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2.2 Stand der Forschung

2.2.1 Entwicklung der empirischen Psychotherapieforschung

entwickelt, die ihre Anf¨ange im Feld der klinischen Versorgung schwer gest¨orter Patien-ten hatte, aber mittlerweile auch ambulant fest verankert ist. Die Sichtweise dieser The-rapierichtung ist, dass strukturell gest¨orte Patienten - aufgrund von vernachl¨assigenden, emotional kargen, manchmal auch misshandelnden und traumatisierenden Beziehungser-fahrungen - grundlegende F¨ahigkeiten und Funktionen der Selbst- und der Beziehungsre-gulierung nicht oder nur bedingt entwickeln konnten. Daher ist es ihnen nicht m¨oglich, in befriedigender Weise an interpersonellen Beziehungen teilzunehmen und diese zu ge-stalten. Insgesamt mangelt es ihnen an der F¨ahigkeit zur Perspektiven¨ubernahme, d.h. an der F¨ahigkeit von einem dritten Standort aus auf sich selbst zu blicken und sich selbst-reflexiv zu betrachten. Und es scheint f¨ur diese Patienten nicht m¨oglich zu sein, an einer sozialen Welt teilzunehmen, in der das Zusammensein mit anderen sowohl von Wechsel-seitigkeit als auch von Selbstbestimmtheit gepr¨agt ist. Somit liegt der Schwerpunkt der psychoanalytisch-interaktionellen Therapie nicht vorrangig auf der intrapsychischen Welt des Patienten und auf seinem unbewussten Erleben. Im Vordergrund stehen vielmehr sei-ne Schwierigkeiten, sich selbst und seisei-ne zwischenmenschlichen Beziehungen zu regulieren und zu gestalten. Deshalb wird angestrebt, die M¨oglichkeiten des Patienten, am sozialen Leben teilzunehmen zu verbessern und so zu seiner psychischen Stabilisierung beizutragen.

Die therapeutische Arbeit richtet sich also auf das Selbst des Patienten im Kontakt mit anderen, auf seine Lebenswelt und auf die F¨ahigkeit, reziproke interpersonelle Beziehungen zu gestalten und mitzugestalten (Streeck u. Leichsenring, 2011, S. 13 f.).

McNeilly und Howard neu ausgewertet und es zeigte sich ein deutlich anderes Bild: Pati-enten, die sich in psychotherapeutischer Behandlung befanden, ging es bereits nach drei Monaten so gut wie nicht behandelten erst nach zwei Jahren.

Die sp¨ateren Aussagen Grawes in der so genannten Berner Metaanalyse (Grawe u. a., 1994), hatten ¨ahnlich große Effekte auf die Psychotherapieforschung wie Eysencks Behauptung:

