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2.1 Grundkonzepte und Behandlungsziele der psycho- psycho-analytischen Psychotherapien

2.1.1 Der psychoanalytische Prozess

Um den psychoanalytischen Prozess und dessen Merkmale untersuchen zu k¨onnen, ist es n¨utzlich, allen Widerspr¨uchen, Kontroversen und Schwierigkeiten1 zum Trotz, zumindest vorl¨aufig zu umreißen, was ein analytischer Prozess ¨uberhaupt ist.

Eine m.E. f¨ur die Praxis und die empirische Forschung brauchbare Arbeitsdefinition sieht das m¨oglicherweise wichtigste Merkmal des analytischen Prozesses darin, dass dieser eine Ubertragungssituation¨ ist. Kennzeichnend ist, dass in ihr der Analysand ,,etwas szenisch ausdr¨uckt, was er verbal nicht oder noch nicht mitteilen kann, weil er gar nicht weiß, was er mitteilen will. Er verbalisiert nicht, er inszeniert. Er erinnert nicht, er wiederholt”

(M¨uller-Pozzi, 2009, S. 15). Das Ph¨anomen derUbertragung¨ ist jedoch nicht spezifisch f¨ur die psychoanalytische Situation, sondern erst der Gebrauch, den die Psychoanalyse und die

1Ein Grund daf¨ur, warum der analytische Prozess so schwer zu definieren und damit zu operationalisie-ren ist, k¨onnte laut Schachter (2006) die Tatsache sein, dass st¨andig neue Theorien und Ideen entstehen, sich das Klientel der Psychoanalyse, die gesellschaftlichen Anforderungen - sowohl an die Patienten als auch an die Verfahrensweise - sowie der Zeitgeist ver¨andern, wodurch die Vorstellungen vom psychoana-lytischen Prozess st¨andig beeinflusst und modifiziert werden. Auch scheint die Psychoanalyse insgesamt kein allgemein anerkanntes Basiswissen zu haben, mit Ausnahme ihres Wissens ¨uber unbewusste Prozesse, das empirisch gut belegt ist. Dies allein reicht aber heute, so Schachter weiter, nicht mehr aus, um sich als Profession zu etablieren, deren Aufgabe in der Erkl¨arung und Behandlung seelischer St¨orungen besteht. In anderen, gut fundierten, akademischen Disziplinen - er nennt Pal¨aontologie und Physik - entstehen immer dann, wenn keine gemeinsamen Daten vorhanden sind, mit deren Hilfe sich bestimmte Fragen beantworten lassen, interne Auseinandersetzungen. Es werden dann Daten gesammelt und der Streit l¨asst sich beilegen.

Die neuen Erkenntnisse werden anschließend dem professionellen Grundlagenwissen hinzugef¨ugt und die gesamte Profession bewegt sich auf die n¨achste Stufe zu, auf der sich wieder kreativ streiten l¨asst. Dies alles passiere in der Psychoanalyse nicht. Sie verf¨uge ¨uber keine miteinander vergleichbaren Daten, sondern nur ¨uber eine Vielzahl von konkurrierenden Schulen und Str¨omungen (Schachter, 2006, S. 470 f.).

psychoanalytische Psychotherapie von der ¨Ubertragung machen. Freud (1910) beobachte-te, dass sich die ¨Ubertragung in allen menschlichen Beziehungen ebenso wie im Verh¨altnis des Kranken zum Arzt spontan herstellt; sie sei ¨uberall der eigentliche Tr¨ager der thera-peutischen Beeinflussung und sie wirke um so st¨arker, je weniger man ihr Vorhandensein ahne. Die Psychoanalyse schaffe sie also nicht, sie decke sie bloß dem Bewusstsein auf, und bem¨achtige sich ihrer, um die psychischen Vorg¨ange nach dem erw¨unschten Ziele zu lenken (Freud, 1910, S. 55). Nach der psychoanalytischen Theorie bauen, so M¨uller-Pozzi (2009), menschliche Beziehungen auf den Erfahrungen der prim¨aren Beziehungen auf und beru-hen teilweise auf ¨Ubertragung, erst dar¨uber hinaus werden sie zur neuen Erfahrung. Aus dieser allgemein menschlichen ¨Ubertragungsneigung schafft die Psychoanalyse somit also eines ihrer Hauptinstrumente, die bearbeitbare ¨Ubertragung oder die ¨Ubertragungsneurose (M¨uller-Pozzi, 2009, S. 15).

