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4 Messung des technischen Fortschritts

4.4. Prozessablauf-Konzepte

Die bisher beschriebenen Input-, Output- und Input-Output-Konzepte behandeln den Innovationsprozess als "black box". Prozessablauf-Konzepte versuchen den Stand der Technik bzw. den technischen Fortschritt an Hand des Produktionsvorganges zu bestimmen.

Es handelt sich um eine realtechnische Charakterisierung vorwiegend im Bereich des Industriesektors, die sich aber auch auf den Tertiärsektor übertragen lässt. So versucht Scholz (1977) im Rahmen eines "systemtechnischen Ansatzes zur Bestimmung des Standes der Technik" Produktionsprozesse mit Hilfe von vier Technik-Variablen (Arbeitsverfahren, Automatisierung, Komplexität der technischen Organisationsstruktur, Dimensionierung der Produktionsanlagen) zu charakterisieren. Scholz möchte diesen Ansatz auch als Ausgangslage für eine Technikstatistik verstanden wissen.

Zur gleichen Zeit wie Scholz haben Nelson und Winter ihren Aufsatz "In Search of Useful Theory of Innovation" (Nelson/Winter 1977) publiziert und darin den Begriff "natural trajectories" eingeführt. Sie haben ihn später in "technological trajectories" umbenannt (Nelson/Winter 1982). Andere Autoren haben ähnliche Begriffe entwickelt, wie z.B.

"technological paradigm" (Dosi 1982), "technological corridor" (Georghiou et al., 1986), oder

"technological guideposts" (Sahal 1981). Diese Konzepte beschreiben - mit einigen Nuancen - die Tatsache, dass technologische Entwicklungen nicht einfach durch bestimmte Technik-Variablen funktionell charakterisiert werden können, sondern dass sie eine innere Logik auf-weisen und damit auch einen bestimmten zeit-abhängigen ("path-dependent") Pfad (oder Bahn) verfolgen. Diese Logik bestimmt,- unter den jeweils vorgegebenen techno-ökonomischen Bedingungen, die in der Literatur unter dem Sammelbegriff "techno-ökonomisches Paradigma" (s. oben) zusammengefasst werden - welche technologischen Aktivitäten zu welchem Zweck eingesetzt werden sollen. Technologische Trajektorien werden nach Dosi definiert als "the activity of a technological process along the economic and technological trade-offs defined by a paradigm" (Dosi 1988:1228).

Gemäss dieser Vorstellung gibt es Trajektorien, die nur für eine bestimmte Technologie in einer bestimmten Industrie relevant sind, und solche, die von mehreren Technologien in mehreren Industrien verfolgt werden. Dosi führt dazu zwei Beispiele aus der ersten Kategorie auf: "...technological progress in aircraft technology has followed two quite precise trajectories (one civilian and one military) characterized by log-linear improvements in the trade-offs between horsepower, gross takeoff weight, cruise speed, wing loading, and cruise range (...). In microelectronics, technical change is accurately represented by an exponential trajectory of improvement in the relationship between density of the electronic chips, speed of computation, and cost per bit of information" (Dosi 1988:1228-1129). Beispiele aus der

65 zweiten Kategorie sind 1. technologische Aktivitäten zur Automatisierung von Handarbeit

und 2. solche zur Ausnützung bisher ungenützter Skalenerträge ("exploitation of latent scale economies" Nelson/ Winter 1977:58-59).