Sie wirkten ebenfalls als Katalysator f¨ur die Erforschung der Wirksamkeit vor allem psy-choanalytischer Langzeitpsychotherapien. Zwei Thesen Grawes trafen auf besonders starke Resonanz: Die erste ist als50-Stunden-Argument bekannt, indem Grawe behauptete, dass mehr als 50 Sitzungen in der Therapie keine neuen Effekte mehr bringen w¨urden und Langzeittherapien somit ¨uberfl¨ussig seien. Zweitens widersprach er der in den achtziger Jahren favorisierten Vogel-Dodo-Hypothese bzw. dem Aquivalenzparadoxon¨ (Pfammatter u. Tschacher, 2012, S. 68) zugunsten der Verhaltenstherapie, die er f¨ur im Durchschnitt hochsignifikant wirksamer als psychoanalytische Ans¨atze hielt. Beide Thesen wurden in der Folgezeit mehrfach widerlegt. Grawe wurden, so F¨ah (2006) weiter, gravierende sta-tistische Interpretationsfehler und methodische Irrt¨umer nachgewiesen, trotzdem hatten seine Aussagen paradoxe und durchaus auch positive Auswirkungen, welche F¨ah in drei Punkten zusammenfasst: Der erste Grawe-Effekt besteht darin, dass nach der Publikati-on vPublikati-on Grawes Berner Metaanalyse und ihrer aufgeregten DiskussiPublikati-on ein undifferenzier-ter Kurzzeittherapie-Boom einsetzte. Sowohl Patienten als auch Therapeuten entwickel-ten unrealistische Erwartungen, was in 50 Therapiesitzungen zu erreichen sei. Dies f¨uhrte zwangsl¨aufig zu großen Entt¨auschungen auf beiden Seiten. Sp¨ater stellten sich jedoch po-sitive Effekte ein: Das Forschungsbewusstsein unter den Klinikern wuchs, es entstanden zahlreiche Forschungsprojekte in enger Zusammenarbeit zwischen Klinikern und Forschern und die Kluft zwischen Forschung und Praxis beginnt sich seitdem zu schließen. Der zweite Effekt ist dadurch gekennzeichnet, dass Grawes Aussagen von den Kostentr¨agern wahr-genommen und zun¨achst sehr willkommen geheißen wurden. Die Wirksamkeit und Kos-teneffizienz von psychoanalytischen Therapien wurden generell angezweifelt und dadurch gesundheits¨okonomische Studien stimuliert. Schließlich wurde belegt, dass Psychothera-pien kostensparende Maßnahmen sind und, dass LangzeitpsychotheraPsychothera-pien, darunter auch psychoanalytische, langfristige Wirkungen haben und somit als gesundheitsf¨ordernd und -erhaltend gelten k¨onnen. Schließlich h¨angt der dritte Effekt damit zusammen, dass durch die Aussagen Grawes zun¨achst auch bestimmte soziale Werte wie Langfristigkeit, Inner-lichkeit, Loyalit¨at und Respekt in Frage gestellt wurden und vermeintlich brauchbarere, dem modernen Kapitalismus angepasste flexible Einstellungen Vorrang erhielten. Nachdem jedoch z.B. die Bindungstheorie gezeigt hat, dass gesundheitserhaltende Strukturen und stabile, verl¨assliche Beziehungen von gr¨oßter Bedeutung f¨ur die psychische Gesundheit des Individuums sind, wird heute Flexibilit¨at nicht mehr uneingeschr¨ankt hochgepriesen. Inne-rer Halt und langfristige Orientierung haben in der Wertehierarchie wieder gleichgezogen (F¨ah, 2006, S. 43 ff.).

Die empirische Psychotherapieforschung im Allgemeinen kann heute in drei Phasen un-terteilt werden: Die (erste) klassische Phase der Psychotherapieforschung st¨utzte sich

zun¨achst auf mehr oder minder literarische Fallvignetten und sp¨ater auf Einzelfallbeob-achtungen um Pr¨a-Post-Vergleiche machen zu k¨onnen. Sie dauerte von Freuds Zeiten bis zu Eysencks oben beschriebener Behauptung, welche dann die zweite Epoche der Psy-chotherapieforschung, n¨amlich die Rechtfertigungsforschung, einleitete (Heckrath u. Doh-men, 1998). In dieser zweiten Phase lag der Schwerpunkt der Untersuchungen weitge-hend auf der Outcome- d.h. Ergebnisforschung. In den Studien ging es den Vertretern der verschiedenen therapeutischen Schulen darum, die Wirksamkeit ihres eigenen therapeu-tischen Verfahrens bzw. dessen ¨Uberlegenheit gegen¨uber anderen Verfahren empirisch zu belegen und abzusichern. Eine große Anzahl von Outcome-Studien zeigte schließlich, dass Psychotherapie wirkt. Der Abschluss dieser Phase wurde mit Metaanalysen erreicht, die eine quantifizierende Zusammenfassung ganz unterschiedlicher Studien erlaubten. Neben den Therapievergleichs- und Wirkungsstudien war diese Phase auch von der sogenannten Variablenforschung gepr¨agt, in der es um den Erfolgsbeitrag einzelner isolierter Verhal-tensweisen oder Pers¨onlichkeitsmerkmale der Interagierenden ging. Diese Untersuchungen wurden im Rahmen von Korrelationsstudien durchgef¨uhrt (Enke u. Czogalik, 1992, S. 155).

