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4 Messung des technischen Fortschritts

4.1 Input-Konzepte

4.1.4 Anzahl Patente

Als Indikator, der sich auf das Resultat der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit abstützt, kann die Anzahl Patente verwendet werden19. Aber auch dieser Indikator weist erhebliche Mängel auf.

- Die Art der Produkte und Verfahren, die patentiert werden können, werden durch den Stand der nationalen und internationalen Gesetzgebung bestimmt und limitiert (z.B. bei chemischen Produkten). Diese Tatsache manifestiert sich unter anderem auch in den unterschiedlichen Erfolgsquoten von Patentanmeldungen in den einzelnen Ländern:

Während in Deutschland nur 33,33 % der Patentgesuche zur Erteilung führen, sind dies in Grossbritannien 80 % und in Frankreich sogar 90 % (vgl. The Economist 4/1/92:21).

Beim Europäischen Patentamt beträgt die entsprechende Ziffer etwa 68 % für 1989 (zitiert nach Dolder 1991:68).

- Die Patentierneigung variiert nicht nur von Land zu Land, sondern auch zwischen Unternehmen und Industriezweigen (Scherer 1983). Es besteht z.B. die Tendenz, dass grössere Unternehmen in bestimmten Branchen immer mehr von Patentierungen absehen und die entsprechenden Informationen auf andere Weise zu schützen versuchen (mehr dazu s. Teil 2 dieser Arbeit). Während die Innovationstätigkeit in kleinen und mittleren Unternehmen durch F&E-Indikatoren unterschätzt wird (s. oben), geschieht dies durch Patent-Indikatoren in den Grossunternehmen zumindest im angelsächsischen Raum (vgl.

Pavitt 1982). Für die Bundesrepublik Deutschland hingegen weist Oppenländer (1988) darauf hin, "dass vor allem für kleine und mittlere Unternehmen aus der jeweiligen Patentrechtspraxis Schwierigkeiten entstehen. Die Patentschrift bedarf, ehe sie eingereicht wird, sorgfältiger und damit kostspieliger Recherchen, die am ehesten in einer entsprechenden Organisationseinheit (Patentabteilung) verfolgt werden können. In kleinen und mittleren Unternehmen fehlen meist solche Einheiten. Man ist dann auf externe Hilfen angewiesen. Dauer und Kosten des Anmeldeverfahrens mögen manches Unternehmen vom Gang zum Patentamt abhalten. Die Schwierigkeiten bei der Verfolgung des Patentschutzes kommen dazu. Hier bedarf es einer kontinuierlichen und, wegen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, einer wachsenden Betreuung des Patentbestandes. Diese institutionellen Gegebenheiten sind Gründe für die

19 Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass es eine kontroverse Diskussion darüber gibt, für welche Phase des Innovationsprozesses Patente als Indikator gelten sollen. Während Schmookler (1966) Patente als Indikator für den Output der Erfindungsphase sah, postulieren andere Autoren, dass sie es für den Output der Innova-tionsphase seien. Diese Differenz kann zwei Gründe haben: zum einen gibt es keine allgemein gültige Definition der hier verwendeten Begriffe (was für die einen noch zur Erfindung gehört, ist für die anderen bereits Bestandteil von Innovation) und zum anderen weisen Patente unterschiedliche Spezifikations- und Präzisierungsgrade auf. Manche Patente werden für sehr allgemeine neue Ideen sehr früh in der Entwicklungsphase erteilt, während für andere genauere Angaben vom Gesuchsteller verlangt werden, die erst am Ende der Entwicklungsphase gemacht werden können. Eine ausführliche Darstellung der Möglichkeiten und Grenzen der Patente als Indikator für den technischen Fortschritt liefert Griliches (1990).

Er kommt dabei zum folgenden Schluss: "Ideally, we might hope that patent statistics would provide a measure of the (inventive) output... The reality, however, is very far from it. The dream of getting hold of an output indicator of inventive activity is one of the strong motivating forces for economic research in this area" (Griliches 1990:1669). Während die meisten empirischen Untersuchungen die Anzahl der Patente als Indikator für die Erfindungs- und Innovationsfähigkeit von Firmen, Industrien und Ländern benutzen, gibt es inzwischen neue Arbeiten, welche die Anzahl "Ansprüche pro Patent" ("patent claims") als Indikator für diese Tätigkeit verwenden (s. Tong/Frame 1994).