DerWiederholungszwang ist ein weiterer wichtiger Begriff f¨ur das Verst¨andnis des psycho-analytischen Prozesses. Er bedeutet die Tendenz des Psychischen, die eingepr¨agten und unbewussten Muster psychischer Konflikte in aktuellen Beziehungen stets neu zu insze-nieren. So zeugt der Wiederholungszwang von der Vitalit¨at und Unver¨anderbarkeit der ins Unbewusste verdr¨angten W¨unsche und Vorstellungen: sie bleiben einerseits dynamisch wirksam, andererseits aber der Weiterentwicklung und der Integration in neue Verh¨altnisse und Beziehungen entzogen (M¨uller-Pozzi, 2009, S. 16).

Um den intrapsychischen, also nicht bewussten und nicht verbalisierbaren Konflikte des Patienten bearbeiten zu k¨onnen, muss dieser in der Beziehung zum Analytiker und in Form einer negativen ¨Ubertragung aufgrund des Wiederholungszwanges reaktiviert wer-den. Konflikte m¨ussen, ob es dem Analytiker gef¨allt oder nicht, in konfliktiven Situationen bearbeitet werden. So sagte Freud (1912), dass es nicht zu leugnen sei, ,,daß die Bezwingung der ¨Ubertragungsph¨anomene dem Psychoanalytiker die gr¨oßten Schwierigkeiten bereitet, aber man darf nicht vergessen, dass gerade sie uns den unsch¨atzbaren Dienst erweisen, die verborgenen und vergessenen Liebesregungen der Kranken aktuell und manifest zu ma-chen, denn schließlich kann niemand in absentia oder in effigie erschlagen werden” (Freud, 1912b, S. 374). In der negativen ¨Ubertragung ist der Analysand dem reaktivierten Kon-flikt schutzlos ausgeliefert. Im Ubertragungswiderstand¨ dr¨uckt er zuallererst aus, was er hier und jetzt tut, um die Reaktivierung des Konflikts zu verhindern und zeigt so dem Analytiker das erste Mal deutlich, wie er einen inneren Konflikt zu bew¨altigen versucht.

Freud hat diese innere Arbeit des Patienten am Konflikt alsAbwehr bezeichnet. DieArbeit an den Widerst¨anden in der ¨Ubertragung wird nach dieser Auffassung als das eigentliche Arbeitsfeld der Analyse verstanden.

Die psychischen St¨orungen eines Menschen sind also, so M¨uller-Pozzi (2009), ,,seine Ver-suche, mit den Zwistigkeiten, Ungereimtheiten und Widerspr¨uchen im eigenen Inneren zurecht zu kommen und psychischen Schmerz in Grenzen zu halten. Die psychischen St¨orungen eines Menschen enthalten die Geschichte seiner psychischen Konflikte und de-ren bestm¨ogliche L¨osungen, die er im Laufe seines Lebens und unter den wechselnden

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außeren und inneren Bedingungen seiner psychischen Entwicklung aufbauen konnte. (...) Der Analysand kommt in die Therapie, wenn ihm das nicht mehr gen¨ugt, wenn er die einen-genden Bedingungen nicht l¨anger hinnehmen kann, wenn ihm die Kosten f¨ur das bisschen Wohlbefinden und Gl¨uck zu hoch sind, das er sich durch mancherlei Einengungen sichert”

(M¨uller-Pozzi, 2009, S. 18).

