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2 Ergebnisse einer Expertenbefragung in der Schweizer Industrie 2.1 Konzept und Erhebungsmethode der Expertenbefragung

2.1.4 Methodische Probleme

Die meisten empirischen Arbeiten in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sind mit me-thodischen Problemen behaftet. Die vorliegende Arbeit bildet keine Ausnahme. Vier Problemkreise möchte ich in diesem Zusammenhang kurz besprechen.

1. Ein erstes Problem betrifft den Erkenntniswert solcher empirischen Arbeiten. Es wird hier grundsätzlich nach "subjektiven Meinungen" gefragt, wenn auch in der vorliegenden Untersuchung die befragten Personen wissenschaftlich geschulte Experten sind. Ob damit die "Wahrheit" über die untersuchten Fragen gewonnen werden kann, sei dahingestellt.

Zudem können subjektive Meinungen über schwer erfassbare (d.h. hier schwer quantifi-zierbare) qualitative Zusammenhänge nur ungefähr eruiert werden. Die ersten grundsätzlichen Schwierigkeiten beginnen bereits zum einen mit der Umsetzung (bzw.

Operationalisierung) der theoretischen Konstrukte und Zusammenhänge (hier der Zusammenhang zwischen den zwei Bestimmungsfaktoren "Aneignung der Erträge aus technischen Innovationen" und "technologische Chancen" und dem technischen Fortschritt) in allgemein verständliche Fragen und zum anderen mit der Art, wie diese Fragen von den Befragten verstanden werden. Diese Probleme seien am besten anhand der Frage I.B. aus dem Fragebogen illustriert: "Patente dienen der Erlangung und Sicherung von Wettbewerbsvorteilen aus neuen oder verbesserten Produkten bzw.

Produktionsverfahren. Wie wirksam sind sie in Ihrem Wirtschaftszweig?" Bei dieser Frage können verschiedene Schwierigkeiten auftauchen. Ist beispielsweise der theoretische Grundgedanke hinter dem Konzept der Aneignung der Erträge aus technischen Innovationen durch die Begriffe "Erlangung und Sicherung von Wettbewerbsvorteilen aus neuen oder verbesserten Produkten bzw. Produktionsver-fahren" gut operationalisiert worden? Versteht ein F&E-Leiter unter dem Konzept "Wett-bewerbsvorteile" das gleiche wie ein geschulter Ökonom? Auch das Wort "Wirtschafts-zweig" kann sehr unterschiedlich interpretiert werden. Die Gefahr, der befragte Experte beantworte die gestellten Fragen entweder aus der Sicht seiner Unternehmung oder aus der Sicht einer Definition des Wirtschaftszweigs, die anders ist als die hier vom Bundes-amt für Statistik übernommene Definition, ist gross.

2. Weitere Probleme hängen mit der verwendeten Bewertungsskala zusammen. Die meisten Antworten werden auf einer Likert 1-7 Punktskala eingetragen. Zum Beispiel wird die Frage nach der Wirksamkeit von Patenten zum Schutz gegen die Imitation von Produkt- bzw. Prozessinnovationen auf einer Skala von "überhaupt nicht wirksam" bis zu "sehr wirksam" beurteilt. Es gibt bei einer solchen Bewertungsskala keinen natürlichen oder objektiven Anker (bzw. Ausgangsbasis). Die befragten Personen können durchaus den gleichen Wissens- und Erfahrungshintergrund haben, aber die Bewertungsskala unter-schiedlich handhaben. Dazu trägt auch die Tatsache bei, dass in einem Fragebogen nicht alle für die Beantwortung einer bestimmten Frage relevanten Informationen mitgeliefert werden können. Dies sei am folgenden Beispiel aus dem Fragebogen illustriert: Ob ein

61 Die Ergebnisse des Chiquadrat-Anpassungstests zeigen folgendes: bei einem Signifikanzniveau α = 0,01 beträgt der kritische Wert 9,49. Da die Prüfgrösse 172,15 beträgt, muss die Nullhypothese verworfen werden.

129 Patent zum Schutz gegen die Imitation von neuen oder verbesserten Produkten wirksam

ist oder nicht (Frage I.B., Fragebogen S. 3), hängt z.B. ab von

- der Qualität des Patentes (Stand der Technik, Anspruchsformulierung, Anspruchs-kategorie, Offenbarung der Erfindung etc.);

- Wille und Möglichkeiten des Patentinhabers, sein Schutzrecht gegen Dritte durchzusetzen;

- der Qualität des Rechtssystems, der urteilenden Richter, der Anwälte und der Experten;

- der Möglichkeit, vorsorgliche Massnahmen zu erhalten (Art. 77-80 PatG);

- der Möglichkeit, die Verletzung nachzuweisen;

- der Höhe und Durchsetzbarkeit von Schadenersatzansprüchen;

- dem Interesse, welches ein Dritter an einer Erfindung hat, bzw. dem Aufwand, den er zu investieren gewillt ist, um das entsprechende Patent zu bekämpfen oder zu

umgehen;

- dem evt. vorhandenen psychologischen Abschreckungseffekt auf Dritte usw.