Nichtanmeldung von Erfindungen durch Klein- und Mittelunternehmen." (Oppenländer 1988:267)20.

- Neben den meist detaillierten Patentstatistiken sind solche über Patentauswertungen in der Schweiz kaum vorhanden: Weder die spätere Verwendung noch der ökonomische Wert oder die wirtschaftlichen Effekte der registrierten Patente sind systematisch erfasst und analysiert worden. Die wenigen in diesem Gebiet bereits durchgeführten empirischen Studien zeigen, dass der ökonomische Nutzen aus erteilten Patenten sehr asymmetrisch unter den Patentinhabern verteilt ist. Scherer hält dazu folgendes fest: "There's evidence that the distribution of profits from individual patented inventions is extremely skewed.

That is to say, most patented inventions make modest profit returns, if any at all. A very few make tremendous returns. Examples would be Hoffman-La Roche's Valium and Librium, covered essentially by two patents. I estimate the profits from those at several billion dollars. Indeed, the distribution of profit returns to inventions is so asymmetrically skewed that the only way you can deal acceptably with it is through economic history, and not through economic statistics." (Scherer 1993:78)22.

Angesichts dieser Kritikpunkte kommt der Patentstatistik als Indikator für den technischen Fortschritt nur approximative Aussagekraft zu. Zur Messung der Patentaktivität einzelner Länder werden von der OECD folgende Daten nach einheitlichen Kriterien zusammengestellt und regelmässig publiziert (s. z.B. OECD 1996b):

- Die Anzahl inländischer Patentgesuche (number of domestic patent applications); dies sind Patentgesuche, die von Personen mit Wohnsitz im Land A bei ihrem Patentamt eingereicht worden sind (Tabelle A1.1 im Anhang). Diese Zahl ist zunächst ein Indikator für die Technologieproduktion im Land A und kann darüber hinaus zur Berechnung weiterer Indikatoren verwendet werden. Beispiele sind der sog. "Erfindungskoeffizient"

("inventiveness coefficient"): Anzahl inländischer Patentgesuche pro 10 000 Einwohner (s. Tab. A1.2 im Anhang) - und die "Rate technologischer Selbstversorgung" ("rate of technological autosufficiency"): Verhältnis inländischer zu nationalen Patentgesuchen (s.

Tab. A1.3 im Anhang).

- Die Anzahl ausländischer Patentgesuche (number of foreign patent applications); dies sind Patentgesuche, die von Personen mit Wohnsitz im Ausland beim Patentamt von Land A eingereicht worden sind (Tab. A1.4 im Anhang). Mit Hilfe dieser Zahl kann z.B. die

"Rate technologischer Abhängigkeit" berechnet werden, welche dem Verhältnis

"ausländische Patentgesuche/inländische Patentgesuche" entspricht (Tab. A1.5 im Anhang).

- Die Anzahl nationaler Patentgesuche (number of national patent applications); sie entspricht der Summe inländischer und ausländischer Patentgesuche. Diese Zahl repräsentiert sozusagen die Grösse des "technologischen Marktes", welcher das Land A

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Oppenländer fasst ferner die Ergebnisse einer empirischen Studie (Greipl/Täger 1984) zusammen, welche die Gründe für die Nicht-Anmeldung von technischen Erfindungen zu Patenten systematisch untersucht. Danach liegen diese Gründe insbesondere bei den Tatbeständen "Anmeldeverfahren zu schwierig und/oder zu lang",

"zu hohe Anwaltshonorare", "zu hohe Patentgebühren" und auch im Tatbestand "Patentverletzungen schwer feststellbar/Patentprozess zu teuer". Fazit: "Das Spektrum dieser institutionellen Gründe dürfte ausreichen um zu erklären, dass kleine und mittlere Firmen generell weniger als Patentanmelder in Erscheinung treten."

(Oppenländer 1988:267).

22 Zum Stand der internationalen Forschung in diesem Bereich siehe Griliches (1990), European Patent Office/IFO-Institute (1993) sowie OECD (1996b).

41 darstellt und ist zu einem gewissen Grad auch ein Indikator für dessen potentiellen Markt

für neue industrielle Güter und Dienstleistungen (Tab. A1.6 im Anhang).

