Die meisten Bilanzgleichungen leiten sich von den Erhaltungsgesetzen (Massenerhaltung, Im-pulserhaltung, Energieerhaltung usw.) ab. Andere physikalischen Prinzipien, wie z. B. der 2.
Hauptsatz der Thermodynamik, pr¨azisieren die Stuktur der allgemeinen Gleichungen.
1.3.1 Massenbilanz
Seienρ0(X,t) und ρ(x,t) die Massendichten pro Volumeneinheit in der Referenz- sowie der Momentankonfiguration. Nun greift man eine beliebige offene MengeB ⊂ Brin der Referenz-konfiguration heraus, welche sich zum Zeitpunktt ∈ I zuχt(B)⊂ Btverformt. Da die Masse vonBerhalten sein muss, gilt
Z
Bρ0(X,t)dV=
Z
χt(B)ρ(x,t)dv und daher
dm=ρ0(X,t)dV =ρ(x,t)dv.
Mit dem Transformationssatz ergibt sich die Massenbilanz in den LAGRANGEschen Koordina-ten
ρ0 = Jρ.
Im Folgenden werden wir meistens der Einfachheit halber bei den Funktionen die Argumente auslassen.
1.3.2 Impulsbilanz
Wir bezeichnen mit ¯B: Br →R3und ¯b: χt(Br)→R3die auf den K ¨orper wirkenden Volumen-kr¨afte per Volumeneinheit in der Referenz- bzw. Momentankonfiguration. Sei dmdie Masse eines Volumenelementes dvund sei dfdie resultierende Kraft ¨uber dv. Dann gilt
df= B¯(X,t)dm=b¯(x,t)dm, d. h. ¯b◦χt=B.¯
Analog kann man die auf die Oberfl¨ache des K ¨orpers einwirkenden Oberfl¨achenkr¨afte T¯ : Sr → R3 und ¯t: χt(Sr) → R3 in der Referenz- bzw. Momentankonfiguration, auch ma-terielle bzw. r¨aumliche Oberfl¨achenkr¨afte genannt, betrachten. Seien dSund dsinfinitesimale Fl¨achen, welcheX ∈ Sr bzw.x ∈ χt(Sr)enthalten, mit den ¨außeren EinheitsnormalenNbzw.
n. Die resultierende Oberfl¨achenkraft lautet
df =T¯(X,t)dS=¯t(x,t)ds.
SeiB ⊂ Brein offenes GAUSSsches Normalgebiet mit dem ¨außeren Einheitsnormalenvek-torNan die Oberfl¨acheS =∂B. Der resultierende Impuls vonBlautet
L=
Z
Bρ0VdV.
Die resultierende Kraft schreibt sich ¨ahnlich zu F=
Z
Bρ0BdV¯ +
Z
SPNdS. (1.14)
Unter Verwendung des zweiten NEWTONschen Gesetzes d
dtL= B¯ und (1.14) folgt die Identit¨at
Z
Bρ0AdV=
Z
Bρ0BdV¯ +
Z
SPNdS,
mit dem BeschleunigungsvektorA. Der GAUSSsche Divergenzsatz liefert dann Z
B(ρ0(A−B¯)− DivP)dV=0, (1.15) wobei Div den Divergenzoperator bzgl. der Referenzkonfiguration bezeichnet. Da (1.15) f ¨ur alleBgilt, folgt
ρ0A=ρ0B¯ + DivPinBr. (1.16) Gleichung (1.16) stellt die Impulsbilanz in den LAGRANGEschen Koordinaten dar und wird in der Regel durch die Randbedingungen
PN=T¯ aufSr,1 (statische bzw. NEUMANNsche Randbedinungen), x=x¯ aufSr,2 (kinematische bzw. DIRICHLETsche Randbedinungen) mit vorgegebenen ¯Tund ¯xkomplettiert9
9Ein Beispiel f ¨ur ,,exotische“ Randbedingungen findet man bei den Kontaktproblemen, z. B. nach SIGNORINI, bei welchen die Randbedingungen als Ungleichungen gegeben sind (s. z. B. [15]).