Diese Punkte wurden nicht explizit im Fragebogen angegeben. Jeder antwortende Experte muss diesbezüglich seine eigenen subjektiven Annahmen darüber treffen, wie diese Faktoren sich auf die Wirksamkeit der Patente in seinem Tätigkeitsbereich auswirken. Je nach dem Gewicht, das er diesen Punkten beimisst, kann die Markierung der Zahl 1 (= überhaupt nicht wirksam) oder 7 (= sehr wirksam) bzw. eines Zwischenwerts gerechtfertigt sein. Die Markierung von 7 setzt ein "Optimum" in den aufgeführten Punkten voraus.

Zwei weitere Probleme sind mit einer solchen Skala verbunden; beide betreffen das Pro-blem, ob die im Fragebogen verwendete Bewertungsskala derjenigen der befragten Experten tatsächlich entspricht. Es geht um das in der empirischen Forschung bekannte Problem der "echten" Bewertungsskala zur Messung der subjektiven Einstellung von Befragten zu einer bestimmten Problemstellung. Zum einen stellt sich die Frage, ob die Befragten die verwendete Likert 1-7 Punktskala als linear betrachtet, d.h. ob sie z.B. die Entfernung zwischen der Note 5 und 6 als gleich lang bewertet haben wie diejenige zwischen 6 und 7 oder nicht. Falls dies der Fall ist, dann drängt sich zum anderen die Frage auf, ob alle befragten Experten diese (lineare) Skala gleichermassen gehandhabt, d.h. ob sie sie subjektiv gleich interpretiert und benützt haben. Wissenschaftliche Unter-suchungen, die v.a. auf simulierten Daten basiert sind, zeigen, dass die "Diskretisierung"

("discretizing") einer Variablen, deren Ausprägungen selbst symmetrisch verteilt werden können, entlang einer Skala mit einer symetrischen Verteilung der darauf abgetragenen Punkte, wie dies bei der hier verwendeten 1-7 Punktskala der Fall ist, dem in dieser Skala enthaltenen Informationsgehalt wenig schadet (s. Olsson 1979, Muthen 1983 und 1985 sowie Johnson/Creech 1983).

3. Ein weiteres statistisch-methodisches Problem ist, ob die Antworten auf die im Fragebogen gestellten Fragen in der statistischen Auswertung als intervall- oder ordinalskalierte Daten zu behandeln sind. Die Daten sind an sich ordinalskaliert, und es wäre nahe liegend, sie als solche zu behandeln, wenn wir lediglich an Vergleichen der Expertenantworten im Hinblick auf eine einzige Frage interessiert wären. Da wir aber die Unterschiede in den Antworten der befragten Experten auch in Bezug auf mehrere Fragen untersuchen möchten (sind z.B. Patente wirksamer als Geheimhaltung, um Innovationen gegen Imitation zu schützen?), und zweitens die mit ordinalskalierten

Daten verbundenen statistischen Komplikationen vermeiden möchten, werden wir die Daten als intervallskaliert behandeln.

4. Die Untersuchungseinheit ist - wie gesagt - der Einzelmarkt für Produkt- und Prozess-innovationen. Das Problem, das sich hier stellt, ist, ob die Kategorie "Wirtschaftsart", wie sie das Bundesamt für Statistik definiert, das richtige Aggregationsniveau ist, um diese Märkte empirisch adäquat zu analysieren. Die Klassifikation des Bundesamtes für Statistik ist erstens primär für Produkt-, und nicht für Technologiemärkte gedacht.

Zweitens ist sie nicht stark genug disaggregiert, um eine feinere Analyse von einigermassen homogenen Märkten zu ermöglichen. Dass wir trotzdem diese Aggregationsebene gewählt haben, hängt damit zusammen, dass es eine tiefere Aggregationsebene als die WART-Ebene, wie sie in amerikanischen und in anderen internationalen Statistiken vorhanden ist, in der Schweiz nicht gibt. Ferner ist die vorliegende Untersuchung auf weitere Daten des Bundesamtes für Statistik angewiesen, die nur auf dieser Aggregationsebene verfügbar sind. Mit diesem Vorgehen wird schliesslich die Vertraulichkeit der Antworten einzelner Experten nicht verletzt.