- Die Anzahl externer Patentgesuche (number of external patent applications); dies sind Patentgesuche, die von Personen mit Wohnsitz in Land A bei den Patentämtern des Auslandes eingereicht worden sind (Tab. A1.7 im Anhang). Sie ist somit ein Indikator für die "Technologiediffusion" zwischen Land A und dem Ausland. Angesichts der Globalisierung der Märkte werden Erfindungen nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland mit Hilfe von Patenten geschützt. Eine Erfindung könnte zusätzlich zu einem inländischen auch zu einem oder zu mehreren externen Patentgesuchen Anlass geben.

Von allen oben aufgeführten Arten von Patentanmeldungen werden vor allem "externe Patentanmeldungen" (z.B. diejenigen in den USA oder beim Europäischen Patentamt in München) für internationale Vergleiche bevorzugt, und zwar aus verschiedenen Gründen.

Einmal wird dadurch das Problem vermieden, die unterschiedlichen nationalen Gesetzgebungen in Rechnung zu stellen. Zum anderen sorgen die anfallenden hohen Kosten der Anmeldung und der Pflege von Patenten dafür, dass es sich dabei um "ernst zu nehmende" Anmeldungen handelt. Solche Kosten werden im Allgemeinen nur in Kauf genommen, wenn ein entsprechender wirtschaftlicher Nutzen dahinter steht (vgl. Oppenländer 1992: 175).

Ein Blick auf die Patentstatistik der OECD zeigt, dass auch hier enorme internationale wie interindustrielle Unterschiede bestehen.

- Gemessen an der absoluten Zahl von Patentanmeldungen ist die Schweiz unter den 10 patentaktivsten Ländern der Welt. Mit 41’043 externen Patentanmeldungen im Jahre 1993 steht sie weltweit an 6. Stelle und mit 47’271 nationalen Patentanmeldungen an 11. Stelle.

Die entsprechende Zahl für inländische Patentanmeldungen beträgt 3’254 und der entsprechende Rang ist 10.

- Gewichtet man die absoluten Patentanmeldungen mit der Bevölkerungszahl, so ist die Schweiz an der Spitze der Weltrangliste zu finden. Mit rund 4,7 inländischen Patentanmeldungen pro 10'000 Einwohner ("Erfindungskoeffizient") steht sie nach Japan an zweiter Stelle.

Diese Zahlen weisen insgesamt auf eine hohe Erfindungs- und Innovationskraft der Schweiz auch im internationalen Vergleich hin. Schlüsselt man diese jedoch nach Wirtschaftszweigen auf, so zeigen sich auch hier enorme interindustrielle Unterschiede. Eine neue Studie des Bundesamtes für Konjunkturfragen (s. Hotz-Hart/Küchler 1992) hat diesbezüglich für die Jahre 1982-88 folgendes gezeigt:

- Technologiefelder mit besonders vielen Patentanmeldungen sind Textil und Bekleidung, organische Chemie, Maschinen und Apparate, Verfahrenstechnik, Werkzeug- und Textilmaschinen, Uhren.

- Schwach besetzte Technologiefelder sind Biotechnik (inkl. Fermentation und Protein Engineering), Elektronik, Nachrichtentechnik (speziell Breitbandkommunikation), Optik, Optoelektronik, neue Materialien (speziell Keramik und Polymere).

- Technologische Stärken der Schweiz liegen tendenziell in den Feldern laufender Innovationen, ihre Schwächen dagegen in solchen bedeutender Innovationen. Mit anderen Worten: Die Schweiz scheint einerseits in technologisch und wirtschaftlich wichtigen und wachstumsträchtigen Bereichen unterdurchschnittlich vertreten zu sein und diese Position im Zeitablauf nicht wesentlich verbessert zu haben. Andererseits hat sie ihre Position in ihren klassischen Technologiefeldern konsolidiert. Die Strategie schweizerischer Unternehmen scheint somit darin zu liegen, eher bereits bestehende Stärken auszubauen, als in jenen Technologiefeldern aufzuholen, in denen sie relativ schwach vertreten sind.

Diese Ergebnisse, welche insgesamt und insbesondere unter dynamischen Gesichtspunkten ein etwas weniger günstiges Bild von der technologischen Position der Schweiz zeichnen, bestätigen den allgemeinen Befund einer früheren Studie über die Diffusion neuer Technologien. Die Schweiz zeichnet sich demnach durch eine Mischung von Vorsicht bei den Schlüsseltechnologien und Innovationsfreudigkeit bei den Rationalisierungstechnologien aus (vgl. Hieronymi et al. 1984).