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PROBLEME DER PER!ODIS!ERUNG

Im Dokument Geographie Meeres (Seite 92-95)

BEOß1{11TUNGEN,

6.1. PROBLEME DER PER!ODIS!ERUNG

Es ist seit langem üblich geworden, die moderne Ozeanographie mit der zweifellos sehr erfolgreichen britischen "Challenger11-Expedition der Jahre 1872-76 beginnen zu lassen. Auch GIERLOFF-EMDEN (1980) folgt in dem ohne jedweden disziplingeschichtlichen Bezug zur Geographie verfaßten Kapitel übernDie Entwicklung der modernen Meeresforschung in 4 Pha-sen11 dieser aus der Sicht der gegenwärtigen Ozeanographie verständlichen Festlegung, obwohl es auch abweichende Auffassungen gibt (u, a. BURSTYK 1968b). Selbst M. DEACON (1971; VII) drückt sich über "the work of the Challenger expedition, often heldtobe the foundation of modern oceano-graphyn, vorsichtiger aus. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang eine aus eigenen Erfahrungen erwachsene sehr herbe Kritik 0. KRÜMMELs (1896; 94) an der damals in England zu begegnenden Auffassung, 11 als ob

die Meereskunde eine wesentlich englische Wissenschaft wäre',' die so gut wie ausschließlich in England entstanden sei und nur von dort aus gefördert werden könne", sowie an dem durch Beispiele belegten "unwissenschaft-lichen Verfahren" der "Ignorierung deutscher Leistungen", nicht ohne je-doch auch eine gegenteilige Haltung "jüngerer englischer Ozeanographen"

unerwähnt zu lassen. Im Rahmen unserer Betrachtung über die wissen-schaftliche Stellung des Meeres aus disziplinhistorischer Sicht der Geo-graphie, besonders im deutschsprachigen Raum, kann die 11Challenger11

-Expedition bestenfalls als eine zusätzliche Markierung für den Beginn einer neuen Epoche in der \Vissenschaftsgeschichte der Geographie gewer-tet werden, die man in Anlehnung an Il. BECK (1973) als die der "moder-nen Geographie" bezeich"moder-nen kann. Ohne hier auf die geistesgeschichtlichen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhänge dieser Epoche eingehen zu können, welche die "Moderne" charakterisieren und wissenschaftlich vor allem ihren Ausdruck im gewaltigen Aufschwung der Naturwissen-schaften sowie den technologischen Fortschritten fanden, wird ihr Beginn äußerlich am besten durch das Jahr 1871 markiert, in dem nicht nur der erste Internationale Geographen-Kongreß in Antwerpen stattfand, sondern vor allem das zweite Deutsche Reich seinen Anfang nahm. Damit verbun-den war das Aufkommen eines neuen politischen Bewußtseins, das Drän-gen hinaus auf die Meere und Streben nach Seegeltung sowie Besitz von Kolonien in den noch verbleibenden überseeischen Freiräumen.

Dadurch erfuhr gerade die Geographie, die bis dahin an den Universitäten vorherrschend noch in fachlicher Unselbständigkeit und disziplinärer Zer-splitterung mit z. T. immer noch hilfswissenschaftliebem Charakter ver-haftet war, nicht nur eine ungeahnte Popularisierung, die ihren Nieder-schlag vor allem in der Gründung zahlreicher geographischer Gesell-schaften im In- und Ausland fand (Kiel 1867/71, Harnburg 1873), sondern parallel dazu auch eine außerordentliche wissenschaftliche Aufwertung als selbständige Universitätsdisziplin: Innerhalb eines Jahrzehnts ent-standen ab 1871 an deutschsprachigen Universitäten über zehn Lehrstühle der Geographie. Dadurch wurde - zunächst natürlich in den Küstenuniver-sitäten Königsberg (1876), Kiel (1879) und Greifswald (1881) - der Weg frei für eine Einbeziehung der maritimen Sphäre in den akademischen Lehr- und Forschungsbetrieb und damit zum Entstehen einer fachwissen-schaftlichen Meereskunde. Sie konnte sich auf Grund ihres Forschungs-objektes als eines wesentlichen Teiles der Erdoberfläche eigentlich nur als Teildisziplin einer als Universitätsfach nunmehr selbständigen und sich frei entfaltenden Geographie verstehen, in ihr etablieren und ent-wickeln. Dieser Vorgang und die sich dabei im Laufe der Jahrzehnte voll-ziehenden konzeptionellen und strukturellen \Vandlungen sollen in den fol-genden Abschnitten dargestellt werden.

