). Sindv∈ N˜ undη(x)∈ {ν(x)}⊥\{0}, so ergibt sich
(W−1AνW)(v;η(x)) =
n
∑
j=1
(W−1AjW)(t,x,u)ηj(x) =
AI I AI I I
AI I I AI I I I
(v;η(x)),
wobei AI I ∈ Rd×d, AI I I I ∈ R(N−d)×(N−d). In [63] wurde bewiesen, dass es eine eindeutige L ¨osungA(t,x,u;ν(x);η(x))∈R(N−d)×dder Gleichung
(AAI−AI IA)(v;ν(x);η(x)) = AI I I(v;ν(x);η(x)) (A.6)
f ¨urv ∈ N˜ gibt. Die durch Gleichung (A.6) definierte MatrixAerf ¨ullt die KREISS-Bedingung, falls
(AAI I−AI I I IA)(v;ν(x);η(x)) =0 und(AAI I I)(v;ν(x);η(x)) =0 (A.7) f ¨ur allev∈ N˜ gilt.
Satz A.2.7. Unter Voraussetzungen von Satz A.2.5 sowie der KREISSschen Bedingung (A.7) besitzt (A.5) eine eindeutige L ¨osungu∈ Ts
k=0Ck([0,T],Hs−k(Ω)).
Bemerkung A.2.8. Alle in diesem Abschnitt formulierten Resultate lassen sich auf den Fall der zeit- und ortsabh¨angigen Koeffizientenmatrizen A0, . . . ,An,B verallgemeinern (vgl. [75]). M muss leider konstant bleiben.
Steuerungstheorie in B ANACH r¨aumen
SeienX und U BANACHr¨aume. Der lineare Operator A: D(A) ⊂ X → X erzeuge eine C0 -Halbgruppe(S(t))t≥0aufX. SeiB ∈ L(U,X−1)(s. Definition A.1.17). Wir betrachten das linea-re unendlichdimensionale Steuerungssystem
yt(t) =Ay(t) +Bu(t)f ¨urt∈[0,T],
y(0) =y0. (B.1)
Die folgenden Resultate werden nach [12] und [64] zitiert.
B.1 Steuerungs- und Beobachtungsoperatoren
Definition B.1.1. Der SteuerungsoperatorB ∈ L(U,X−1)heißt beschr¨ankt, fallsB ∈ L(U,X). Sonst heißt er unbeschr¨ankt.
Satz B.1.2. Seiu∈L2((0,T),U). Dann ist die durch y: t7→S−1(t)y0+Ltu
gegebene Funktiony∈ H1((0,T),X−1)die eindeutige schwache L ¨osung von (B.1), wobei Ltu:=
Z t
0 S−1(t−s)Bu(s)ds,
worin(S−1(t))t≥0die Erweiterung von(S(t))t≥0aufX−1bezeichnet (vgl. Definition A.1.17).
Bemerkung B.1.3. Die Anfangsbedingung ist sogar im Sinne der EinbettungH1((0,T),X−1)֒→ C0([0,T],X−1)erf ¨ullt.
Definition B.1.4. Ein SteuerungsoperatorB ∈ L(U,X−1)heißt zul¨assig f ¨ur(S(t))t≥0, falls f ¨ur y0 ∈Xundu∈ L2((0,T),U)die schwache L ¨osungyfast ¨uberall nachXabbildet.
Unser n¨achstes Ziel ist es nun, die zul¨assigen Steuerungsoperatoren zu charakterisieren.
127
Bemerkung B.1.5. Definition B.1.4 ist dazu ¨aquivalent, dass der sogenannte Steuerungszu-standsoperator
LT: U→X−1, u7→Z T
0 S−1(t−s)Bu(s)ds inL(L2((0,T),U),X)liegt.
Satz B.1.6. IstBein zul¨assiger Steuerungsoperator, so gilt f ¨ur die L ¨osungyvon (B.1) y∈ H1((0,T),X)֒→ C0([0,T],X)
und die Gleichung
yt(t) =Ay(t) +Bu(t)f ¨urt∈[0,T] ist unXerf ¨ullt.
Definition B.1.7. Ein linearer Operator A: D(A) ⊂ X → X erzeuge eine C0-Halbgruppe (S(t))t≥0 auf einem BANACHraum X. SeiY ein BANACHraum und sei C ∈ L(D(A),Y). Der OperatorC heißt zul¨assiger Beobachtungsoperator f ¨ur(S(t))t≥0, falls es eine KonstanteCT >0 so gibt, dass
Z T
0 kCS(t)yk2Ydt≤CTkyk2X
f ¨ur alley∈ D(A)gilt.
Satz B.1.8. Sei X ein reflexiver BANACHraum. Der lineare Operator A: D(A) ⊂ X → X er-zeuge eineC0-Halbgruppe(S(t))t≥0aufX. Dann istB ∈ L(U,X−1)genau dann ein zul¨assiger Steuerungsoperator1f ¨ur(S(t))t≥0, wennB∗ ∈ L(D(A∗),U′)ein zul¨assiger Beobachtungsope-rator f ¨ur(S∗(t))t≥0ist.
Korollar B.1.9. Der zumLtduale OperatorL∗t ist durch
L∗tx=B∗S∗(T−t)xf ¨ur allet∈[0,T]und x∈D(A∗), L∗tx=BΛ∗S∗(T−t)xf ¨ur fast allet ∈[0,T]undx∈ X′ gegeben, wobei
B∗Λz= lim
λ→∞λB∗(λ− A∗)−1z die LEBESGUEsche Erweiterung vonB∗bezeichnet.