5. Ein letztes Problem betrifft sowohl die Heterogenität der Antworten der Branchenexperten von der gleichen Wirtschaftsart als auch diejenige zwischen verschiedenen Wirtschaftsarten. Theoretisch ist es sehr wünschenswert, dass die Daten Unterschiede zwischen den Wirtschaftsarten im Hinblick auf alle Fragen (im Idealfall!) aufweisen. Denn es ist das explizite Erkenntnisinteresse der vorliegenden Untersuchung, interindustrielle Unterschiede bezüglich der Determinanten des technischen Fortschritts aufzuzeigen. Ein erster statistischer Test (Varianzanalyse) zeigt zwar, dass die Antworten auf zahlreiche wichtige Fragen (ca. 40 % aller Fragen) von Wirtschaftsart zu Wirtschaftsart signifikant verschieden sind, dass jedoch dieser "niedrige" Prozentsatz unter den theoretischen Erwartungen liegt. Ferner zeigen die Daten, dass es auch intraindustrielle Unterschiede - d.h. innerhalb der gleichen Wirtschaftsart - in den Antworten gibt, was analytisch problematisch ist (dies zeigt sich statistisch an den Standardabweichungen bzw. Varianzen der Antworten aus einer bestimmten Wirtschaftsart). Diese Heterogenität der Daten und der damit zugrunde liegenden Vielfalt von Struktur- und Verhaltensparametern der untersuchten Wirtschaftseinheiten macht die Formulierung allgemein testbarer Hypothesen - zumindest auf der Ebene von Wirtschaftsarten - schwer. Auf die möglichen Gründe dieser beiden Phänomene - "zu grosse" Streuung der Antworten innerhalb der gleichen Wirtschaftsart und "zu kleine"

Streuung derselben zwischen den Wirtschaftsarten - wird im Folgenden eingegangen.

Zusätzlich zu den unter den Punkten 1-4 aufgeführten Gründen stecken folgende Faktoren hinter den intraindustriellen Unterschieden der Antworten der befragten Experten:

a) Erstens könnte die Kategorie "Wirtschaftsart" im Hinblick auf die in der jeweiligen Wirtschaftsart gruppierten Produkte und für ihre Herstellung verwendeten Technolo-gien objektiv zu heterogen sein. Zum Beispiel werden zwei Unternehmen, die zwar beide unter der Wirtschaftsart "3514" (= Herstellung von Maschinen und Präzisions-werkzeugen) klassifiziert sind, jeweils jedoch unterschiedliche Produkte innerhalb dieser Wirtschaftsart herstellen und dabei unterschiedliche Verfahrenstechnologien verwenden, auf die gestellten Fragen abweichende Antworten abgeben.

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b) Eine zweite Quelle für die intraindustrielle Heterogenität der Antworten ist die mögli-cherweise unterschiedliche Wahrnehmung ihrer gemeinsamen technologischen Umwelt durch Experten der gleichen Wirtschaftsart (s. oben).

c) Eine dritte, wahrscheinlich wichtigste Ursache, ist die subjektive Natur der im Frage-bogen verwendeten Bewertungsskala (s. oben).

Vor dem Hintergrund dieser methodischen Probleme müssen die im Folgenden aufgeführten Ergebnisse mit entsprechender Vorsicht zur Kenntnis genommen werden.

2.2 Ergebnisse der Befragung

2.2.1 Technologische Chancen

Im Folgenden wird der erste angebotsseitige Bestimmungsfaktor des technischen Fortschritts, nämlich die Frage nach den technologischen Chancen, anhand schweizerischer Daten empirisch untersucht. Dabei soll dies nicht nur generell für die gesamte Industrie, sondern auch im Hinblick auf interindustrielle Unterschiede betrachtet werden.

2.2.1.1Allgemeine Quellen technologischer Chancen

Tabelle 3.3 fasst die Ergebnisse der Expertenbefragung zur folgenden Frage zusammen:

"Evaluieren Sie den Beitrag (jeglicher Art: Finanzen, Personen, Informationen usw.) von jeder der folgenden Quellen für den technischen Fortschritt in Ihrem Wirtschaftszweig seit ungefähr 1970:

1. Firmen innerhalb der gleichen Branche (auch in- und ausländische Konkurrenz) 2. Materiallieferanten

3. Lieferanten von Ausrüstungsgütern für die Produktion 4. Lieferanten von Ausrüstungsgütern für F&E

5. Benutzer der Produkte Ihrer Branche 6. Hochschulforschung (in- und ausländisch) 7. Andere staatliche Forschungsinstitutionen 8. Staatliche Betriebe und Ämter

9. Berufs- und Fachverbände 10. Unabhängige Erfinder

11. Andere Quellen (spezifizieren)." (Fragebogen S. 18)

Die Bewertungsskala ist 1-7 (1 = kein Beitrag; 4 = mittelmässige Beiträge; 7 = sehr wichtige Beiträge). Die ersten zwei Kolonnen von Tab.3.3 geben die ungewichteten Mittelwerte der Antwortnoten der befragten Experten sowie den Standardfehler der Abweichung (in