Weil aber immer deutlicher wurde, dass durch die forcierten gruppenstatistischen Auswer-tungen nur Tendenzen festgestellt, jedoch keine genauen Aussagen dar¨uber, was in den Sitzungen tats¨achlich geschieht, gemacht werden konnten, wandte sich die Forschung in ei-ner dritten Phase der detaillierten, kontinuierlichen und systematischen Untersuchung des therapeutischen Einzelfalles bzw. sehr vieler Patienten-Therapeuten-Paare zu. Die diffe-renzielle Einzelfallforschung in Form einer aufwendigen Prozess-Ergebnis-Forschung stellt laut Tschuschke (2009) den einzig gangbaren Weg, um auf die Fragen der aktuellen empiri-schen psychoanalytiempiri-schen Psychotherapieforschung (siehe Kapitel 2.2.2) Antworten finden (Tschuschke u. a., 2009, S. 164).

W¨ahrend es also in der Rechtfertigungsforschung um die Analyse der interindividuellen Varianz ging, besch¨aftigt sich die derzeit eine Renaissance erlebende prozessorientierte Einzelfallforschung mit der Analyse der intraindividuellen Varianz. Heckrath (1998) un-terscheidet dabei zwei prototypische Modelle. Im Rahmen der Typ-A-Prozessforschung wird die Therapie als homogener Ablauf betrachtet, der von ¨uberdauernden Merkmalen bestimmt wird. Diese k¨onnen Patientenvariablen wie auch therapeutische Variablen, z.B.

Empathie und Grundhaltung des Therapeuten, sein. In der Typ-B-Prozessforschung wird die Therapie als ein in sich gegliedertes Geschehen gesehen, wobei die Abfolge verschiede-ner Sequenzen variabel ist. Um solche Sequenzen feinkalibrig registrieren und auswerten zu k¨onnen, m¨ussen transkribierte Sitzungsaufnahmen vorliegen (Heckrath u. Dohmen, 1998).4

4Czogalik erw¨ahnt eine weitere m¨ogliche Unterteilung der Prozessforschung und zwar in Interaktionsfor-schung undEpisodenforschung. Die erstere besch¨aftigt sich mit der detaillierten Erfassung interaktioneller Verhaltensweisen in ihren wechselseitigen Verschr¨ankungen, wobei ihr Forschungsgegenstand im System Patient-Therapeut liegt und die Psychotherapie als ein Mehr-Personen-St¨uck, als r¨uckbez¨ugliches System oder als interaktionelle Konstruktion betrachtet wird. So k¨onnen Kenntnisse ¨uber diejenigen Interventio-nen gewonInterventio-nen werden, welche beim Patienten zu einer Ver¨anderung f¨uhren. Die zweite Art von Prozess-forschung, die Czogalik Episodenforschung nennt, versucht Ereignisse einzugrenzen und zu beschreiben, welche f¨ur den Therapieprozess bedeutsam sind und so besonders nahe an Ph¨anomene heranzuf¨uhren, die

Insgesamt verfolgt die Psychotherapieforschung laut Hauzinger (2006) gegenw¨artig das Ziel, den jeweiligen Einzelfall detailliert zu beschreiben und ihn als Ausgangspunkt wissen-schaftlicher Verallgemeinerungen zu nehmen. Dabei soll die Prozessforschung multimetho-dal, multiperspektivisch und mehrebenenorientiert vorgehen. Es sollen also unterschiedliche Erfassungsinstrumente und -methoden angewendet werden und die Variablen und Mess-werte auch auf mehreren Beurteilungs-, Verhaltens- und/oder Erlebens-Ebenen in ihrer wechselseitigen Verschr¨ankung analysiert werden (Hauzinger, 2006, S. 64).

Trotz der hohen Komplexit¨at von Psychotherapie und ihrer Erforschung k¨onnen, so Hau-zinger (2006) weiter, folgende Fragestellungen als das zentrale Anliegen von Psychothera-pieforschung, gleichg¨ultig welcher Richtung, angesehen werden (Hauzinger, 2006, S. 63):

• Was sind die Effekte verschiedener Formen von Psychotherapie?