Zur empirischen Erfassung der technologischen Trajektorien in der Schweizer Industrie wurde im Rahmen unserer schriftlichen Expertenbefragung die folgende Frage gestellt: "In welchem Ausmass wurden folgende technologische Aktivitäten in Ihrem Wirtschaftszweig konsequent eingesetzt?" (Fragebogen S. 20). Die Ergebnisse sind in Tab. 1.13 zusammengefasst. Danach sind die wichtigsten, auf der Ebene der gesamten Industrie konsequent eingesetzten technologischen Massnahmen (in dieser Reihenfolge): Massnahmen zur Kostenoptimierung, Mechanisierung und Automatisierung von Handarbeit, Entwerfen von Produkten für spezifische Marktsegmente, Massschneidern von Produkten auf die Bedürfnisse einzelner Konsumenten, Verbesserung der Leistungsmerkmale des Produktes (Betriebsgeschwindigkeit, Wirkungsgrad, usw.), Qualitätsverbesserung des Inputmaterials, Verbesserung der physischen Eigenschaften des Produktes (Materialstärke, Lebensdauer, Reinheit, usw.). Hingegen werden Massnahmen wie Veränderung des Produktionsvolumens, Hinzielen auf ein standardisiertes oder dominantes Produktdesign, Veränderung des Umfanges oder der Dimension des Produktes (z.B. Miniaturisierung) als weniger wichtig angesehen.

Tabelle 1.13: Natur des technischen Fortschritts, definiert nach den folgenden technologischen Aktivitäten. Unternehmensdaten (n=358)

Arithmetisches Q1 (25%)-Q3 (75%)

Mittel

1. Veränderung des Produktionsvolumens 4,77 (0,08) 4,00 - 6,00 2. Mechanisierung und Automatisierung von Handarbeit 5,57 (0,07) 5,00 - 7,00 3. Massnahmen zur Kostenoptimierung 5,76 (0,06) 5,00 - 7,00 4. Qualitätsverbesserung des Inputmaterials 5,29 (0,07) 4,00 - 6,00 5. Umstellung von schubweisen (batch) auf

kontinuierliche Produktionsprozesse 3,88 (0,10) 2,00 - 5,00 6. Veränderung des Umfanges oder der Dimension des

Produktes (z.B. Miniaturisierung)* 3,55 (0,11) 2,00 - 5,00 7. Verbesserung der physischen Eigenschaften des Pro-

duktes (Materialstärke, Lebensdauer, Reinheit, usw.) 5,00 (0,08) 4,00 - 6,00 8. Verbesserung der Leistungsmerkmale des Produktes

(Betriebsgeschwindigkeit, Wirkungsgrad, usw.)* 5,38 (0,08) 5,00 - 7 ,00 9. Hinzielen auf ein standardisiertes

oder dominantes Produktdesign * 4,54 (0,09) 3,00 - 6,00 10. Entwerfen von Produkten für spezifische Marktsegmente* 5,52 (0,07) 5,00 - 7,00 11. Massschneidern von Produkten auf die

Bedürfnisse von einzelnen Konsumenten 5,38 (0,09) 4,00 - 7,00

* Die Antworten auf diese Frage sind von Wirtschaftsart zu Wirtschaftsart signifikant verschieden (Signifikationsniveau 0,05)

Betrachtet man die Ergebnisse auf der Ebene der einzelnen Branchen, kann man im Hinblick auf die unterschiedliche Bedeutung der technologischen Trajektorien für die untersuchten Branchen folgendes festhalten (s. Tab. 1.14):

1. Für alle fünf aufgeführten Branchen wichtig (d.h. die Antwortnote auf diesbezügliche Fragen ist bei allen gleich 5 oder grösser) sind folgende Aktivitäten:

- Mechanisierung und Automatisierung von Handarbeit, - Massnahmen zur Kostenoptimierung,

- Qualitätsverbesserung des Inputmaterials und

- Entwerfen von Produkten für spezifische Marktsegmente.

2. Nur für bestimmte Branchen wichtig (d.h. die Antwortnote ist grösser als 5) und für andere nicht so wichtig (d.h. die Antwortnote ist kleiner als 5) sind folgende Aktivitäten:

- Veränderung des Produktionsvolumens ist sehr wichtig für die Uhren- und Nahrungs-mittelindustrie und weniger wichtig für die übrigen Branchen.

- Umstellung von schubweisen (batch) auf kontinuierliche Produktionsprozesse ist - mit Ausnahme der Uhrenindustrie - für alle Branchen weniger wichtig.