1.3.3 Drehimpulsbilanz
SeiB ⊂ Brwiederum ein offenes GAUSSsches Normalgebiet mit dem ¨außeren Einheitsnorma-lenvektorNan die Obefl¨acheS =∂B. Den resultierenden DrehimpulsGbzw. das resultieren-de MomentumMdefiniert man als
G=
Z
B(x−x0)×ρ0VdV, M =
Z
B(x−x0)×ρ0BdV¯ +
Z
S(x−x0)×(PN)dS.
Da die ¨Anderungsrate des Drehimpulses dem Gesamtmomentum aller auf den K ¨orper von außen wirkenden Fl¨achen- und Volumenlasten gleicht, bekommt man die Drehimpulsbilanz-gleichung
d
dtG= M.
Der CAUCHYsche Satz (s. Beweis in [84]) liefert dann die Symmetrie vonσ σ =σT.
1.3.4 Mechanische Energiebilanz
SeiBwie oben. Die kinetische EnergieKvonBwird durch K= 12
Z
Bρ0|V|2dV
gegeben. Die Leistung PE aller auf B wirkenden ¨außeren Kraftfelder (Volumen- und Ober-fl¨achenkr¨afte) lautet dann
PE=
Z
Bρ0B¯ ·VdV+
Z
SPN·VdS.
Die Deformationsleistung PD ist die Leistung aller ¨außeren Kraftfelder, welche nicht in die kinetische Energie transformiert wird, d. h.
PD = PE−K.˙ (1.17)
Damit bekommen wir PD =
Z
Bρ0B¯ ·VdV+
Z
SPN·VdS−
Z
Bρ0A·VdV, was unter Beachtung des GAUSSschen Divergenzsatzes zu
PD =
Z
B(ρ0(B¯ −A) + DivP)·VdV+
Z
BP: GradVdV (1.18)
f ¨uhrt, wobei A: B := spur(AB) = ∑3
i,j=1
aijbij f ¨ur A,B ∈ R3×3 die doppelte ¨Uberschiebung bezeichnet. Ferner folgt aus Gleichung (1.15) wegen GradV=F˙
PD =
Z
BP: ˙FdV. (1.19)
LAGRANGEsche Form EULERsche Form
Masse ρ0= Jρ dtdρ=ρdivv
Impuls ρ0A=ρ0B¯ + DivP ρ0a=ρb¯ + Divσ
Drehimpuls σ = σT PF=FP
Mechanische Energie U˙ =P: ˙F U˙ = Jσ: d Thermische Energie U˙ =P: ˙F− divQ+R U˙ = Jσ: d− divq+r
Tabelle 1.1: Lokale Energiebilanzgleichungen in der LAGRANGEschen und der EULERschen Be-trachtungsweise
Der 1. PIOLA-KIRCHHOFF-TensorPund der DeformationsgradientFsind in diesem Sinne ar-beitskonjugiert, d. h. deren Produkt definiert die ¨Anderungsrate der inneren mechanischen Leistung, welche man grob als potentielle Energie bezeichnen kann. Mit (1.10), (1.12) und (1.13) folgt
P: ˙F=S: ˙E= Jσ :d.
1.3.5 Energieerhaltung
Die FunktionU: Br →Rbezeichne die Dichte der inneren Energie pro Volumeneinheit in der Referenzkonfiguration. Die gesamte innere Energie schreibt sich dann als
E=
Z Br
UdV=
Z
χt(Br)J−1UdV.
F ¨ur elastische K ¨orper muss die Energie konstant bleiben, sodass die ¨außere Energiezufuhr ohne Verluste in die kinetische Energie ¨uberf ¨uhrt wird, d. h.