• Wie wirksam sind die verschiedenen Formen der Psychotherapie bei verschiedenen St¨orungsbildern?

• Welche therapeutischen Merkmale bzw. Patientenmerkmale sind bez¨uglich der The-rapieeffekte ausschlaggebend?

• Wie interagieren Therapeutenvariablen und Patientenvariablen mit Beziehungsaspek-ten, Techniken und Methoden sowie mit den Stadien (Prozess und Verlauf) von Psy-chotherapie?

• Wie stellt sich das Kosten-Nutzen-Verh¨altnis von Psychotherapie dar?

Wozu ist Forschung in der Psychoanalyse ¨uberhaupt notwendig?

Dieter B¨urgin beantwortet diese Frage recht pr¨azise mit einer ganzen Liste von Argumen-ten: Man brauche Forschung, um therapeutische Wirksamkeit zu ¨uberwachen, Theorien und ihre Anwendung in der Praxis zu ¨uberpr¨ufen, anschlussf¨ahig an andere Wissenschaf-ten zu bleiben sowie der Gefahr zu entgehen, esoterisch abzugleiWissenschaf-ten und in die Isolation zu geraten (B¨urgin, 2001, S. 433).

Entgegen der fr¨uheren Bef¨urchtung (oder Unterstellung), dass empirische Forschung au-tomatisch quantitativ und experimentell und damit ,,anti-psychoanalytisch” sein m¨usse, herrscht heute, so Poscheschnik (2009), weitgehend Einigkeit dar¨uber, dass es eine Vielzahl von prinzipiell gleichberechtigten Erkenntniswegen und wissenschaftstheoretischen Stand-punkten gibt und dass unterschiedliche Forschungsgegenst¨ande und Forschungsfragen un-terschiedliche methodische Zug¨ange erfordern (Poscheschnik, 2009, S. 342 f.). Der kleinste gemeinsame Nenner dieser Pluralit¨at ist letztlich nur, so Poscheschnik weiter, dass wis-senschaftliche Erfahrungen im Vergleich zur Alltagserfahrungen eine gr¨oßere Genauigkeit,

zu verstehen und zu beherrschen zentrales therapeutisches Anliegen ist (Enke u. Czogalik, 1992, S. 162 f.).

Vollst¨andigkeit, Repr¨asentativit¨at und Kontrastsch¨arfe aufweisen sollten (Poscheschnik, 2009, S. 344).

Auch wenn nicht jede Form der Grundlagenforschung einen Zugewinn f¨ur die Praxis mit sich bringen muss - ebenso wenig wie aus jeder durchgef¨uhrten Therapie neue Theorien entspringen m¨ussen - und das Verh¨altnis von Klinik und Forschung nicht hierarchisch son-dern komplement¨ar mit je eigenem Recht sein sollte (Poscheschnik, 2009, S. 349 f.), muss sich die empirische Forschung doch immer wieder fragen, ob sie die praktisch t¨atigen Psy-choanalytiker mit empirisch fundiertem und abgesichertem Wissen ¨uber die Wirksamkeit der psychoanalytischen Therapien versorgen kann. Die Antwort auf diese Frage h¨angt mit zwei zentralen Forschungsproblemen zusammen:

1. Welche Ver¨anderungen finden w¨ahrend und als Folge der Therapien statt?

2. Wie kommt es zu den Ver¨anderungen - d.h. durch die Wechselwirkung welcher Fakto-ren beim Patienten, beim Therapeuten, der Therapie und der entstehenden Lebens-situation des Patienten?

Die erste Frage wird im Rahmen der Ergebnis- bzw. Outcome-Forschung, die zweite im Rahmen der Prozessforschung untersucht. Da das Verst¨andnis des therapeutischen Ge-schehens und Prozesses auf keinem Fall unabh¨angig vom Therapieerfolg gesehen werden kann, werden Outcome- und Prozessforschung in den aktuellsten Studien, wie auch in der vorliegenden Arbeit, miteinander verbunden und in Relation zueinander untersucht.

2.2.2 Die vier Generationen der analytischen