- Verbesserung der physischen Eigenschaften des Produktes (Materialstärke, Lebensdauer, Reinheit, usw.) ist für die Maschinen- und Metallindustrie, für die Chemie und für die Elektroindustrie wichtig, für die übrigen Branchen dagegen weniger wichtig.

- Verbesserung der Leistungsmerkmale des Produktes (Betriebsgeschwindigkeit, Wirkungs-grad, usw.) ist für die Elektro-, für die Uhren- und für die Maschinen- und Metallindustrie von Bedeutung, für die anderen Branchen dagegen weniger wichtig.

- Hinzielen auf ein standardisiertes oder dominantes Produktdesign ist erstaunlicherweise - mit Ausnahme der Uhrenindustrie - für alle anderen Branchen weniger wichtig.

3. Für alle fünf aufgeführten Branchen nicht wichtig (d.h. die Antwortnote auf diesbezügliche Fragen ist bei allen kleiner als 5) ist die Veränderung des Umfanges oder der Dimension des Produktes (z.B. Miniaturisierung).

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Tabelle 1.14: Natur des technischen Fortschritts in der Maschinen- und Metall- (B1), Elektro- (B2), Chemie (B3), Uhren- (B4), und

Technologische Aktivitäten B1 B2 B3 B4 B6 1. Veränderung des Produktionsvolumens 4,69 4,93 4,76 6,40 5,33 2. Mechanisierung und Automatisierung von Handarbeit 5,55 5,52 5,51 6,60 6,20 3. Massnahmen zur Kostenoptimierung 5,80 5,61 6,00 6,33 6,20 4. Qualitätsverbesserung des Inputmaterials 5,23 5,38 5,60 5,00 5,29 5. Umstellung von schubweisen (batch)

auf kontinuierliche Produktionsprozesse 3,73 3,83 4,00 5,00 4,65 6. Veränderung des Umfanges oder der Dimension des

Produktes (z.B. Miniaturisierung)* 3,40 4,84 2,77 3,40 2,75 7. Verbesserung der physischen Eigenschaften des Produktes

(Materialstärke, Lebensdauer, Reinheit, usw.) 5,26 5,10 5,23 4,20 4,38 8. Verbesserung der Leistungsmerkmale des Produktes

(Betriebsgeschwindigkeit, Wirkungsgrad, usw.)* 5,65 6,00 4,74 5,83 4,91 9. Hinzielen auf ein standardisiertes oder dominantes Produktdesign* 4,72 4,83 3,90 5,20 4,71 10. Entwerfen von Produkten für spezifische Marktsegmente* 5,50 5,66 5,76 5,50 6,05 11. Massschneidern von Produkten auf die Bedürfnisse

von einzelnen Konsumenten 5,40 5,30 5,73 4,16 5,50

* Die Antworten auf diese Frage sind von Wirtschaftsart zu Wirtschaftsart signifikant verschieden (Signifikationsniveau 0,05)

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Prozessablauf- Konzepte weitgehend durch das von Nelson/Winter (1977, 1982) ursprünglich entwickelte Konzept "technological trajectories" oder durch ähnliche Konzepte anderer Autoren operationalisiert werden. Es beschreibt und analysiert jene technologischen Aktivitäten, die zu einem gegebenen Zeitpunkt und unter den jeweils vorgegebenen techno-ökonomischen Bedingungen (techno-ökono-mischem Paradigma) den konkreten Inhalt des technischen Fortschritts ausmachen.

Empirische Untersuchungen (inkl. die vorliegende über die Schweiz) zeigen, dass es neben den für die gesamte Industrie relevanten technologischen Trajektorien (z.B. technologische Aktivitäten zur Automatisierung von Handarbeit) auch solche gibt, die nur für die eine oder die andere Branche von Bedeutung sind (z.B. Hinzielen auf ein standardisiertes oder dominantes Produktdesign in der schweizerischen Uhrenindustrie). Auch hier gibt es also wichtige interindustrielle Unterschiede: Was als "black box" bezeichnet wird, ist im hellen Licht des technologischen Alltags von einem Wirtschaftszweig zum anderen z.T. sehr verschieden.