PE= E˙ +K.˙ (1.20)
Setzt man Gleichung (1.17) in (1.20) ein, so ergibt sich die triviale Gleichheit
E˙ =PD, (1.21)
sodass wir keine neue Bilanzgleichung erhalten. Mit (1.19) kann man (1.21) in der Endform schreiben
U˙ =P: ˙F. (1.22)
Gleichung (1.22) heißt Energieerhaltungsgleichung in der LAGRANGEschen Form.
Alle Bilanzgleichungen, welche wir in diesem Abschnitt hergeleitet haben, lassen sich auch in EULERschen Koordinaten formulieren. Tabelle 1.1, welche wir nach [85] reproduzieren, listet die Bilanzgleichungen10in beiden Betrachtungsweisen auf.
1.3.6 Thermische Energie
Nun wollen wir zu irreversiblen Prozessen ¨ubergehen, wof ¨ur wir uns die Haupts¨atze der Ther-modynamik zu Nutze machen. Dabei orientieren wir uns an [85].
10Die Herleitung der Bilanzgleichung f ¨ur die thermische Energie wird am Ende des Abschnitts nachgeholt.
1. Hauptsatz der Thermodynamik
SeiQ: Br→Rdie thermische Energie und seienqundQder W¨armefluss je Zeit- und Fl¨achen-einheit in der Referenz- bzw. Momentankonfiguration. Bezeichnet man mitRundrdie W¨arme-zufuhr je Fl¨acheninhalt in der Referenz- bzw. Momentankonfiguration, so gilt
Q=
Z Br
RdV−Z
Sr
Q·NdS=
Z
χt(Br)rdV−Z
χt(Sr)q·ndS. (1.23) Da die Energie in einem geschlossenen System nach dem 1. Hauptsatz der Thermodynamik konstant bleibt, gilt
PE+Q= E˙+K,˙
d. h. Z
B(ρ0B¯ ·V+R)dV+
Z
S(T¯ ·V−V¯ ·N)dS=
Z B
UdV˙ +
Z
Bρ0A·VdV
f ¨ur alle GAUSSnormalgebiete B ⊂ Br mit ∂B = S, woraus sich die Bilanzgleichung f ¨ur die thermische Energie in der LAGRANGEschen Form ergibt
U˙ = P·F˙ − divQ+R. (1.24)
2. Hauptsatz der Thermodynamik
SeienS: Br→RundΣ: Br →Rdie Entropiedichte bzw. die Gesamtentropie¨anderung. Der 2.
Hauptsatz der Thermodynamik besagt, dass die Entropie¨anderung nichtnegativ ist:
Σ≥0. (1.25)
Ein thermodynamischer Prozess ist reversibel, fallsΣ=0 ist, was z. B. bei der reinen Elastizit¨at der Fall ist. GiltΣ > 0, so ist der Prozess irreversibel, was insbesondere f ¨ur thermoelastische Prozesse gilt.
Mit der Einf ¨uhrung des W¨armeflusses Q, der W¨armezufuhr R, der absoluten Tempera-tur T sowie der Entropiezufuhr RT schreibt sich (1.25) zur sogenannten CLAUSIUS-DUHEM -Ungleichung um:
Σ=
Z Br
SdV˙ +
Z S
Q TdS−
Z B
R
TdV≥0. (1.26)
Die Energie, welche in mechanische Leistung transformiert werden kann, wird als HELM
-HOLTZsche freie Energie oder HELMHOLTZ-PotentialA: Br→Rbezeichnet
A=U−ST. (1.27)
Unter Benutzung von (1.27) kann man (1.24) zu
A˙ =P: ˙F− divQ+R−ST˙ −ST˙ umschreiben sowie die lokale Form von (1.26)
A˙ +ST˙ −P: ˙F+Q
TGradT ≤0 (1.28)
herleiten. Formel (1.28) wird als CLAUSIUS-PLANCK-Ungleichung bezeichnet.