Ein vorläufiges Ende fand diese Entwicklung einer geographischen Meeres-kunde spätestens mit dem Zweiten Weltkrieg. An dessen Ende lag nicht nur Deutschland in Schutt und Asche. sondern waren auch die Institute für 11eereskunde in Berlin und Kiel. die Deutsche Seewarte in Harnburg sowie manch andere wissenschaftliche Einrichtung der Meeresforschung zerstört.

Kach dem Krieg galt es, nicht nur einen neuen organisatorischen, sondern mehr noch einen neuen geistigen Anfang zu machen. Dies betraf ebenso die

an deutschen Universitäten inzwischen als Fach verselbständigte Meeres-kunde (Berlin 1927, Kiell937, Harnburg 1939) wie auch die 11des Meeres verwaiste" deutsche Geographie. Mit Recht läßt H. BECK (1973) die letzte geschichtliche Epoche der modernen Geographie mit dem Jahr 1945 enden und spricht von da ab von der 11Geographie der Gegenwart". Dem schlie-ßen wir uns an, nicht jedoch seiner Untergliederung der Zeitspanne von 1871 bis 1945 in zwei Phasen von 1871-1905 (Tod F. v. RICHTHOFENs) und von 1905-45.

In der DFG-Denkschrüt "Meeresforschung" (BÖHNECKE u. MEYL 1962) findet sich eine Auflistung der "repräsentativen Tiefsee-Expeditionen11 des

Zeitraumes 1873-1960, die auf Grund der in dieser Zeit sich wandelnden Zielsetzungen in vier Stadien gegliedert ist. Diese Klassüikation geht wohl auf WÜST zurück, der sich dazu an anderer Stelle (1964) ausführlich mit einer differenzierten Klassifikation äußerte. Diese hat M. TOMCZAK (1980) einer mehr poEt-ideologischen als kritischen Überprüfung und Erweiterung bis heute unterzogen. Dagegen schließt sich GIERLOFF -EMDEN (1980) bei der Darstellung der 11 Entstehung der modernen Meeresforschung ... 11

(S. 121-149) kritiklos der vereinfachten Klassifikation der DFG-Denkschrüt an, ohne auch nur den geringsten Versuch zu machen, sie mit Entwick-lungsphasen der Geographie gegebenenfalls zu parallelisieren, wie man das

von einem Lehrbuch der ''Geographie des Meeres" eigentlich erwartet hätte. Unter Hinweis auf die detaillierte Liste der "repräsentativen Tief-see-Expeditionen" in der DFG-Denkschrüt (1962; 124) und bei GIERLaFF-EMDEN (1980; 120) seien hier nur die vier Phasen in der detaillierten Gliederung von WÜST (1964; 22-26) aufgeführt:

Ia 1873-1914 Ilb 1904-1924 Illa 1947-1956 Illb um 1950 IV ab 1957

Stadium der Erkundung oder Exploration Übergang zu systematischer Forschung

Periode neuer geologischer, geophysikalischer, bio-logischer und ozeanegraphischer Methoden

Übergang zu synoptischer Forschung in kleinen Räumen Stadium der internationalen Forschungskooperation Es dürfte sich von selbst verstehen, daß die 11 repräsentativen Tiefsee-Expedition11 und ihre aus dem inneren Wandel der Meeresforschung resul-tierenden veränderten Zielsetzungen kaum ein ausreichendes Kriterium für eine entsprechende Phasengliederung nach geographisch-disziplin-geschichtlichen Gesichtspunkten sein, sondern bestenfalls als Hilfskon-struktion dienen können, Vielmehr müssen die gliedernden Kriterien aus der ideengeschichtlichen Entwicklung der Geographie selbst abgeleitet werden in Zusammenschau mit den Vorgängen innerhalb der Meereskunde.

Da zeigt sich dann allerdings, daß die WÜSTsehe Einteilung für die Zeit von 1873 bis 1940 durchaus sinnvoll auch für eine zeitliche Gliederung der modernen Geographie von 1871-1945 in drei Phasen verwendet werden kann, wenn auch in etwas abgewandelter zeitlicher Abgrenzung. Sie wird im folgenden bei der Behandlung der drei Phasen für die Zeit von a) 1971 bis 1899, b) 1900-1920 und c) 1921-1945 jeweils näher erläutert.

6.2. DIE BEGRÜNDUNG UND FRÜHPHASE DER WISSENSCHAFTLICHEN

Im Dokument Geographie Meeres (Seite 92-95)