Gerade weil es im Verlauf dieser Arbeit u.a. um die Erforschung dessen gehen wird, was Psychoanalytiker und ihre Patienten in der Praxis wirklich tun und was dabei wirkt (und nicht darum, was sie zu tun meinen), sei hier - quasi als Vergleichsfolie - nochmals an den klassischen ,,Goldstandard” psychoanalytischer Technik erinnert: Um die innerpsychischen, abgewehrten Konflikte des Patienten aufzudecken, habeninterpretativeunddeutende Tech-niken auf Seiten des Therapeuten eine bedeutende Funktion im therapeutischen Prozess.

Der Patient wird aufgefordert, sich im Sinne der freien Assoziation offen mitzuteilen. Der Therapeut versucht, sich dem dabei zutage tretenden Material mit gleichschwebender Auf-merksamkeit zuzuwenden und durch gezielte Interpretationen dem Patienten bisher unbe-wusste Inhalte zug¨anglich zu machen. Einen besonderen Stellenwert nimmt dabei die Deu-tung der ¨Ubertragungsbeziehung ein, d.h. die durch vergangene Erfahrungen beeinflussten Gedanken, Gef¨uhle und Verhaltensweise des Patienten dem Therapeuten gegen¨uber. Des Weiteren sollte die Rolle des Therapeuten durch Neutralit¨at gepr¨agt sein: die Deutungen sollten von einem neutralen Standpunkt aus erfolgen. Ein weiteres Charakteristikum der Therapeutenrolle wird mit dem Begriff Abstinenz bezeichnet. Der Therapeut sollte dem-nach, so Laplanche und Pontalis (1973), konkrete Ratschl¨age und Hilfestellungen m¨oglichst vermeiden, dem Patienten die Befriedigung seiner W¨unsche versagen und tats¨achlich die Rolle annehmen, die dieser bestrebt ist, ihm aufzudr¨angen (Laplanche u. Pontalis, 1973, S. 22). Ein m¨oglichst schnelles Abklingen der leidvollen Symptomatik wird in der Analyse und der analytischen Psychotherapie also nicht angestrebt. Durch die abstinente Haltung des Analytikers soll erreicht werden, dass der Patient in der therapeutischen Beziehung die geringstm¨ogliche Ersatzbefriedigung f¨ur seine Symptome findet und sich dadurch die Ubertragungsbeziehung im therapeutischen Raum gestalten und ausbreiten kann. Nach-¨ dem die T¨ur des Behandlungszimmers geschlossen ist und der methodische und formale Rahmen festgelegt sind, beginnt sich, so Nissen (2009), eine Szene zu entwickeln, die so-wohl interpsychisch (d.h. es kommunizieren zwei Psychen, zwei Unbewusste miteinander) als auch intersubjektiv (d.h. eine Subjektivit¨at, die von sich selbst nichts weiß, wird durch eine andere, eine neutrale Subjektivit¨at, die des Analytikers, unter Beobachtung gestellt) zu verstehen ist. Das sich so etablierte System entwickle sich auf die pathogenen Grundt-hemen des Patienten hin (Nissen, 2009, S. 372). In der Sichtweise, die hier als vorl¨aufige Arbeitsgrundlage dient, beeinflussen sowohl Analysand als auch Analytiker die psychoana-lytische Situation, jedoch in sehr unterschiedlicher Weise: ,, ¨Ubertragung, Widerstand und Arbeitsb¨undnis sowie freie Assoziation konzeptualisieren die Seite des Analysanden, psy-choanalytische Haltung (Neutralit¨at, Abstinenz und gleichschwebende Aufmerksamkeit) und Gegen¨ubertragung die Rolle des Analytikers. Die Konzepte der Einsicht, des Deutens und Durcharbeitens bestimmen das Wesen der gemeinsamen analytischen Arbeit im Me-dium von ¨Ubertragung, Gegen¨ubertragung und Widerstand” (M¨uller-Pozzi, 2009, S. 12).

Empirische Psychotherapieforschung versucht diese hochkomplexen und wahrscheinlich gr¨oßtenteils dyadisch einzigartigen ¨Ubertragungssituationen im therapeutischen Prozess zu operationalisieren und somit der klinischen und konzeptuellen Forschung zug¨anglich machen.

2.1.2 Strukturelle Ver¨ anderung der Pers¨ onlichkeitsorganisation